George FitzGerald: Die eigene Form
Wie bringt man als Musiker:in neue Kreativität in die eigenen Workflows? Für viele ist die Antwort ein neues Instrument, eine unerschlossene Klangquelle oder vielleicht eine innovative Methode beim Editing. Von Festplatten voller Sackgassen und unfertigen Skizzen erzählt indes niemand so richtig gerne. Anders verhält es sich bei George FitzGerald: für ihn sind es oft gerade jene achttaktigen Loops und Patch-Versuche, die Projekte inspirieren oder in neue kreative Bahnen lenken.
FitzGeralds Sound klingt so durchdacht und zielgerichtet, dass man sich kaum vorstellen kann, wie er ungenutzte Klangschnipsel solange hin- und herschiebt, bis es klick macht. Der Musiker arbeitete jedoch schon immer so – sogar schon bevor es möglich war, im Browser Teile aus anderen Projekten zu nehmen und in neuen Kontexten auszuprobieren.
„Manchmal zieht man sich eine Spur aus einem anderen Projekt und transponiert sie ein paar Halbtöne nach unten, damit sie die richtige Tonart hat – und das klappt super", sagt FitzGerald. „Aber oft genug muss man ein bisschen nachhelfen. Das Wichtigste ist, dass das Material nicht vom selben Tag stammt. Dann ist es, als hätte man einfach eine halbe Stunde Pause gemacht, während jemand anders sich auf deinen Stuhl gesetzt und herumprobiert hat. Dann kommt man zurück und versucht, das Ganze zum Laufen zu bringen. Mir eröffnet das immer neue Perspektiven. Es mag zwar ein ziemlich banales Feature in Live sein, aber für meine Art zu arbeiten ist das absolut zentral."
Ausgehend von seinen frühen Erfolgen auf Labels wie Hotflush, Aus und Hypercolour bis hin zu seinen Veröffentlichungen auf dem Domino-Unterlabel Double Six hat FitzGerald einen eigenen Sound entwickelt. Gekonnt nimmt er verschiedenste Formen der Clubmusik auf und verleiht ihnen einen großflächigen, melodischen Anstrich. FitzGerald findet immer wieder den neuralgischen Punkt zwischen sentimentaler Melancholie und cineastischer Tiefe, der auf Festivalbühnen genauso funktioniert wie in intimen Clubs. Seine Sounds sind dabei nicht nur passend kombiniert, sondern stechen auch durch reichhaltige Details heraus.
Jede Nuance und jede Technik seiner Arbeit unter die Lupe zu nehmen, würde an dieser Stelle zu weit führen. FitzGerald hat uns jedoch einige der Techniken verraten, die seinen Sound so lebendig machen.
„Als ich jünger war und mir die Musik von anderen Leuten anhörte, habe ich mich immer gefragt, wie die darin so viele Feinheiten unterbringen können", erinnert sich FitzGerald. „Die wenigsten schaffen es, sowas in einem Rutsch zu schreiben. Das sind Schichten über Schichten über Schichten – unterschiedliche, zusammengewürfelte Sachen."
Experimente mit Warp-Algorithmen
Oftmals aber entstehen jene Feinheiten nicht aus einem verworrenen Chaos von neuem Klangmaterial, sondern aus dem, was schon da ist. Eine von FitzGeralds Lieblingstechniken ist das Experimentieren mit Warp-Algorithmen, mit denen er unvorhersehbare Effekte erzeugt.
„Da kommen plötzlich ganz magische Sachen zum Vorschein, wenn man es mit dem Warping übertreibt oder das im falschen Kontext einsetzt", erklärt FitzGerald, „zum Beispiel, wenn man den Beats-Algorithmus auf nicht-perkussive Sounds anwendet. Sagen wir mal, du lässt bei einer gezupften Gitarre die geloopten Transienten in beide Richtungen laufen, dann nimmt es das falsch mit und sorgt für so coole Stotter-Effekte. Ich habe mal die Melodie von einer Bassgitarre um 24 Halbtöne nach oben transponiert und mit dem Beats-Algorithmus herumgespielt, und dann kam da ein total elektronischer, stotternder und einzigartiger Sound heraus."
