Was bedeutet eine Musikerkarriere heutzutage? Viele von uns träumen davon, „es“ zu schaffen: kreative Freiheit, ein Ventil für künstlerischen Ausdruck, ein zugetanes Publikum, finanzielle Sicherheit. Doch deckt sich der Traum kaum mit der harten Realität, dass das Musikmachen oft weder lukrativ ist, noch besondere Anerkennung bringt. Nicht kalkulierbare Faktoren wie Glück, Talent oder ein reiches Elternhaus mal beiseite gelassen, bleibt Musik in unserer Gesellschaft eine Ware und daher gilt die Logik des Marktes von Angebot und Nachfrage. Das führt in der Praxis dazu, dass viele Künstler früher oder später vor der Wahl stehen, mit ihrer Kunst Kompromisse einzugehen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren oder – wohl das häufigste Szenario – ihre Musik auf Hobbystatus herunterzustufen und den Lebensunterhalt anderweitig zu bestreiten.
Georgia: Musik für alles
Zum Glück kann man auch einen anderen Weg einschlagen. Eine fruchtbare kreative Existenz wird möglich, wenn man Zeit und Energie aufteilt, nämlich zwischen dem eigenen Output und den Aufträgen für andere. Genau darauf hat sich Georgia, das Duo aus New York und Los Angeles, im letzten Jahrzehnt eingegroovt. Obwohl sie Musik (und anderes) für alle möglichen Auftraggeber und Gelegenheiten produzieren, haben Brian Close und Justin Tripp offenbar in keiner Weise etwas von jener Experimentierfreude eingebüßt, die sie überhaupt erst zusammenbrachte. Eine Stichprobe ihrer Arbeiten als Filmemacher, Sounddesigner, Animationskünstler und Cutter für Kunden wie Reebok, Vogue, Adidas, Adobe, Dunkin’ Donuts zeigt, dass sich diese Territorien stark mit ihren Veröffentlichungen als Georgia überlappen – in Klang, Bild und Umsetzung.
Wir haben uns mit Brian Close und Justin Tripp verabredet, um über die Entwicklung von Georgia, über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beim Arbeiten für sich selbst und für Auftraggeber zu sprechen und wie sie es schaffen, zusammenzuarbeiten, obwohl sie in verschiedenen Städten wohnen.
Ihr habt mit Georgia angefangen als ihr beide in New York gewohnt habt. Was habt ihr jeweils vor Georgia gemacht und wie kam es zur Zusammenarbeit?
Brian Close: Stimmt! New York ist der Geburtskanal! China Town im 20. Jahrhundert. Damals hatte ich einen Designstudio, es hieß Lifelong Friendships Society und produzierte ziemlich abseitige, psychedelische Grafiken für Fernsehen, Werbung, Fashion und so. Zu der Zeit kreuzten sich unsere Wege zum ersten Mal, als ich ein Video für Justins Musikprojekt machte. Schließlich arbeiteten wir zunächst gemeinsam an einem Musikvideo, und von dort ging es einfach immer weiter. Justin steckte eher in der Musikwelt, er war in vielen coolen Bands, die ich richtig toll fand… Ich hatte als Kind immer Musik gemacht und bei Georgia wurde das mehr betont.
Justin Tripp: Brian machte Videos, Design und Grafik, er ging da superproduktiv und intuitiv heran. Er hat eine explosive kreative Energie, die total attraktiv ist. Mich haben Film und Bild immer begeistert und ich wollte in dem Bereich mehr machen. Wir haben zuerst an einigen visuellen Projekten gearbeitet und parallel Musik gemacht. Da stellte sich heraus, dass Brians kreative Energie nicht wirklich an ein Medium gekoppelt ist, er schnappt einfach was auf und los geht’s, egal ob es Musik, Film, Fußball oder sonst was ist. Dieser intuitive Spirit hat mir echt die Augen geöffnet, dadurch können wir uns beide abkapseln und eine Menge produzieren ohne zu hinterfragen, wohin das Ganze führen soll.
Inwiefern hat sich euer gemeinsamer Prozess verändert, seit ihr in verschiedenen Städten wohnt?
BC: Was die Entfernung angeht, ist der kreative Prozess immer noch derselbe, wir müssen uns nur übers Internet abstimmen. Tatsächlich fühlt es sich eher so an, als hätten uns der Zeitunterschied und die ungleichen Vibes der Städte mehr synchronisiert, was unserer Bild- und Soundpalette eine gesunde Farbe verleiht.
JT: Auf die Entfernung zusammenzuarbeiten, macht auf jeden Fall vieles freier. Nach einiger Zeit erzeugten die geteilten Studiowände so einen Sog, bei dem man sich verpflichtet fühlte, dort zu sein und regelmäßig Stunden zu schieben. Das ist gefährlich nah dran am Gefühl ein „Büro“ zu sein, aber worauf es ankommt, sind der Output und die Atmosphäre von kreativer Freiheit, um ohne Hindernisse kreativ zu werden.
