Wegweisend für Fumitake Tamura aka BUN, dessen charakteristische Musik von Samples durchtränkt ist und sich an Hiphop anlehnt, war sein Studium der westlichen Musik und zeitgenössischen Komposition. „Anfangs habe ich klassische Musik studiert“, erzählt er uns mithilfe eines Dolmetschers an einem sonnigen Nachmittag in Tokio. „Als ich ein Album von der Hiphopband A Tribe Called Quest hörte, fand ich die Musik hochinteressant und fragte mich, wie diese Strukturen zusammengesetzt sind. Ich habe versucht, es wie westliche Musik zu analysieren, aber das funktionierte letztlich nicht, weil Hiphop nicht so recht ins westliche Notationssystem mit Vierteln, Sechzehnteln oder Vierundsechzigsteln passt.“
Seiner Faszination für Hiphop folgend, begann Tamura, selber Beats zu basteln und probierte mehrere Ansätze aus, um die Samplingkunst mit den Analyseverfahren zu versöhnen, die er bei der Beschäftigung mit Arnold Schönberg und John Cage gelernt hatte. „Als ich jung war, habe ich mit westlicher Musik experimentiert, zum Beispiel mit dem Übertragen von Zwölftontechnik auf Sampling, aber das fand ich überhaupt nicht interessant. Da hat man einfach eine Struktur auf eine andere übertragen. Als das für mich erledigt war, wurde mir klar, dass es am Ende viel mehr Spaß macht, intuitiv zu arbeiten.“
Die intuitive Methode schlug sich für Tamura in mehreren Soloalben, Kooperationen und EPs nieder, die unter anderem beim Label Leaving Records aus L.A. und bei Ryuichi Sakamotos Label Commmons veröffentlicht wurden. Über die Jahre entwickelten sich seine Produktionen stets parallel zu seiner Samplingtheorie weiter und wandelten sich. „Beim Samplen geht es darum, den Raum von jemand anders in den eigenen mit hinein zu nehmen“, erklärt er. „Das ist, als ob man das Fundament für einen Minigarten legt. Und dieser Garten ist eingebettet in eine andere Struktur und so weiter. Bei der Frage, wie ich Hiphop mache und Musik sample, bin ich mir dieser Verschachtelung bewusst und bemühe mich, die Komplexität herauszuarbeiten. Letztlich geht es beim Samplen im weitesten Sinne um Stochastik, weil es Musik ist, die unterschiedliches Klangmaterial gegeneinander setzt. Im Gegensatz zu klassischer westlicher Musik, wo der Fokus stärker darauf liegt, Klangmaterial miteinander zu vermengen. Musik zu samplen ist gewissermaßen zwangloser, was der westlichen Musik meist abgeht, finde ich.
Apropos westliche Welt, vor kurzem warst du in den USA mit dem Rapper und Produzenten Busdriver auf Tour. Seit einigen Jahren arbeitet ihr zusammen. Ein Ergebnis eures gemeinsamen Projekts ist Free Black Press Radio, was man als Podcast oder Radioprogramm beschreiben könnte. Wie beschreibst du es?
Wir machen da einen Film und ich glaube, Busdriver hält den Podcast dabei für eine Werbemaßnahme oder er demonstriert damit seine Einstellung.
Wie funktioniert diese Zusammenarbeit mit Busdriver überhaupt? Schickt ihr einfach Tracks hin und her?
Ich erzähle am besten erstmal, wie wir uns getroffen haben. Als Busdriver damals auf Russlandtour war, spielte ein russischer DJ einen Track von mir. Busdriver fühlte sich dazu veranlasst, mich über Twitter zu anzuschreiben. Bevor ich ihn vor kurzem persönlich kennenlernte, standen wir fast ausschließlich per E-Mail in Kontakt. Schickte ich ihm einen Song, kam er wieder zurück und er hatte etwas ergänzt oder für sein Album verwendet, ohne dass ich es bemerkte. So sind wir. Er sagt mir nicht Bescheid, was er mit meiner Musik macht. Als ich zu Besuch in den USA war, habe ich festgestellt, dass er viele Songs von mir verwendet hatte. Ich hatte ihm einige Songs geschickt, aber nur auf wenige eine Reaktion bekommen. Als ich drüben war, entdeckte ich, dass er sich mit den Songs eingedeckt und viel drüber gerappt hatte.
