Jan auf dem Resonate Festival, Belgrad
Für jede konfliktgebeutelte Gesellschaft ist es eine stetige Herausforderung, die Schatten der Vergangenheit hinter sich zu lassen. In einem Land wie Serbien, das die Verletzlichkeit des Lebens und die Zersetzung der Gemeinschaft noch schmerzlich vor Augen hat, lässt sich das auch über die Neuausrichtung kreativer Aktivitäten sagen. Einige Künstler fühlen sich so eng mit dem gesellschaftlichen Wiederaufblühen verflochten, dass es Ihnen nicht mehr reicht, auf einem Level zu verharren. Sie spüren den Drang, Dinge zu verändern und sich weiter zu entwickeln.
Jan Nemecek ist ein solcher Künstler. Seine Arbeit als Produzent, Sound-Designer und Installationskünstler hat ihn zum Vorreiter der experimentellen Musik Serbiens gemacht. Sein brandneues Album Fragmented setzt kleinste Soundpartikel zu einem großen Ganzen zusammen, das weit mehr ist, als die Summe seiner einzelnen Teile. Im Interview teilt uns Jan seine Gedanken zur serbischen Szene mit und spricht über den experimentellen Umgang mit simplen Effekten. Außerdem bietet er Ihnen sein eigenes Effekt-Rack an. Probieren Sie es aus!
Kannst Du uns verraten wie es ist, in einem Land wie Serbien experimentelle Musik zu machen?
Es gibt leider keine richtige Szene hier. Die Cliquen und auch die Labels machen alle ihr eigenes Ding, sogar wenn es um die selbe Musik geht. Es ist echt merkwürdig. Und zur Zeit versuchen 90 Prozent der Leute, House zu machen. Das ist momentan das große Ding. Jeder versucht sich daran. Aber niemand schließt sich mit irgendwem zusammen. Vor ein paar Jahren war das auch schon mal so. Da war Techno richtig angesagt. Alle sind auf diesen Zug aufgesprungen. Nur, dass niemand mal den Rahmen seines kleinen Produktionsteams verlassen hätte. Die gegenseitige Befruchtung innerhalb einer Community kam nie wirklich zustande.
Warum ist denn alles so zerfasert?
Das liegt wohl an der grundsätzlichen Mentalität der Leute. An einem Tag werkelt man zusammen rum und kriegt vielleicht auch etwas fertig. Am Tag darauf ist das aber schon vergessen. Jeder kämpft wieder für sich und man redet nicht mehr miteinander. Ich wollte von diesem Prinzip wirklich weg kommen, denn ich bin für dieses „heute so, morgen so“-Spielchen nicht gemacht. Das überträgt sich ja auch musikalisch. Dass jetzt jeder im House-Style produziert, vernachlässigt auch unsere Geschichte, unseren kulturellen Background. Und das ist für mich einfach nicht akzeptabel.
Was unser Genre anbelangt, sind wir ohnehin außen vor. Es gibt kaum Gelegenheiten, experimentelle Musik aufzuführen. Bis vor ungefähr einem Jahr gab es keine ernstzunehmenden Kollektive, die wenigstens ein bisschen experimentellere Musik gemacht hätten. Und auch das Publikum – es brauchte schon eine ganze Weile, um sich mit dem explorativen Sound anzufreunden.
Jan beim Live-Auftritt auf dem Resonate Festival, Belgrad
In den letzten Monaten gab es eine Fülle von Geschichten über Belgrad in den 90ern und die Entwicklung der elektronischen Musik in Serbien. Wie reagierst du darauf als jemand, der dort tatsächlich Musik macht? Bedeutet dir das etwas?
Dieses ganze 90er ,Serbia-Clubbing‘-Ding ist schon seit Jahren ein Lieblingsthema der Medien. Die Publikationen aus Übersee finden es toll darüber zu berichten, weil es in ihren Augen eine so rührende Story ist. In dieser krisengebeutelten Region voller Kriegsverbrechen, abgeschottet vom Rest der Welt, kaufen die Leute tatsächlich Techno-Platten. Es ist eine verklärte und verführerische Geschichte für Außenstehende.
Aber ich bin wirklich ein bisschen... nicht stolz, eher überrascht ob der Aufmerksamkeit, die der heranwachsenden Szene zuteil wird. Dank Festivals wie dem Resonate wird viel über jüngere Künstler berichtet. Selbst 'Dazed and Confused' schreibt über die Footwork-Szene in Serbien. Das ist das Abgefahrenste überhaupt. Footwork wird hier nämlich seit den letzten zwei Jahren immer populärer und es ist mit Abstand das Frischeste, was es hier je zu hören gab. Alles in allem hat es mir sogar einen kleinen Schub gegeben – meine Platte fertig zu machen und am Ball zu bleiben mit dem, was ich tue. Ich bin mit den Jungs von der Teklife-Crew gut befreundet und sie unterstützen mich sehr.
