James Hoff: Die Kunst der Infektion
James Hoff ist ein umtriebiger Künstler, dessen Arbeit mit Musik und Sound Teil einer interdiszplinären Praxis ausmacht. Der New Yorker ist ein gestandener Maler, dessen Ausstellungen in internationalen Museen und Galerien mit positiven Rezensionen glänzen und er hat mit seinen Ideen als Konzeptkünstler die Sphäre um ihn herum geprägt. Daneben dichtet er und betreibt zusammen mit Miriam Katzeff den Kunstbuchverlag Primary Information, dessen Spektrum von zeitgenössischen Theoretikern bis hin zu Archivfunden aus den 1960er Jahren reicht.
Auf musikalischem Gebiet ist Hoff vor allem für das Album Blaster bekannt, das 2014 bei PAN, dem umtriebigen Label für elektronische Musik, erschien. Die Platte ist durchzogen von Glitches und unruhigen Rhythmen, die mit voller Absicht kraftvoll losprasseln. Hoff infiziert dort Sounddateien mit Computerviren, die er wegen ihrer transformierenden Eigenschaften sammelt und katalogisiert. (Auch seine Malereien bedienen sich bei Viren, indem der Code hinter dem Bild dem Befall ausgesetzt und dadurch im Kern verändert wird.) Seine viral unterstützten Werke im Soundbereich umfassen dazu eine Reihe von Klingeltönen für Mobiltelefone, die gleichzeitig extrem bekannt und dennoch fratzenhaft entstellt wirken.
Seit der Veröffentlichung von Blaster hat Hoff seine Arbeit in verschiedensten Medien fortgesetzt, z.B. mit einer Solo-Show seiner Gemälde in New York, einer Ausstellung zu Sound und Malerei in Berlin und einer Auftragsarbeit für Deutschlandradio Kultur. Von seinem Zuhause in Brooklyn aus, mit einem Teller köstlicher Donuts im Angebot, erzählt Hoff von den zahlreichen Erscheinungsformen, die seine Arbeit annimmt.
Deine Arbeit mit Viren hat sich weiterentwickelt und auf neue Spielfelder bewegt. Was interessiert dich am Virus als Tool?
Für mich ist die Verwendung von Viren aus zwei Gründen interessant. Ich kann so anders Material generieren als wenn einfach loslege und etwas kreieren will und außerdem habe ich die Möglichkeit, mit verschiedenen Medien zu arbeiten. Es bietet mir also den Schwung eines konzeptuellen Rahmens und gleichzeitig eine Herangehensweise, um medien- und genreübergreifend Kunst zu machen. Ein Virus verbirgt sich naturgemäß vor dem direkten Blick und nimmt verschiedene Erscheinungsformen an. Da ich schon immer eher an unterschiedlichen Arten des Kunstschaffens interessiert war als an einer einzigen, bin ich dadurch legitimiert, plattformübergreifend zu arbeiten. Das gefällt mir daran wirklich sehr. Die Virusmetapher bringt immer Mutation mit sich und die verschiedenen Mutationen manifestieren sich auf vielfältige Art.
Einige deiner Arbeiten, speziell das Album Blaster scheint den Dancefloor als Ausgangspunkt zu nehmen. Ist solche Musik besonders empfänglich für das Konzept des viralen Befalls?
Ich denke, in der heutigen Zeit ist sie empfänglicher geworden, wenn man bedenkt, wie viele Leute sich für Musik interessieren, in der heftiger Noise oder anspruchsvolle Klangfarben auftreten. Aber ich glaube, das hat eher mit Dingen zu tun, die weit außerhalb meines Projektes liegen. Als ich mich dazu entschloss, Blaster zu machen, hatte ich ein paar Computertöne infiziert. Mich interessierte der Vorgang und ich versuchte, mich da hinein zu fuchsen. Ich hatte einige Töne infiziert, z.B. lineare Frequenzmodulationen und das Brummen des Rechners, das Summen des Motors und solche Sachen. Ich hatte eine Ahnung davon, was ich erreichen und machen wollte, es hat sich für mich von selber aus dem Konzept ergeben. Also habe ich die vorhandenen Computersounds genommen, sie infiziert und viel Ausgangsmaterial erzeugt. In der U-Bahn habe ich es über Ohrstöpsel angehört und da kamen ein paar Kids vorbei und haben Breakdance gemacht. Sie hatten dazu einen Beat laufen und alles überlagerte sich in meinem Gehör. Das war der Punkt, an dem ich dachte: „So muss man es anpacken.” So kam es auch, dass ich mich für den Blaster-Virus entschied. Denkt man an eine Boombox, dann hat man das, zumindest als ich noch ein Kind war, noch Ghettoblaster genannt. Deshalb fiel meine Wahl auf Blaster und nicht auf Stuxnet oder den Morris Worm und alles andere. Da waren sowohl Willkür als auch glücklicher Zufall im Spiel.
