Blockiert zu viel Nachdenken die Kreativität? Wie man den Flow beim Musikmachen annehmen lernt
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Es gibt ein merkwürdiges Paradoxon, das viele Musikproduzenten nur zu gut kennen: Je mehr man sich bemüht, den perfekten Track zu produzieren, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es einem gelingt. Man verbringt Stunden damit, an einer Snare herumzufeilen, an der Basslinie zu basteln oder Automatisierungskurven zu optimieren, nur um dann festzustellen, dass man sich immer weiter von der Stimmung entfernt, die man erzeugen wollte. Auf der anderen Seite gibt es auch Situationen, in denen man sich kaum anstrengen muss und den Prozess einfach genießt. Und der Track entsteht mühelos, als hätte sich das Universum zu einem herabgebeugt und geflüstert: „Hier, bitteschön.“
Warum ist das so? Warum fühlt es sich manchmal an wie der Endgegner, wenn man sich wirklich anstrengt? Man kann das als „kreative Blockade“ oder „analytische Paralyse“ bezeichnen. Ja es kommt vor, dass jeder Dreh am Encoder sich falsch anfühlt, jede Entscheidung gekünstelt wirkt und dass es so scheint, als ob eine unsichtbare Kraft sich gegen uns verschworen hat.
Auf der anderen Seite gibt es diese beglückenden Momente, in denen die Musik einfach fließt. Dann ist man so sehr im eigenen Rhythmus, dass man kaum merkt, wie die Stunden vergehen. Man jammt, layert Ideen und lässt den Track sich fast von selbst ausrollen. Die Kicks sitzen richtig, die Basslinie haut rein und das Arrangement entwickelt sich einfach auf eine Art und Weise, die man vorher nicht einmal geplant hatte. Alles fühlt sich mühelos, intuitiv, ja sogar euphorisch an.
Du kennst dieses Phänomen vielleicht als „einen Lauf“ oder „den richtigen Vibe“ haben. In der Psychologie wird dies als „Flow-Zustand“ bezeichnet, ein Begriff, der in den 1970er Jahren vom Psychologen Mihály Csíkszentmihályi geprägt wurde. Csíkszentmihályi beschrieb den Flow als das so starke Aufgehen in einer Tätigkeit, dass es sich anfühlt, als würde uns eine Strömung mitreißen – alles fühlt sich an, als würde es „spontan“ und „automatisch“ geschehen.
„Flow bedeutet, vollständig in einer Tätigkeit zu versinken“, sagte er. „Das Ego fällt weg. Die Zeit vergeht wie im Flug. Jede Handlung, Bewegung und jeder Gedanke folgt zwangsläufig aus dem vorherigen.“
Der Bestsellerautor und Experte für menschliche Leistungsfähigkeit Steven Kotler erklärt, dass das Gehirn im Flow-Zustand nicht schneller wird, sondern tatsächlich langsamer. Insbesondere wichtige Bereiche des präfrontalen Kortex, die bei der Entscheidungsfindung und kritischen Urteilskraft eine Rolle spielen, werden weniger aktiv, wodurch Menschen instinktiv handeln können. Das ist auch der Grund, warum wir uns der Zeit weniger bewusst werden und das Gefühl haben, völlig im Augenblick aufzugehen.
Muss man aus diesem Wissen ableiten, dass zu viel Nachdenken der erklärte Feind des Flows ist? Könnten wir durch weniger Grübeln tatsächlich bessere Musikerinnen und Musiker werden?
Diesen Fragen sind wir beim Amsterdam Dance Event 2024 mit den Künstlern Nadia Struiwigh, DJ Mell G und Johannes Russ von Ableton nachgegangen. Gemeinsam haben wir uns mit Strategien zur Freisetzung des kreativen Flows befasst und festgestellt, dass solche Ansätze eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung des neuesten Ableton-Produkts Move gespielt haben.
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DJ MELL G, Nadia Struiwigh und Johannes Russ sprechen über den Ansatz, schneller zu produzieren, als man anfangen kann zu grübeln. Moderiert von Joseph Joyce beim Amsterdam Dance Event 2024
Der Flow von Ideen und Kreativität
Wie kommt es, dass man glaubt, man könnte mit Kreativität Berge versetzen? Warum sprudeln die Ideen manchmal nur so vor uns, während unsere kreative Quelle zu anderen Zeiten gerade dann zu versiegen scheint, wenn wir sie am meisten brauchen?
