Seit über zwanzig Jahren als Musiker unterwegs, hat der zertifizierte Ausbilder Jason Spanu schon die unterschiedlichsten Rollen inne gehabt: als Solomusiker, DJ, Band-Mitglied oder technischer Direktor für Acts wie Nelly Furtado und Drake. Während sich Jason aktuellen Projekten wie einem Film-Soundtrack mit seiner Band widmete und neue Wege mit Push auslotete, wollten wir von ihm ein paar Road-Geschichten hören, Live-Tipps ergattern und mehr über seinen ganz eigenen Anspruch an Live beim DJing erfahren.
Jason Spanu: Shine On
Wenn Du mit einer größeren Band unterwegs bist, welche Rolle spielst Du dann mit Ableton Live?
Generell ließe sich sagen: je größer die Band, desto größer ist auch die Produktion der Show. Meine Rolle muss sich dem also erst einmal anpassen. Ich bin allgemein für die Programmierung und Bearbeitung gigantischer Show-FIles zuständig, die sehr viele Audio- und MIDI-Tracks für den Playback-Anteil enthalten. In der Regel ist das ein Mix aus separierten Studio-Tracks und zusätzlichem Material für den Mehrwert innerhalb der Shows. Ganz einfach gesagt nutze ich Ableton Live, um Audio-Files parallel zur Band-Performance abzuspielen. Man könnte es vielleicht "Daten-Archivar" oder "Remix-Consultant" nennen. Das hängt sehr von den jeweiligen Bedürfnissen des Künstlers beziehungsweise der Band ab. Manchmal mache ich nichts weiter als auf die Leertaste zu drücken und den Song zu starten. Ein anderes Mal türme ich gewaltige Mash-Ups auf, synchronisiere Video-Elemente und bin wohl sowas wie ein digitales Schweizer Offiziersmesser.
Was machst Du mit Ableton Live in Deiner eigenen Band, Automated Gardens?
Automated Gardens sind ein Trio; bestehend aus Keram Maliki Sanchez, Joshua Joudrie und meiner Wenigkeit. Unsere Hochphase hatten wir eher in den 90ern, aber kreativ sind wir nach wie vor miteinander verbunden – jüngst durch Score-Material für dem Film Ecstasy. Seit anderthalb Jahren werkeln wir an einem neuen Album. Wir arbeiten alle mit Live, wohnen aber in unterschiedlichen Städten und sind so viel unterwegs, dass es unmöglich für uns ist, mal einen Monat zusammen abzuhängen und gemeinsam zu komponieren. Also schicken wir unsere Files hin und her. Ich beginne meist mit den Songs und sende sie für weiteren Input nach Los Angeles zu Keram. Dann geht es im Ping-Pong-Verfahren weiter, bis Josh am Ende seinen Flair beim Mixen einbringt.
Du warst als Solokünstler ebenso unterwegs wie als Bestandteil großer Touren von Drake, Frank Ocean oder Nelly Furtado. Wie kommt Ableton Live Deiner Meinung nach mit der jeweiligen Situation klar?
Also der Hauptgrund, warum alle Live auf diesen riesigen Touren nutzen, ist die Stabilität – Stabilität und Flexibilität. Insbesondere hinsichtlich der Spontanität beim Reagieren auf bestimmte Änderungen innerhalb der Musik. Es ist eine Sache, einen Computer auf die Bühne zu stellen, auf Play zu drücken und die Band dazu spielen zu lassen. Aber wenn etwas Unvorhersehbares eintritt, das in ein Deasater ausarten könnte (ein Mikro schmiert ab, jemand vergisst seinen Part oder die Band muss eine Passage loopen), dann sind die Freiheiten, die Ableton bietet, Gold wert. Man kann die vorgegebene Timeline problemlos verlassen. In solchen Fällen bin ich dann sowas wie ein Audio-Sicherheitnetz.
