Gabber Modus Operandi: Der Lärm der Tradition
Die Kluft zwischen traditioneller und elektronischer Musik schließt sich, und wenige wissen das so gut wie Gabber Modus Operandi. Zum Zeitpunkt des Interviews mit dem indonesischen Duo proben sie gerade für einen Auftritt mit dem ebenfalls aus Indonesien stammenden Musiker Wahono und der ugandischen Gruppe Nakibembe Xylophone Troupe in Paris. Sie stecken mitten in einer Welttournee nach der durch die Pandemie verursachten Zwangspause. Kasimyn übernimmt den größten Teil des Redens, aber auch Ican Harem meldet sich gelegentlich zu Wort, um dann zwischenzeitlich wieder aus dem Telefonat zu verschwinden.
„Gabber Modus Operandi ist ein Spiegelbild unserer Realität“, erklärt Kas. „Wir gehen in Clubs und hören Musik wie die Leute in Europa… erst gestern Abend waren wir tanzen, und heute gehen wir zu einer Hochzeit, wo traditionelle Musik gespielt wird. Das ist unsere Realität. Wir leben in diesen beiden Musikkulturen und können uns nicht für die eine oder die andere entscheiden.“
Das westliche Publikum missversteht das „Gabber“ in ihrem Namen oft als Anspielung auf den niederländischen Hard-Dance-Stil, der in den 90er-Jahren bekannt wurde. Was die Intensität des Sounds angeht, gibt es dazu sogar eine gewisse Ähnlichkeit und die Annahme ist daher nicht ganz unberechtigt, aber ihre Musik ist ganz bestimmt keine Nachahmung von Gabber.
„Gabber Modus Operandi bedeutet im Indonesischen (Bahasa), dass man ein Motorrad aufheulen lässt“, erklärt Ican, „übersetzt würde es also in etwa der Modus Operandi des Aufheulens, der Lärm, heißen. Gabber-Musik gab es in Indonesien überhaupt nicht. Wir wollen imaginären Gabber machen, imaginäre Hardcore-Musik. Die Subkultur soll aus unserem Land kommen. Wenn wir versuchen würden, eine Verbindung zu Gabber aus Europa herzustellen, würde das nur die Gabber-Ära in den 90er-Jahren romantisieren, was wir nicht tun wollen.“ „Viele Leute aus Europa sagen zu uns: ,Was ihr macht, ist kein Gabber.‘ Und wir dann: ,Äh, ja!‘“, lacht Kas.
Kulturelle Missverständnisse mal beiseite, GMO haben durch die Intensität und Einzigartigkeit ihres Sounds einen nachhaltigen Eindruck in der globalen Tanzmusikszene hinterlassen. Zu diesem ganz eigenen Sound haben sie gefunden, indem sie es bewusst vermieden, den westlichen Clubsound zu imitieren, der die Szene in Jakarta und anderen Großstädten Indonesiens dominiert. Stattdessen wendeten sich Kas und Ican ihren eigenen Wurzeln und ihrer Identität zu, um Musik zu machen, die eine Verbindung zu den Menschen in Indonesien herstellt.
„Ich bin mit vielen verschiedenen britischen Musikgenres wie beispielsweise Dubstep und Jungle aufgewachsen“, erklärt Kas. „Wenn Mala Dubstep spielt oder DJ EZ Garage, dann merkt man, dass sie das Gefühl haben, dass ihnen der Sound gehört. Und selbst bei den Leuten, die die Musik hören, spürt man, dass sie ihnen gehört. Ich höre seit 15 Jahren Jungle, aber um ihn zu machen, würde ich nur synthetisieren, was sie schon machen. Also habe ich alle meine Tracks umgeschrieben und angefangen, mit einem Gamelan-Meister zusammenzuarbeiten. Wir sagten, ,wenn wir synthetisieren, synthetisieren wir uns und nicht jemand anderen.‘“
„Es geht uns dabei aber nicht darum, die Vergangenheit zu romantisieren“, sagt Ican. „Wir romantisieren in gewisser Weise unser eigenes Zeug.“ „Aber wir wissen auch nicht, was zum Teufel unser Zeug ist“, lacht Kas. „Die Grenze ist irgendwie unscharf.“
Hochskalieren
Der Sound von Gabber Modus Operandi wird durch die kulturelle Situation des Duos bestimmt. Man kann darin zwar Ansätze ähnlich denen in Hardcore, Trance und Techno hören – knüppelnde Kicks, überdrehte Sawtooth-Leads –, aber sie existieren auf einer traditionellen Grundlage, die diese Elemente antreibt und die den Unterschied ausmacht zwischen Kas' und Icans Musik im Vergleich zu ihren westlichen Pendants. Kas interessiert sich sehr für die traditionelle Gamelan-Musik und hat die Prinzipien davon in den GMO-Produktionsprozess übertragen, angefangen bei den melodischen Skalen.