Ein bekanntes Zitat, das Mozart zugeschrieben wird, besagt, dass uns die besten Ideen oft dann kommen, wenn wir nicht besonders damit rechnen. Es lautet:
„Wenn ich sozusagen ganz ich selbst bin, ganz allein und guter Dinge – etwa bei einer Kutschenfahrt, bei einem Spaziergang nach einem guten Essen oder mitten in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann –, dann fließen meine Ideen am besten und reichlichsten. Woher und wie sie kommen, weiß ich nicht, noch kann ich sie zwingen.“
Auch für Nadia Struiwigh ist der Flow nichts, was auf Knopfdruck kommt. Er taucht in Pausen auf, wenn ihr Terminkalender „erfreulich leer“ ist.
„Immer, wenn ich Platz in meinem Kopf habe“, sagt sie. „Wenn ich nicht viel zu tun habe und mich nicht gestresst fühle. Manchmal, wenn ich an Auftrags-Projekten arbeite, spüre ich diesen Stress und diesen Widerstand, so nach dem Motto: ,Ich will das nicht machen.‘“
Für Johannes Russ ist es beim Konzipieren von Musik-Tools von zentraler Bedeutung, den Flow zu begünstigen. „Wenn man Ideen entwickelt, ist es total wichtig, sich nicht selbst zu bewerten und gleichzeitig Instrumente an der Hand zu haben, die eine schnelle und intuitive Umsetzung ermöglichen“, sagt er. „Mit Move versuchen wir, Komplexität zu reduzieren, wo es sinnvoll ist, sodass der musikalische Prozess unmittelbar umgesetzt werden kann. Sogar im Hinblick auf ganz grundlegende technische Dinge wie Start- oder Ladezeiten. Wenn man länger als 10 Sekunden auf das Laden eines Patches warten muss, ist der tiefe Flow-Zustand vorbei.“
Für DJ Mell G ist es herausfordernd, in den Flow zu finden, während sie mitten in einer Tour mit all ihren Anforderungen steckt und gleichzeitig ein Label leitet. „Ich brauche viel Raum und einen freien Kopf, um in den Flow zu kommen. Wenn ich versuche, mich zu zwingen, kann ich überhaupt keine Musik machen“, gibt sie zu. „Wenn ich bei einem Track nicht weiterkomme, kann es manchmal helfen, einfach eine Basslinie aus einem Projekt zu exportieren und sie mit etwas anderem zu kombinieren“, meint sie. „Es ist wie ein Puzzle.“
Strategien gegen das Grübeln
Wenn jemand sagt „Hör auf, so viel nachzudenken“, ist das für viele von uns leichter gesagt als getan. Den Geist zu beruhigen ist eine Fähigkeit, die Übung erfordert. Zum Glück gibt es einige Strategien, die uns dabei helfen können.
Für Nadia ist zu viel Nachdenken unvermeidlich, aber sie hat Wege kennengelernt, dies zu überwinden. „Grübeln ist ganz natürlich – das tun wir alle“, erklärt sie. Ihr Ansatz? In Bewegung bleiben. „Manchmal entstehen die besten Tracks in nur einer halben Stunde, weil sie direkt aus der Seele kommen. Der gedankliche Teil kommt später ins Spiel, um den Mix zu verfeinern oder das Sounddesign anzupassen. Kreation ist Herzenssache, das Analytische kann warten.“
„Ich bin der Typ Mensch, der seine ganze Wohnung putzen muss“, sagt DJ Mell G. Zuhause aufräumen sei eine gute Strategie, um den Kopf freizubekommen und ihn auf kreatives Schaffen vorzubereiten. Sie beschreibt Grübeln als wiederkehrende Herausforderung ganz zu Beginn ihres Prozesses. „Ich fange an, Tasten zu drücken und Sounds auszuwählen, bis ich wieder zu viel nachdenke – ich ändere die BPM, probiere verschiedene Ideen aus – und Wochen vergehen ohne einen fertigen Track“, sagt sie. Das schnelle Tempo der Branche erhöht den Druck zusätzlich. „Das Ego ist der schlimmste Feind. Wenn ich mich mit anderen vergleiche und den Druck spüre, einen Banger abzuliefern, ist es echt schwer, irgendwas fertigzukriegen.“
Vielleicht liegt eine Erkenntnis darin, dass wir uns stärker von unseren Emotionen leiten lassen und uns daran erinnern sollten, dass nicht jede Entscheidung perfekt sein muss. Vielleicht ist das Gegrübele auf Perfektionismus und den Druck von außen zurückzuführen, dem wir alle ausgesetzt sind.
