Freundschaft statt Samples: The Soft Pink Truth ĂŒber Kollaboration und Genuss
âWenn ichâs auf einen Satz herunterbrechen mĂŒsste, dann wohl auf 'Freund:innen statt Samples' ", sagt Drew Daniel scherzhaft ĂŒber seine aktuelle Musik. Daniel ist als Mitglied von Matmos bekannt, einem Duo, das fĂŒr den Einsatz von auĂergewöhnlichen Klangquellen berĂŒchtigt ist: etwa einer Waschmaschine, Sounds von einer Schönheits-OP oder dem Klangarchiv eines polnischen Avantgarde-Komponisten. In den HĂ€nden von Daniel und seinem Matmos-Partner und LebensgefĂ€hrten M.C. Schmidt können Samples alles sein und alles bedeuten. Sie können unseren Alltag kommentieren, die Aufmerksamkeit auf das Unbemerkte lenken oder uns zum Lachen bringen. Samples können uns jedoch auch falsche Vorstellungen von KreativitĂ€t vermitteln.
Mit ihren Laptops und den neuesten Sampling-Instrumenten wirken elektronische Musiker:innen manchmal komplett autark. Sie sind Komponist:in, Band und Produzent:in in einem. KreativitĂ€t jedoch entspringt immer der Kollaboration: Wir ziehen Inspiration aus unseren Netzwerken und den Communities, zu denen wir gehören. âIch finde, wir romantisieren sehr stark das einsame Genie, das sich in einer HĂŒtte versteckt und mit einem Meisterwerk wieder rauskommt", meint Daniel. âSchön fĂŒr die, die das können. Aber das ist nicht der einzige Weg. Ich mag Kollaboration, ich mag Austausch und den Flow, der daraus resultiert."
Die Pandemie hat diesem Gedanken bei Daniel neuen Auftrieb verliehen. âDurch Corona haben wir die Erfahrung langer Einsamkeit gemacht. Ich fand diese Einsamkeit unheimlich produktiv, in Hinblick darauf, dass ich mich ins Studio eingegraben habe, gleichzeitig kam aber auch eine riesige Sehnsucht nach Freundschaft und Kontakt mit anderen Menschen auf."
Diese Sehnsucht fand ein Ventil in seinem Soloprojekt The Soft Pink Truth. Daniels Arbeit ist inspiriert von den extravaganten Disco-Orchestern aus der Vergangenheit, weil er jedoch an die Pandemievorgaben gebunden war, stellte er aus 14 Mitmusiker:innen eine âvirtuelle Discoband" zusammen. Er schickte den Mitwirkenden â darunter Schmidt und Koye Berry am Klavier, Mark Lightcap an der Gitarre, Jason Willett am Bass und Streicher-Arrangeur Ulas Kurugullu â Demoskizzen zum DarĂŒberjammen und verwob das Gespielte mit den Spuren, um den Studioprozess in neue Bahnen zu lenken.
Heraus kam Is It Going To Get Any Deeper Than This?, eine psychedelische Dance-Platte, die das goldene Zeitalter von Disco feiert und behutsam die Grenzen des Lustprinzips hinterfragt. Von Instrumentalist:innen beflĂŒgelt und ausgesprochen gut produziert, klingt das Album zugleich vertrĂ€umt und komplex, angereichert mit Studiotricks und subversiven Wendungen. In kreativer Hinsicht ist es fĂŒr Daniel ein groĂer Wurf â vor allem aber will er die Anerkennung dafĂŒr mit den anderen Beteiligten teilen.
âOhne meine Freund:innen hĂ€tte ich das nie geschafft. Ich glaube, bei meiner Freude an der Musik geht es nicht darum, mich im Spiegel zu betrachten. Es ist eher ein Gruppenfoto."