Im Zuge seiner Experimente machte sich FitzGerald auch mit den Besonderheiten des Complex-Pro-Algortihmus vertraut, mit dem er Klänge verstimmt. Zunächst dupliziert er dabei ein Sample und verschiebt es dann um eine Quinte, während Complex Pro aktiviert ist. Dabei entsteht ein subtil „abgewürgter" Klang, der eine faszinierende neue Dimension eröffnet und dem Mix die gewünschte Feinheit und Tiefe verleiht.
Im Laufe seiner Karriere hat FitzGerald ganz verschiedene Ansätze des Musikmachens verfolgt. Für sein Debütalbum Fading Love von 2015 verließ er sich ganz auf hardwaregestützte Klangerzeugung, seine bemerkenswerte Sammlung an Synths nimmt auch auf dem neuen Album Stellar Drifting kompositorisch eine Schlüsselrolle ein. Darauf ist das charakteristische Wobbeln seines Roland SH-101 gut zu hören, der in einem Track als Monosynth den Lead übernimmt, dabei aber keineswegs als einfache Hardware-Aufnahme daherkommt.
„Ich nehme den 101, weil ich den Sound von diesem Instrument haben will", erklärt er. „Wenn ich später den Klang bearbeite, gibt es natürlich fertige Effekte, die dem Ganzen eine andere Richtung geben. Aber normalerweise nehme ich zum Ausschmücken den Warp-Algorithmus und gehe beim Bearbeiten kleinschrittig vor. Ich versuche eher, dem Ohr zu schmeicheln, als dass ich unbedingt etwas Cleveres tun will."
Kreatives Comping
FitzGerald baut nicht nur auf subtile Variationen und geschichtete Synth-Sounds, sondern auch auf die Comping-Funktion, mit der er Ergebnisse erzielt, die man aus reinen Mitschnitten nicht herausholen könnte. Comping dient ursprünglich dazu, aus mehreren Versionen einer Aufnahme ein perfektes Take zusammenzustellen – dabei gibt die Funktion nicht vor, was man damit letztlich miteinander verschmilzt. FitzGerald nutzt sie, um seinen Synthparts mehr Komplexität und Tiefe zu verleihen.
„Für mich ist die Stärke von DAWs, dass man damit etwas erreichen kann, was zeitlich und physikalisch eigentlich unmöglich ist", erzählt er. „Comping ist dafür das beste Beispiel. Da können mehrere ähnliche Takes ineinander greifen und zu einem ganz magischen werden. Bei Synth-Lines versuche ich, möglichst unterschiedliche Takes in den Lanes zu haben. Bei den einzelnen Takes greife ich drastisch in die Patches ein, ändere zum Beispiel die Oszillatoren, setze extreme Modulation oder Resonanz ein oder öffne den Filter ganz weit. Wenn man diese Takes zusammenfügt, kommt dabei eine Synth-Line heraus, die man niemals nachspielen könnte."
Bildsprache für Wavetable
Neben seiner Arbeit mit Outboard-Synths zelebriert FitzGerald auf Stellar Drifting auch das kreative Potenzial des Wavetable. Auf seiner Suche nach innovativen Sounds stieß er auf das Tool Image2Wavetable, das Dillon Bastan und Carlo Cattano für Max for Live entwickelt haben: Mit dem Tool entstehen auf Grundlage von Bildern einzigartige Wellenformen. Aus den Aufnahmen von Weltraumteleskopen der NASA hat FitzGerald seine eigene Library von Wavetables mit ganz eigenen Charakteristika erstellt.
„Das ist viel Trial und Error – man schickt irgendwas hinein und oft summt das dann einfach nur ein bisschen und klingt völlig uninteressant", erzählt er. „Aber man lernt mit der Zeit, welche Art von Bildern gut funktioniert. Image2Wavetable verarbeitet im Grunde die Licht- und Schattenpunkte auf einem Foto. Wenn man ein Foto von Wasser hat, dann ähnelt eine Periode von dieser Wellenform ungefähr einer Sinuskurve. Wenn man sich einen Planeten in der Bildmitte vorstellt und drumherum ist es dunkel, dann kommt dabei eine Art Sägezahn-Ausbuchtung heraus, aber man kriegt auch Interferenzen und Obertöne in der Wellenform."