In Busdrivers Denken ist die Musik vom Album strikt von Free Black Press Radio getrennt. Es scheint, als ob die beatlastigen Sachen an Busdriver gehen und was weniger Beats hat, geht an Free Black Press Radio.
Du arbeitest außerdem weiterhin mit dem amerikanischen Producer Dakim zusammen, ihr habt zwei Releases auf Leaving Records. Wie kamst du mit Dakim in Kontakt?
Jetzt hole ich mal etwas weiter aus. In den Nuller Jahren mochte ich Carlos Ninos Formation Ammoncontact und ich schickte ein Demo an Plug Research, also an das Label, das deren erste Platte herausgebracht hatte. Zu der Zeit teilte sich das Label ein Büro mit Dublab und das Demo wurde an Matthewdavid weitergereicht, der bei Dublab arbeitete. Kurze Zeit später meldete er sich bei mir, er gründete Leaving Records und der erste Release war von Dakim.
Er produzierte einen Sound, den ich zu der Zeit noch nie gehört hatte. Ich weiß nicht mehr, ob ich Matthew um seine E-Mailadresse gebeten hatte oder ob ich sie auf seiner Website fand, jedenfalls meldete ich mich bei ihm und fragte ihn, ob er nicht mein Album remixen wollte.
Wie lief das eigentlich mit eurer Zusammenarbeit? Habt ihr euch getroffen oder Dateien hin- und hergeschickt?
Vor allem tauschen wir Dateien aus. Ich habe für Mudai ein paar Tracks produziert, sie ihm zugeschickt und er hat sie übernommen. Andersherum nehme ich seine Tracks als Zutaten und mache daraus etwas Neues. Manche Stücke auf dem Album sind nur von mir. Er hat sie ausgesucht und so gelassen, wie sie sind. Zum Thema ihn treffen, die Veröffentlichung von unserem ersten Mudai-Album fiel mit einem Konzert zusammen, wo wir beide spielten und er mir seine MPC-Spieltechniken zeigte. Ich glaube, seinen Charakter und sein Wesen von der Performance abzulesen, brachte mich auf die Idee, wie ich Mudai Version aufbauen wollte.
Ich finde, dieser negative Raum lenkt die Aufmerksamkeit stärker auf die Musik als ein fortlaufender Klang, deshalb verwende ich Sidechaining.
Hat sich eure Herangehensweise von Mudai zu Mudai Version geändert?
Mudai war ein Sammelsurium gemeinsamer Stücke, die wir bis 2014 geschrieben hatten. Auf Mudai Version haben wir alle anderen Produktionen bis 2016 zusammengesetzt. Bei Mudai haben wir uns jeden Track als Zutat vorgestellt. Dakim legte den einen über den anderen, stückelte sie zusammen und baute zusätzliche Drums ein. Dabei kam ein Album heraus, bei dem eine Seite als Ganzes einen Track bildet. Es wurde mit enormer Kompressionsrate für Kassette gemastert. Für mich steckt in dem Album sehr viel von Dakims roher Empfindsamkeit.
Mudai Version dagegen enthält alle Tracks einzeln. Es steht bei unseren Studioproduktionen eher auf der Hifi-Seite. Es entstand innerhalb von zwei Jahren nach seinem Vorgänger und ich habe die Tracks mit verschiedenen Techniken aufgewertet. Von mir ist auf dem Album also mehr zu spüren. Das Mastering übernahm Matthewdavid auf seine typische Art.
Wenn du mit Dakim arbeitest, verwendest du wie in vielen deiner Eigenproduktionen auf sehr interessante Weise Sidechain-Kompression. Das rhythmische Pumpen vom Kompressor ist wie ein eigenständiges Instrument. Hast du einen Tipp auf Lager, wie man auf die Art mit Kompression kreativ werden kann?