Die Techno-Crowd von früher, über die man so viel lesen kann, begreift das nicht. Sie fragen sich, warum diese Kids derzeit bekannter sind als sie selbst. Es hat schon fast etwas von lokalem Gedisse. Einer dieser älteren Techno-Typen war total sauer, als er gefragt wurde, warum Teklife in größeren Buchstaben auf einem Plakat stand, als sein eigener Name. Das ist genau die Mentalität, in der viele Leute nach wie vor verharren. Aber diese kleinen Veränderungen sind vielversprechend. Die Aufmerksamkeit der Medien kommt dem sehr gelegen, denn jetzt begreifen die Leute, dass sie ihr eigenes Ding machen können und damit sogar international bekannt werden. Sie versuchen nicht mehr, diesen alten 4/4-Beats hinterherzuhecheln.
Testlauf zur ,Line of Sight‘-Installation auf dem Resonate Festival
Was war dein Part beim Mitwirken an der ,Line of Sight‘-Installation auf dem diesjährigen Resonate Festival? Es sieht so aus, als wenn du mit Live die Kontrolle über das Licht-Rig gehabt hättest.
Wir haben Live bei dieser Installation als eine Art Zeitleiste verwendet. Ich hatte ein ganzes Arsenal an Max for Live- und Ableton-Patch-Ketten am Start, das semizufällige MIDI-Befehle erzeugte. Um die Steuersignale für die Lichter senden zu können, bauten wir uns ein generatives Set-Up mit Ableton. Die Lichter kontrollierte ich über einige Max for Live Utility-Patches. Damit konnte ich jeden beliebigen Live-Parameter in Licht-Signale übersetzen. So hat dann zum Beispiel der Filter-Cutoff Auswirkungen auf die Intensität der Lichter gehabt. Vieles davon war aber rein zufällig, es gab keinerlei Standardeinstellungen. Sämtliche Werte, Noten und Zeiten ändern, beziehungsweise verschieben, sich also bei jeder einzelnen Aufführung. Das Ergebnis fällt dadurch immer wieder komplett anders aus.
Deine Sound-Palette scheint aus Material zu bestehen, das so stark manipuliert wurde, dass der Ursprungssound überhaupt nicht mehr zu erkennen ist...
In den letzten ein bis zwei Jahren fing ich an, Samples wie besessen zu modulieren und zu verzerren, so das vom Original kaum noch was übrig blieb. Auf dem letzten Album verfremdete ich etliche ,A Capella‘-Schnipsel, aber die Worte lassen sich immer noch erkennen. Dieses Mal habe ich es wirklich ausgereizt. Kennst du das, wenn man Musik mit mehreren Leuten hört, und jeder zu Details seine ganz eigene Meinung hat? Diese Tatsache hat mich angestachelt, nur kleinste Veränderungen am Sound, an den Elementen und an den Akkorden vorzunehmen. Ich konzentriere mich darauf, die Mikrobestandteile der Musik zu manipulieren, die kleinsten Strukturen eines Sounds zu verändern. Die Hälfte der Songs trägt nicht mal mehr das Original-Sample in sich. Dabei kann die Originalquelle eine Akustikgitarre spielende und singende Frau gewesen sein, die pur mit dem Mikrofon aufgenommen wurde. Es fordert mich viel mehr heraus, etwas zu remixen, das keine Synchronität besitzt und eine seltsam natürliche Stimmung ausstrahlt.
Für dieses Album habe ich mich wahnsinnig intensiv mit Fragmenten beschäftigt – diese kleinen Bruchstücke der Musik – und sie letztlich bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Alles, was wir heute hören und wie wir es hören, ist so fragmentiert. Deshalb fühlt es sich für mich auch richtig an, Musik nach diesem Strickmuster zu machen. Irgendwie machen wir alles ,bit‘ für ,bit‘. Wir nehmen Informationen häppchenweise auf. Leute hören nicht mehr wirklich ganze Tracks, geschweige denn Alben; wir hören Ausschnitte. Mein Album spiegelt das mit einem Augenzwinkern wider. Ich nehme diese Schnipsel und mache daraus etwas Neues.
Etwa ein Jahr lang konnte ich meine Finger nicht von Granulator lassen. Granulator konzentriert sich technisch ja eher auf die Generierung schlanker Sounds. Ich bin jetzt soweit, dass ich ganze Tracks durch den Effekt laufen lasse. Ich mache einen Album-Track fertig und schiebe ihn wieder in Granulator, um zu sehen, was dabei raus kommt. Das hat den Gesamtsound maßgeblich beeinflusst. Ich fing an, es eher als Improvisations-Tool zu nutzen, schraubte an den Parametern einzelner Takes, bearbeitete sie und legte weitere Effekte drüber. Das war die Kernarbeit am Album.