Solche bildbasierten Wellenformen zeichnen sich durch interessante Klangdetails aus, klingen aber oftmals dünn. Deshalb legt FitzGerald gern konventionellere Wellenformen darüber, um den Sound abzurunden.
Nachhall-Design
Obwohl melodieorientiertes Arbeiten für FitzGerald zentral ist, wird die Atmosphäre seiner Musik enorm von Sounddesign-Techniken mitbestimmt. Auf „Retina Flash", einem bemerkenswerten Track auf Stellar Drifting, erstrecken sich weitläufige Reverb-Teppiche und füllen den Raum hinter sich mit den Hauptelementen aus. In Bezug auf derart massive, frequenzreiche Sounds vertraut der Künstler auf seine Methoden, die verhindern, dass der Mix in den unterschiedlichen Decays untergeht, und die ihn trotzdem so groß wie möglich klingen lassen.
„Ich finde, Reverbs sind am schwierigsten zu kontrollieren", erzählt FitzGerald. „Es gibt da gar kein Rezept, das immer funktioniert. Ganz, ganz kleine Veränderungen in den Sounds können bewirken, dass der Hall einfach passiv und verwaschen klingt. Auf 'Retina Flash' musste ich viel herumprobieren, mit Saturation, Kompression und verschiedenen Stereobreiten arbeiten, damit alles im Mix richtig sitzt."
Um der Einschwingphase eines Sounds soviel Raum wie möglich zu geben, verwendet er unterschiedliche Pre-Delay-Verläufe. Auf den Nachhall einer Claps oder einer Snare legt er einen Sidechain-Kompressor und passt Attack- und Release-Zeiten an. Natürlich spielt für einen ausgewogenen Mix auch der EQ eine entscheidende Rolle: Die Gratwanderung besteht dabei darin, die Bässe und die Mitten so weit abzuschwächen, dass sie den Mix nicht verwaschen, die Höhen jedoch nicht übermäßig zu betonen, sodass sie dem Sound nicht die Wucht nehmen.
„Für solche Hallfahnen habe ich unter anderem den EQ Eight benutzt, ihn auf M-/S-Modus gestellt und Mitte und Seiten mit minimal unterschiedlichen EQ-Einstellungen bearbeitet. Dadurch entsteht eine enorme Stereobreite", erklärt FitzGerald.
Individueller Sound
Egal, ob er nun ein Streichquartett für den teils orchestrierten Track „Setting Sun" aufnimmt oder hingebungsvoll eine Sample-Library anlegt, um seine wichtigsten Instrumente immer direkt verfügbar zu haben: FitzGeralds Priorität liegt auf der Suche nach seinem ganz eigenen Sound. Schon vor dem Lockdown hatte er vorausschauend das Klavier in seinem Studio als Multi-Sample im Sampler abgespeichert, zusammen mit all den kleinen Fehlern, die das Instrument für ihn besonders machen. Diese Idee weitete er auf andere Synths in seinem Studio aus, und schließlich auch auf einen besonders gut gestimmten Yamaha CS-80 in einem anderen Studio, von dem er direkt die einfache Wellenform abgriff.
„Ganz ehrlich, ich finde, in den letzten paar Jahren waren in der Musiktechnologie nur Wavetable und Granularsynthese wirklich aufregend", erzählt er. „An der Oberfläche arbeite ich meistens mit echten analogen Quellen, aber mittlerweile passiert damit viel mehr im Rechner selbst".
„Mir ist klar, dass Wavetable und Live wirklich von Millionen von Menschen genutzt werden", erklärt FitzGerald. „Es geht mir darum, gewöhnliche Tools so zu verwenden, dass das niemand nachmachen kann. Zum Beispiel Fieldrecordings, da gehst du raus und machst deine eigenen Samples oder du machst dir die Mühe und erstellst Wavetables, die niemand sonst hat. Das ist wirklich schon alles."
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Text und Interview: Oli Warwick