Foodman: Rohe Sounds aus Japan
Eine interessante Eigenschaft der Dance Music besteht darin, dass es keine allgemeingültige Definition dafür gibt. Klar: Bei manchen Tracks würde jeder zustimmen, dass sie eindeutig darauf ausgelegt sind, als Dance Music zu fungieren. Doch wo die Dinge weniger klar sind, wird die Sache spannend – bei Künstlern, die im Randbereich operieren und die etablierten Formen unterwandern, indem sie mit den funktionalen Aspekten spielen, auf die sich anscheinend alle einigen können.
Einer dieser Künstler ist Shokuhin Matsuri oder 食品まつり alias Foodman, ein japanischer Produzent, der eine völlig eigenständige Klangwelt erschaffen hat. Selbst wenn er mit Formen arbeitet, die an Footwork, House, Techno, Pop oder Ambient erinnern, klingt seine Musik wie kein andere. Mit seinem unvergleichlichen Stil hat er in den letzten Jahren viele Hörer gefunden und auf den unterschiedlichsten Labels in den USA, Europa und Japan veröffentlicht.
Foodman-Tracks sind zwar reich an Details und oft auf stark kontrastierenden Elementen aufgebaut, wirken aber nie überladen. Dies lässt sich zum Teil darauf zurückführen, dass Matsuri großen Wert auf schnelles Komponieren legt und seine Ideen im Rohzustand festhalten will – inspiriert von frühem Juke/Footwork, Dubstep und Punk. Wir haben uns mit dem umtriebigen Produzenten in Tokio getroffen, um mit ihm über seine kreative Arbeitsweise, seine Live-Performance und die sehr unterschiedlichen Reaktionen zu sprechen, die Foodman-Tracks bei den Hörern hervorrufen.
Wie beginnst du neue Tracks – immer auf dieselbe Weise oder gibt es verschiedene Wege?
Ich langweile mich schnell. Damit ich frisch im Kopf bleibe, nutze ich verschiedene Wege, Musik zu machen. Mal produziere ich mit einem Sampler, mal mit Ableton. Wenn mir das zu langweilig wird, gehe ich ins Studio und nutze mein iPhone, um Drums, Ukulele oder Vocals aufzunehmen. Manchmal bearbeite ich die Sounds, manchmal nicht. Für mein letztes Album (Ez Minzoku, erschienen auf Orange Milk) hatte ich ein Konzept und machte dann zusammenhängende Tracks. Doch bei meinen früheren Alben habe ich mich zwischen verschiedenen Stilrichtungen bewegt – Techno, Ambient, Songs mit Begleitinstrumenten oder Noise – abhängig von meiner Stimmung, die sehr wechselhaft ist.
Stimmt – Ez Minzoku wirkt einheitlich und homogen. Was war dein Konzept für dieses Album?
2011 entdeckte ich Footwork und Juke und fand die Musik spannend und ganz anders als die Dance Music, die ich vorher kannte. Ehrlich gesagt ist es mir nicht so wichtig, ob es Dance Music ist oder nicht. Als ich zum ersten Mal Footwork hörte, erinnerte mich das an alte Tracks von mir, als ich anfing, Musik zu machen und mit Sounds zu spielen. Es hatte etwas Primitives, das mich faszinierte. Seitdem wollte ich immer ein Konzeptalbum machen, auf meine ganz eigene Art und Weise. Man könnte Ez Minzoku als Footwork-Interpretation betrachten, doch in Wirklichkeit ist das Album meine Vorstellung von einer futuristischen Nyabinghi. Ich habe mir vorgestellt, wie es klingt, wenn Menschen in der Zukunft Nyabinghi-Musik machen. Oder dass es vor ungefähr 10.000 Jahren eine menschliche Zivilisation mit hoch entwickelten gesellschaftlichen Strukturen gab.
Hat das Sample-Pack, das du uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hast, auch etwas mit dieser Idee zu tun?