Wie man Musik-Tools gestaltet, die statt Grübeln die Kreativität fördern
Es wird sehr viel darüber nachgedacht, wie man Musik-Equipment so gestaltet, dass es im Einklang mit kreativer Intuition funktioniert. Controller, Grooveboxen und andere Geräte sind nicht einfach nur zufällige Ansammlungen von Encodern und Pads; sie sind durchdacht konzipiert, damit man im kreativen Fluss bleibt. Es geht darum, Reibungspunkte zu reduzieren – winzige Unterbrechungen zu eliminieren, bei denen man stoppt und sich fragt „Moment, wo ist nochmal der und der Parameter?“ oder „Warum ist dieses Menü jetzt drei Klicks entfernt?“
Johannes weist darauf hin, dass der Flow im Zentrum der Designphilosophie von Move steht. „Wir überlegen uns sehr genau, wie viele Funktionen wir integrieren“, verrät er. „Wir achten exakt darauf, wie viele Optionen es geben soll und wie viel Komplexität in einem bestimmten Moment zu bewältigen ist. Zu viel Angebot kann zu einer Entscheidungslähmung führen. Weil wir uns auf Einfachheit und Unmittelbarkeit konzentrieren, können Künstlerinnen und Künstler ihre Ideen festhalten, ohne sich im Nachdenken zu verlieren. So ist das Konzept von Move entstanden. Unsere Vision war es, etwas zu schaffen, das gerade auf diesen komplett offenen State of Mind zugeschnitten ist, auf dem man Ideen ganz unvoreingenommen entwickeln kann. Auf Move kann man ganz einfach Pads spielen, Sequenzer verwenden und Ideen festhalten. Alles lädt superschnell. Wir haben sogar einen Capture Button integriert, damit man nicht ans Aufnehmen denken muss; Phrasen werden nachträglich gespeichert. Wir haben Move so konzipiert, dass nichts im Weg steht, wenn man den Impuls spürt, kreativ zu werden.“
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Besucherinnen und Besucher konnten Move am Ableton-Stand auf dem Amsterdam Dance Event 2024
Die Umsetzung von Move: Vom Konzept zur Realität
Die Entwicklung von Ableton Move war kein Spaziergang. Johannes erklärt: „Der Prozess startete mit umfassenden konzeptionellen Ideen – Skizzen, Prototyping, Testings und Anpassungen. „Wir haben viel gezeichnet, viel getestet und alles Artists gezeigt“, erzählt er.
Schon in der Anfangsphase war das Potenzial klar. „Da war etwas, das sich wirklich anders anfühlte“, erinnerte sich Johannes. „Das Ganze hatte weniger Spuren und einen schlanken Funktionsumfang. Die Leute kamen damit so schnell und mit so viel Freude ins Schaffen, also haben auch wir den sprichwörtlichen Capture-Knopf gedrückt und sind drangeblieben.“
Aber es war keine einfache Aufgabe, diesen Prototyp in ein fertiges Produkt zu verwandeln. „Move ist klein, aber sehr kompakt und komplex“, sagt Johannes. „Wir mussten WLAN integrieren, dafür sorgen, dass die Übergänge zu unseren anderen Produkten reibungslos funktionieren und dass es nicht zu Abstürzen kommt. Die Prototypen-Entwicklung aller Hardwarekomponenten war eine unglaubliche Herausforderung.“
Das Team hat auch intensiv an Designdetails gearbeitet, beispielsweise daran, wie man Sounds durchsucht und die Pads optimiert. „Wir haben die ganze Zeit getestet, Feedback eingeholt und uns gefragt, ob wir in die richtige Richtung gehen oder ob wir wieder neu denken müssen“, fügt Johannes hinzu.