„Im Gamelan verwenden wir nur fünf oder sechs Noten – wir spielen einfach mit vielen Leuten zusammen und multiplizieren sie dadurch“, erklärt er. „Bei uns gibt es nicht die Idee von Akkorden, oder von Snares. Ableton Live hat eine Funktion, die oft übersehen wird, nämlich MIDI-Clip-Skalen. Es gibt diese MIDI-Skala Pelog, die indonesisch ist, die aber niemand bisher benutzt hat, soweit ich weiß. Ich dachte mir: ,OK, ich schreibe einfach alles in dieser Skala.‘“
Im Gespräch mit einem engen Freund, einem lokalen Gamelan-Meister, verstand Kas, dass selbst innerhalb der Beschränkung auf eine aus nur fünf Noten bestehende Tonleiter nicht alle Noten zu jeder Zeit gespielt werden. GMO übertragen diesen Stimmungs- und Aufführungsansatz auf ihre Synthesizer, wodurch glühende Leadlines entstehen, die außerhalb der westlichen Stimmung liegen und die die gleichen hypnotischen Muster wie in der traditionellen indonesischen Musik aufweisen.
Kas hat in der Gamelan-Kultur neben der Tradition auch die Experimentierfreudigkeit der Gamelan-Gemeinschaft entdeckt: von Musikern, die ihre Metallophone verformen, um andere Obertöne zu erzeugen, bis hin zum hemmungslosen klanglichen Nervenkitzel, der entsteht, wenn man Instrumente durch Distortion-Pedale laufen lässt. GMO übernehmen diesen experimentiellen Ansatz in die eigene digitale Produktion, bei der Sounds, die durch extremes Time-Stretching auf CDJs und in Live entstanden sind, zu einem bewussten Teil der musikalischen Identität des Projekts wurden.
„Wenn man anfängt, [Live] oder CDJs mit traditioneller Musik und Noise zu füttern, anstatt nur mit zeitgenössischer Musik, kommt wirklich weirdes Zeug bei raus“, erklärt Kas. „Es ist ähnlich zu der Art, wie Vaporwave Sounds aus Werbespots der 70er- und 80er-Jahre benutzt hat. Bei vielen meiner Techniken benutze ich Time-Stretching. Ich schneide Samples und beginne damit, so nah wie möglich am Originalsound zu spielen. Dann nehme ich das Sample raus und spiele vielleicht drei Noten immer wieder und lasse das Originalsample durch eine wirklich starke Verzerrung laufen, bis es nicht mehr erkennbar ist, aber immer noch den Ton hat.“
Technische Implikationen
Neue Technologien haben einen erheblichen Einfluss auf moderne Herangehensweisen an traditionelle Musik. Vor allem sind die Möglichkeiten zur Implementierung von verschiedenen Stimmungen von zentraler Bedeutung, um die elektronische Musikproduktion aus ihrer Zentriertheit auf die im Westen vorherrschenden Regeln pentatonischer Skalen herauszuholen. Im Rahmen eines von der Transmediale in Auftrag gegebenen Forschungsprojekts hat Kas eine falsche Geschichte der elektronischen Musik von den 80er-Jahren bis heute erdacht, indem er eine Reihe von südostasiatischen Produzent:innen mit den Stimmungs- und Rhythmusprinzipien der traditionellen Musik der Region in Kontakt brachte.
