Goth-Trad: Eine neue Epoche
In den zurückliegenden Jahren avancierte Goth-Trad zu einem der meist respektierten japanischen Acts auf dem Feld der elektronischen Musik. Abstrakte Hip-Hop-Beats inspirierten ihn Ende der Neunziger Jahre zur Produktion der ersten eigenen Tracks, später gründete er das Duo Rebel Famila mit Takeshi “Heavy” Akimoto, Bassist der populären japanischen Dub-Reggae-Band Dry & Heavy. Mit ihrem Stilmix aus Dub, Rock und Drum'n'Bass entwickelten sie einen eigenständigen Sound, der ihnen in Japan zu großer Berühmtheit verhalf. Trotz der Auslastung mit seiner Band veröffentlichte Goth-Trad Anfang der 2000er Jahre auch einige Produktionen, die ihn auf ein experimentelleres und rauheres Terrain führten.
Mit dem dritten Longplayer Mad Raver’s Dance Floor rückte Goth-Trad schließlich auch als Solokünstler in den Fokus der Aufmerksamkeit. Das Album war zu großen Teilen vom damals aufkommenden britischen Dubstep-Sound inspiriert. Der darauf enthaltene Track ‘Back To Chill’ diente außerdem als Namensgeber für Goth-Trads Dubstep-Partynächte in Tokio. Ein Treffen mit Mala, Inhaber von Deep Medi, initiierte die Veröffentlichung des Tracks ‘Cut End’ im Folgejahr. Zudem brachte das Skud Label seinen Signature-Track ‘Back To Chill’ als Import nach Europa und machte den Namen Goth-Trad auch dort bekannt. Im Jahr 2012 stellte er nach sieben Jahren wieder ein komplettes Album fertig. Mit dem auf Deep Medi erschienenen New Epoch schlug Goth-Trad eine neue musikalische Richtung ein.
Am Rande eines Production-Workshops im Liquid Room in Tokio traf Yuko Asanuma auf Goth-Trad und sprach mit ihm darüber, wie man seinen Sound findet, ihn bewahrt und in neue Bahnen leitet.
Du hast Dich in der Vergangenheit schon mit vielen musikalischen Stilen beschäftigt, aber einige ästhetische Merkmale scheinen sich durchzuziehen: dunkel, schwerer Bass, grobkörnige Texturen. Hast Du ein bestimmtes musikalisches Ziel im Kopf oder passiert das ganz natürlich?
Ursprünglich kam ich über Kraftwerk zur Musik. Da war ich wohl in der 6. Klasse und zu der Zeit erschien gerade eine Box mit den remasterten Alben. Ich war hin und weg. Die Stimmung des Artworks war dunkel, der Sound auch und das war mein Erweckungserlebnis. Kraftwerks Musik ist streng und kühl aber irgendwie auch emotional. Danach kam dann das erste LFO-Album.
Also war es Techno! Es klang anfänglich so, als würdest Du aus der Hip-Hop-Szene kommen. Das ist überraschend.
Ich komme definitiv vom Techno. Zur Zeit von LFO und Nightmares On Wax. Beide waren mechanisch und leidenschaftlich zugleich. Ich glaube, das ist die Art von Musik, die ich eigentlich im gesamten Verlauf meiner Karriere machen wollte.
Was ist mit den Einflüssen aus dem Dub?
Um ehrlich zu sein, habe ich gar nicht so viel Dub gehört (lacht). Ich stand auf Warp, R&S und Rising High. Als Hochschulstudent habe ich alles gekauft, was die veröffentlicht haben. Dazu kam ein bisschen Dub, Sachen wie On-U Sound, dann die Bristol Bands wie Massive Attack und Portishead. Und das Zeug von Wordsound.
Ich baue immer eine Phrase oder eine Melodie in meine Musik mit ein. Ich denke, darin bin ich wirklich gut und das ist auch mein Erkennungsmerkmal. Es muss etwas Besonderes enthalten sein und bei mir ist es halt ein emotionales Element. Das habe ich von Anfang an zu berücksichtigen versucht. Der erste Track auf New Epoch ist dafür ein prima Beispiel. Emotionale Farbe ins Spiel bringen – das erachte ich als das Wichtigste in meinen Produktionen.
Warum bist Du weniger euphorisch in Bezug auf Dubstep und welche Musik begeistert Dich heute?
