Input/Output: Sculpture
Mit unserer Reihe Input/Output werfen wir einen intimen Blick in die Studios innovativer Produzenten aus der Ableton Community. Wir bitten sie, ihre Inspirationsquellen, Techniken und Technologien zu beleuchten, die den Produktionsprozess antreiben und zu ihren aktuellsten Veröffentlichungen fĂŒhren.
Vor sechs Jahren wurde das Londoner Duo Sculpture von AnimationskĂŒnstler Reuben Sutherland und Musiker/Produzent Dan Hayhurst ins Leben gerufen. Unter Einbeziehung digitaler und analoger Medien sowie einer austarierten Gewichtung zwischen greifbaren und virtuellen Bestandteilen, haben ihre psychedelisch geprĂ€gten audiovisuellen Produktionen auch heute noch nichts von ihrem erwartungsfrohen "Lass-uns-einfach-sehen-was-passiert"-Spirit der Anfangstage eingebĂŒĂt. Verschaffen Sie sich mit dem nachfolgenden Video einen Eindruck von Sculptures wirklich einzigartiger Arbeitsweise und lesen Sie das Interview mit Dan Hayhurst anlĂ€sslich der Veröffentlichung von Membrane Pop auf Oneohtrix Point Nevers in Brooklyn beheimateten Label Software.Â
Du bezeichnest Sculpture als ein "opto-musikalisches Agglomerat". ErklÀre uns das doch bitte genauer.
Wir könnten es auch ein audiovisuelles Projekt nennen, aber ich finde, die Welt braucht mehr Sinnlichkeit. Es ist viel mehr eine multi-sensorische Erkundung physischer und psychischer Stimulanz â das Visuelle und das Auditive sind gleichermaĂen wichtig und befeuern einander. 'Agglomerate' lĂ€sst mich an eine Einheit denken â etwas mit einem Eigenleben, das mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. Es könnte kĂŒnstlich sein, wie ein Polymer oder ein Roboter, es könnte organisch sein. Vielleicht ist es auch nur ein temporĂ€rer Zustand oder eine Anordnung, die sich wieder auflöst und neu zusammen setzt.
Wie habt Ihr beiden eigentlich zusammen gefunden?
Wie waren Nachbarn in einem groĂen ehemaligen Lagerhaus in London, das mit spĂ€rlichsten Mitteln zu Wohnraum gemacht wurde. HauchdĂŒnne WĂ€nde; im Winter war es kalt und im Sommer fĂŒhlte man sich wie im Treibhaus. Reuben arbeitete an seiner Animationstechnik, fĂŒr die er Scheiben nach dem Vorbild eines Phenakistoskops und eine Videokamera verwendet. Und ich habe mit der Musik, die ich nun mal gern mache, zu den unwirtlichen Bedingungen vor Ort beigetragen⊠Als sie durch die WĂ€nde drang, muss sie wohl die Windungen in seinem Hirn beeinflusst haben. Er steckte da wohlgemerkt schon ziemlich tief in seinem Wurmloch. Als wir dann tatsĂ€chlich anfingen, zusammen zu arbeiten, kannten wir uns ungefĂ€hr ein Jahr. Offensichtlich gab es einen gemeinsamen Nenner und so dachten wir uns, das Potenzial zur Zusammenarbeit erstmal mit der Inszenierung einer Performance auszuloten. Wir haben dabei nicht wirklich gemeinsam agiert, sondern eher simultan performt, ohne dass einer genau wusste, was der andere tun wĂŒrde. Beim Material selbst ging es darum, Verbindungen zu knĂŒpfen, GegenĂŒberstellungen zu finden und Rahmen fĂŒr Assoziationen und Referenzen zu setzen â eine Interaktion verschiedener sensorischer Elemente.
Wo sind Eure gemeinsamen AnsÀtze, bezogen auf das jeweilige Medium, das ihr bearbeitet?
