James Holden: Modulares Denken
James Holden ist wohl der beste Typ, den man sich vorstellen kann, um alle möglichen Dinge modular zu betrachten. Auch in seiner Musik besitzen modulare Systeme neben Max for Live einen äußerst hohen Stellenwert, wobei er nicht müde wird, auf die in den Geräten ruhenden "menschlichen" Eigenschaften zu verweisen. James ist einer der wenigen Musiker, die sich trauen, fragile modulare Systeme dem Tourstress auszusetzen und sie damit an ihre Grenzen zu bringen. Und erst kürzlich entwickelte er eine eigene Software, mit der sein Modular-System auf die subtilen Temposchwankungen seiner Mitmusiker reagiert. Wir sprachen mit James darüber, warum er die modulare Welt der Plug-In-Dynastie vorzieht und wie er sie mit Max for Live kontrolliert. Außerdem stellt er uns seinen neuesten Patch, den Group Humanizer vor.
Wie ist es für Dich, Dein Modular-System mit auf Tour zu nehmen?
In erster Linie gruselig, wenn ich daran denke, es einer Airline anzuvertrauen.
Du gibst es also als Gepäck auf.
Könntest Du Dir vorstellen, damit jedes Mal durch die Sicherheitskontrolle zu spazieren?
Ich kann mir vor allem vorstellen, dass sie es für eine besonders ausgeklügelte Bombe halten würden.
Es wäre sowieso etwas zu groß, ein bisschen über den zulässigen Maßen. Außerdem brauchst du ja auch noch den ganzen anderen Kram wie die Controller und die Soundkarte. Ich habe alles in einem Pelican-Case und das wandert in den Frachtraum. Ich darf gar nicht drüber nachdenken... Aber es auf der Bühne zu haben, ist eben toll. Mittlerweile weiss ich auch ganz gut, welche Geräte was aushalten können. Ich erinnere mich an einen schlimmen Gig, bei dem das MIDI-Interface ständig ausfiel. Das, was ich jetzt habe, kann Feuchtigkeit, Hitze und Kälte ganz gut ab.
Gab es für Dein Interesse an modularer Synthese sowas wie eine Initialzündung?
In meiner Uni-Zeit habe ich angefangen mich damit zu beschäftigen, wie man Musik macht. Dort hatte ich auch das erste Mal Zugang zum Internet. Folglich habe ich alles gelesen, was ich aufstöbern konnte. Ende der Neunziger gab es dann eine kleine Modular-Szene und ich erinnere mich noch daran, wie ich dachte, das könnte auch was für mich sein. Aber es überstieg meine finanziellen Möglichkeiten. Als Student konnte ich mir sowas nicht leisten, erst recht damals nicht, als es noch wesentlich teurer war. Aber ich besorgte mir eine Software namens Buzz. Die ist modular konzipiert. Man hat eine leere Seite, zieht Module drauf und verdrahtet sie miteinander. Ziemlich limitiert das Ganze, aber es gab ein paar Leute, die sich reingehackt haben und Sachen wie Cross-Modulationen möglich machten. Für mich wurde so etwas zum Bestandteil des Musizierens. Am Ende wusste ich wirklich alles über Buzz. Irgendwann kniete ich mich dann voll in Max MSP und kaufte ein paar Keyboards. Plug-Ins waren mir einfach zu uninspirierend. Ich habe soviel Aufwand betrieben, der Musik aus dem Rechner etwas Leben einzuhauchen – ein Wahnsinn, wenn ich an mein erstes Album denke. Wieder und wieder die selben Layer aufnehmen und mit Time- oder Pitch-Schwankungen versehen, nur damit es ein bisschen natürlicher klingt. Später kam dann die Erkenntnis, dass man sich das alles sparen kann, wenn man nicht ausschließlich den Computer benutzt, sondern auch die analogen Maschinen, die das einfach mitbringen.
Was dann der genaue Auslöser dafür war, die ersten modularen Teile zu kaufen, weiss ich gar nicht mehr. Nur noch, dass sie nicht sonderlich taugten. Um ehrlich zu sein habe ich sie nicht mehr benutzt, seitdem ich meine Doepfer- und Make Noise-Teile habe. Ich denke, ich habe mein Ding gefunden. Im Prinzip flankiert es das, was ich schon die ganze Zeit gemacht habe.
Wie hat sich das Musikmachen dadurch verändert? Kannst Du einen Unterschied ausmachen?