Mit mir in L.A. und ihm in N.Y.C. können wir beide arbeiten, wann wir uns am produktivsten fühlen. Wir haben den Kopf frei und nehmen uns den Raum für das, was wir am besten können. Wir besprechen, was getan werden muss, erledigen jeweils unsere Parts und setzen dann alles zusammen. Wir lieben die Städte aus so vielen Gründen, da ist es eben auch schön, sich mit beiden verbunden zu fühlen.
BC: In letzter Zeit machen wir unsere Tracks isoliert voneinander und kombinieren sie dann einfach in Form eines Albums. Irgendwie funktioniert das tatsächlich, es verleiht der Musik einen natürlichen Bruch, einen starken Kontrast.
JC: Neuerdings einigen wir uns auf einen Ansatz, bevor wir gemeinsam an einem Projekt arbeiten, damit wir so etwas wie eine gemeinsame Palette beziehungsweise eine Vision kriegen, wo's hingehen soll. Das kann bedeuten, dass wir zum Musikmachen dieselbe Instrumentengruppe verwenden – z.B. Ableton-Racks, die Brian komplett selbst gebaut hat oder eine gemeinsame Sample-Bank. Dann legt jeder für sich los, später kommen wir wieder zusammen und teilen es miteinander. Meine Musik wird immer interessanter, wenn sie gegen die von Brian stößt. Man braucht ja Salz, Fett und Säure, wenn ein Essen nicht mittelmäßig sondern gut werden soll. Wir beide verwenden die Tools ganz unterschiedlich, da ist es spannend zu hören beziehungsweise zu sehen, wie alles zusammenkommt.
BC: Außerdem finde ich es interessant. jemanden nicht zu sehen, an vielen Stellen im Manifest von Georgia geht es ja um Metaphysisches, wir haben es also in gewisser Weise mit unseren Geistern zu tun. Häufig synchronisieren wir uns unterbewusst, z.B. live über Soundcloud oder unsere Radioshows (NTS, London, The Lot Radio, New York und Dublab Radio, L.A.). Wir machen Tracks und Bilder und laden beinahe täglich neue hoch. An der Stelle braut sich die Information zusammen, auf dieser metaphysischen Ebene.
JT: Wir füllen sozusagen die Löcher im Output des anderen auf, das gibt uns ein runderes, vollständiges Bild, wenn wir zusammenkommen.
Einige der Instrument-Racks von Brian habt ihr zum Download bereitgestellt. Wie sind sie entstanden?
BC: Am Anfang stand da jeweils eine Sinuswelle in Operator. Das ist ein supersolider Startpunkt, um Drums zu bauen. Das ist so hübsch und aufgeräumt, wie Vektorgrafiken in Illustrator, die skalierbar und konzise sind.
Es geht viel um das Zuweisen von Macros und sie einzugrenzen, indem wir die Range ändern. Oder auch durch das Invertieren der Range oder durch ganz feine Änderungen kann jede Drum kleine oder große Akrobatik machen.
Wenn man die Sounds nach und nach programmiert, während man einfache Rhythmussequenzen aufnimmt, kann man gleichzeitig das Kit und die Komposition zusammenbauen. So kommt man total gut voran. Eine Sinuskurve lässt sich ja in so ziemlich alles zerlegen.
Das Ziel ist es, etwas Minimalistisches zu kreieren, das beim Wiederhören angenehm ist, aber mit einem kleinen Dreh swingt und ausdrucksstark wird. So bekommt alles unerschöpfliche Möglichkeiten, wie ein Sound, der von Claves in ein Cembalo übergehen kann.
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Wie funktioniert bei Georgia die Arbeitsteilung zwischen euch beiden? Hat sich da im Laufe der Zeit viel geändert? Hängt es davon ab, ob ihr etwas für euch selbst oder für andere produziert?
BC: Mein Background ist eher Design, deshalb bin ich vor allem für Grafikdesign, Illustration, Typo, Animation und Album-Art zuständig, aber Musik ist meine eigentliche Leidenschaft. Die Rollenverteilung war immer recht stabil. Wenn wir zum Beispiel das Interesse am Film teilen, dann nehmen wir je nach Projekt eine bestimmte Haltung oder eine Position ein. Ganz oft lassen wir uns also bei externen Projekten unsere jeweiligen Rollen vom Projekt diktieren. Was verlangt das Projekt von uns als Einheit von Individuen? Wenn sich einer von uns für Farbkorrektur interessiert, sorgen wir dafür, dass derjenige die Farben korrigiert. Sowohl strategisch zu entscheiden als auch danach zu gehen, was wir in Zukunft meistern wollen, hilft uns und bestimmt die Dynamik in unserem Ministudio.