Es gibt immer noch eine Menge Leute, die sehr interessanten Dubstep machen und ich verfolge das auch nach wie vor. Aber ich muss schon sagen, dass es im Vergleich zu den Jahren 2006 bis 2008 weniger Sachen sind, die mich wirklich begeistern. Ich habe ja auch versucht, Tunes im Dubstep-Tempo mit einer etwas anderen Note zu machen. Das war aber sehr zeitaufwendig. Ich habe so lange mit der Fertigstellung meines Albums verbracht, dass ich im Moment lieber andere Sachen höre.
Für gewöhnlich finde ich es einfacher, ein Album anzugehen, wenn ich ein ganz klares Thema habe. Ein Noise-Album ohne Beats zum Beispiel. New Epoch hatte als Album definitiv einen Fokus auf Dubstep, der mich ja die letzten sechs sieben Jahre beschäftigte. Seit ungefähr einem Jahr suche ich nun nach der nächsten Herausforderung. Zu meinen Überlegungen gehört auch Techno. Ich mag gerade die Industrial-Sounds von Blawan oder Empty Set. Hinsichtlich meiner eigenen Produktion hoffe ich, dass die Erfahrungen der Vergangenheit ganz natürlich einfließen werden, inklusive Dubstep. Ich würde gern die verschiedenen Seiten meines Stils zusammenbringen – Samples aus meinen Noise-Sachen verwenden, unterschiedliche Tempi ausprobieren und dann alles dubmäßig verrühren. Als Beispiel.
Also ist New Epoch irgendwie auch die Quintessenz Deiner Dubstep-Phase.
Ja. Ich will meinen Dubstep-Einfluss beibehalten, aber eben auch andere Stile ausprobieren. Ich habe gerade einen neuen Mix zusammengestellt und es würde mich wirklich freuen, wenn Du mal reinhörst. Da geht's völlig weg vom Dubstep-Tempo.
Es ist eher Four-on-the-Floor, aber eben sehr langsam. Nicht wirklich Half-Step aber auch nicht Drum'n'Bass. Es sind ungefähr 85 Beats pro Minute, also liegt es irgendwo dazwischen. Den Sound könnte man mit Industrial Minimal Techno beschreiben. Alle Tracks im Mix sind entweder von mir selbst oder Remixe, die ich gemacht habe. Ich mag ja Andy Scott und es erinnert ein bisschen an seine Sachen, nur etwas langsamer. Ich fände es großartig, das auf einer Party zu spielen und die Leute damit zum Tanzen zu bringen. Seit letztem Jahr versuche ich einige der Tracks in mein Set einzubinden und bisher waren die Reaktionen darauf durchaus positiv.
Neben einer Dubstep 12-Inch für Deep Medi habe ich vergangenes Jahr auch zwei Remixe veröffentlicht. Und beide bewegen sich außerhalb des Dubstep-Tempos. Einer ist für die britische Sängerin Lea Lea und der andere für einen Künstler namens Danny Scrilla.
Beide sind übrigens prima angekommen, vor allem der Lea Lea Remix. Der schaffte es sogar in die Jahresbestenliste von XLR8R und wurde von sehr vielen Leuten gemocht. Da ich auch für meinen neuen Mix viele positive Rückmeldungen bekomme, wird es wohl eine der Richtungen sein, die ich weiterverfolge. Eher langsame aber trotzdem tanzbare Musik. Ich glaube, es gibt nicht so viele, die das machen und deswegen möchte ich dem eine Chance geben.
Was sind Deine Hauptarbeitsmittel im Studio?
Live und ein MIDI-Keyboard. Ein ganz gewöhnliches von Edirol.
Du nutzt also nur noch Live. Früher hast Du Deine Breakbeats mit Samplern gemacht. Was war ausschlaggebend für Live?
Oh ja, anfangs hatte ich für meine Beats lediglich einen AKAI-Sampler. Später nutze ich dann einen Rechner zum Sequenzieren. Und ich hatte dieses extrem einfache MIDI-Schreibprogramm, EZ Vision. Ich nahm mit Logic von Apple auf und editierte damit auch gelegentlich. Als meine Sachen experimenteller wurden, nutzte ich hauptsächlich analoge Hardware. Ich fand heraus, Drones mit SuperCollider und zum Teil auch Max MSP zu machen. So entstand zum Beispiel mein Album The Inverted Perspective. Danach habe ich mich der Dance Music zugewandt und setzte zunehmend auf Live. Es wirkte sofort vertraut und war gar nicht viel anders als die Arbeit mit meinem Hardware-Sampler. Die Möglichkeit, Tracks aus Wellenformen aufzubauen, war großartig. Nicht viel anders als mit EZ Vision. Ich war tatsächlich schon nach ein paar Monaten in der Lage, mit Live mein komplettes 'Mad Raver’s Dance Floor'-Album zu machen. Danach wusste ich, dass ich mich mit Live richtig wohl fühle.