Es gibt einen Dialog zwischen physisch und digital; Algorithmen oder Prozesse manifestieren sich auf gewisse Weise in der physischen Welt. Wir verwenden Techniken spontaner Neuanordnung. In Reubens Fall ist das buchstĂ€blich eine 'Bibliothek' hunderter Animationen auf gedruckten Karten â mehr als er wirklich unter Kontrolle haben kann. Und es wĂ€chst sich mehr und mehr zu einem nervösen System aus. Sie entstehen in Photoshop und After Effects und werden dann auf dieses haptische Medium ĂŒbertragen. Ich mache physische Cut-Ups mit analogem Tape und Hardware-Instrumenten (Sampler / CDJ-Deck) und kombiniere sie mit digitalen Techniken zur Auflösung und Neukonfiguration von Audio. DafĂŒr nutze ich fast ausschlieĂlich Live.
Der von Dir erwĂ€hnte "Dialog zwischen physisch und digital" â wie stellt der sich im Produktionsprozess dar? Zum Beispiel bei der Entstehung des neuen Albums?
Ich neige dazu, an Bestandteilen von Dingen zu arbeiten, die sich in unterschiedlichen Permutationen rekombinieren lassen, anstatt diskrete 'Tracks' zu machen. Also eine Library aufzubauen aus Rhythmen, Sounds, harmonischen Elementen, Tönen, Perkussions und so weiter. Dazu kommen Dinge aus einer komplett anderen Zeit, wie 'gefundenes Material' aus dem Jahr 1955, aber auch Sachen, die ich selbst gemacht habe. Die sind vielleicht fĂŒnf Jahre alt oder von letzter Woche oder von heute Nachmittag â Sachen, von denen ich manchmal gar nicht mehr weiss, dass ich sie gemacht habe. Dann gibt es noch diverse Tonbandspulen, Tape-Loops und Sampler â Dinge aus der physischen Welt, die diese 'Library' erweitern. Um ehrlich zu sein, ist das alles ziemlich chaotisch! Dieses Ausgangsmaterial landet ab einem gewissen Punkt oftmals in Live, und hĂ€ufig nehme ich wiederum das Ausgangssignal von Live mit verschiedenen Tape-Recordern auf (meistens als Tape-Loops) oder ich fĂŒttere damit Sampler wie den Korg ES1 oder den Teenage Engineering OP1.
Ich ziehe also zum Beispiel ein bisschen was von einem alten Tape mit Sixtees-Aufnahmen in Live, konvertiere es in MIDI-Daten und nutze sie, um Samples in Drum Racks abzufeuern. Das könnten 'Hits' sein, aber mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sind es lĂ€ngere Aufnahmen, die sich ĂŒber ein paar Meter Tape erstrecken. Die GerĂ€tekette wĂŒrde typischerweise wie folgt aussehen: Pitch > Arpeggiator > Random > Scale > Simpler. Und ich nutze Macros, um Sachen wie Pitch-Randomisierung, Sample-Startpunkt, Arp-Rate und Sample-LĂ€nge zu kontrollieren. Auch Clip-Automation steuere ich ĂŒber die Macros. Auf diese Weise kann man wirklich sehr schnell jegliches Material atomisieren und neu zusammen setzen.
Am Ende habe ich eine Ansammlung rekombinierbarer Elemente, die auf verschiedene Medien verteilt sind;Â Live Clips/Sessions/Arrangements, Tape-Loops, Bandspulen, Kassetten, CDRs, Hardware-Sampler. Durch das kontinuierliche Ausprobieren unterschiedlicher Permutationen im Studio und im Live-Betrieb besteht aber die Gefahr, dass die Routine letztlich 'fertige Tracks' hervorbringt. An diesem Punkt nehme ich die Sachen wieder in Live auf und nutze sie als Grundlage zum neuerlichen Editieren und Arrangieren.Â
Manchmal entstehen Sachen halbzufĂ€llig. So geschehen zum Beispiel auf der neuen LP. Das, was letztlich zum 'Finish' fĂŒhrte, war die Entscheidung, einen aufgenommenen Gig per Zufall in das fertige Arrangement zu ziehen und verschiedene Dinge die Zeitleiste entlang im richtigen Moment anzuklicken. Die Idee, dass ungeplante SimultanitĂ€t neue Verbindungen und Assoziationen schafft, verfolge ich wirklich intensiv.
