F.X.Randomiz: Stockhausen, Push und der kybernetische Code
Die Aura, die Karlheinz Stockhausen umgibt, speist sich in etwa zu gleichen Teilen aus Bewunderung und Unverständnis. Doch so kontrovers er bisweilen auch wahrgenommen wird, seine bahnbrechenden elektronischen Kompositionen, gigantischen Opern-Zyklen wie auch die orchestralen, choralen und instrumentalen Werke und nicht zuletzt sein theoretisches Verständnis zu elektronischer Musik, die Verräumlichung des Klangs und die aleatorischen Kompositionen führten direkt oder indirekt zur nachhaltigen Beeinflussung sowohl der Avant-Garde als auch der Popmusik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Stockhausens umfassendes und vielschichtiges Oeuvre enthält Werke, die relativ häufig aufgeführt werden. Andere jedoch erfordern das Vorhandensein eines Hubschraubers oder sind technisch so anspruchsvoll, dass sie praktisch nicht auffgeführt werden können. Ein solches Stück ist auch “Expo für 3”, das in den zurück liegenden 43 Jahren seiner Existenz lediglich ein mal zur Aufführung kam. Der Herausforderung, diese dichte, grafisch notierte Partitur in ergreifende Musik zu übersetzen, haben sich der langjährige 'Mouse On Mars'-Begleiter F.X.Randomiz, die Vokalistin Natascha Nikeprelevic und Stockhausens ehemaliger Mitstreiter und Vokalist Michael Vetter gestellt. Ganze zwei Jahre probte und verfeinerte das Trio die Umsetzung, bevor das Stück Premiere feierte und für das offizielle Stockhausen-Verlag-Label aufgenommen wurde.
Wir sprachen mit F.X.Randomiz über die Realisierung von “Expo für 3” unter Einsatz von Push und Live. Und darüber, wie die drei Musiker es schafften, das Wechselspiel zwischen elektronischen und organischen Elementen zu kalibrieren und extreme Improvisationsformen so auszubalancieren, dass sie Stockhausens Score treu bleiben.
Was genau macht Stockhausens Komposition “Expo für 3” so schwer zu spielen?
Tatsächlich wurde dieses Stück seit seiner Entstehung 1970 noch nie komplett aufgeführt. Es galt als unspielbar, was daran liegt, dass es auf ganz besondere Weise notiert ist. Diese Art der Notation kann man Kybernetische Partitur nennen: Es werden also immer nur Richtungen angegeben und keine konkreten Tonhöhen, Tondauern, Melodien, keine Rhythmen und so weiter. Dieses Stück ist für Musiker konzipiert, die tatsächlich in der Lage sind, auf den jeweiligen Moment zu reagieren, der immer wieder – auch durch die live einzuspielenden Radio-Ereignisse – in neue musikalische Richtungen gelenkt, ja gezwungen wird. Wohl aufgrund dieser ganz speziellen Kombination aus Improvisation einerseits und dem strikten Befolgen einer Partitur andererseits haben sich 40 Jahre lang keine Musiker gefunden, die sich diesen Drahtseilakt zumuten wollten.
Wie kam es überhaupt zur Idee, sich an “Expo für 3” zu versuchen?
Ich kam zu Stockhausen wie die Jungfrau zum Kind. Dass ich 2013 die Uraufführung und gleich im Anschluss die CD-Produktion dieses hieroglyphenhaft notierten Stückes machte, lag daran, dass in unserem Trio Michael Vetter mit von der Partie war. Er war nämlich seit den 60er Jahren mit Stockhausen als Musiker und Interpret unterwegs und galt als absoluter Kenner der sogenannten Kybernetischen Partituren. Im Grunde wussten nur Stockhausen und Michael Vetter (später auch Natascha Nikeprelevic), wie man diese Stücke lesen kann. Abgesehen davon, dass Michael Vetter das Solo-Stück “Spiral” 1970 bei der Expo in Osaka zur Uraufführung brachte und 1996 unter Stockhausens Regie die CD einspielte, realisierten er und Natascha Nikeprelevic 2008 die Uraufführung des Duo Stücks “Pole” und spielten 2012 für den Stockhausen Verlag die CD ein. Es lag also nahe, die Trilogie zu vervollständigen und auch das Trio Stück “Expo” in seiner Integralversion zur Uraufführung zu bringen. In diesem Fall wollten die beiden Vokalisten die Klangpalette um Elektronik erweitern.
Hast Du ein spezielles musikalisches Training durchlaufen, um Dich auf dieses Stück vorzubereiten.