Bei der Produktion von Minimal Bass Music muss jeder Sound herausstechen. Wie verfährst Du mit dem Sound des fertigen Tracks und wie bewahrst Du die Einzigartigkeit Deines Sounds?
Mein Sound orientiert sich wohl am meisten an abstraktem Hip-Hop aus dem Jahr 1999. Aus heutiger Sicht mag das etwas aufgebauscht klingen. Aber für mich gibt es kein richtig oder falsch. Es entscheidet nur der persönliche Geschmack. Das macht am Ende schließlich den Charakter eines Künstlers aus. Tatsächlich werde ich oft von Letuten gefragt, wie und wo ich meine Tracks mastern lasse. Aber darum geht es überhaupt nicht. Gerade in der Drum'n'Bass- und Dubstep-Szene spielen wir unsere frisch produzierten, ungemasterten Sachen oftmals von Dubplates oder gebrannten CDs. Niemand käme auf die Idee zu fragen, ob etwas gemastert ist. Wenn es schlecht klingt, ist es schlecht produziert. Gerade in Japan neigen die meisten DJs dazu, nur offiziell veröffentlichtes Material zu spielen. Aber beim Dubstep geht es darum, auf der richtigen Party zu sein. Wenn Du es bist, hörst Du die allerneusten Sounds. Dort laufen Tracks, die noch lange nicht erhältlich sind und die nur dieser eine bestimmte DJ hat und spielt. Als meine erste Veröffentlichung bei Deep Medi rauskam, bat mich auch Mala, niemandem außer ihm den Track zu geben, damit er der Einzige ist, der ihn in Europa spielen kann. Ich wurde auch von Kode9 und Skream danach gefragt, aber ich behielt mein Geheimnis für mich (lacht).
Von dieser Art gibt es noch einige Stücke. Entweder habe nur ich sie oder Mala und ich. Sie tauchen weder bei YouTube auf, noch kann man sie irgendwo online innerhalb eines Mixes hören. Wir spielen sie ausschließlich auf Partys. Manchmal erscheinen Tracks erst nach zwei Jahren regulär. Als ich noch richtig aktiv in der Dubstep-Szene unterwegs war, hätte ich alles dafür getan, irgendwie an solche Nummern zu kommen. Mittlerweile sehe ich das wesentlich entspannter und konzentriere mich mehr auf meine eigene Musik, speziell wenn ich an Alben arbeite. Heute wähle ich für mein DJ-Set Tracks aus meinem engsten Umfeld aus. Dazu gehören die Leute von Deep Medi oder die Jungs, mit denen ich die Back To Chill Partys aufziehe. Ich höre aber auch viel breitgefächerter Musik.
Wie oft bist Du eigentlich auf Tour und was bedeutet es für Dich, außerhalb Japans zu spielen?
Seit 2007 bin ich in der Regel zweimal jährlich in Europa. Ich veröffentliche ja in der Tat nicht so viel, vielleicht eine 12-Inch pro Jahr. Aber im Ausland spielen zu können, bedeutet mir nach wie vor sehr viel. Es geht gar nicht mal so sehr darum, die eigene Musik zu promoten, sondern viel mehr darum, herauszufinden, was anderswo angesagt ist und diese Dinge für mich selbst zu entdecken. Natürlich kannst du dir heutzutage jeden Track über deinen Freundeskreis besorgen oder Online-Radios auf der Suche nach Neuem checken. Aber irgendwo anders zu sein und Eindrücke zu sammeln, macht einen bedeutenden Unterschied. Ich spüre das direkte Feedback der Leute zu meiner Musik. Ich kann mich auch besser motivieren, an einem neuen Set zu arbeiten, weil ich es auf Tour mitnehmen werde. Dann kann ich auskosten, was ich während der Produktion wieder alles gelernt habe.
- Interview von Yuko Asanuma
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