Das Pack enthält 30 Zutaten – Klangfarben von Percussion und Samples, die ich aufgenommen, moduliert und aus verschiedenen Stimmen geformt habe. Das Thema des Sound-Packs: Eine hochentwickelte Zivilisation, die vor 100 Millionen Jahren unterging, die Instrumente von damals und die Songs von denen, die sie spielten.
Die Sound-Zusammensetzung auf deinem Album ist ziemlich ungewöhnlich.
Das ist mir immer wichtig. Ich gehe gerne das Wagnis ein, ungewöhnliche Kombinationen von Sounds auszuprobieren, die scheinbar nicht zusammenpassen.
Genau das scheint deine konzeptionelle Verbindung zum Footwork zu sein – auch dort hört man diese ungewöhnlichen Soundkombinationen. Obwohl das in letzter Zeit zunehmend standardisiert wirkt.
Es gibt viele richtig krude Tracks, als wären sie genz instinktiv produzuert. Ich finde es interessant, mir sowas anzuhören. Bei solchen Sound-Kombinationen würde man nie denken, dass sie zusammengehören aber erstaunlicherweise tun sie es doch. Und, es funktioniert als Tanzmusik. Möglicherweise geht beim Verfeinerungsprozess etwas verloren, aber ich habe das Gefühl, daß der Stil in verschiedenen Richtungen sich weiterentwickeln wird.
Also geht es dir darum, mit diesen ungewöhnlichen Sample-Kombinationen diese Art von Rohzustand einzufangen?
Ich habe keine musikalische Ausbildung. Meine erste Musik habe ich mit einem Sampler und allen möglichen Sounds gemacht, die ich gefunden habe – acht oder zehn Stunden am Tag. Ich mag diesen Spaßzustand und produziere in der Hoffnung, dass er sich immer wieder aufs Neue einstellt. Dass meine Musik gehört wird, ist mir weniger wichtig. Was mich also am meisten interessiert: Ob ich beim Musikmachen Spaß habe oder nicht. Das kommt zuerst, und erst dann will ich mit meiner Musik Hörer finden. Ich muss einfach meinem Instinkt folgen, sonst habe ich keine Freude daran.
Die Entwickler von Musiktechnologie – inklusive Ableton – neigen ja dazu, den Anwendern Sounds zu präsentieren, die gut zusammenpassen, weil sie bestimmten Genre-Vorstellungen entsprechen. Aber um diese ungewöhnlichen Kombinationen von Sounds zu finden, muss man eigene Kriterien anwenden. Wann weißt du, dass eine Sound-Kombination für dich passt?
Hmm, wie kann ich das erklären? Vielleicht mit einem Beispiel: einer Kombination aus Kick-Drums und Bässen. Die Kombination klingt gut, aber trotzdem will ich die Kick-Drum schon bald durch eine Snare ersetzen und die angestammten Rollen vertauschen. „Was wird wohl passieren, wenn ich die Rollen der Kick-Drum, Snare und Hi-Hats vertausche?“ So denke ich ständig. Gestern habe ich mich gefragt, wie es klingen würde, wenn ich eine Kick-Drum in eine Tonleiter setze und Gesang darüberlege. Wer sagt denn, dass Kick-Drums nur dazu da sind, die Leute zum Tanzen zu bringen? Man kann doch seinen eigenen Weg gehen – Kick-Drums als Tonleiter spielen und dazu singen oder Hi-Hats anstelle von Kick-Drums verwenden. Egal ob mit einem Sample-Pack oder anderen Dingen: Es geht mir darum, die traditionellen Rollen von Sounds und ihre herkömmliche Funktion zu verändern.
Wie entsteht die Form deiner Tracks, wenn du eine interessante Kombination aus Sounds gefunden hast?
Ich setze verschiedene Sounds auf das Raster. Dann höre ich auf mein Unterbewusstsein. Ich mag grünen Tee und trinke große Mengen davon. Das Koffein macht mich high, in diesem Zustand mache ich gerne Musik. Im Grunde mache ich so lange weiter, bis ich etwas erreiche, von dem ich überzeugt bin.
