Foto von Jan Höhe
Seit zwanzig Jahren ist Kompakt eine Institution für deutsche elektronische Musik. Und noch immer funktioniert Kompakt wie eine eingeschworene Gemeinde: als unabhängiger Zusammenschluss aus Produzenten, Künstlern, DJs, Labels und Events mit einer Klangphilosophie, die ebenso unverwechselbar wie zeitlos ist. Kompakt ist betörend und kauzig, bewundernswert für die unerschütterliche Treue zur Stadt Köln und die Verknüpfung ihrer reichen Historie an elektronischer Avant Garde mit der Gegenwart des Pop.
Das 20jährige Jubiläum vom Kompakt verdiente also etwas Unerwartetes und dem besonderen Anlass angemessen Schönes. Für diese Aufgabe schien der klassische Komponist Gregor Schwellenbach genau der Richtige. Schon seit Jahren verwandelt Schwellenbach Pop-Musik in klassische und das auf allerhöchstem Niveau. Für Kompakt sichtete er den reichhaltigen Katalog des Labels und wählte 20 charakteristische Stücke aus, die er für ein handverlesenes Kammermusik-Ensemble bearbeitete. Das Ergebnis liegt nun in Albumform vor: Gregor Schwellenbach Spielt 20 Jahre Kompakt. Wir sprachen mit Gregor während des '20 Jahre Kompakt Pop Up Store' im Ableton Hauptquartier und kurz nach seiner intimen Aufführung für Soloklavier in der renommierten Volksbühne. Dabei ging es um das ultimative Projekt für sein aus seiner Heimatstadt stammendes Lieblingslabel und um die Kunst und Intention, musikalische Welten anspruchsvoll miteinander zu verbinden.
Auf deiner Soundcloud-Seite findet man einige Coverversionen zu Bowie-Songs, die Du lediglich mit einem Yamaha-Keyboard und einer Talkbox interpretierst. Musik in einen neuen Kontext zu bringen, scheint Dir vertraut.
Ja, das mache ich schon mein ganzes musikalisches Leben lang. Ich nehme Dinge und setze sie in ein anderes Licht. Ich bin wie ein Wandler zwischen den Welten. In der Klassik-Welt bin ich der Typ, der sich mit elektronischer und mit Pop-Musik beschäftigt. Und in der Pop-Welt der Akademiker mit klassischer Ausbildung.
Was bringt Dir diese Form von Kreativität als jemand, der vorrangig selbst komponiert?
Anfangs habe ich Techno-Stücke – und später vornehmlich die von Kompakt – bearbeitet, um besser verstehen zu können, warum ich sie so mag. Also war es erstmal eine Übung für mich als Komponist, um die Mechanismen zu begreifen. Das begann 2003, 2004. Einige Jahre später wendete ich mich damit an Kompakt und sagte "Hört mal, was ich so mache". Und sie antworteten "Oh, das ist echt cool! Hast Du mehr davon?". Und so kam es zu dem Projekt. Das war zu Beginn von reiner Neugier bestimmt.
Gab es Stücke, die sich nicht dekonstruieren liessen?
Ja, ich glaube es war einer von zehn. Wir wollten 20 Tracks. Um 20 wirklich gute Nummern zu kriegen, habe ich also 200 Stücke bearbeitet. Von einigen habe ich mich sehr schnell getrennt, andere habe ich nach der Aufnahme oder sogar nach dem Editieren wieder verworfen. Manche Sachen waren zu schwer zu spielen oder es wurde langweilig, wenn die elektronischen Sounds verschwanden. Und manchmal blieb einfach nichts mehr übrig, das es wert gewesen wäre, zuzuhören. Ich glaube, ich habe 40 bis 50 Tracks aufgenommen, davon vielleicht 25 komplett fertig gestellt und 20 haben es am Ende auf's Album geschafft.
Hattest Du im Hinterkopf, dass Wegbestreiter von Dir schon ähnliche Projekte realisiert haben. Künstler wie Jeff Mills, Francesco Tristano, Henrik Schwarz, Brandt Brauer Frick und sogar Ricardo Villalobos versuchen auch, elektronische und klassische Musik in Einklang zu bringen. Allerdings nähern sie sich im Gegensatz zu Dir von der gegenüber liegenden Seite an.