Bei Nelly Furtado bin ich aktiver Teil ihrer Live-Band. Ich loope und tweake, interagiere mit ihren Playback-Files und bringe zusätzliche Synthie- und Sample-Elemente in die Show ein. Wir haben ein MIDI-Verteilsystem dabei, das die Programmwechsel an alle Sythesizer sendet. Das Gleiche gilt für die Gitarrenpedale und andere Effekte, die von der Synchronisation profitieren. Für gewöhnlich sendet jeder Song auch einen SMTPE-Timecode an einen Video-Server aus. Darüber integrieren wir das Licht und die Projektionen in die Show.
Bei meinen eigenen Auftritten habe ich einen komplett anderen Anspruch an Ableton. Oft sind es extrem durchdachte Sessions, mit denen ich an die Grenzen der Leistungsfähigkeit meines Computers stoße. Ich liebe es, so viel kreative Flexibilität wie nur irgend möglich unter meinen Fingerspitzen zu haben. Viel besser als ein simples und sicheres Set-Up. Häufig performe ich mit zwei identischen Systemen: zwei Laptops, zwei Push und zwei iPads pro Station. Damit kann ich meine Live-Show quasi selbst "auflegen". Mir ist klar, dass ich das möglicherweise auch mit nur einer Maschine hinkriegen würde. Aber so verwaltet ein Rechner all die Songs innerhalb meinem riesigen Live-Sets und der andere steht mir als spontane Jam-Station zur Verfügung. Für gewöhnlich mit einem leeren Set, um bestimmte Vibes in Echtzeit erzielen zu können.
Wie stellst Du Deine Sets zusammen wenn Du als DJ unterwegs bist? Sind die Sachen geplant oder agierst Du eher spontan?
Ich bemühe mich, nicht zu viel zu planen, aber ich habe eine echte Schwachstelle im digitalen DJing ausgemacht. Wenn ich an die alten Zeiten zurück denke, dann sah ich einfach nur die Cover oder die unterschiedlichen Farben der Hüllen und hatte sofort die entsprechende Musik im Kopf. Ich wusste reflexhaft, welche Stimmung im Mix Sinn machen würde. Wenn ich heute Serato oder Traktor oder Live verwende, bin ich auf die Titelnamen angewiesen. Das ist schon eine Herausforderung gegenüber früher. Oft sind es so obskure europäische Namen und dann noch mit so vielen Buchstaben oder irgendwas völlig Blödes, das mir einfach nicht im Kopf bleibt. Um das zu umgehen, markiere ich die Songs (in Clips) mit verschiedenen Farben nach einem bestimmten Schema. Tech House ist violett, Tribal House ist braun, Vocal House ist orange, dann gelb für kitschige Sachen und so weiter... Zusätzlich nutze ich unterschiedliche Schattierungen, um die Intensität oder Energie des Songs abzubilden: dunkelviolett wäre also ein echter Tech House-Brocken, hellbraun zum Beispiel ein Tribal House mit Gesang.
Wenn Du einen kurzen aber essentiellen Tipp für Live/Push parat hättest, wie würde der lauten?
Ich nutze Push wohl ein bisschen anders als die Meisten. Ich mag es sehr, die Bewegung des Scale-Modus mit Hilfe eines kostenlosen Control-Scripts namens ClyphX zu animieren. ClyphX ermöglicht die Kontrolle gewisser Anteile der Live-Parameter durch die Beschreibung der Clips mit bestimmten Worten. Das Wort, das ich am meisten verwende, ist 'pushscl'. Es nimmt einen Schnappschuss von Pushs Key- und Scale-Informationen auf und kann diesen beim Triggern von Push wiedergeben. Wenn man diesen Prozess wiederholt und Follow-Aktionen nutzt, die sich durch die verschiedenen Clips bewegen und der Reihe nach die Veränderungen in Push triggern, kann die Hand ganz einfach an Ort und Stelle bleiben und im Rahmen der Key- und Scale-Modulation richtig elegant jammen.