Die AnfĂ€nge des Albums reichen einige Jahre zurĂŒck. Damals arbeitete Daniel am VorgĂ€nger-Album von The Soft Pink Truth: Shall We Go On Sinning So That Grace May Increase? von 2020. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte SPT eher die Funktion eines Ventils fĂŒr herbe Cover-Alben. Auf Releases wie Why Do The Heathen Rage? von 2014, einer Platte mit elektronisch bearbeiteten Black-Metal-Songs, ist durchaus eine ironische und spöttische Haltung erkennbar, wie auch auf Am I Free To Go?, einer aktuelleren Hommage an den Crustpunk. âDiese Alben zu schreiben hat mir wahnsinnig viel SpaĂ gemacht. Aber ich denke, jetzt stehe ich emotional woanders, mit allem was dazu gehört.â
Shall We Go On SinningâŠ? markierte einen Wendepunkt. Das Album ist sanfter und gefĂ€lliger, anstelle des Konzepts von Covern und Hommagen tritt ein groĂer Schmelztiegel von EinflĂŒssen. Das Album war auch eine Antwort auf die Turbulenzen der Trump-Regierung â daher rĂŒhrt eine gewisse Ernsthaftigkeit, die man von frĂŒheren SPT-Alben nicht kannte. Auch bildeten sich fĂŒr das Album ganz neue Kollaborationen; einige Mitmusiker:innen stiegen in der Folge bei Daniels virtueller Discoband ein. Einige Skizzen, die mit der Vokalistin Angel Deradoorian entstanden, âwaren viel offener und direkter als der Rest des Albumsâ und wiesen stark in Richtung Dancefloor. âAber ich habe an die Skizzen geglaubt und daran immer weiter gebastelt und gearbeitet."
Die Arbeit am neuen Album nahm ihren Ausgang schlieĂlich auf einem Krankenhausparkplatz: Schmidt war gerade bei einer Behandlung, wĂ€hrend Daniel, im Auto wartend, seinen Laptop öffnete und Live startete. Er suchte einen Gitarrenpart, den Mark Lightcap fĂŒr einen alten Matmos-Track eingespielt hatte.
âWas Mark da auf der Rhythmusgitarre gespielt hatte, fand ich richtig gut. Ich habe es in Simpler gesteckt, geschnitten und an den Einstellungen gedreht, und dabei kam dieses Riff heraus. Dann habe ich es als Audio gerendert, die Harmonie zu MIDI konvertiert und daraus eine Bassline als Orgelstimme gemacht. Dann Timestretching dazu und alles eine Oktave rauf. Und dann das Timing mal an die Tambourin-Samples geschickt. Martins Besuch beim Arzt dauerte etwa eine Stunde. Als er dann zurĂŒck zum Auto kam, hatte ich diesen Groove fertig, den ich richtig gut fand. Ich wollte ein Feeling wie bei Barry Whites Love Unlimited Orchestra: Das Arrangement baut sich immer weiter auf und immer mehr Instrumente kommen dazu. Daraus wurde der Song âDeeper", der das Album eröffnet."
Dies war der Initialpunkt fĂŒr Daniels neue Arbeitsweise: Mitmusiker:innen spielten zu seinen unfertigen StĂŒcken, oftmals nur âDemos von einfachen Rhythmen und AkkordverlĂ€ufen". Die entstandenen Aufnahmen öffnete er dann in Live und bearbeitete sie mit einer Reihe von Tools, darunter mit Sampler-Instrumenten und der Harmonie-zu-MIDI-Konvertierung. âOhne die Audio-zu-MIDI-Konvertierungen wĂŒrde es das Album gar nicht geben", meint er. âMir ist es zu blöd, jemandem beim Gitarrespielen zuzuhören und mich zu fragen, was das wohl fĂŒr ein Akkord ist. Aber mit der Funktion kannst du das quasi feststellen und weil das unzuverlĂ€ssig ist, kommt eine Prise Chaos mit rein, woraus etwas Cooles entstehen kann. Ich schneide diesen kleinen Bonsaibaum aus MIDI-Daten so zu, dass er gut wachsen kann."
Mit anderen zusammenzuarbeiten war alles andere als ein linearer Prozess. ZunĂ€chst erstellte Daniel eine 25 Minuten lange Spur aus allen Einspielungen, die er dann letztlich âkannibalisierte und zertrĂŒmmerte", um eine âFolge von sieben oder acht neuen Songs zu komponieren". Seine Mitmusiker:innen brachten ihn ebenfalls auf neue Ideen: âOft habe ich die Leute ĂŒber einen Demosong singen oder spielen lassen und habe das dann verwendet und halbiert. Die eine HĂ€lfte habe ich im ursprĂŒnglichen Song verwendet und aus der anderen HĂ€lfte sozusagen Gewebeproben entnommen, um sie in einen ganz neuen Song einzupflanzen. Dadurch ist eine Art Baumstruktur entstanden und deshalb haben viele Songs dieselben Akkorde und dasselbe Tempo."