Es gibt schon Parallelen zwischen uns. Aber ich wollte mir ihre Sachen nicht anhören, weil ich es machmal sehr mögen würde und machmal aber auch gedacht hätte, es ist schon alles gesagt. Es gibt Momente, da kann ich nichts von all dem leiden. Von den Genannten mag ich Tristano am meisten. Solche Brückenschläge zwischen klassischer und populärer Musik können auch sehr schnell nach hinten losgehen. Ich mag nicht, wenn es zu "schön" oder zu simpel wird – so wie diese furchtbaren 'Rock meets Classic'-Sachen.
An etwas ähnliches musste ich heute auch schon denken: dass in bestimmten Musikrichtungen offenbar die Meinung vorherrscht, Jazz- oder Klassik-Orchestrierungen wären die erhabensten Ausdrucksformen und verschafften dem bearbeiteten Material unweigerlich eine höchstmögliche musikalische Legitimität. Dabei ist das Ergebnis oftmals zweifelhaft. Hat Dich das Verhältnis von Stil und Substanz während des Projekts beschäftigt?
Der Grund, warum dieses Konzept aufgeht, ist, daß etwas mit großer Instrumentierung Gespieltes ad hoc bombastisch und teuer klingt. Nehmen wir zum Beispiel Coldplay. Wenn die von den Londoner Symphonikern interpretiert werden, klingt das monumental. Aber das ist nicht mein Ansatz. Ich versuche in jedem Track die Essenz herauszufiltern, die das Stück interessant macht. Von ihr lasse ich mich treiben und warte ab, wohin es mich führt.
Kammermusik wird traditionell von einem kleinen Ensemble aufgeführt – in der Regel an einem ruhigen Ort vor relativ wenig Publikum. War die Verwendung kammermusikalischer Klangästhetik ein bewusster Gegenentwurf zu den aufgeblähten klassischen Coverversionen?
Ja, war es. Die Instrumentierung von Kammermusik ist direkter und bissiger als dieser symphonische Breitwand-Sound. Von meinen Arbeiten für TV und Theater bin ich es ohnehin gewohnt, mit kleinen Instrumentierungen zu arbeiten. Ich produziere schnell und halb elektronisch, mit zwei oder drei Session-Musikern. Auf diesem Gebiet fühle ich mich sehr sicher.
Auf dem Album gibt es einige Stücke, die mit der klassischen Instrumentierung des Ursprungsmaterials natürlich verwandt wirken. Andere wurden in einen identifizierbar klassischen Sound überführt. Aber es gibt auch unerwartete Momente. Deine Version von Closer Musiks "One Two Three" klingt wie auf einer Kirchenorgel gespielt und Voigt & Voigts "Gong Au" wartet mit einem indonesischen Gamelan-Ensemble auf. An welchem Punkt der Produktion dieser Tracks hast Du Deine Entscheidung gefällt: "Ok, lasst uns hierfür einen anderen Sound verwenden."?
Das war wirklich schon recht früh. Als ich "One Two Three" hörte, stellte ich mir einen Brummkreisel vor. Als Kind hatte ich einen und er klang großartig. Also bin ich durch alle Spielzeugläden in Köln gelaufen, um einen Brummkreisel zu finden, der den Sound machte, an den ich mich erinnern konnte. Aber ich fand keinen, der meinen Vorstellungen entsprach. Die neuen klangen nicht berauschend und deshalb kaufte ich einen sehr alten auf Ebay. Aber auch dieser klang leider nicht wie erwartet. Dann war ich zufällig wegen eines anderen Projekts in einem Berliner Studio und sah dieses Harmonium. Ich dachte mir, das könnte genau der richtige Sound sein. Ich fragte den Studiobesitzer, ob ich noch etwas länger bleibe könnte und entschied mich dann, es dort aufzunehmen. Die Idee mit dem "Gong-Audio" war ganz simpel, weil mich schon das Originalstück an Gamelan-Music denken liess. Deswegen besuchte ich das Ethnologische Museum in Köln. Dort gibt es alte und riesige Gamelan-Instrumente. Ich machte die dafür zuständigen Leute ausfindig und bat sie, mir die Prinzipien der Gamelan-Musik beizubringen. Im Gegenzug erzählte ich ihnen einiges über elektronische Dance-Musik und schließlich arrangierten wir das Stück gemeinsam. Die tatsächliche Herausforderung war, dass ich es hinbekommen habe, auf diesen unheimlich wertvollen Museums-Gongs spielen zu dürfen. Das ist etwas, woraus ich meine Energie schöpfe.
