In Sachen Live-Konzerte war früher alles einfacher (na gut, zumindest theoretisch). Vor der Geburtsstunde der Elektronischen Musik bestand eine musikalische Aufführung eigentlich nur aus einer Anzahl Musiker und den Instrumenten, die sie unter Einsatz ihrer physischen Fähigkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt spielen konnten. Mehrere Jahrtausende lang war das schon alles, bis Bandmaschinen, Klanggeneratoren, Turntables und letztlich DAWs aufkamen. Heute sind Musiker mit anderen Fragen konfrontiert. Sie müssen ihre Musik, die beinahe vollständig im Studio und damit außerhalb der tradierten Praxis entstand, auf den Rahmen einer Live-Show übertragen und neu interpretieren. Es tauchen Fragen auf wie „Soll die Live-Version eines Songs exakt der Studioversion entsprechen?“ oder „Welche Bestandteile einer Komposition sollen live gespielt werden und was eignet sich eher für Playback durch ein anderes Gerät?“ Und dann gibt es auch noch eher philosophische Aspekte zu bedenken: „Wenn alle Komponenten eines Musikstücks perfekt von einer DAW abgespielt werden können, welche Rolle spielt dann die Person auf der Bühne?“
Solche Fragen mögen überwältigend wirken, aber die Tatsache, dass es so viele mögliche Reaktionen auf sie gibt, ist auch hochinteressant. Tatsächlich bietet die große Bandbreite an Antworten jedem Künstler und jeder Künstlerin genügend Freiraum, um die elektronische Live-Performance so anzugehen, wie sie es im Sinne ihrer eigenen künstlerischen Ziele für richtig halten. Dies ermöglicht Künstlern auch zu entscheiden, bei welchem Ansatz sie sich wiederfinden, welche Ressourcen sie einsetzen und wie sie alle wichtigen performativen und technischen Faktoren miteinander in Einklang bringen.
Die aktuelle Diskussion über die Entwicklung der elektronischen Live-Performance ist im Kern das, worum es bei Ableton schon immer ging (schon der Name sagt es: Ableton Live). Deshalb brachten wir beim letzten Loop in Berlin drei gestandene Künstler aus verschiedenen Genres zusammen: den Monome-Meister Daedelus, die Experimentalpop-Komponistin Kimbra und den musikalischen Globetrotter Quantic. Auf dem Podium sprachen sie über ihre jeweiligen Ansätze bei Live-Auftritten. Im Folgenden stellen wir einige Schlüsselmomente und Clips aus ihrer erhellenden Diskussion vor.
Mit Limitierungen beginnen
Obwohl es, wie gesagt, potenziell viele individuelle Ansätze für elektronische Livemusik gibt (ganz zu schweigen von der dafür verfügbaren Menge an technischen Hilfsmitteln), betonen alle drei Loop-Gäste, wie wichtig es ist, sich schon früh bewusst Grenzen zu setzen. Besonders für diejenigen, die gerade erst damit anfangen, ihre Studio-Kreationen auf die Bühne zu bringen, kann das nützlich sein. Wer sich überlegt, wie sich die Parameter des eigenen Ansatzes einschränken lassen, kann eine scheinbar nicht zu beantwortende Frage wie „Wo fange ich überhaupt an?“ auf ein produktives Maß herunterbrechen.
Limitierungen gibt es in vielen Formen. Einerseits existieren naheliegende Grenzen, z.B. welches Equipment innerhalb des eigenen Budgets liegt oder die durch die CPU verfügbare Verarbeitungsgeschwindigkeit, und andererseits immanente Beschränkungen, z.B. dass den Menschen auf der Bühne nur zwei Hände, zehn Finger und zwei Füße gegeben sind. Beim Erstellen eines Bühnen-Setups, darüber ist sich das Podium einig, kann es hilfreich sein, bestimmte ästhetische und logistische Grenzen zu definieren, damit man das Set dann auch tatsächlich auf der Bühne performen kann. Anders ausgedrückt, wenn man sich von dem Verantwortungsgefühl löst, bei der Performance jedes einzelne Song-Detail selbst zu regeln und zu überschauen, dann kann das befreiend sein, so dass man dadurch spontan kreative Entscheidungen trifft – und zwar hoffentlich solche, die das Publikum dann in Echtzeit wahrnimmt.
Im Laufe der Diskussion bei Loop betonten Daedelus und Kimbra, dass sie bei den Songs klare und konsistente Grenzen ziehen. Darin liegt der Schlüssel zu einem Setup, das live als System leicht zu beherrschen ist und trotzdem Bühnenpräsenz erlaubt, d.h. die Balance schafft zwischen der Kontrolle der Technik und dem Raum für künstlerischen Ausdruck.
