HANA: Kreatives Crowdsourcing
Für ihr aktuelles Album HANADRIEL hat die Gamerin, Musikerin, Produzentin und Streamerin HANA ihren gesamten Schaffensprozess vier Wochen lang live auf Twitch gestreamt. Zumeist waren das mehr als 13 Stunden pro Tag, die sie in ihrem Homestudio gearbeitet hat. Dieses extrem sorgfältig und professionell ausgeführte Projekt war eine Schnittmenge aus Kunst und Technologie, die auf Community und Gaming trifft. In einer Zeit, in der Interaktionen global eingeschränkt werden und unser Bedürfnis nähren, uns mithilfe von Technologie miteinander zu verbinden und eine Gemeinschaft zu bilden, da ist es lehrreich zu sehen, wie die Künstlerin das Feld neu auslotet.
„Ich wollte Musik machen, die ich hören wollte, wenn ich, sagen wir mal, in einem lila Wald auf meinem Wolkendrachen reite.“ Als begeisterte Gamerin, die man wohl „bei World of Warcraft beim Herumrennen in der Night-Elf-Welt“ antreffen würde, hatte HANA ursprünglich ihre Spielsessions live gestreamt, um mit ihrer Fanbase in Kontakt zu bleiben und um ihr Schuldgefühl zu mildern, wenn sie spielte statt zu arbeiten. Eines Tages hat sie dann ihre Gitarre herausgeholt und ihre eigenen Songs gespielt. Am Tag darauf hat sie Live geöffnet und einen Beat gemacht: „Die Reaktionen von den Leuten fand ich echt schockierend.“
An diesem Punkt wurde die Idee geboren, den gesamten Schaffensprozess von HANADRIEL von Anfang bis Ende live zu streamen. „Ich habe versucht, mir vor meinem Abtauchen jeden kleinen Aspekt genau zu überlegen, weil ich wirklich wollte, dass es allumfassend wird. Ursprünglich sollten es drei Wochen werden und ich hatte mir am Anfang überlegt, auch an den Wochenenden zu arbeiten, aber meine Freunde und mein Freund haben mir das ausgeredet.“ Mit vollem Einsatz an Zeit und Aufwand, den ihr das Durchziehen eines solchen Projekts abverlangt hat, war HANA „neugierig auf das Mindset“, in das sie sich begeben würde und was sie daraus machen würde.
Was die marathonartigen Streams und ihre erstaunliche Arbeitsmoral angehen, beruft sie sich auf ihre frühen Erfahrungen beim Musikmachen, die dafür den Grundstein gelegt haben: „Aufgewachsen bin ich in Montana. Mein Geld habe ich mit Auftritten bei Bauernmärkten und in Cafés verdient, da bin ich einfach hin. Ich war so lange dort, wie der Bauernmarkt geöffnet hatte, manchmal waren das fünf bis sechs Stunden. Am Schluss war ich natürlich müde und hatte Hunger. Weil ich damit mit 13 oder 14 angefangen habe, ist das einfach ein Teil von mir geworden, so dass ich, wenn ich einmal anfange, einfach so lange weiter mache, bis ich keine Lust mehr habe.“
Ihr Arbeitsplatz spielt dabei eine wichtige Rolle: „Wenn mir ein Raum extra zum Musikmachen zur Verfügung steht, habe ich gern überall Sachen um mich herum, die mich inspirieren. Mir ist die Beleuchtung superwichtig. Ich habe alle Glühbirnen ersetzt, um das Studio lila, pink und blau zu machen, weil das irgendwie eine ganz starke Wirkung auf mich hat. Kleine Kunstbücher lege ich auch aus, einfach zur Inspiration. Ich wollte das Zimmer für die Ästhetik des Streams füllen, aber auch damit die Leute was zum Schauen haben, wenn ich dreizehn Stunden lang vor der Kamera stehe. Ich umgebe mich gern mit Sachen, mit denen ich mich wohl fühle. Ich hatte keine Ahnung, wie es mit dem Schreiben des Albums vorangehen würde oder wie ich mich wohl dabei fühlen würde. Als ich das Studiozimmer eingerichtet habe, dachte ich, okay, ich kann es mir ja gleich bequem und hübsch gestalten, damit ich so mich so oft wie möglich dort aufhalten will.“ Nach über 190 Stunden arbeiten und streamen war HANADRIEL fertig und alle konnten zuschauen.