JT: Auf jeden Fall auf der visuellen Seite übernimmt Brian die Führung. Seine Sicht auf die Dinge ist immer unerwartet und einzigartig. Er schafft es, extrem schnell zig verschiedene Optionen für ein Projekt zu generieren. Das ist ein Privileg, wenn man mit Videos, Album-Art, Grafik und dergleichen arbeitet. Ich liebe die Arbeit an solchen Sachen genauso und mache mich bei Bedarf sofort ans Filmen und Cutten. Ich habe das Gefühl, ich kann etwas dazu beitragen. Im Allgemeinen setze ich die visuellen Projekte um, damit Brian sich um nichts zu kümmern braucht, außer ums Manifestieren seiner Vision. Was Musik angeht, ob kommerziell oder für Georgia, sind wir beide kompetent und können sie jederzeit zum Laufen bringen.
Wie etwas wahrgenommen und kontextualisiert wird, ändert sich im Lauf der Jahre immer wieder auf dramatische Weise. Die Unterscheidung zwischen gut und schlecht ist keine konkrete Wahrheit, sondern gleitet ständig auf der Skala hin und her.
Was sind für gewöhnlich eure Ausgangspunkte, wenn ihr einen Track schreibt? Ist es eine Akkordfolge, eine Drum-Sequenz, ein Sample oder etwas ganz anderes? Geht ihr an eigene Projekte anders heran als an Auftragsarbeiten?
BC: Wir fangen mit jedem Track anders an. Manchmal arbeiten wir Jams zu Stücken um. Wir besitzen eine riesige Library namens Georgia Improvisations. Ein andermal beginnt einer von uns mit der einen Hälfte und schickt sie dem anderen, damit er das Stück fertig macht, wie bei Cadavre Exquis. Und ab und zu baue ich ein Rack, schicke es Justin und er macht daraus einen Track. Oder Justin nimmt den Gesang von einem Freund auf und ich baue etwas draus. Jede Permutation ist möglich und das akzeptieren wir so als Prozess.
Unsere eigenen Arbeiten beginnen mit einer Leinwand, die so weiß wie möglich ist. Das ist, als ob man die Notluke öffnet und losstürzt ohne zu wissen wohin, weiterläuft bis man fertig ist und dann den Weg nach Hause genießt.
Bei kommerziellen Arbeiten beginnen wir mit einem vollständigeren Porträt, finden aber zwischen den Punkten und Linien Möglichkeiten zur Improvisation. Kommerzielle Arbeiten bringen viele Widerstände beziehungsweise unterschiedlich effiziente Lösungswege mit sich. Aber von uns wird trotzdem ein Feuer verlangt, dass wir vorwärts kommen und wie verrückt ackern.
JT: Bei Georgia, und in einer perfekten Welt auch bei unseren kommerziellen Arbeiten, geht es mir wirklich darum, keine Selbstzensur zu betreiben. Wenn ein Kunde nicht versteht, was wir gemacht haben oder gern etwas anders haben möchte, dann ist das ein wichtiger und normaler Teil der Kollaboration und wir wühlen uns da gern hindurch.
Im Rahmen von Georgia „kritisieren“ Brian und ich uns kaum gegenseitig und wir schlagen uns nicht gegenseitig vor, etwas anders zu machen. Wir gehen einfach voran und modellieren solange herum, bis wir uns einig sind, dass es fertig ist. Mich interessiert es vor allem, Sachen in die Welt zu hinauszusetzen, damit sie mit der Zeit ihren Platz in der Geschichte einnehmen. Wie etwas wahrgenommen und kontextualisiert wird, ändert sich im Lauf der Jahre immer wieder auf dramatische Weise. Die Unterscheidung zwischen gut und schlecht ist keine konkrete Wahrheit, sondern gleitet ständig auf der Skala hin und her.
Wie läuft bei euren Auftragsarbeiten normalerweise das Kick-off ab, bekommt ihr Briefings, Storyboards oder Beispiele?
BC: Wir kriegen da alles Mögliche. Typischerweise geht es bei einem Projekt darum, in einem vorgegebenen Zeitraum ein kreatives Problem zu lösen, indem wir uns etwas ausdenken und in einem bestimmten Medium liefern. Normalerweise geht es bei den Projekten zwischen uns und dem Kunden häufig hin und her. Manche geben uns bei der Arbeit 100% freie Bahn und andere sind viel spezifischer. Um unser Studio zu beschützen und am Laufen zu halten, nehmen wir ab und zu Aufträge an, für die wir nur 5% von unserem kreativen Potenzial brauchen. Solche Projekte lohnen sich dann, weil sie normalerweise unser technisches Know-how ausdehnen oder wir einen ganz neuen Prozess lernen. Typischerweise bekommen wir bei kommerziellen Aufträgen eine Menge Referenzbilder und Musik geschickt – so kommunizieren Agenturen halt. Das ist immer ein guter Anhaltspunkt, aber als Studio interessiert uns das Nachahmen nicht, letztlich pushen wir uns immer zu etwas, das wir in der Welt sehen wollen. Da geht es einfach um eine Integrität, die passieren muss. Das beste Briefing ist eins ohne Grenzen – wir legen los und beginnen mit dem Planen, sobald Ideen kommen.
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