Quantic gab einen ähnlichen Rat, als er meinte, für Anfänger gelte „weniger ist mehr“ und was die Limitierungen durch das Equipment angeht, sollten Künstler sich klarmachen, dass die Suche nach einem alles könnenden perfekten Gerät für ein Live-Setup oft in einer Sackgasse endet. „Über die Jahre habe ich gelernt, kein Idealist zu sein“, erklärte er. „Ich glaube, viele verlieren sich im Ich-brauche-dafür-etwas-Perfektes, [überzeugt davon] dass es da draußen etwas geben muss, was genau das tut, was sie wollen … aber so etwas gibt es einfach nicht. Ich habe keine einzige technische Lösung gefunden, die im Sinne einer eierlegenden Wollmilchsau eine Antwort parat hätte.“
Studioerzeugnisse vs. Live-Kontrolle
Die Notwendigkeit zur Limitierung zu akzeptieren, bedeutet auch anzuerkennen, dass sie mit Kompromissen verknüpft ist. Mal ganz ehrlich, man kann ja (höchstwahrscheinlich) nicht das ganze Home-Studio raus auf die Bühne stellen. Oder wenn man das täte, dann wäre es schon sehr schwer, ganz auf sich gestellt auch noch jedes einzelne Performance-Detail im Auge zu behalten. Das bedeutet letztlich, dass man abwägen muss: Je mehr die Live-Stücke vorproduziert sind, desto weniger Platz bleibt übrig für spontane kreative Entscheidungen. Wenn man aber alles der spontanen Kreativität überlässt, dauert es vielleicht zu lange, bis der Song lebendig wird oder er könnte nicht mehr als das Stück aus dem Studio zu erkennen sein (was zugegebenermaßen nicht immer schlecht sein muss).
„[Du willst] Kreativität komfortabel haben, aber trotzdem in der Lage sein, etwas aus dem Moment heraus zu erzeugen. Das ist tricky,“ umreißt Daedelus seinen Kompromiss. „Die Leute wollen aus mehreren Gründen vielleicht die Studioergebnisse“, fährt er fort, „aber ich finde, die Live-Situation verlangt Veränderungen. Ich denke, man muss die Gelegenheit umarmen, dass etwas Neues entstehen kann … [Das ist] ein guter Ausgangspunkt.“ Daedelus gibt an anderer Stelle während der Loop-Diskussion weitere Einblicke darin, wie er in den früheren Versionen seines Live-Setups nach der richtigen Balance suchte.
Wie Kimbra erklärte, hängen künstlerische Kompromissentscheidungen bei ihr von der jeweiligen Situation ab. „Ich habe zwei verschiedene Setups, die mir unterschiedliche Freiheitsgrade erlauben“, erzählte sie. „Auf einem Festival wie Coachella will man schließlich nicht, dass etwas aus dem Timing fällt. Man ist ja da, um die Party in Gang zu bringen … Aber bei intimeren Setups nehme ich das Publikum eher auf eine Reise mit, sie beobachten, wie der Song von Grund auf entsteht und erleben die Gefahr, wenn das Stück manchmal kurz vor dem Kollabieren steht. Ich glaube, für uns alle liegt darin die Freude am Musikmachen; dass etwas schiefgehen kann und es macht ja den Reiz aus, wenn es dann doch klappt.“ Diese Idee griff die neuseeländische Künstlerin später wieder auf und meinte: „Es geht um das Menschsein … Ich mag das Gefühl, dass etwas einstürzen könnte und ich spüre bei Performances gerne das Risiko.“
Quantic führte ähnliche Gedanken aus, als er erwähnte, wie er früher ein bestimmtes Tape-Delay oder Gerät aus dem Studio-Rack mit auf Tour nahm, weil er das Gefühl hatte, „das wollten die Fans so.“ Irgendwann wurde ihm das zu unpraktisch. „Letztlich geht es um Vereinfachung und dass man [bei einem Song] im Vibe bleibt.“ Später beschreibt Quantic die Freiheit, die er sich und seiner Band zugesteht, wenn sie sich nicht ganz strikt an das Studiomaterial halten: „Von der Straßenkarte abweichen zu können, ist total wichtig. Einen Seitenweg weiterzuverfolgen und einfach zu sagen: Da sieht es nett aus, fahren wir mal dort lang. Das heißt im Zeitplan bleiben, aber auch mal das Thema abwandeln zu können.“
Für Daedelus bilden die Einbindung von Zufallsfunktionen und der Wille zur ständigen Neuerfindung von Tracks den Schlüssel zu frischen und immer wieder spannenden Performances.