Wie schwer wiegt denn der Einsatz von Studiotechnik bei diesem Projekt. Und in Deiner Arbeit generell?
Viele der Produzenten, deren Musik ich interpretiere, arbeiten mit Ableton und das hört man auch. Hauptsächlich nutzen sie es wegen des strukturellen Aufbaus. Du steckst am Anfang alle Energie in einen ersten Loop. Dann hast du ein kleines Stück über ein bis zwei Takte, in denen schon die ganzen interessanten Elemente enthalten sind. Später strukturierst du es über kleine Veränderungen oder verschiedene Parts. Ich glaube, es hat viel mit der engen Verbindung zwischen dem Editier- und Arrangier-Modus zu tun. Ich habe eine Menge unterschiedlicher Software benutzt und eine davon war Live. Letztlich haben wir das ganze Album mit Live gemischt. Das war schon interessant – manche Leute nutzen Ableton für alles außer das Mixen. Aber ich habe es genau anders herum gemacht. Das lag wohl daran, dass die Leute von Kompakt fast ausschließlich mit Ableton arbeiten. Es ist deren wichtigstes Tool.
Auf der Bühne setzt Du dieses Projekt hauptsächlich mit einem sechsköpfigen Ensemble um, richtig?
Ich habe jetzt zweimal mit einem sechsköpfigen Ensemble gespielt. Einmal in Köln und einmal auf dem Tauron Nowa Muzyka Festival in Polen. Samstag hatte ich eine Soloaufführung mit Klavier. Es gibt drei Varianten: Das Ensemble, dann ein Duo und mich ganz allein am Klavier.
Neben den Originalstücken, die Du für das Album reinterpretiert hast, gibt es eine zusätzliche Ebene, auf der Du den Spielraum für Live-Aufführungen in verschiedenen Konfigurationen auslotest. War die Herausforderung vergleichbar mit der Komposition der Tracks?
Es war einfacher, nachdem das Album im Kasten war. Es ist wie mit einem Bild, das man malt und von dem man weitere Kopien mit dem beim ersten Mal erlangten Wissen anfertigt. Es ist quasi ein zweiter Versuch mit mehr Erfahrung.
Fanden alle diese Konzerte in bestuhlten Häusern statt?
Ich habe beides gemacht. Das allererste Konzert in Köln hatte einen typischen klassischen Rahmen. Beim Festivalauftritt stand und tanzte eine riesige Meute von etwa 1000 Leute herum. Da hatte ich vorher ein bisschen Sorge. Ich wusste, dass es im Konzertsaal funktioniert, weil ich dem Publikum die Musik erläutern würde und Sie der Aufführung mit geschlossenen Augen und auf Stühlen sitzend fokussiert folgen könnten. Aber ich war mir nicht sicher was passiert, wenn Leute, die schon den ganzen Tag tanzen, für eine Weile einem Streichquartett zuhören sollen, nur um anschließend weiter zu tanzen. Doch ich muss sagen, es hat sehr sehr gut funktioniert.
Gehst Du die Auftritte immer gleich an? Oder lässt Dir so ein Festivalauftritt mehr Freiheiten?
Ich denke, ich fühle mich eher in der klassischen Umgebung freier. Die Leute sind so konzentriert auf das, was ich mache, dass ich Dinge durchaus abwandeln kann. Im Dance-Kontext muss ich die Dinge so gestalten, dass die Energie erhalten bleibt.
Und was bevorzugst Du nun?
Ich bin sehr glücklich, dass ich beides habe. Damit schließt sich der Kreis zu dem, was ich zu Beginn unseres Gesprächs sagte: Ich bin in verschiedenen Welten Zuhause. Ich freue mich darüber, an einem Tag in einem Konzerthaus spielen zu können und am nächsten Tag in einem Club. Das ist wohl echter Luxus und ich hoffe, dass es noch lange so bleibt.