Trittst du im schöpferischen Prozess komplett zurück hinter dem Virus?
Mich interessieren algorithmische Prozesse bei der Komposition, aber sie interessieren mich nicht als endgültige Antwort. Der Algorithmus steht für mich beim Komponieren nicht über meinem Recht zu kreieren. Die meisten meiner Arbeiten auf musikalischem Gebiet - ich mache ja auch noch andere Dinge - fußen auf einem Algorithmus, der die Palette erschafft und auf dieser Grundlage werde ich dann kreativ. Auf der zweiten Seite von Blaster sind einige der Beats und Samples in der Reinheit ihrer Beschädigung zu hören. Aber auf der ersten Seite bin ich es, der aus diesen Beats und Samples neue Musik hervorbringt. Das Konzept und die Signalverarbeitung sind zwar interessant, aber ich weiß auch sehr das Recht des Künstlers zu schätzen, sich vom Prozess abzulösen und ihn für etwas zu nutzen, das die Maschine aus sich selbst heraus nicht hätte erschaffen können.
Nachdem das Album erschienen war, hast du in verschiedenen neuen Werken einen ähnlichen Prozess angewendet. Inwiefern unterscheiden sich diese Arbeiten?
Einige der neueren Arbeiten basieren auf einem Transkriptionsverfahren in Max, das jedem Zeichen im Viruscode eine MIDI-Note in Echtzeit zuweist. Das Material für Blaster und anderes Material in diesem Stil hat einen sehr spezifischen Sound. Aber das Transkriptionsverfahren ist auch für andere Instrumentierungen offen und ermöglicht eine breitere Palette, wodurch ich mich unterschiedlichen Genres nähern kann. Für meine Ausstellung in Berlin habe ich den Stuxnet-Code genommen und in ein arpeggio mit Klaviersound à la Keith Jarrett verwandelt. Es klingt ziemlich nach New Age und dauert tagelang. Dieser Code ist riesig.
Für Deutschlandradio Kultur hast du eine Reihe von Stücken mit dem Titel Operation Olympic Games angefertigt. Was hat es mit dem Titel auf sich?
Es handelt sich um die CIA-Operation, unter deren Decknamen Stuxnet, Flame und Skywiper entstanden sind. Das umfangreiche Stück für das deutsche Radio beruht auf Blaster, Stuxnet und Skywiper. Skywiper war der Titel meiner Ausstellung in einer New Yorker Galerie. Der Titel der Berliner Show war The Quick Brown Fox Jumps Over The Lazy Dog. In dem Satz ist jeder Buchstabe des englischen Alphabets enthalten. Man verwendet ihn für typografische Tests und auch um Algorithmen in Computersoftware zu prüfen. Außerdem, als die Russen und die Amerikaner in den ‘60ern ihr Transatlantikkabel verlegten, war das die erste Nachricht, das die Amerikaner da durch schickten. Die Russen waren davon sehr irritiert, denn sie wussten nicht, was es bedeutete.
Dein Ansatz hat sich fortentwickelt und tut das auch weiterhin. Aber welches Vorgehen war die Grundlage beim Entwickeln von Blaster?
Ich habe den Hex-Editor Hex Fiend verwendet. Wenn ich beispielsweise einen Clap dort hineingebe, kriege ich das Geräusch aufgeschlüsselt in Hexadezimalcode heraus. Danach nehme ich den Virus-Code und speise ihn dort ein. Im Grunde imprägniere ich den Code mit dem Virus. Abhängig davon, wo und wie oft der Code gesetzt wird, ändert sich der Effekt. Die Varianz der Effekte in Bezug auf den Originalsound ist sehr groß. Auf diese Weise habe ich ca. 800 Samples für Blaster generiert, die zu Bausteinen für das Album wurden.
Welche Rolle hat Live bei diesem Prozess gespielt?