Ich würde mal vermuten, dass mein seit den 1980er Jahren autodidaktisch erworbenes Wissen um Musikelektronik und Soundprocessing mehr zu dem Projekt beigetragen hat, als meine klassische Klavierausbildung. Sicher hat es nicht geschadet, dass ich schon mal eine Partitur in der Hand hatte, regelmäßig als Hörer und gelegentlich auch als Interpret im Bereich der ernsten Musik unterwegs bin. Für die Umsetzung von “Expo” wollte ich jedoch gezielt mit einem Instrumentarium arbeiten, das mir neue Spielweisen abverlangt, um zu vermeiden, in lange eingeübte und verinnerlichte Spielmuster zu verfallen.
Kannst Du uns einige der Symbole des kybernetischen Scores für “Expo für 3” näher bringen?
Sie besteht in erster Linie aus Plus- und Minuszeichen, maximal vier pro Zeitereignis. Diese sind den Parametern Intensität (Lautstärke), Register (Tonhöhe), Länge und Glieder (Anzahl der Unterteilungen) zugeordnet. An nur wenigen Stellen ist jedoch genau vorgegeben, welcher der vier Parameter denn nun gemeint ist. Das heisst, wenn nur ein einziges Plus- oder Minuszeichen notiert ist, kann ich mir aussuchen, welchen der vier Parameter ich entsprechend verändere. Nebenbei muss man aber schon die folgenden Ereignisse im Kopf haben, auch die der Mitspieler, da man sich ansonsten schnell in Grenzbereiche verrennen kann, die sich als Sackgassen erweisen.
Außer den Plus- und Minuszeichen gibt es eine Anzahl von Sonderzeichen, wie zum Beispiel Spreizungen oder Stauchungen: Hier wird entweder von einem Zentrum ausgehend in beide Richtungen erweitert (Spreizung), oder es werden zwei Extreme auf ihren Mittelwert zugeführt (Stauchung). Am anschaulichsten lässt sich das anhand der Tonhöhe darstellen: Hohe Töne werden bei einer Stauchung tiefer und gleichzeitig tiefe Töne höher. Nun muss das selbe Prinzip aber gleichzeitig auch auf die anderen Parameter angewendet werden. Während sich die Tonhöhen also Richtung Mittelwert bewegen, müssen gleichzeitig laute Töne leiser werden, leise Töne lauter, lange Töne oder Kadenzen kürzer, viele Glieder weniger und so weiter. Das verlangt ein Höchstmaß an Konzentration, vor allem aber Übung, um das Spiel zu verinnerlichen – denn zum Denken bleibt keine Zeit, wenn man unmittelbar und improvisierend auf Mitspieler und Radiosignale reagieren muss.
Es gibt jedoch auch Zeichen, die eher abstraktere Spielanweisungen symbolisieren, wie zum Beispiel “Spiele die Figur immer und immer wieder, bis zur Erschöpfung”. Die Art und Weise, wie man auf seine Mitspieler zu reagieren hat, wird auch in zahlreichen Anweisungen definiert.
Wie bist Du das Stück aus technischer Sicht angegangen und wie bist du letztlich bei der Entscheidung für Live und Push gelandet?
Die Spielanweisungen in der Partitur haben rein prozesshaften Charakter, das heißt sie geben die Richtung vor, nicht aber bestimmte Werte. Insofern schien es zunächst naheliegend, dem Rechner einiges an Arbeit anzuvertrauen. Konkret hätte das bedeutet, beispielsweise in Max/MSP ein Setup zu programmieren, das die Anweisungen der Partitur jeweils auf Knopfdruck strukturell umsetzen kann. Es wurde jedoch schnell klar, dass solch ein System im improvisatorischen Zusammenspiel mit den beiden Vokalisten viel zu starr und unflexibel sein würde. Anfänglich probierte ich auch, ausschließlich mit stark verfremdeten Samples der menschlichen Stimme zu arbeiten, weil ich glaubte, auf diese Weise ein Brücke zwischen den Vokalisten und der Elektronik zu schaffen. Aber das erwies sich bald als Irrweg, da es viel zu dogmatisch gedacht war.
Im Verlauf der Proben zeigte sich, dass ich vielmehr für jedes einzelne Ereignis einen auf den Grundcharakter dieses Ereignisses zugeschnittenen Sound kreieren und ihn in seiner Parametrisierung akribisch den Anforderungen des Ereignisses anpassen müsste. Da ich neben konventionell spielbaren Sounds auch Loops und Sequenzen einsetzen wollte, war klar, dass ich das am besten mit Live umsetzen kann. Multipel belegbare Macro Regler und die Instrument Racks sind ideal, um komplexe Klangveränderungen einfach in den Griff zu bekommen.