In jedem Track steckt auf irgendeine Art Granulator. Es ist auch ziemlich offensichtlich, wenn man damit vertraut ist.
Ich wollte, dass der Effekt lebendig und natürlich wirkt, da in vielen Tracks echte akustische Klagquellen und Feld-Aufnahmen vorkommen. Ein rein digitales Tool wie Granulator mit dem Geknister und den Amp-Geräuschen aus meinen Feld-Aufnahmen zu kombinieren und daraus ein komplett neues elektroakustisches Ding zu machen, war ein Volltreffer.
Wie sieht dein Set-Up hinsichtlich der Sends aus? Für mich klingt es so, als ob die Kanal-Ketten kurzschlußartig geroutet würden. Es ist kaum noch nachvollziehbar, was genau was moduliert und dennoch wirkt das Klangergebnis greifbar organisch.
Genau darum geht's. Aus diesem Grund habe ich angefangen, experimentelle Musik zu machen. Ich überdachte mein ganzes Live-Set und wollte mich von jeglicher Quantisierung frei machen. Ich hatte ein paar Versatzstücke aus dem Album und viele Fragmente, die wiederum den Versatzstücken entstammten. Daraus mache ich dann rein nach Gefühl einen Einzel-Take. Und natürlich verwende ich live Granulator. Ich spiele einen originalen Track, der bereits bearbeitet ist, resample ihn mit Granulator, finde ein paar winzige Details und sende sie in Loopers. Das ist meine Basis für die Improvisation.
Effektseitig nutze ich eine ellenlange Kette. Der Valhalla Ubermod ist dabei ein wesentlicher Bestandteil. Rein technisch ist es ein Chorus, aber ich nutze ihn als Reverb, weil er verrückterweise urplötzlich von einer Millisekunde auf 700 Millisekunden verschieben kann. Das erzeugt diesen Effekt, der so klingt, als würde man ein Tape abbremsen oder beschleunigen. Es ist die überzeugendste Art, sowas live hinzubekommen. Alle anderen Effekte, die Tape-Sounds emulieren, wirken auf mich grausam und billig. Außerdem verwende ich das Eventide Space. Es erzeugt einen ganz ähnlichen Effekt.
Du meinst das in Bezug auf die Veränderung der Raumgröße?
Ja genau. Dieser Effekt hat mich völlig in den Bann gezogen. Eine andere feine Sache ist der Einsatz des Crossfaders der APC40, um von trockenen Sounds zu angereicherten Sounds überzugehen. Diese Methode klingt viel natürlicher, als einfach nur einen Send aufzudrehen. Wenn jemand einen Send aufdreht, kannst du das aus einer Meile entfernt riechen. Wenn du den Effekt aber schon voll auf hast und ihn erst über den Crossfader reinbringst, dann ist die Wechselwirkung zwischen der urspünglichen Klangquelle und dem Effekt viel geschmeidiger.
Jans jüngste Live-Performance im Drugstore in Belgrad
Du lotest die Grenzen des Stereobildes bis zum Anschlag aus. Deine Produktionen klingen oft extrem breit, Elemente wandern von links nach rechts, verschwinden und tauchen wieder auf. Wie bekommst Du diese stetige bewegte Räumlichkeit hin?
Ich liebe es, die Stereomöglichkeiten auszureizen. Ich verwende einfache Delays, verändere die Spreizung in Granulator, nutze Reverbs mit dem breitesten Raum. Für wandernde Sounds nutze ich Auto Pan, gemappt auf einen Controller. Wenn du es von Hand steuerst, unterbrichst du das automatische Panning. Traditionell hat ein Auto-Pan ja eine feste Rate, die das Signal tremolo-artig hin und her bewegt. Moduliert man es manuell und spielt dabei mit der Phase und der Rate, erhält man wirklich abgefahrenes Zeug. Und es klingt organischer, wenn ein Sound nach dem 'Auto Pan'-Effekt im Hallraum aufgeht.
Du stößt in Bereiche vor, in denen sich scheinbar magisch Sounds herausschälen. Wenn du dann langsam die Rate runter drehst, tauchen diese riesigen Rauschwände auf – und verschwinden anschließend wieder. Die Sounds bewegen sich die ganze Zeit; du weisst nie genau, wann sich so eine Wand im Hintergrund aufbaut. Technisch gesehen ist das sicherlich nicht sehr kompliziert, aber das Gros der Ableton-Plug-ins bereitet mir immer noch einen Heidenspaß. Es passiert immer mehr, als man auf Anhieb erkennen kann.
Probieren Sie selbst Jans Effect Racks aus (Erfordert Live 9 Suite und Max for Live)