Jace Clayton, auch bekannt als DJ /rupture, ist ein vielseitiger und ambitionierter Musiker, der am liebsten dort hinhört, wo Sounds in ihren ursprünglichen Habitaten die Szenerie bestimmen. Seine Arbeiten sind außergewöhnlich weltoffen und nur so gespickt mit unorthodoxen Klangmixturen. Dies stellte schon sein 2001 online veröffentlichter DJ-Mix Gold Teeth Thief eindrucksvoll unter Beweis. In einer Playlist, die die damaligen Zeichen der Zeit vorweg nahm, kreuzte Clayton verschiedenste Genres, verquirlte Missy Elliott mit Musik aus dem mittleren Osten und durchsetzte das Ganze mit nervösem Drum'n'Bass und Reggae – oftmals alles zur selben Zeit. Obwohl diese Form des Zusammenspiels fast schon ein Standard ist und Online-DJ-Mixe zur Routine geworden sind, hallt der Impact von Gold Teeth Thief immer noch nach.
Clayton betätigt sich nach wie vor als DJ /rupture, ist aber auch auf anderen Gebieten aktiv. Er schreibt erfolgreich für Magazine und Journale und blickt der Veröffentlichung seines ersten Buches im kommenden Jahr entgegen. Er trat über Jahre mit seiner Live-Band Nettle auf und veröffentlichte unter seinem Geburtsnamen ein Album zu Ehren des Avantgardisten und Komponisten Julius Eastman. Nicht zuletzt entwickelte er Software für sein wohl bedachtes Projekt Sufi-Plug-Ins – eine Plug-In-Sammlung mit außergewöhnlichen Sounds, die er kostenlos als Download zur Verfügung stellt.
Aus seiner Heimat Upper Manhattan berichtet Clayton über sein vielschichtiges Oeuvre und die bestehenden Querverbindungen.
Wie gehst du heute einen Mix an, im Vergleich zu der Zeit, als du mit Gold Teeth Thief eine Welle losgetreten hast?
Witziger Weise hat sich aus technischer Sicht gar nicht so viel geändert. Die praktische Grundlage ist nach wie vor, Mixe live aufzunehmen. Das war damals in zwei Takes erledigt – auf MiniDisc; also lange bevor es Serato und all dieses Zeug gab. Ich hatte Vinyl und ein paar Tracks auf CD. Kulturell hingegen hat sich für mein Empfinden eine Menge verändert. Die Art meiner Mixe war für die meisten Leute vollkommen neu. Irgendwie ist das wohl auch der Grund, warum ich heute da bin wo ich bin. Es hat sich ausgebreitet wie ein Lauffeuer. Das Fabrizieren solcher Verknüpfungen, Wechsel und Überlagerungen ist im DJing fast schon wieder Mainstream. Damals hat es aber noch einen ganz anderen Stellenwert gehabt. Man konnte ja kaum DJ-Mixe online finden. Gold Teeth Thief verbreitete sich über Mundpropaganda wie verrückt und wurde von so vielen Leuten heruntergeladen. Ich lebte damals in Madrid und wollte eigentlich nur, dass meine Freunde es zu Gehör bekommen. Also brannte ich eine CD, schickte sie an einen Kumpel und bat ihn, das Teil zu rippen und irgendwo im Web hochzuladen.
Findest du, dass dieser stilistische Mischmasch etwas von seiner Energie eingebüßt hat, seitdem Jeder Zugriff auf Alles hat und so viele Genre-Grenzen verschwimmen?
Ja, das ist so. Es hat sich grundlegend verändert, doch es ist schwer zu sagen woran das liegt. Aus diversen Gründen mögen es Leute oder lehnen es eben ab, diesen Platz einzunehmen. Das ist schon interessant: Wenn sich Jemand hinsetzt und beginnt zu arbeiten, was geht dann durch seinen Kopf? Woran denkt er? Wo sieht er sich selbst? Wenn alles schon da ist, was soll dann als nächstes kommen?
Was hat es mit dem Buch auf sich, an dem du arbeitest? Im Groben soll es um "die Musik des 21. Jahrhunderts und die globale digitale Kultur" gehen.