Bei Daniels Arbeit mit Matmos sind die Studio-Transformationen meistens deutlich hörbar: Hier fasziniert die Art, auf die die Sounds verĂ€ndert wurden. FĂŒr die Arbeit mit seiner Discoband hatte Daniel jedoch andere Ziele. Die meisten Tracks auf Is It Going To Get Any DeeperâŠ? stellen die Musiker:innen ins Rampenlicht, die dort einfach ihr Ding zu machen scheinen. Die natĂŒrlich klingenden Arrangements basieren jedoch auf reichlich Studio-Raffinessen.
âMir ging es vor allem darum, die BeitrĂ€ge der anderen voranzustellen und erlebbar zu machen. Aber in allem, was man von ihnen hört oder auch nicht hört, steckt unheimlich viel Nachbearbeitung. An manchen Stellen bin ich beim Editing bis zum ĂuĂersten gegangen, aber ich wollte vermeiden, dass die Musik wahrnehmbar kĂŒnstlich klingt." Stattdessen wollte Daniel âdas Ohr hinters Licht fĂŒhren, so dass man an einen Raum voller Musiker:innen glaubt â zumindest an einigen Stellen auf dem Album. Das ist eine Illusion."
FĂŒr mehr Kontrolle und reichere Klangfarben werden auf dem Album immer wieder reale und virtuelle Instrumente ĂŒbereinander gelegt.
Eine seiner Techniken bestand darin, hochwertige Samples von Instrumenten ĂŒber die echten zu legen und damit der Performance mehr Fleisch zu geben, wĂ€hrend ihr lebendiger Kern bestehen bleibt. Die Röhrenglocken auf âDeeper" etwa sind ein Mix aus einem Sample-Instrument vonSonArte und einer Glocken-Aufnahme, die beim Duo Cyclobe zu Hause entstanden ist. Im Track âMoodswing" wird dem Ohr die Solo-Trompetenmelodie von Nate Wooley fĂŒr ein ganzes BlĂ€serensemble verkauft. Die Bassgitarren-Licks von Jason Willett bilden auf dem ganzen Album ein festes Team mit Studio Bass von e-instruments. âDas Ganze ist eine Mischung aus persönlichen Vorlieben und Software-Instrumenten. Durch das Ăbereinanderlegen bekommt es eine eigene FĂ€rbung, aber auch eine Ordnung. Wenn mich jemand fragt, was davon eingespielt und was MIDI war, dann weiĂ ich das nicht mehr so genau."
Unter der naturalistischen OberflĂ€che verbirgt sich viel progressives Sounddesign. Daniel wollte all die Details âim Mix versenken, so dass man sie erst beim achten oder neunten Mal Anhören wahrnimmt", obwohl sie in der Albummitte â hier wird es trippy â doch stĂ€rker an die OberflĂ€che treten.
Auf âSunwash" wurden viele Parameter ausgiebig mit LFOs in Max for Live randomisiert
Eine lange, psychedelische Kaskade auf âSunwash" etwa steht dafĂŒr, wie einen beim Konsum von Pilzen âdie merkwĂŒrdige Flut aus Freude und Angst mitnehmen kannâ. Die zerhackten Sounds bei Minute drei stammen von Saxofon- und Gitarrenparts, die Daniel in den Simpler lud und mit LFO-Cluster, einem Tool fĂŒr Max for Live von Kentaro Suzuki, ansteuerte. âDa lĂ€uft Simpler mit LFO-Cluster-Daten voll. Ab und zu hört man das Saxofon oder die Gitarre raus, aber es wird immer weiter zerhackt. Das bezieht sich auf Panning, Stimmung und Verstimmung von Noten, Tuning, Filtereffekte."
Um komplexe, unregelmĂ€Ăige Bewegungen zu erzeugen, schaltet Daniel gern mehrere LFOs aus Max for Live hintereinander. Wenn er die LFOs den Parametern der BĂ€nder im EQ Eight zuweist, bekommt er schwebende, illusorisch anmutende Sounds. Auf âLa Joie Devant La Mort,â sind die Vocals von Jamie Stewart mit einer Clap unterlegt, die stottert und sich seltsam verzieht: Das geschieht, wenn âsowohl Sampler als auch Delay-Plugin an mehreren LFOs dranhĂ€ngen". Ein Extra-Schritt ist hierbei besonders wichtig: Erst durch das Bouncen als Audiodatei und das anschlieĂende Editing lĂ€sst sich das Chaos geordnet festhalten. âMan hört die Ergebnisse durch und entscheidet dann, wie viel Chaos man zulĂ€sst. Manchmal explodiert es einfach und klingt nicht gut."
