Viele Bedroom-Producer träumen von eine Karriere mit der Musik, in die sie all ihre Leidenschaft stecken – ob mit oder ohne Gehaltschecks. Charlie Yin war einer von den Produzenten, die in ihrer Freizeit an Beats tüftelten, einfach weil er das Musikmachen so liebte. Aber im Laufe der Zeit entwickelte sein Projekt Giraffage ein Eigenleben. Zunächst machte sich der Mann aus der Bay Area einen Namen, indem er zwei Alben selbst veröffentlichte und beständig partytaugliche Edits und inoffizielle Remixe herausbrachte, von denen die meisten entstanden, als er noch Student an der UC Berkeley war. In den vergangenen zwei Jahren ist Yin in der US-amerikanischen Szene zu einem der am schnellsten aufsteigenden Beatmaker geworden. Giraffages Markenzeichen sind von Pop durchzogene, stark melodische Produktionen. Sie landeten bei Labels wie Fool’s Gold und Dim Mark, machten ihn gleichzeitig zu einem sehr gefragten Remixer und ebneten ihm den Weg zu Festivalbühnen auf der ganzen Welt. Mit anderen Worten, Yins Beats haben es ziemlich weit aus dem Schlafzimmer heraus geschafft.
Inmitten dieser arbeitsintensiven Zeit für Giraffage baten wir den in San Francisco lebenden Künstler, für uns ein paar Minuten zusammenzukratzen, um über die Arbeit zu sprechen. Im Herzen Bedroom-Producer geblieben, stellte sich Yin geduldig unseren Fragen und gab uns einen tiefen Einblick in seinen Schaffensprozess. Er erklärte, wie sich sein Arbeitsansatz über die Jahre entwickelt hat, wie er seine Tracks auf Livesituationen überträgt und wie er beim Schreiben seiner zuckersüßen Melodien vorgeht, die Giraffages stetigen Aufstieg ja mit ausmachen.
Wie fängst du normalerweise einen neuen Track an?
Das ist für mich wirklich bei jedem Track anders. Ich habe keine feste Methode um anzufangen, eigentlich ergibt sich jeder Song bloß aus dem Herumprobieren. Mal geht es mit einem Drumloop los, mal mit einer richtig coolen Harmoniefolge, mal dreht sich alles um ein Sample. Da gibt es wirklich keinen festgelegten Anfang.
Hältst du dir bestimmte Zeitfenster frei, um in Ruhe Musik zu machen oder arbeitest du eher dann an Tracks, wenn die Inspiration kommt?
Ich versuche nicht wirklich, mir Zeitfenster fürs Musikmachen frei zu halten. [Mein Drang Musik zu machen] entsteht immer noch aus dem Spaß, den ich beim Spielen habe, also tue ich das sooft ich kann. Im Vergleich zur Anfangzeit von Giraffage ist das jetzt vielleicht ein bisschen anders, weil es viel mehr Deadlines gibt und Termine, zu denen etwas unbedingt fertig sein muss. Aber was das Kreative angeht, ist der Prozess [für mich] noch mehr oder weniger derselbe. Heutzutage habe ich nicht mehr soviel Zeit wie früher, weil ich z.B. auf Tour bin, aber alles in allem geht es nur darum, dass ich meinen Spaß habe und ich hoffe, das ändert sich nie.
Wie realisierst du Drum-Sounds? Hast du eine Sample-Bibliothek, aus der du auswählst? Samplest du auch manchmal Schallplatten oder nimmst Geräusche auf?
Ich habe eine große Library an Referenzsounds. Falls ich mal stecken bleibe, kann ich mich immer auf diese Library mit den Drum-Sounds beziehen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben. Die Library habe ich nach langer Jagd auf Sample-Packs aufgebaut, mir Sachen aus den Sample-Packs von Vengeance und Sample Magic gegriffen oder von irgendwelchen Packs, die ich online fand. Einmal habe ich diese irre, vielleicht 15 GB große Datei gefunden, wo jemand jeden Schlag von einer riesigen Sammlung an analogen Drum-Machines gesammelt hatte. Da habe ich mich auf jeden Fall stundenlang durchwühlen müssen.