Schichtest du Sounds übereinander, bis es zuviel wird? Oder nimmst du eher Sounds raus? Oder beides?
Beides. Manchmal werden es zuviele Sounds, dann reduziere ich die Auswahl. In anderen Tracks gibt es anfangs nur wenige Sounds. „Jazz“ ist zum Beispiel ein Song, bei dem ich sparsam sein und auf den Raum achten wollte. Meine Sounds sollen dreidimensional wirken. Wenn ich in einem Sequenzer Sounds auf das Raster setze, sieht das aus wie ein Muster. Dieser Sound kommt von hier und jener von dort: Wenn ein Track wie ein 3D-Objekt wirkt, fühlt er sich für mich richtig an. Manche Tracks haben viele Zutaten, andere wenige.
Arbeitest du beim Arrangieren mit kurzen Abschnitten, die du duplizierst und variierst? Oder eher mit langen Abschnitten, die dann verändert und um neue Elemente erweitert werden?
Ich mache beides. Bei „Jazz“ hatte ich einen zweiminütigen Abschnitt mit Sounds auf dem Raster. Das habe ich dann dupliziert und variiert. Bei anderen Songs habe ich dasselbe mit einem achttaktigen Loop gemacht. Bei Tracks wie „Jazz“ ist die Arbeit immer etwas mühsam, da ich weniger Wiederholungen mache und die Sounds einzeln anlegen muss. Deshalb entwickle ich meist Variationen aus kurzen Loops. Auf Ez Minzoku gibt es Tracks, die mit einem Electribe oder nur mit Ableton entstanden sind – oder mit beidem.
Vielen Musikern fällt es ja schwer, ein Ende zu finden. Wann weißt du, dass ein Track fertig ist?
Meistens will ich nicht allzuviel Zeit in Tracks investieren und höre auf, wenn sie sich beim schnellen Anhören richtig anfühlen. Sobald ich denke, dass ein Track fertig ist, versuche ich, ihn zur Seite zu legen. Denn wenn ich ihn mir nochmal anhören würde, gäbe es bestimmt einen Teil, der meine Aufmerksamkeit erregt. So kann ich den Track vergessen und mich dem nächsten zuwenden (lacht). Die Ohren können müde werden und die Klangwahrnehmung variiert je nach Stimmung und Zustand. In der Musik gibt es eigentlich keine richtigen Antworten. Für manche Leute ist „Jazz“ ein unvollendetes Stück. Ich wurde tatsächlich schon gefragt: „Ist das Stück noch nicht fertig?“
Haha.
Für mich ist Musik nichts Fassbares – im Unterschied zu anderen Kunstformen. Selbst wenn sie immer gleich klingt, kann das, was man in ihr hört, komplett anders sein als bei anderen Leuten. Deswegen macht es auch keinen Sinn, viel darüber nachzudenken, was die richtige Antwort sein könnte.
Entspricht dein Live-Setup deinem Studio-Setup? Oder hast du einen anderen Ansatz?
Auf der Bühne habe ich ein etwas anderes Setup als im Studio. Bei meinen letzten Konzerten hatte ich einen Electribe und einen Mac mit Ableton dabei – manipuliert mit einem MIDI-Controller.
Versuchst du, deine Studio-Produktionen oder Releases zu reproduzieren? Oder improvisierst du eher und komponierst beim Performen?
Ich kombiniere beides. 10 % meiner Performance bestehen aus Tracks, die schon veröffentlicht sind. Die übrigen 90 % sind Tracks, die ich wenige Tage vor dem Konzert vorbereitet habe. Sie sind zu 60 oder 70 % fertig, beim Spielen füge ich Sounds hinzu oder lasse welche weg, wende Effekte an und nehme mit dem Electribe live Sounds auf. Ich variiere auch das Tempo in beide Richtungen. Für meine Live-Performance nutze ich nur wenige Tracks, die schon veröffentlicht sind. Wenn ich das mache, spiele ich sie einfach ab und füge ein paar Effekte hinzu. Meist spiele ich das, was ich zu Hause für das Konzert vorbereitet habe.