Das Ganze musste jedoch auch gespielt werden können, und ich entschied mich sehr früh gegen die Verwendung einer Klaviatur: Die Gefahr, unbewusst in lange erlernte Spielmuster zu verfallen, war mir zu groß. Also stellte ich für die ersten Proben ein Setup aus Launchpad, APC-40 und QuNeo zusammen. Als ich dann von Push hörte, wollte ich sofort dieses neue Tool ausprobieren, denn rein theoretisch schien es alle Anforderungen zu erfüllen, die ich an ein Instrument für die Umsetzung von “Expo” stellte. Und tatsächlich, als ich Push dann unter den Fingern hatte, kam sofort das Gefühl auf, wirklich ein Instrument zu spielen. Ausserdem konnte ich alle Aufgaben, die ich vorher auf drei Controller verteilt hatte, in Push vereinen. Das Beste war, dass sich mein Setup so stark vereinfachte, dass ich auf Knopfdruck den Status meines Instruments komplett umgestalten konnte. Nicht nur, was den Sound selbst angeht, sondern auch die Art, wie er gespielt werden würde. Zum Beispiel durch die Belegung der Matrix mit verschiedenen Skalen.
Mein Live-Set gestaltet sich so, dass jedem Ereignis oder einer Gruppe von Ereignissen innerhalb der Partitur ein eigener Track in der Session View zugeordnet ist. Mit eigenem Klangerzeuger, Effekten und, wenn nötig, MIDI-Manipulationen. So muss ich am Push nur mit den Pfeiltasten zum jeweils nächsten Track wechseln und alles ist spielbereit. Das visuelle Feedback im Display ist dabei sehr hilfreich, da ich aufgrund der Benennungen immer genau sehen kann, wo in der Partitur ich mich gerade befinde. Auf den Bildschirm kann ich also komplett verzichten und den Computer eigentlich zur Seite oder gar hinter die Bühne stellen.
Wolltest Du die Stimmen von Anfang an pur und unbearbeitet haben? Wenn man an den "Gesang der Jünglinge" denkt, hat man ja den Eindruck, dass sich Stockhausen nicht davor scheute, Stimmen elektronisch zu manipulieren – als einer der ersten Komponisten überhaupt.
In der Tat verbietet die Partitur Verfremdungen der Stimmen nicht, und es wäre durchaus ein naheliegender Gedanke, so zu arbeiten. Wer allerdings schon mal das kongeniale Zusammenspiel von Michael Vetter und Natascha Nikeprelevic erleben durfte und dabei feststellen konnte, welch ein unglaubliches Spektrum an Klängen sie mit ihren Stimmen erzeugen, der wird sofort verstehen, dass elektronische Verfremdung an dieser Stelle geradezu ein Sakrileg wäre.
Als Stockhausen in den 1950ern "Gesang der Jünglinge" produzierte, war es absolut revolutionär, elektronische Klänge und Stimme in dieser Weise zusammenzubringen. Heute ist die Verfremdung der Stimme fast schon ein Muss; quer über alle Stile hinweg. Die Stimme wird dadurch in das digitale Umfeld eingepasst. Ansonsten würden zwei allzu ferne Welten aufeinanderprallen. Unsere Hörgewohnheiten haben sich dahingehend entwickelt, dass wir diese Präzession fast schon erwarten.
Insofern ist es umso reizvoller, den umgekehrten Weg zu gehen und die elektronisch erzeugten Klänge und Sequenzen der Lebendigkeit der Stimme anzupassen. Im Fall von “Expo für 3” war es uns wichtig, dass wir als gleichberechtigte Spieler miteinander musizieren. Zumal die Partitur bereits genug an Interaktion auf anderen Ebenen erfordert.
Mit Natascha habe ich dieses Prinzip auch für unser zwischen Experiment und Pop angesiedeltes Projekt Fu Acune übernommen: Bei unseren Konzerten habe ich keinerlei Kontrolle über ihre Stimme, noch nicht einmal über die Lautstärke. Empfinde ich sie als zu leise, muss ich mich eben auch leiser machen. Dadurch entsteht noch mal eine ganz andere Art von Dynamik. Die Studio-Produktion wiederum gestaltet sich in Hinblick aufs Editieren unheimlich aufwändig, da ich meinen Klängen die Leichtigkeit verleihen möchte, nach der die Stimme verlangt.
Hören und sehen Sie mehr von Fu Acune, F.X.Randomiz und Natascha Nikeprelevic und besuchen Sie die Künstler auf Facebook. Außerdem haben wir weitere Hörbeispiele aus “Expo für 3” und viele andere aufgenommene Werke von Karlheinz Stockhausen.