Feilst du viel an den einzelnen Drum-Sounds in deinen Tracks?
Ja, auf jeden Fall. Wenn es ein Kick ist oder etwas Tiefes, stimme ich ihn meistens auf die Tonart vom Song, aber wenn es eher ein tonloser Klang ist, z.B. ein Clap, stimme ich das Sample hoch oder runter, je nachdem welche Frequenzen meiner Meinung nach am besten in dem Song funktionieren, an dem ich gerade arbeite. Drum-Samples zu stimmen ist eine aufwändige Sache, aber es kann einen Song so viel tighter klingen lassen.
Wie gehst du in deinen Tracks mit nicht-perkussiven Samples um, z.B. mit Stimmschnipseln oder wie im Fall von „Hello” mit Wählgeräuschen und Modemsounds?
Normalerweise versuche ich, Samples in eine vorhandene Songidee einzubauen statt einen Song um ein Sample herum zu bauen. Ich finde, wenn einem bestimmten Songabschnitt das gewisse Etwas fehlt, kann man hier und da immer ein paar Samplestückchen dazu tun und ihm die richtige Würze geben. Manchmal baue ich dann doch einen Song um ein Sample herum, aber im Normalfall habe ich eine solide Songstruktur beisammen bevor ich schräge Wählgeräusche und so etwas dazu mache.
Viele deiner Tracks stechen durch den ausgeprägten melodischen Inhalt hervor. Wie schreibst du die Melodien? Spielst du sie mit einem MIDI-Controller ein oder zeichnest du sie mit der Maus?
Ich versuche, durch Improvisieren auf die Melodien zu kommen statt sie einzuklicken. Als Controller nehme ich ein Keyboard, aber ich habe mir erst vor kurzem einen Gitarre-zu-MIDI-Konverter zugelegt, der alle Noten von meiner Gitarre (über die Pickups) nimmt und in MIDI übersetzt. Neulich habe ich damit Noten an ein paar Softsynths und VSTs geschickt. Ich habe ja als Gitarrist angefangen, deshalb fühle ich mich auf einem Gitarrengriffbrett wohler als auf Keyboardtasten.
Wenn du dann die Ideen improvisiert hast, nimmst du sie dir vor und bearbeitest, was du aufgenommen hast und greifst bestimmte Stellen heraus?
Ja, ich würde sagen, 90% meiner Melodien kommen von meinen Impros und wenn das abgeschlossen ist, setze ich mich ran und schiebe die MIDI-Noten in Live herum. Manchmal verbringe ich aber viel zu viel Zeit mit Jammen. [lacht]
„Drum-Samples zu stimmen ist eine aufwändige Sache, aber es kann einen Song so viel tighter klingen lassen.”
Wie gehst du dann ans Arrangieren heran? Arbeitest du eher in der Session-Ansicht oder machst du aus den Stücken Clips, um ein Arrangement zusammenzufügen?
Ich schreibe sehr linear, deshalb verwende ich [beim Komponieren] eigentlich nie Clips, die verwende ich nur live. Die Software, mit der ich anfing Musik zu machen, war General MIDI, da tippt man von links nach rechts, so habe ich immer gearbeitet. Ich fange mit einem Song jedes Mal in der Arrangement-Ansicht an.
Die Melodien und Ideen zu improvisieren ist sicher der spaßigste und schnellste Teil der Arbeit. Verbringst du danach umso mehr Zeit mit dem Konfigurieren und Arrangieren von einem Song?
Ich bin ehrlich gesagt echt schnell im Arrangieren. Bei mir dauert es viel länger, eine Melodie und Harmoniefolge zu erfinden - im Gegensatz zur Arbeit an einer Songstruktur. Das lässt sich wohl zurückführen auf die Tatsache, dass ich mit Math Rock und merkwürdigen musikalischen Strukturen groß geworden bin. Struktur ist mir zwar wichtig, aber gleichzeitig denke ich nicht zuviel darüber nach. Ich lasse es einfach laufen und überlege vielmehr „Was würde als nächstes cool klingen?” anstatt einer bestimmten Formel zu folgen. Ich finde, das kann zu eigenständigeren und interessanteren Arrangements führen.