„Die Asiat:innen unter uns fanden in dieser Anordnung von Frequenzen etwas Vertrautes“, erklärt er. „Es ist nicht so, als würden wir diese Stimmungen bereits kennen. Die meisten von uns waren zu lange von der Tradition abgekoppelt. Aber in [Live] können wir jetzt ganz einfach mit den Stimmungen arbeiten. Früher musste man die Frequenzen eine nach der anderen einstellen, jetzt gibt es dafür das Microtuner-Gerät. Davor habe ich MTS-ESP als Tuning-Tool benutzt und habe damit 164 verschiedene Stimmungen aus Indonesien implementiert und mit anderen geteilt. Jetzt benutzen eine Menge Kids aus Südostasien sie auf ihren Instrumenten, und das Gespräch ist immer dasselbe – ,Wow, diese Melodie kommt mir bekannt vor‘. Ich finde das wunderschön.“
MTS-ESP, entwickelt von ODDSound, erzeugt eine Master-Tuning-Tabelle, die mit mehreren Hardware- und Software-Instrumenten synchronisiert werden kann. Dadurch kann das Tuning und Re-Tuning in Echtzeit vorgenommen werden. Microtuner bietet jetzt eine ähnliche Flexibilität innerhalb von Live, indem es den Import von Skalendateien erlaubt und die Möglichkeit bietet, verschiedene Stimmungen ineinander zu morphen. Für Kas und Ican ist das Ergebnis bei beiden Methoden ein Ähnliches, aber alles ist besser als die Eingabe einzelner Frequenzen für jedes Gerät, das man in einer bestimmten nicht-westlichen Stimmung spielen möchte, und das, nachdem man die Frequenzen der Originalinstrumente überhaupt erst einmal herausgefunden hat. Kas weist noch auf einen wichtigen Punkt hin: Gamelan selbst ist eine Technologie: von der Person, die die metallophonen Platten herstellt, bis hin zu den Stimmintervallen und der systemischen Struktur, wie es gespielt wird. Doch in einem Punkt unterscheidet sich Gamelan von der Technologie des Westens.
„Was ich an dem Unterschied zwischen östlicher und westlicher Technologie liebe, ist, dass der Osten sich einen Dreck um die schematische Darstellung kümmert“, scherzt Kas. „Tradition ist auch eine Technologie, zu der jetzt irgendwie auch Software wie Ableton Live oder MPE [MIDI Polyphonic Expression] dazugehört. Ich habe jetzt drei MPE-MIDI-Controller – das ist der Wahnsinn, Mann. Man kann mit den Stimmungen machen, was man will, aber das Beste ist, die Gleittöne zu spielen, um wirklich traditionelle, 200 Jahre alte Flöten von überall auf der Welt nachzubilden. Es ist verrückt. Ich habe das meinem Gamelan-Meister erklärt und er war begeistert, als er sah, wie man das Expression-MIDI-Zeug bewegen kann. Wie man die Szene transponieren kann, oder wie man Skalen zusammenführen oder ineinander morphen kann.“
Lokale Musik
Das wesentliche Merkmal von Gabber Modus Operandi ist, dass ihr kreativer Fokus auf einer Musik liegt, die eine Verbindung zu ihrer Kultur herstellt – eine Musik, die den Gamelan-Meister ebenso anspricht wie den jungen indonesischen Musikschaffenden, der zum ersten Mal mit elektronischer Musik in Berührung kommt. Ihr Zugang zu Hardcore-Clubmusik ist bewusst mit Blick auf die Traditionen ihres Heimatlands entstanden.
„Ich war noch nie in Großbritannien“, sagt Kas, „aber ich bin mit britischer Musik aufgewachsen und ich habe einen Freund gefragt, wie es ist, Burial in London im Regen zu hören, und er sagte, ,es macht einfach Sinn‘. Für uns als Produzenten ist es wichtig, dass es Sinn macht, wenn man Gabber Modus Operandi auf Bali hört.“
In Jakarta und auf Bali gibt es eine florierende, auf Touristen ausgerichtete Clubszene, und Kas und Ican sind in der weltweiten Club- und Festivalszene gut vernetzt – ihre beiden bis dato veröffentlichten Alben erschienen auf dem bekannten Shanghaier Label SVBKVLT und auf Aïsha Devis Danse Noire / Yes No Wave. Doch jenseits dieser etablierten internationalen Strukturen sind es die Partys in Dörfern fernab der Zentren, die Gabber Modus Operandi ausmachen.