Körperlichkeit und Publikumsbezug
Körperlichkeit lässt sich mit am schwersten auf die elektronische Performance übertragen. Bei einer herkömmlichen Bandaufstellung, bei der ein Schlagzeuger das Drumset spielt, kann das Publikum sehen, wie er gezielt körperliche Arbeit verrichtet und es hört bei jedem Trommelschlag den entsprechenden Sound. Dasselbe trifft auf Gitarristen, Pianisten, Hornisten, kurzum auf alle zu, bei denen sich – manchmal auch übertriebene – körperliche Anstrengung beobachten lässt, damit die Instrumente Klänge abgeben. Bei Elektronischer Musik ist diese natürliche körperliche Ebene jedoch nicht immer vorhanden.
Elektronischen Performances eine gewisse Körperlichkeit und wiedererkennbare Handlungen zu verleihen, war bei der Loop-Diskussion häufig Thema. Und obwohl Kimbras und Quantics hybride Bandformationen bei den Auftritten für einige Körperlichkeit sorgen (mal ganz abgesehen von Kimbras Gesangskünsten), waren sie doch gezwungen, der elektronischen Seite der Gleichung ein gewisses Leben einzuhauchen. „Gegenständlichkeit ist total wichtig“, betonte Quantic. „Ich weiß, es klingt blöd, aber ich würde sagen, die Höhe deines Interfaces ist fast wichtiger als das Interface selbst.“
Kimbra räumte ihrerseits ein, dass es für ihre Konzerte wichtig war, Momente zu finden, in denen sie sich von ihren elektronischen Geräten löst, um mit dem Publikum direkter in Kontakt zu treten. Sie merkte aber an, dass man sich bei der Bedienung eines Rigs unbedingt wohlfühlen soll und genau verstehen muss, was jeder Regler und jede Funktion tut. „Du musst in deinem Setup zuhause sein“, sagte sie. „Du musst auf die Bühne gehen, die Hände ausstrecken und spüren ,Ahhh, okay, jetzt kann ich ich selbst sein, jetzt kann ich performen.’ Und du merkst ja auch, wenn dem nicht so ist … Es muss sich wie dein kleines Labor anfühlen.“
Am anderen Ende des Spektrums musste sich Daedelus die Frage nach der Gegenständlichkeit von einem rein elektronischen Standpunkt aus stellen. „In Wahrheit muss ich doch die technischen Ideen anschaulich machen, das ist der Schlüssel zum Publikum“, sagte er. „Das ist bei mir die ganz besondere Crux: sicherzustellen, dass ich mit der Musik lebhaft umgehe und dass das Publikum gleichzeitig die Arbeit versteht und wir auf einem gemeinsamen Weg sind. Das ist zentral bei meinem Performance-Ideal. Deshalb habe ich den [Monome-]Controller in den Vordergrund gerückt, weil ich es einfach total wichtig finde, die Wiederholung von Prozessen so nachvollziehbar wie möglich zu machen.“ Als es allgemein um elektronische Live-Praxis ging, ergänzte Daedelus: „Ich finde es wirklich noch besser und verständlicher, wenn eine Geste einer Aktion entspricht … Das kommuniziert dem Publikum, dass die Geste der Sound ist.“
Natürlich kann eine 70-minütige Diskussion über elektronische Performance niemals jeden einzelnen Themenaspekt abdecken. Aber es will schon etwas heißen, dass bei allen drei Künstlern, die über Jahre ihre Live-Shows entwickelt haben und tourerprobt sind, gerade diese Punkte zum Vorschein kamen. Und selbstverständlich wurden zwischendurch auch einige wertvolle Einsichten geteilt. Kimbra warnte „Trink niemals Alkohol bevor du loopst“, und erzählte dann, wie sie eine Performance in Jay Lenos Fernsehshow vermasselt hat. In einem ähnlichen Kommentar rät Quantic Live-Musikern: „Sei darauf vorbereitet, dass über allem Bier ausgekippt wird.“ Und außerdem „brauchst [du] einen Backup-Plan“, falls etwas schiefgeht.
Zum Abschluss, auf die unerlässliche Frage hin, wie man den Erfolg einer Performance bemisst, bringt Daedelus zusammenfassend auf den Punkt, wohin die ganze Diskussion über elektronische Aufführungspraxis und deren Vorbereitung eigentlich führen soll: „Die Performance soll so viel Spaß wie möglich machen“, erklärt er. „Den Arbeitsaspekt, das Grübeln und so, kann man jederzeit erledigen. Es kann dir das Leben echt erleichtern, wenn du Spaß hast … An allem, woran du Spaß hast, wird auch das Publikum seinen Spaß haben.“