Input/Output: Holly Herndon
In der ersten Folge unserer neuen Input/Output-Serie sprechen wir mit einer unserer Lieblings-Künstlerin über Inspiration, Methoden und Technologien, die in ihre neueste Produktion eingeflossen sind.
Wir verfolgen Holly Herndons vielseitiges Schaffen schon seit 2012, als ihr Debütalbum Movement erschien – eine perfekte Balance aus verzweigten Gesangstexturen und kraftvollen Rhythmen, die sehr durchdacht wirkt und gleichzeitig aufregend frisch. Seitdem hat Holly viele Konzerte gegeben, Stücke für Blechbläser, Roboter-Ballett und elektrische Autos komponiert und parallel dazu ihre Promotion an der Stanford University weiterverfolgt. Wir werden all diese Projekte in Kürze noch näher betrachten. Im Moment sind wir sehr angetan von ihrem neuen Track „Chorus“. Sehen Sie unten das Video und lesen Sie unser kurzes Interview mit der Künstlerin.
Auf deinem Debütalbum Movement sind viele Vocals zu hören, und auch bei den beiden neuen Stücken steht die Stimme im Mittelpunkt. Kommen alle Stimmen, die wir in „Chorus“ hören, aus deinem Mund? Falls ja – wurden sie unter ähnlichen Bedingungen aufgenommen?
Die Stimmen in „Chorus“ stammen aus unterschiedlichen Quellen – Online-Browsing, Synthese, meine eigene bearbeitete Stimme etc. – alles wurde über meinen Laptop aufgenommen. Ich verwendete ein System, das von Mat Dryhurst entwickelt wurde – einem Künstler aus San Francisco, mit dem ich oft zusammenarbeite. Es ist darauf ausgelegt, mein Online-Browsing zu beobachten, das Material zu sampeln und zu zertrümmern. Das Material, das vom Browser kommt, wird auf Amplituden-Spitzenwerte hin analysiert, um interessante Interaktionen auszulösen. Dieses System kam sowohl für die Vocals als auch für den Großteil des Sound Designs zum Einsatz.
„Chorus“ lässt einiges Editing und Arrangieren vermuten. Wie ist das Stück entstanden?
„Chorus“ ist wahrscheinlich das am meisten editierte Stück, das ich je gemacht habe. Ich habe stundenlang mein Online-Browsing mitgeschnitten, das dann bearbeitet und erneut aufgenommen und am Ende noch kompositorisch editiert. Es ist immer noch viel unverwendetes Material übrig.
Die Grundstruktur des Tracks – also die Chor-Akkorde, der Basslauf und der Refrain – entstand im Sommer 2012. Bei der Movement-Tour war das als Dance-Jam-Track in meinem Live-Set dabei: Ich habe die Vocal-Synth-Teile live mit einer auf Gesten basierenden Steuerung gespielt, die mit dem elektrischen Feedback meines Laptop-Prozessors verknüpft war. Ich wurde immer wieder gefragt, wann dieser Track veröffentlicht werden würde, und entschied mich deshalb dafür, ihn weiterzuentwickeln.
Ich nutze Max for Live dazu, die Amplituden-Hüllkurve eines Mikros auf meine Festplatte abzubilden. Das kann im Grunde allem zugewiesen werden – einem Instrument, einem Effekt usw. Manchmal verwende ich das auch im Studio. Ich habe damit zum Beispiel einige Sound-Design-Elemente meiner Zusammenarbeit mit Conrad Shawcross für das Ada-Projekt aufgenommen.
„Solo Voice“, der Track auf der B-Seite der 12”, wirkt im Gegensatz dazu sehr spontan – er klingt wie eine Improvisation innerhalb weniger festgelegter Parameter. Wie ist dieses Stück entstanden?
Dieses Stück habe ich anlässlich eines Daniel-Pearl-Gedenkgottesdienstes komponiert. Ich wurde dazu eingeladen, ein „Mikroklima“ innerhalb eines Teils von Verdis Die vier Jahreszeiten zu präsentieren. Zuerst hatte ich keine Vorstellung davon, was zu solch einem Anlass passen würde: Pearls Familie war da und das Konzert fand in einer prächtigen Kathedrale statt. Ich wollte einen Prozess entwickeln, der eine komplette Komposition aus einer einzelnen Stimme entstehen lässt – auf ähnliche Weise wie „Breathe“, nur um tonales Material herum aufgebaut.
Ich habe das Stück später in mein Live-Set aufgenommen, weil es hervorragend als Intro für meine Performance funktioniert: Es liefert den Leuten eine Vorstellung von dem, was ich mache – allerdings auf das nackte Grundgerüst reduziert.
Dieser Track wurde in einem Take im Studio aufgenommen, zusammen mit Mark Pistell. Es gibt also tatsächlich einen gewaltigen Unterschied hinsichtlich der Produktion der beiden Tracks. Wobei – ich habe zwar lange dafür gebraucht, das System zu entwickeln, mit dem ich das Stück spiele, die Performance an sich ist aber ziemlich simpel.
Das Video von „Chorus“ zeigt hauptsächlich deinen Schreibtisch, mit dem Laptop in der Mitte. Für viele Menschen, die mit digitaler Musik, Design, Schreiben und ähnlichem zu tun haben, ist der eigene Arbeitsplatz ein sehr persönlicher Ort. Gibt es hier eine Parallele zwischen zwischen der Abstrahierung/Transformierung dieses vertrauten Ortes und der Art und Weise, wie die Musik die menschliche Stimme manipuliert und in eine hochsynthetische Klangsphäre setzt?
Ja, da gibt es eine Parallele. Ich habe mich schon öfter mit dem Thema der Vertrautheit mit Laptops beschäftigt, bestimmt auch auf Movement. Dort ging es mir darum, mit der Stimme als Vehikel innerhalb digitaler Musik Sinnlichkeit zu finden. „Chorus“ befasst sich dagegen eher mit digitaler Vertraulichkeit in Bezug auf meine Werkzeuge / Umgebung. Hinsichtlich der jüngsten Nachrichten über NSA-Aktivitäten und Persönlichkeitsrechte hat das natürlich eine besondere Bedeutung. Ich sage manchmal, dass mein Laptop mich besser kennt als ich mich selbst – und wenn auf der anderen Seite jemand zuschauen kann, ist das natürlich ein wenig beunruhigend.