„Wenn man in der Touristengegend, in der ich lebe, Bali-Gamelan hört, ist die Musik sehr schön und sauber“, sagt Kas, „aber wenn man in ein Dorf geht und sieht, wie sie bei einem Totenritual Gamelan spielen, ist sie richtig hart und die harmonischen Obertöne bekommen diese wirklich seltsame Verzerrung.“
Wer GMO in den sozialen Medien folgt, erhält einen Einblick in die Welt, über die sie sprechen. Auf ihrer Instagram-Seite findet man eine ausgewogene Mischung aus indonesischen Memes und Musik, die einen authentischen Einblick in ihre Heimat gibt. Auf der Bühne bewegen sich die beiden auf eine Art und Weise, wie man sie auch in einem ihrer Posts sehen könnte. Es sind Bewegungen, die so alltäglich sind, dass Kas davon spricht, dass sein Vater sie macht, und die für das balinesische Publikum etwas ganz anderes bedeuten als für das Publikum anderswo. Die Szene auf Bali verändert sich. Die experimentelle indonesische Musik gewinnt an Anerkennung – eine Entwicklung, die Kas voll und ganz der donnernden indonesischen Band Senyawa zuschreibt, aber auch bei Uwalmassa zu sehen ist, einer Gruppe, die Live-Gamelan-Spiel mit experimenteller Elektronik verbindet. Viele ihrer lokalen Gigs sind zwar eher kleine Veranstaltungen, GMO spüren aber dennoch, wie ihre spezifisch für diese Orte gemachte Musik auf das Publikum vor Ort wirkt.
„Es funktioniert irgendwie“, sagt Kas. „Wenn ich unser Stück ,Sankakala II‘ spiele, das die traditionelle Trompete nachbildet, fangen die Kinder an, den Jathilan zu machen, so eine Art Pferdetanz. Und als wir einmal in Jakarta spielten, scherzten wir, dass es cool wäre, wenn jemand im Club besessen werden würde. Die Leute dort hatten noch nie so etwas wie uns gehört, sie standen mehr auf Berliner Techno, aber unsere Freunde schickten uns Videos von drei Leuten, die besessen und zu Tigern wurden.“
Kas und Ican sehen sich selbst in einer privilegierten Position und arbeiten daran, Absatzmöglichkeiten für die steigende Flut von Demos zu schaffen, die sie von Musikschaffenden aus ganz Indonesien und darüber hinaus erhalten. Neben der Organisation von Ableton Live-Workshops entwickelt Kas ein Label, und Ican organisiert das Ravepasar-Festival, um lokaler balinesischer und indonesischer experimenteller Musik und Kunst ein Bühne zu geben. Kas selbst zieht Parallelen zu Nyege Nyege in Uganda und zu anderen Szenen auf der ganzen Welt, die ihren eigenen Sound in der altehrwürdigen Tradition der Musik als Übung in Gemeinschaft definieren.
Kas ist es wichtig zu betonen, dass GMO keine ,Weltmusik-Neuheit‘ ist, die dazu da ist, um vom westlichen Publikum und den westlichen Medien fetischisiert zu werden. Ihr Sound zapft die raueste Dimension der indonesischen Musik an und verschmilzt sie mit den vielen Jahren, die sie mit elektronischer Musik aller Art im Internet verbracht haben. Keinesfalls dämpfen sie ihre Musik, um sie einem breiteren Publikum angenehm zu machen. Tatsächlich war der Modus Operandi ihres Projekts von Beginn an genau das Gegenteil.
„Am Anfang haben Ican und ich gesagt: ,Wir machen die Musik einfach fucking laut‘“, sagt Kas. „Da wir aus Südostasien kommen, haben die Leute direkt ein Bild im Kopf: Sie sehen einen süßen Ort für Yoga mit nettem Gamelan. Wir wussten also von Anfang an, dass wir einfach so laut wie möglich sein müssen. Es ist bescheuert, aber es funktioniert irgendwie.“
Text und Interview von Oli Warwick
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