Oft verwende ich nicht nur Sidechain-Kompression, sondern Sidechain-Gating. Bei beiden geht es darum, etwas mit dem negativen Raum beziehungsweise mit den Lücken im Klangraum anzufangen.
Auf technischer Ebene ist es wichtig, die richtigen Einstellungen für Attack- und Releasezeit sowie für die Quelle der Sidechain zu finden. Bezieht man sich auf einen Schlagzeugsound, kann man den Groove des komprimierten Elements in den Rhythmus der Drums zwingen. Mit Gating kann man das Element in den Schlagzeugrhythmus hineinziehen und dabei einen negativen Raum erzeugen, den ein Sound sonst ausfüllen würde. Daraus ergibt sich im Klangfeld ein besserer perspektivischer Eindruck.
Ich finde, dieser negative Raum lenkt die Aufmerksamkeit stärker auf die Musik als ein fortlaufender Klang, deshalb verwende ich Sidechaining. Um zu beurteilen, ob es funktioniert, überlege ich, ob die Erwartungshaltung, dass der Sound weiterläuft, das Gefühl erzeugt, dass es einem den Boden unter den Füßen wegzieht. Oder so etwas wie Glitch erzeugt, das einen laufenden Film kurz anhält.
Zwei Alben von dir folgen offenbar einem ziemlich strengen Konzept, zumindest in der Namensgebung. Auf Bird trägt jedes Stück den Namen einer Vogelart. Und auf Minimalism ist jedes Stück nach Minimalkünstlern benannt. Hattest du beim Schreiben der Alben ein bestimmtes Konzept vor Augen?
Da gibt es auch noch mein voriges Album Adieu a X, dessen Titel alles Frauennamen sind. Ich wurde gefragt: „Sind das deine Exfreundinnen?“ Aber das sind sie nicht. „Rei“ zum Beispiel ist nach Rei Kawakubo benannt und „Yoko“ ist Yoko Ono. Das sind alles Künstlerinnen, die ich sehr schätze. Ich wollte da herumspielen. Mit der Vermutung, dass die Leute mich das fragen würden, habe ich experimentiert und dem Album einen konzeptionellen Anstrich gegeben.
Auf Minimalism heißt ein Stück „Judd“ und mein Freund, der in einem Kunstmuseum arbeitet, sagte, er könne dort Donald Judd heraushören. Aber tatsächlich habe ich gar nichts von Donald Judd genommen. Ich wollte mich drüber lustig machen, dass die Leute zu vorschnellen Annahmen neigen. Hinter den drei Alben steckt also kaum ein Konzept, abgesehen von einem musikalischen. Ich habe es erst im Nachhinein Minimalism getauft, es ist eher ein Witz und hat keine tiefere Bedeutung.
Aber ein musikalisches Konzert gibt es durchaus. Auf Minimalism waren alle Tracks ursprünglich doppelt so schnell. Beim Verlangsamen geschah es, dass sich das Klangbild der Delaysounds änderte und sich bei halbem Tempo so schön sirupartig anfühlte. Da dachte ich mir, das kann ich als Konzept fürs Album gebrauchen. Ich habe einfach die Samplerate halbiert, was lustig war, weil dadurch räumliche Effekte wie Reverb und Delay einen faszinierenden Klang bekamen. Wenn man so etwas verlangsamt, rücken die Effekte selbst in die menschliche Wahrnehmung und man kann in ihnen Rhythmen finden. Das ist der Reiz.
Danach wollte ich mit Bird ein Statement setzen, dass die Musik entscheidend ist. Es geht nicht um die eigentlichen Konzepte, sondern darum, was in ihnen lebendig wird.
Bonustrack:
Großzügigerweise verschenkt Fumitake Tamura eine Samplesammlung mit Harmoniefolgen und Texturen, die er für mehr Wärme und Körnigkeit auf VHS-Kassette aufgenommen hat. Laden Sie kostenlos das VHS Sound Pack herunter.
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