Live habe ich für so ziemlich alles verwendet, aber mein Umgang damit ist ziemlich rudimentär, wenn man bedenkt, wozu es in der Lage ist. Vielleicht ist das aber eine wichtige Unterscheidung. Wenn ich meine Arbeit weiterentwickle, ergibt es sich von selbst, dass ich das Programm weiter erkunde und es erlerne, statt mich einfach ran zu setzen und schon alles zu wissen. Ich besitze Live seit 2002 oder 2003, damals vor allem um live zu performen. Aber bei Blaster ist alles in Live geschrieben, komponiert und arrangiert. Mein Bühnen-Setup ist zurzeit auch mit Live realisiert. Momentan beginne ich, Sound-Design-Equipment einzusetzen, um die Infektionen nach ihrem Ausbruch zu modifizieren und einen etwas anderen Tonumfang herauszuholen. Das geschieht außerhalb von Live, aber alles andere bleibt darin. Ich habe mit dem Experimentieren gerade erst begonnen. Mal sehen, was daraus wird.
Wir haben hauptsächlich über deine Musik geredet, aber deine Malerei ist mindestens ebenso erwähnenswert. Springst du zwischen Musik und Malerei hin und her oder räumst du dir Zeitabschnitte ein, in denen du dich mal auf das eine, mal auf das andere fokussierst?
Malerei und Musik laufen zurzeit ziemlich simultan. Der dritte Pfeiler ist für mich Primary Information und das Verlagswesen. Ich betrachte meine Arbeit als Verleger als die eine Sache und meine Arbeit als Künstler als eine andere. Im Rahmen der Kunst laufen die Musik und die visuelle Arbeit immer Hand in Hand ab. Für mich als Künstler befriedigen sie unterschiedliche Interessen. Beide können auch ihre ausgetretenen Pfade haben, deshalb ist es gut, zwischen ihnen hin und her zu wechseln und zu versuchen, die ausgetretenen Pfade zu meiden.
Ist Sound für viralen Befall empfänglicher als Bilder oder ist es anders herum?
Ich würde sagen, Bildmaterial ist viel empfänglicher, man kann damit viel mehr machen. Ich nehme Bilder, infiziere sie auf alle möglichen Arten und dann wandern sie in einen Ordner. Jedes, von dem ich denke, es könnte als Gemälde funktionieren, ziehe ich heraus und stecke es in den Ordner „Maybe”. Für jede Show von sagen wir 20 Gemälden werden mindestens 1000 Bilder generiert. Ungefähr 50 davon sind „Maybes” und dann gehe ich sie durch und sortiere aus. Die Originale liefern die Grundlage für die Gemälde. Nicht immer, aber meistens.
Wenn visuelles Material empfänglicher und formbarer ist, bevorzugst du im Hinblick auf das Endergebnis die Malerei oder die Musik?
Auf materieller Ebene finde ich zwar, dass Malerei empfänglicher ist für den Vorgang, aber auf konzeptueller Ebene ziehe ich Musik als Medium vor. Die Art, wie Musik sich von selbst in der Kultur verbreitet, ist der Malerei weit überlegen. Es ist schwer, zufällig ein Gemälde zu sehen, das sich dann im Kopf festsetzt. Ich bin ein relativ passiver Zuhörer, ich höre immer Musik während ich etwas anderes mache und mir gefällt die Vorstellung, dass meine Musik im Hintergrund läuft. Ich mag das Konzept vom Hinsetzen und Zuhören und es ist schön, wenn Leute zu einer Show von mir kommen. Aber noch mehr reizt mich die Vorstellung, dass meine Musik irgendwo ganz unerwartet auftaucht, als Hintergrund für den Alltag. Mit den Viruswerken will ich genau das erreichen: Meine Eigenproduktionen an den Punkt zu bringen, an dem ich Musik produzieren kann, die sich nahtlos in verschiedene Umgebungen einfügt und dennoch eine gewisse Identität behält. Ich würde keinen reinen Pop aus den Viren machen wollen, aber ich träume davon, dass letztlich etwas in diesem Bereich landet - oder im Wartezimmer eines Zahnarztes. Mich fasziniert die Idee, dass Musik auf Reisen gehen kann, die dem Komponisten niemals in den Sinn kämen.
Laden Sie James Hoff’s Klingeltöne I Just Called To Say I Love You herunter.
Erfahren Sie mehr über James Hoff auf seiner Website.
Bilder von The Quick Brown Fox Jumps Over the Lazy Dog mit freundlicher Genehmigung von Supportico Lopez.