Ich habe noch keinen Titel für das Buch und eigentlich widerstrebt es mir, zu viel über Dinge zu verraten, die noch nicht mal einen Titel haben. Aber soviel steht fest: es wird im Juli 2016 erscheinen. Im Prinzip geht es um eine Reflexion der letzten 15 bis 20 Jahre und die damit einhergehenden technischen Veränderungen – Mp3, erschwingliche Laptops, vernetztes Hören. Um Leute, die sich diese Entwicklung zu eigen gemacht haben und Musik über bis dato nicht gekannte Wege erdacht, erfahrbar gemacht und geteilt haben. Ich erzähle von mir und von meinen Reisen. Ich interessiere mich sehr für Basistechnologien und folglich beinhaltet es eine sehr bodenständige globale Sichtweise. Auf keinen Fall soll es ein akademisches Buch werden – ich möchte eher, dass es literarisch daherkommt. Man erreicht einen bestimmten Ort, nimmt sich ein Stück weit raus und betrachtet von dort aus die Dinge in Gänze. Eines der Erlebnisse, das ich beschreiben werde, ist mein Aufenthalt in einem palästinensischen Flüchtlingscamp in Beirut. Das geschah nicht in irgendeinem politischen Kontext, sondern im Rahmen eines Gigs. Und so möchte ich durch das Buch führen. Ich möchte hinterfragen, wie sich Veränderungen anfühlen und dabei nicht nur eine rein technologische Perspektive einnehmen. Es gibt bereits so viele Abhandlungen aus Sicht der Industrie – Wo wandert das Geld hin? Und was ist mit Streaming? Etliche dieser Debatten finde ich unglaublich langweilig und uninteressant.
Sehr interessant ist übrigens, wie dein Sufi Plug-Ins Projekt letztlich um die ganze Welt gewandert ist. Wo nahm es denn seinen Anfang?
Ich lebte sechs Jahre in Spanien und habe in dieser Zeit viel mit einem marokkanischen Geiger namens Abdel Rahal gearbeitet. Er war Teil meines Bandprojekts Nettle. Für mich, als langjährigen Fan marokkanischer Musik, war das extrem spannend und sehr bereichernd. Wirklich mal mit Musikern aus dieser Region arbeiten zu können, einfach fantastisch. Gleich in unseren ersten Sessions drängten sich die Unterschiede in den Tonleitern auf. Er bewegte sich vertraut durch Viertelton-Schritte und konnte in Richtungen gehen, denen Synthies und anderes Equipment nicht so leicht folgen. Und natürlich tauchten auch all diese wunderschönen und geschmeidigen Polyrhythmen der marokkanischen Musik auf, mit denen Sequenzer von Haus aus eher wenig anfangen können – die sind ja mehr auf gerade Sachen wie 4/4 oder 6/8 gepolt. Aber wir haben zueinander gefunden. Und es funktionierte auch umgekehrt. Ich erinnere mich, wie ich Abdel einen Hip-Hop-Beat vorspielte, an dem ich arbeitete. Ich bat ihn, etwas drüber zu spielen. Für ihn lag die Betonung aber auf ganz anderen Sachen. Er hörte eine Komplexität heraus, die für mein Empfinden gar nicht vorhanden war und spielte dagegen an. Ich dachte mir nur Wow, was für spannende entgegengesetzte Welten.
Wie hast du die Sufi Plug-Ins konzipiert, damit sie diesen Unterschieden gerecht werden können?
Die Arbeit mit Abdel sollte Reibung erzeugen. Außerdem wollten wir akustische und elektronische Sounds enger miteinander verflechten. Wir stellten dabei fest, wie wenig Tools eigentlich einen nicht-westlichen Hintergrund haben. Am Anfang ging es nur um ein paar Sachen, die wir für unsere Auftritte brauchten. Aber dann reifte der Gedanke, den Leuten etwas an die Hand zu geben, kostenlos. Das ist immer sehr interessant. Wenn du etwas kaufst, fragst du dich Wofür brauche ich das? Was bekomme ich für mein Geld? Wie gut ist die Kundenbetreuung? Ich dachte mir hingegen: Wir verschenken es und es ist wie ein kleines Kunstwerk. Ich nehme diese 2000 Jahre alten wunderschönen Berber-Schriften, gieße sie in ein Interface und verbreite diese bizarre Poesie, ohne sie näher zu erläutern. So etwas kann Menschen wirklich anregen, sich mit Dingen zu beschäftigen.
Der Maqam-Synthesizer Bayati
Das Interface zeigt Fragmente aus Sufi-Gedichten dort, wo normalerweise Anweisungen oder Labels stehen. Wie hast du sie eigentlich zusammengetragen?