Wie sieht Dein Setup fĂŒr die Live-Shows aus? Gibt es viel direkte Interaktion zwischen Dir und Reuben? Oder bestreitet Ihr eher parallele Wege hin zum selben Ziel?
Wir haben beide ein Setup, das flexibel genug ist, um auf das, was der andere gerade macht, so reagieren zu können, wie es zwei Musiker tun wĂŒrden. So wie die Musik zu bestimmten Teilen bereits in einer wiederholbaren Routine verharrt, befindet sie sich in anderen Bereichen in einer Art Sondierungsphase (und einiges ist echte Improvisation). Reuben hat seine garstigen Animationskarten, die er auf einem Plattenspieler rotieren lĂ€sst und mit einer darĂŒber befestigten Videokamera filmt. Das ist visuelles Auflegen. Er hat einige Karten, von denen er weiss, dass er sie einsetzen möchte, sobald er einen bestimmten Sound hört. Aber in den meisten FĂ€llen ist es ungeplante SimultanitĂ€t. Dein Gehirn findet Verbindungen und Assoziationen durch die Wahrnehmung der einströmenden Informationen. Und wir generieren sehr schnell eine Menge an Informationen⊠es ist sozusagen ein High-Energy-Event. Wir arbeiten nun immerhin schon sechs Jahre zusammen und wissen daher auch, welche Sachen gut funktionieren. Also passiert nicht alles komplett zufĂ€llig.
Ich verwende live ĂŒbrigens keinen Computer. Mit dem Rechner generiertes Material ĂŒbertrage ich grundsĂ€tzlich auf ein anderes Medium. Der Grund dafĂŒr ist, dass ein Computer oder Bildschirm in diesem Kontext meiner Meinung nach zu viel Aufmerksamkeit verlangt. Also nutze ich unterschiedlichste GerĂ€te, die zusammen genommen wie ein modulares Instrument funktionieren. Das spiele ich zwar ziemlich gut aber nicht perfekt. Und dadurch gibt es immer wieder Ăberraschungen und nicht geplante Umleitungen. Ich habe ein TonbandgerĂ€t (fĂŒr Tape-Loops), ein CDJ-Deck, einige Hardware-Sampler (Korg ES1/ Teenage Engineering OP1), ein Walkman und EffektgerĂ€te (Ring-Mod, Echo, Verzerrer).
Wenn wir live spielen, gerĂ€t alles immer ein bisschen auĂer Kontrolle â wir sind beide auf der Suche nach der richtigen Balance zwischen Ordnung und Chaos. Die Art und Weise, wie ich Live mit Material befĂŒlle und anschlieĂend versuche, neue Formen durch nicht geplante Vorgehensweisen zu generieren, spiegelt das Erleben wider, wenn ich ein gefundenes Tape höre. Du bist auf der Suche nach Dingen, die emotionale oder Ă€sthetische Reaktionen auslösen und dich zu Orten fĂŒhren, die du sonst niemals entdecken wĂŒrdest. Streng auf die Musikproduktion bezogen gelangst du so zu einer Mixtur unterschiedlichster tonaler Ausdrucksformen, die auf sehr angenehme Weise verschmelzen. Es ist gleichzeitig eine Verquickung zeitlicher PrĂ€gungen â KlĂ€nge und Ăsthetiken, die man mit unterschiedlichen Zeitepochen assoziiert. Wir leben in einer Zeit, in der diese Unterscheidbarkeit durch das Internet zunichte gemacht wird und die ĂŒber uns hinweg rollende Informationsflut unsere Sinne trĂŒbt. Wir alle verarbeiten, organisieren und bearbeiten tĂ€glich Informationen â darauf stĂŒtzt sich unsere Wahrnehmung von RealitĂ€t. Und deswegen ist es schön, wenigstens damit zu spielen.
Sculptures Membrane Pop ist auf Software Recording Co erschienen