Es dauerte eine Weile, bis ich mich wirklich zurecht gefunden habe. Aber ein Unterschied ist definitiv zu merken. Ich bin jetzt viel zufriedener damit, wie alles klingt. Das erste, was ich auf die Art geschrieben habe, war der Track “Triangle Folds”. Ich fertigte einen Max Patch an, mit dem ich polyphone Stimmen routen konnte. Dadurch wurde das Modular-System polyphon und davon war ich total begeistert. Ich merkte ziemlich schnell, dass mich Monosynthies nicht sonderlich interessieren. Wenn ich Keyboard spiele, habe ich eigentlich immer die ganze Hand auf den Tasten. Dieser Track würde ohne die Würze, die der Polysynthie einbringt, nicht existieren. Zu meiner Freude habe ich außerdem feststellen können, dass der Umgang mit solchen Geräten, wie man die Noten setzt und die Filter bedient, zu viel lebendigeren Resultaten gegenüber der Verwendung von Plug-Ins führt. Vor allem ist man tatsächlich Herr der Lage. Es gibt ja durchaus Plug-Ins, die ziemlich clevere Sachen anstellen, aber ich denke mir dann, das kannst du nicht machen, so viele andere Leute nutzen das auch. Damit ist es für mich wertlos. Ich höre so oft irgendwelche Presets oder Demo-Patches auf fremden Alben, und wenn ich sowas registriere, dann ist der Act für mich eigentlich schon gestorben. Es langweilt mich.
Wie sah die Lernkurve aus? Hast Du lange gebraucht, um von den technischen Einzelheiten des Modularen hin zu einem selbstverständlichen und vollumfänglichen Umgang zu gelangen?
Ich habe ziemlich schnell Sounds hinbekommen, mit denen ich happy war. Ich konnte auch nachvollziehen, was da vor sich geht, dank meiner Kenntnisse über MSP und Buzz. Es gab aber auch Sachen, die ich im Kopf hatte, bei deren Umsetzung ich dann doch an meine Grenzen gestoßen bin. Das ist mittlerweile anders. Ich habe Max MSP viel besser im Griff und darüber hinaus erkannt, dass ein Hybrid aus Max for Live und dem Modular-System am meisten Sinn macht. Für manche Dinge ist der Rechner eben nützlicher und für andere das Modular-System. Diese Linie habe ich gezogen. Luke Abbot zum Beispiel macht viele Sequenzen und Rhythmuspattern mit dem Modular. Er erzählte mir von seinem 4MS Shuffling Clock Multiplier, den er so sehr mag. Jedes Mal wenn ich damit rumhantiere, ende ich damit, dass ich alle Kabel wieder rausziehe und aufgebe. Es funktioniert für mich nicht. Ich mache solche Sachen lieber im Computer. Mit parametrischen Sequenzen kann ich umgehen und ich weiss, dass ich mit dem Rechner schnell und zufrieden zum Ziel gelange.
In Max for Live habe ich mir ein Toolkit angelegt, mit dem ich mehr oder weniger alles realisieren kann, das mir in den Sinn kommt. Ich betrachte all die Dinge als ein ganzheitliches System. Ich weiss was ich wo mache und bin dadurch ziemlich gut unterwegs. Die ganzen Sachen auf The Inheritors, die seltsamen Sequenzen und die Cross-Modulationen, waren im Handumdrehen fertig. Ich setze mich hin und eine Stunde später weiss ich, ob etwas funktioniert oder nicht.
In den letzten Jahren fand eine wahre Wiederbelebung des modularen Marktes statt. Leute, deren Interesse durch diesen Hype geweckt wurde, sehen sich aber immer noch mit ziemlich hohen Kosten und einem nicht zu unterschätzenden Lernaufwand konfrontiert. Hast Du für diese Leute einen Ansatzpunkt parat?
Ich weiss, dass Buzz wieder aufgelegt wurde und ich kann das nur empfehlen. Luke beschäftigt sich mit Reaktor, was ich nie getan habe, aber auch das scheint ein ziemlich gangbarer Weg in diese Welt zu sein. Die Leute nähern sich aus den unterschiedlichsten Richtungen. Man kann auch nur ein paar Effektpedale und einen Korg Volca oder etwas anderes, das einem Modular-System ähnelt, nehmen. Wichtig ist nur die Denkweise, dass man etwas miteinander verkabelt, sieht was passiert und daraus lernt. Irgendwann wirst du wissen, wie du den Sound, der dir vorschwebt, abrufen kannst. Um an diesen Punkt zu gelangen, brauchst du eigentlich nur damit rumzuspielen.
Also ist der Lohn, der aus der Arbeit mit modularen Synthesizern resultiert, zu Teilen auch ein Ergebnis von Ausdauer.