Was ist für dich der größte Unterschied zwischen deinen früheren Tracks und denen, an denen du aktuell arbeitest?
Giraffage hat als sample-basiertes Projekt angefangen, ich zog Samples von überall heran und das Copyright war mir scheißegal. [lacht] Aber inzwischen muss ich über Copyright Bescheid wissen und das ist einfach Mist für meine Kreativität, denn bei dem ganzen Projekt ging es darum, sich keinen Kopf zu machen und einfach irgendwelche Samples zu nehmen, die cool klingen. Jetzt muss ich Nutzungsrechte für die Samples anfragen oder Sample-Packs ohne Urheberrecht verwenden.
Giraffage performt beim Outside Lands Festival. Foto von Holy Mountain
Hat bei deiner Studioarbeit auch eine Entwicklung stattgefunden?
Früher habe ich wie die Hölle EQ und Effekte auf meine Drums gelegt, damit sie so klangen wie ich wollte, aber mittlerweile gehe ich da viel reduzierter ran. Ich nehme fast gar keinen EQ mehr. Ich suche [stattdessen] ein Drum-Sample heraus, das richtig gut im Song funktioniert, verwende es einfach so und versuche, es mit EQ und Kompression nicht zu stark aufzupolieren.
Aus wie vielen Einzelspuren besteht eine Arbeit von Giraffage normalerweise?
Früher habe ich durchschnittlich mit 40 oder 50 Spuren pro Song gearbeitet, vor einigen Jahren war ich eben viel komplizierter. [lacht] Heutzutage gebe ich mir bewusst Mühe, mit weniger Spuren auszukommen, mein Durchschnitt liegt jetzt bei 20 oder so.
Und davon ist die Hälfte nur für Drums und Rhythmuselemente da?
[lacht] Ja, ich habe tatsächlich für jedes Element von den Drums eine Spur, das nimmt also auf jeden Fall eine Menge Raum ein.
„Ich suche ein Drum-Sample heraus, das richtig gut im Song funktioniert, verwende es einfach so und versuche, es mit EQ und Kompression nicht zu stark aufzupolieren.”
Wie lange brauchst du normalerweise, um einen Song fertig zu kriegen? Einen Tag, eine Woche, Monate?
Als Producer bin eher ein Sprinter als einer, der sich später wieder ransetzt. Wenn ich an einer richtig soliden Idee dran bin, kann ich den Song normalerweise in einem oder zwei Tagen am Stück produzieren, aber die Abstände zwischen diesen soliden Ideen sind für mich das Schwierige. Es kann mir schwerfallen, den Anfang von einem Song zu finden, aber wenn ich dann einmal drin bin, dann lasse ich es laufen und kann es ziemlich schnell zu Ende bringen.
Du hattest in den letzten Jahren einige Kollaborationen und sogar mit The-Dream zusammen gearbeitet, nachdem er dein Remix-Album von der Platte Love/Hate gehört hatte. Gibt es noch andere, mit denen du Projekte planst?
Die Arbeit mit The-Dream war für mich Wahnsinn, ich war total von den Socken. Und vor kurzem habe ich mit Slow Magic an einem Song gearbeitet. Mit ihm wollte ich schon lange mal arbeiten. Ich liebe seinen Sound, außerdem waren wir zusammen auf Tour, deshalb bin ich froh, dass wir es endlich geschafft haben.
Als jemand, der vor allem allein Musik macht, ist es für dich anspruchsvoll, mit anderen zusammen zu arbeiten?
Slow Magic und ich haben uns gegenseitig Sachen übers Internet geschickt, wir waren also nie am selben Ort, als wir den Song schrieben und das war bequemer so. Aber mit The-Dream z.B. arbeitete ich in seinem Studio und er sah mir dabei über die Schulter.
Mit Schweißausbrüchen die ganze Zeit?
Alter Schwede, ja, ich war verdammt nervös. Ich finde es echt schwierig, so zu arbeiten. Ich habe Musik immer alleine im Schlafzimmer gemacht. Das mit zehn anderen Typen im Raum zu machen, kommt mir immer so komisch vor.
Bleiben Sie bei Giraffage über seine Website und Soundcloud auf dem Laufenden.