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Nutzer-Testing früher Move-Prototypen
Die verschiedenen Phasen der Creative Journey
Johannes beschreibt Musikmachen als Reise – eine Reise, die durch verschiedene Gemütszustände und kreative Phasen führt: vom Skizzieren erster Ideen bis hin zur Verfeinerung fertiger Tracks. Dieses Konzept hat Abletons Ansatz beim Produktdesign in den letzten Jahren geprägt und Tools ermöglicht, die unterschiedliche Ansatzpunkte für verschiedene kreative Ansprüche bieten.
„Wir haben uns der Idee verschrieben, Tools zu bauen, die für den Start von kreativen Reisen funktionieren“, erklärt Johannes. „Dabei dreht sich normalerweise alles darum, Ideen festzuhalten und die Essenz einer Aussage auf den Punkt zu bringen. Produkte wie Move und Note sind dafür gemacht. Tools wie Push und Live eignen sich wiederum besser dafür, die Details einer Idee mit der vollen Sound-Palette auszuarbeiten. Damit bietet unser Produkt-Ökosystem etwas Einzigartiges.“
Das Schöne an diesem Ökosystem ist, dass es den kreativen Prozess im Fluss hält. Wenn man Note oder Move unterwegs dabeihat, kann man Ideen schnell festhalten und Projekte in die Ableton Cloud hochladen. Wenn man Live auf dem Desktop öffnet, hat man dort alles, was man braucht. „So werden sehr schnelle Übergänge zwischen Tools möglich“, fügt Johannes hinzu.
Progressive Transparenz: Einfachheit und Komplexität in Einklang bringen
Nadia sinniert über die Fortentwicklung von Musiktools und über die Herausforderung, Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit in Einklang zu bringen. „Heute sieht man überall die Umschalttaste“, stellt sie fest. „Wenn es auf einem Gerät eine Umschalttaste gibt, weiß man gleich, dass man in ein Menü abtauchen muss. Das liegt daran, dass die Dinge jetzt kleiner sind.“ Zwar räumt Nadia die größere Komplexität moderner Geräte ein, betont aber gleichzeitig auch die Möglichkeiten, die sich durch sie eröffnen. „Heutzutage gehen digitale Software und analoge Hardware Hand in Hand. Darum ist mit einem einzigen Gerät so vieles möglich. Warum nicht zusätzliche Funktionen einbinden und Firmware-Updates kreieren, oder?“
Johannes erklärt, wie Ableton mit dem besagten Gleichgewicht bei Produkten wie Move umgeht. „Wir haben ein Konzept namens ‚Progressive Transparenz‘ implementiert“, erzählt er. „Auf den ersten Blick hat man eine saubere, übersichtliche Benutzeroberfläche, aber wenn man tiefer gehen will, gibt es noch mehr Ebenen. Die wesentlichen Elemente sollen intuitiv und unmittelbar zugänglich sein. Aber alle, die tiefer gehen wollen, sollen mehr Komplexität geboten kriegen.“
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Das fertige Produkt: Johannes probiert Move im Ableton HQ, Berlin aus
Glücklichsein: Das Signal, um mit dem Grübeln aufzuhören
Ob einem Tools wie Move helfen, Reibungspunkte im kreativen Prozess reduzieren, oder ob man es mit persönlichen Strategien schafft, den inneren Kritiker zum Schweigen zu bringen – unsere Diskussionsteilnehmer sind sich einig: Das Wichtigste ist es, weiter Freude am Musikmachen zu haben und die Dinge fließen zu lassen.
Unser Vortrag endete mit einer interessanten Frage aus dem Publikum an die Diskussionsteilnehmer:
Woran erkennt man, dass man mit dem Nachdenken aufhören sollte? Welches Anzeichen sagt uns ganz klar, dass wir loslassen sollten?
"Dass man Glück empfindet", sagt Nadia. „Ich persönlich spüre das und weiß dann, ich brauche nicht an mir zu zweifeln und mich zu fragen: ‚Ist das jetzt gut genug?‘“
Bleib auf dem Laufenden zu Nadia Struiwigh und DJ MELL G
Um mehr über Move zu erfahren, schaue dieses Video von Johannes Russ, der Fragen der Ableton-Community beantwortet.
Text und Interview: Joseph Joyce