Ganz genau. In meinem Studio stehen diverse Keyboards rum, aber seitdem ich dort eingezogen bin, habe ich sie nicht mehr angefasst. Neben Max for Live ist der Modular wirklich das einzige Instrument, das ich nutze. Mehr brauche ich nicht. Sicherlich kann man damit sehr viel anstellen, aber längst noch nicht so viel wie im Computer. Doch für mich ist dieses Instrument das einzig Wahre.
Lässt sich auch etwas etwas darüber sagen, wie der modulare Workflow Deine Denkweise beeinflusst? Nicht auf das System selbst bezogen, sondern eher hinsichtlich der Kompositionen und wie man generell Musik damit schreibt oder arrangiert.
Es zwingt dich dazu, live zu arbeiten. Du kannst den Modular ja nicht automatisieren. Gut, kann man schon, aber das ist eigentlich verschwendete Zeit. Ich habe das Zeug von Expert Sleepers benutzt und davon meine eigene Version in Max gemacht. Doch es fühlt sich nicht richtig an, zu automatisieren. Man soll sich darauf fokussieren, einen Live-Take zu machen und den aufzunehmen. Das war die größte Veränderung, die es mit sich brachte. Früher habe ich Layer mit Automationskurven aufgenommen und verfiel dann der Versuchung, jedes einzelne Bit im Nachgang zu fixen.
Ich glaube einfach daran, dass das Wesen der Musik in der Live-Performance steckt. Ich möchte nicht zu lange über etwas nachdenken müssen, dauernd konzipieren und überarbeiten. Alle meine Lieblingskünstler improvisieren. Und Modular-Systeme geben das einfach vor. Man landet nicht zwingend bei einem Arrangement wie man es zum Beispiel mit einer Gitarre erreichen würde. Es geht darum zu lernen, wie man die Dinge in den Griff bekommt und ausbalanciert. Wenn ich jetzt wieder ins Studio gehe, werde ich nach Wegen suchen, wie ich mit dem Modular Songs mache, die tatsächlich eine Struktur haben. Nicht einfach nur Tracks, die lauter und wieder leiser werden.
Würdest Du sagen, dass den Reiz des Modularen auch ausmacht, nicht immer wieder in die selben Gewohnheiten oder Muster zu verfallen und dadurch den Workflow weiter entwickeln zu können?
Das würde ich gern, aber ich denke eher, ich folge meinen Gewohnheiten.
Und bist Du auch glücklich damit?
Sie bilden eine solide Basis. Aber sie sind so dehnbar, dass ich noch genügend andere Sachen einbringen kann. Modulare Sounds vertragen sich hervorragend mit live gespielten Instrumenten. Digitales Zeug tut das nicht. Das Zusammenspiel klingt irgendwie falsch. Ich kann problemlos eine Hi-Hat über einen Modular spielen und es funktioniert. Grundsätzlich beginne ich beim Aufbau eines Polysynthies damit, die Kabel in die falschen Löcher zu stecken. Genau genommen ist das eine Gewohnheit. Doch es führt mich jedes Mal woanders hin. Und das ist für den jeweiligen Augenblick eine ganze Menge.
Wie ist es, wenn Du mit anderen Musikern live spielst? Agieren Sie an ein Tempo gebunden oder eher frei und Du kannst Deinen Modular so aufsetzen, dass er dem Bandgeschehen folgt?
Im Moment läuft der Modular mit Ableton und etlichen Sachen aus Max for Live. Eines Tages würde ich es gern so haben, wie Du gerade gesagt hast. Der Computer und der Synthie können dem Drummer schon ein bisschen nachsetzen, aber ich arbeite gerade an einigen Max for Live Patches namens Group Humanizer. Das ist alles sehr technisch, aber im Prinzip korrelieren deine Fehler mit jedem anderen Fehler, den du bis dahin gemacht hast. Das gilt auch für die Fehler aller Mitmusiker. Du kannst also alle Kanäle humanisieren. Sie hören quasi aufeinander; deine Drum-Maschine achtet auf deinen Synthie und sobald ein Fehler im Synthie auftritt, wird er von der Drum-Maschine reflektiert. Ich habe mich bis jetzt noch nicht damit auf die Bühne getraut. Es existiert zwar schon, aber ich möchte, dass es wirklich stabil läuft. Eine große Show ist nicht der geeignete Augenblick für einen Beta-Test.
In den kommenden Tagen hören wir mehr von James Group Humanizer.
Bleiben Sie mit James über seine Website, über Facebook und über Soundcloud in Verbindung.