Hält man sich vor Augen, wie viele Menschen durch COVID-19 in Quarantäne arbeiten oder wie viele Kunstschaffende sich Plattformen wie Twitch zuwenden, um ihr Publikum zu erreichen, wirkt HANAs Ansatz bei diesem Projekt beängstigend treffend und aktuell. Bezogen auf ihre scheinbare Hellsichtigkeit antwortet HANA: „Ich hatte das Gefühl, dass es ganz unvermeidlich so passieren musste, einfach durch meine Erfahrung mit Musikmachen auf Twitch, sogar schon vor dem Album.“ Aber selbst die übergreifenden Themen, die größtenteils durch Crowdsourcing mit ihrer Fanbase entstanden, sind als Arbeit von gestern mit den Empfindungen von heute eingefärbt.
„Was mich hieran interessiert, ist, dass ich mich mental in eine seltsame Quarantäne gezwungen habe, in der sich nun alle tatsächlich befinden. Das ist bizarr, weil sich die meisten Songs, die ich geschrieben habe, wirklich auf alles momentan anwenden lassen. Am ersten Tag saß ich da und sagte: ,Okay, Leute, hier sind wir. Ich mach das jetzt. Was wolltet ihr schon immer mal von mir hören?’ Und ich habe einfach aufgeschrieben, was vom Chat kam. Zuerst habe ich musikalische Wünsche genommen, zum Beispiel ,mach was mit Oper’, ,nimm eine Harfe’, ,wir wollen ein Xylophon, aber mit wuchtiger Gitarre’ oder sowas. Das habe ich alles aufgeschrieben und dann gesagt: ,Okay, jetzt gebt mir mal thematische Ideen.’ Viele haben geantwortet: ,Angst’ und ,Klimawandel’. Geistige Gesundheit war ein Riesenthema, das von vielen Leuten kam. Aber ich wollte mit dem Album sowieso in die Richtung gehen. Am Ende habe ich ein Album geschrieben, bei dem es um viele verschiedene Themen geht. Es geht darum, wie ich erwachsen werde. Letztes Jahr bin ich dreißig geworden, es geht um meine Erfahrungen damit, aber auch um Angst im sozialen oder einfach im politischen Kontext. Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass dieses Album zur aktuellen Zeit passt. Es ist einfach ganz komisch, dass ich so ein Quarantänealbum gemacht habe, aber eben vor sechs Monaten.“
Der Weg zu HANA und zum Konzept von HANADRIEL ging nicht geradeaus. „Ich war unter dem Künstlernamen Hana Pestle aktiv. Ich bin akustisch aufgetreten und war unter diesem Namen sechs Jahre lang ausgiebig auf Tour.“ Aber nach einer langen Selbstfindungsphase hat sie entschieden: „Ich brauchte einfach einen Neustart und habe alles abgerissen. Das hat sich großartig angefühlt, aber inzwischen bin ich ein bisschen traurig. Ich hätte das nicht löschen sollen. Wahrscheinlich war es nicht nötig, das aus dem Internet wegzuputzen. In den letzten zwei Jahren oder im letzten Jahr habe ich gelernt, weniger wertend gegenüber meinen alten Stücken zu sein. Früher habe ich alte Musik gehört und mich dafür geschämt, weil ich fand, dass das nicht mehr ich bin. Aber seitdem ist mir klar geworden, dass jeder Song ein Eintrag in ein Tagebuch ist, eine Momentaufnahme aus dieser Zeit.“
Nach diesen sechs Jahren auf Tour durch diverse Colleges quer durch die USA hatte sie sich zu einer Pause entschlossen, um Musik zu machen und um sich wieder mit ihrer Bestimmung zu verbinden. „Da habe ich dann Ableton Live runtergeladen und in meinem Kopf ist einiges explodiert. Produzieren kam mir vorher immer wie ein geheimnisvolles Etwas vor, an dem ich mich versucht hatte. Schon früher hatte ich ein paar EPs selber produziert, aber die hatte ich in GarageBand gemacht und später in Pro Tools. Erst als ich mir Live runtergeladen habe, dachte ich, oh mein Gott, so kann ich also die Musik machen, auf die ich so richtig stolz sein kann.“