An anderer Stelle auf dem Album wendet Daniel eine klassische Matmos-Methode an: mit wohlĂŒberlegten Samples konkrete Ideen in die Musik einzubetten. FĂŒr den Track âMood Swing" nahm er eine Flasche Veuve Clicquot mit in sein Studio âTempo Houseâ in Baltimore. Zu Beginn des Tracks ist ein knallender Korken zu hören, von dort aus erstreckt sich der Groove luxuriös ĂŒber das weiĂe Rauschen von flieĂendem, sprudelnden Champagner. Nach ein paar Minuten zerbricht ein Glas, unterbricht den Fluss und markiert den Ăbergang zu einer anderen, dĂŒsteren Stimmung.
âIch wollte der Ambivalenz von VergnĂŒgen nachgehen, einer Ambivalenz im EDM", erklĂ€rt Daniel das Narrativ des Tracks. âEinerseits zum Höhepunkt der Ekstase zu streben, dann aber zu sagen: Schau, in welcher ScheiĂwelt wir leben. Wir stecken in der Sackgasse der erdölkapitalistischen Auslöschung fest. Das ist nicht die Zeit, um alles zu vergessen und zu feiern. Aber gerade weil das der Fall ist, gibt es eine Seite in uns, die unbedingt das andere will. Diese Champagner-Disco-Fantasie ist unheimlich attraktiv, aber sie spricht meine eskapistische Seite an, mit der ich auch kritisch umgehen muss. Das Arrangement von einem Song kann da beim Nachdenken durchaus helfen."
Auf âMoodswingâ perlt Champagner in das Arrangement hinein und wieder heraus
Sich ausgiebig zu vergnĂŒgen ist ein zentrales Thema fĂŒr Is It Going To Get Any DeeperâŠ? In Hinblick auch auf die Herausforderungen beschreibt Daniel den Prozess des Album so: âMeistens war ich allein beim groĂen Tanzball und habe mich im Wald aus lauter Loops verirrt." Seine langen Discotracks, fĂŒr die er sich auf die Klassiker von Moroder und Summer sowie auf den Long-Mix von Eddie Kendricksâ âDate With The Rain" bezieht, erzeugen eine solche Ekstase, âdass man einfach immer, immer weitermachen will. DafĂŒr sind Sampling-Umgebungen auf Loopbasis ein bedeutendes Beispiel. Mag sein, dass sie den Leuten, die solche Musik machen, am meisten Freude bereiten. Man verbringt ja Stunden damit, auf eine Art in der Zeit zu sein, die zwar durch Anfang und Ende markiert ist und sich trotzdem unendlich anfĂŒhlt, weil die Loops niemals aufhören. Die Freude, die ich dabei empfinde, ist scheinbar grenzenlos. Und nicht nur ich, die Geschichte der elektronischen Musik ist voll davon."
TatsĂ€chlich, so Daniel, strebe er im Leben auch im weiteren Sinne nach VergnĂŒgen. Neben seiner musikalischen Karriere ist er Associate Professor fĂŒr Englisch an der Johns Hopkins University in Baltimore. Dieses Doppeldasein bedeutet Stress und beansprucht viel Zeit, Daniel jedoch wĂŒnscht es sich nicht anders. âIch schreibe gern Alben und toure gern, aber ich halte auch gern Vorlesungen und tausche mit jungen Menschen Ideen aus. Und ich setze mich hin, starre ganz lange auf ein Gedicht und ĂŒberlege mir, warum es jemanden nach Hunderten von Jahren berĂŒhren könnte. Von diesen Daseinsformen möchte ich nichts opfern."
Trotzdem beschĂ€ftigen ihn auch Zweifel: âAlles, was man tut, muss einen zufrieden machen und einem Freude bereiten, oder man sollte es lassen. Aber es gibt da immer eine Grenze. Immer kommt irgendwann die Frage: Ist das schon alles? Ich glaube, diese Suche hört nie auf. Ich bin 51, ich bin also alt und habe trotzdem keine Lebensweisheiten", lacht er.
Mit einem Titel, der sowohl Möglichkeit als auch EnttĂ€uschung suggeriert, und mit der verdichtet-melancholischen Musik stellt ihn Is It Going To Get Any Deeper Than This? scheinbar auf die Probe. Und wenn es eine Weisheit hinter dem Album gibt, dann die, dass VergnĂŒgen am sinnvollsten ist, wenn man es teilt.
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Text und Interview: Angus Finlayson