In letzter Zeit warst du viel in Europa und Nordamerika unterwegs. Waren die Reaktionen auf deine Musik unterschiedlich?
Es ist von Ort zu Ort verschieden. Da wo es große Musikszenen gibt wie in Europa, ist das Feedback unterschiedlich. Manche im Publikum drehen durhc, aber es gibt auch manchmal Leute, die sich über meine Live-Performance aufregen – „Das ist doch keine Musik zum Tanzen!“ – weil sie ihre Erwartungshaltung durcheinanderbringt. Andererseits, in den USA, auf Partys von manchen Labels, auf denen ich veröffentlicht habe, besteht das Publikum zum großen Teil aus Produzenten – die sind dann sehr aufmerksamn.
Es ist interessant, die Kommentare zu deinem Track zu lesen, den Good Enuff auf SoundCloud gepostet hat. Manche Leute finden ihn super, andere fragen: „Ist das Musik?“
Genau – manche Leute sagen nette Sachen, andere sagen: „Hör’ auf mit dem Scheiß!“ (lacht). In Sachen Feedback war Boiler Room ganz ähnlich: Die einen fanden es gut, die anderen nicht. Mir wurde klar, dass die Leute sehr unterschiedliche Meinungen über meine Musik haben. Wenn Leute, die Dance Music mögen, solche Tracks hören, sagen sie: „Was zum Teufel?“. Ich nehme ihnen das aber nicht übel. Ich finde es eher interessant zu sehen, dass es verschiedene Meinungen gibt.
Wenn es im Publikum sowohl entschieden negative als auch positive Meinungen gibt, macht man definitiv etwas richtig, finde ich. Es ist auch interessant, auf welch unterschiedlichen Labels deine Musik erscheint. Orange Milk ist ein kleines Label mit radikaler Klangästhetik, das auf Bandcamp veröffentlicht. Good Enuff ist ein Sublabel von Diplos Label Mad Decent und scheint viel kommerzieller orientiert zu sein. Mir fällt kein anderer Künstler ein, der in beiden Lagern zu Hause ist.
Als Good Enuff sich bei mir meldeten, habe ich mich schon gefragt, woher sie solche Musik wie meine kannten. Musik wie der auf Good Enuff veröffentlichte Track kann Mad Decent-Hörer durchaus aus der Fassung bringen. Aber ich denke, dass sie auf diese Weise einfach etwas ausprobieren. Das macht Sinn für mich. Mein Musikgeschmack ist breit, ich höre Pop und experimentelle Musik im gleichen Maße. Bei Genres habe ich eigentlich keine Vorlieben und Abneigungen. Deswegen macht es mir viel Spaß, Dinge zu tun, die über die übliche Skala hinausgehen.
Fühlst du dich als Teil einer Gruppe gleichgesinnter japanischer Produzenten?
Auf Orange Milk habe ich mehrere japanische Labelmates, aber wir machen sehr unterschiedliche Sachen. Trotzdem sind Pop und Experimentelles für uns gleichberechtigt. In meiner Heimatstadt Nagoya gibt es durchaus Musiker auf meiner Wellenlänge. Ich veranstalte dort seit 15 Jahren Parties ohne feste Genre-Zuschreibung: mit Folk-Musikern, Noise-Künstlern, Techno- und Trance-DJs...
Ist diese nicht-trennende Ästhetik in Japan normal? Oder ungewöhnlich? In Europa und den USA ist sie ziemlich ungewöhnlich, würde ich sagen.
In Europa ist die elektronische Musikszene einfach größer. Weil mehr Leute daran beteiligt sind, bekommt man mühelos genügend Musiker in einer bestimmten Stilrichtung zusammen. In Japan hingegen – Tokio mal ausgenommen – sind weniger Leute involviert. Deswegen sind die Parties oft ein Mischmasch aus verschiedenen Stilen.
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