Es gibt ein gigantisches Vermächtnis an Sufi-Gedichten und daraus habe ich die einzelnen Versatzstücke entnommen. In den Plug-Ins poppt an jeder Stelle, die man mit dem Cursor ansteuern kann, ein solches Versatzstück auf. Software hat etwas sehr Nüchternes und Kantiges: All die grauen Kästchen, alles ist geradlinig. Du bewegst die Maus über den Volume-Regler und da steht dann plötzlich "VOLUME". Ich dachte mir: Lass es doch mal was Anderes sagen. Eine Zufallsmontage aus Gedichtbänden und etwas Online-Recherche. Der bekannteste Sufi-Poet war und ist Rumi. Manchmal sind es sind dann immer noch die selben beiden seiner Zeilen, nur dass sie bereits 400 Jahre Übersetzungen ins Englische hinter sich haben. Einige reimen sich, in anderen geht es um Gott, wieder andere sind total weltlich. Es ist spannend zu sehen, wie wild die Variationen zwischen dem Persischen und Englischen teilweise sind.
Die Palmas-Klapp-Drum-Maschine
Die Sufi-Plug-Ins laufen in einer Vielzahl von Software-Umgebungen. Hattest du Live im Kopf als du sie gemacht hast?
Das ist wirklich interessant: Ich habe tatsächlich erst mit diesem Projekt begonnen, als MaxMSP mit Max for Live in Ableton Live integriert wurde. Max ist schon eine tolle Programmierbühne. Es gibt ein paar Plug-Ins von mir, die Echtzeitdaten aus dem Aktienmarkt in bestimmte musikalische Informationen übersetzen. Das sind Sachen, die sich mit Max relativ leicht bewerkstelligen lassen. Man muss zwar ein paar Programmierkenntnisse haben, aber dann bekommt man wirklich gutes abgedrehtes Zeug hin, wie eben die Manipulation von trockenen Daten hinzu spannenden Sounds. Nur war es eben recht sperrig. Man öffnete es und hatte nur Kästchen und Linien vor sich. Nicht gerade anwenderfreundlich. Seitdem es aber Bestandteil von Live geworden ist, haben die Leute einen Container für all ihre verrückten Ideen mit Max, in dem sie sich wesentlich komfortabler bewegen können.
Was machst du noch mit Live?
Ich habe Live oft als Produktionsumgebung verwendet. In meiner Band Nettle ist es die Hauptanwendung für unsere Live-Sachen. Beim Julius Eastman Memorial Dinner (eine Performance-Inkarnation des Albums The Julius Eastman Memory Depot, zu Ehren des 1990 verstorbenen New Yorker Avantgarde-Komponisten) habe ich Live für das Live-Prozessing benutzt.
Du hast früher mal darüber gesprochen, dass das Gros der Musiksoftware aus den Staaten beziehungsweise Deutschland kommt.
Der Umgang mit Software ist in der westlichen Welt völlig ungezwungen; die Leute werden zu echten Cracks. Aber wenn man sich mal anschaut, was die Kids in Ägypten oder Bolivien stemmen müssen, die kein Wort Englisch verstehen und sich durch Videos hangeln, um einen Beat mit Fruity Loops zu machen, dann ahnt man, wie schwer sie es haben, in ihrem Sprachraum einen Zugang zu Software zu finden.
Du beschreibst die Sufi-Plug-Ins als Gegenentwurf genau dazu; um neue, kulturell relevante Sounds in den mittleren Osten und nach Afrika zu bringen. Würdest du diese Sounds auch darüber hinaus in Verwendung sehen wollen?
Es geht mir um Software als Kunstform. Wenn man den User in eine spezielle Richtung drängt, wird er auch immer nur begrenzte Erfahrungen machen können. Ich jedoch mag die Idee, den Spielraum so weit wie nur möglich zu öffnen. Es soll ein Raum der Möglichkeiten sein. Software muss nicht das Ding sein, das dir von da ganz Oben in die Hände gelegt wird und du erst einmal fit im Umgang damit werden musst, um die Dinge zu realisieren, die du realisieren möchtest. Natürlich gibt es auch Möglichkeiten, sich kreativ auszutoben. Und wir alle lieben sie ja auch. Aber ich wünsche mir ein System, in dem digitale Tools wenigstens einen Bruchteil der enorm vielen lokalen Aspekte weltweit in sich aufnehmen. Egal wo du hinkommst, spielen Menschen unterschiedliche Instrumente auf unterschiedlichste Weise. Bei Musiksoftware gibt es gerade mal ein halbes Dutzend verschiedener Plattformen. So viel kreative Energie und vielseitigste Ausdrucksformen, und alles quetscht sich im Prinzip durch ein winziges Nadelöhr. Die Leute lieben diese Plug-Ins, weil sie so unkonventionell und mit nichts anderem vergleichbar sind. Ich hoffe, dass sich viele dadurch inspirieren lassen.
Jace Clayton aka DJ /rupture ist einer der Teilnehmer von Loop, Abletons Symposium für Musiker.
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Viele Mixe von DJ /Rupture sind ebenfalls als kostenlose Downloads erhältlich.
Bilder von Xabi Tudela und Erez Avissar