Heute kann man mehrmals pro Woche Twitch einschalten und sie dort sehen, manchmal über sechs Stunden lang, die zu gleichen Teilen aus DJ-Sets, Gesangsperformances, Videospielwelten und Solotanzpartys bestehen. Man kann sie sogar dabei erwischen, wie sie ihren Hund wäscht. Sich mit HANA zu beschäftigen ist ein potenter Mix aus echter Interaktion, nach der sich die Leute sehnen und dem merkwürdigen Sog von Reality-TV. Das Format wandelt sich ständig und die Technologie auszureizen ist Bestandteil der Show. Mithilfe von Minecraft kann man sogar bei der Party vorbeischauen. „Neulich habe ich parallel Minecraft laufen gehabt. Wir haben in Minecraft einen Club gebaut, der komplett grün war und den habe ich dann per Greenscreen herausgefiltert, damit es so aussieht, als ob die Leute auf meinem Minecraft-Server hinter mir am DJ-Pult stehen.“
Moderiert wird ihr Stream von einer Gruppe von Leuten, die sie von ihrer Abonnentengruppe her kennt. Sie haben ein Auge auf die anderen und sorgen dafür, dass niemand aus der Reihe tanzt, wozu Internettrolle ja neigen. „Ich finde, wir haben eine ziemliche Freundschaft zueinander entwickelt. Wir haben unseren eigenen, separaten kleinen Channel, wo wir uns über alles austauschen, was im Stream los ist. Jetzt wo wir über anderthalb Jahre hinweg fast jeden Tag miteinander gesprochen haben, fühlt sich das nach substanziellen Beziehungen an.“
Was man heute mit HANA erleben kann, hat eine Menge Entwicklungen durchgemacht und viel Zeit vor der Kamera gefordert. Wie sie sagt, musste sie zuerst „versuchen zu ignorieren, dass die Kamera überhaupt da war. Manchmal habe ich den Chat abgedeckt und ich musste mich beim Produzieren und Songschreiben total zum Kreativsein zwingen. Nachdem das vier Wochen lang so ging, denke ich jetzt irgendwie kaum noch daran, es ist so eine Art zweite Natur.“
„Ich fühle mich inzwischen so wohl beim Streamen, dass es mir gar nicht mehr wie eine Performance vorkommt. Manchmal denke ich, ich sollte es mehr wie eine Performance behandeln, aber es ist mir mit den Zuschauenden und den Abonnenten so angenehm, dass mir die Kamera dort fast wie meine zweite Natur vorkommt. Besonders jetzt, wo das Album fertig ist, weil ich dort einfach so angreifbar war.“
Zusätzlich zum Inhalt entsteht der Sog bei HANA vielleicht vor allem dadurch, dass man den Eindruck gewinnt, dass sie tatsächlich nur das tut, was sie tatsächlich interessiert und was sie liebt. Man spürt ihren Elan beim Musikmachen oder Gaming und diese Freude schafft es, von ihrem eigenen Bildschirm auf den der Zuschauer:innen überzugehen. In einer Welt mit digitalen Medien, wo viele Kunstschaffende das Gefühl haben, in einen Abgrund zu schreien, erreicht HANA die Menschen, weil sie sie selbst ist und das mit allen von uns teilt.
Erfahren Sie immer das Neueste von HANA über Twitch, Instagram, YouTube und Twitter. HANA streamt jeden Dienstag, Donnerstag, Freitag und Samstag auf ihrem Twitch-Kanal.
Text und interview: Erin Barra
Übersetzung: Kathrin Grenzdörffer