Flower Storm: Techno-Rhythmen mit iranischen Samples
Musik aus einem Impuls heraus zu machen, kann richtig Spaß bringen. Aber sie als fokussiertes Projekt mit Zielen, Regeln und Grenzen zu produzieren, ist eine völlig andere Praxis. Bevor sie sich als Flower Storm zusammentaten, hatten sowohl Kasra Vaseghi wie auch Sepehr Alimagham ihre Clubmusik-Skills selten auf ein bestimmtes Konzept angewendet. Als Künstler aus der iranischen Diaspora in London bzw. New York etablierten sie sich jeweils als DJs und Produzenten, ohne ihr gemeinsames Erbe explizit in ihre Musik einfließen zu lassen.
“Während meiner Zeit beim Radiosender bei NTS habe ich mich manchmal mit der Geschichte der iranischen Musik beschäftigt,” erklärt Kasra, “und ich fand, dass manches davon Techno rhythmisch sehr ähnlich ist – insbesondere in der traditionell iranischen, wo es'nur um Rhythmen geht. Ich dachte mir sofort, dass das in der Welt der Tanzmusik sehr gut ankommen würde.
Die Zeit der Lockdowns war die perfekte Gelegenheit, dieser Idee nachzugehen. Nachdem sie online in Kontakt getreten waren, gab eine überraschende Festivalabsage Vaseghi und Alimagham eine Woche Zeit, um zusammen den Plan für ein Gemeinschaftsprojekt auszuarbeiten, das ihre Wurzeln feierte und gleichzeitig ihre vielfältige kulturelle Einstellung widerspiegelte. Sampling bringt normalerweise eine Vielzahl an spannenden Dilemmas und Debatten mit sich, doch Flower Storm dagegen wurde als sorgfältig durchdachter Prozess angegangen, lange bevor überhaupt Musik gemacht wurde.
“Einer der Gründe, warum ich solche Lust auf die Arbeit mit Kasra hatte, ist dass er den gesamten Arbeits-Ethos perfekt verköproert, ” meint Sepehr. “ Er hatte ein Dokument, in dem alles genau umrissen war – etwa so: ‘das hier ist das Projekt, das hier sind die Songtitel, wir veröffentlichen auf unserem Label, wir werden nicht mit solchen Leuten zusammenarbeiten, sondern mit solchen Leuten.’”
Bisher haben Flower Storm zwei EPs veröffentlicht. — Yek und Do, was auf Farsi passenderweise ‘Eins’ und ‘Zwei’ bedeutet. Als Solo-Künstler haben Vaseghi und Alimagham vor allem House und Techno produziert, doch ihr neues Projekt ist nicht an einen bestimmten Stil gebunden. Stattdessen liegt der Fokus auf dem Sampeln von iranischer Musik sowie deren Instrumentierung und ihrer Einbindung in einen Tanzmusik-Kontext. Es handelt sich also eher um keine akademische Studie iranischer Musik für ein iranisches Publikum — da die Band gleichermaßen mit kulturellem Input aus Ost und West aufgewachsen ist, ist sie vielmehr eine aufrichtige Reflektion ihrer Selbst, die jeder und jede genießen kann.
“Unsere Tracks wurden von DJs wie Donato Dozzy und Ben UFO gespielt, ” sagt Vaseghi. “Es ist schon verrückt, etwas zu machen, das so tief in der eigenen Tradition verankert ist, was dann einen ganz neuen Weg einschlägt und das gleichzeitig auch noch cool ist. Wir wollten keine Musik machen, die nur von Menschen aus dem Nahen Osten gehört wird. Sepehr hat im Grunde sein ganzes Leben in den USA gelebt und ich selber bin seit 14 Jahren in Großbritannien. Wir haben beide diesen Mix aus beidem gelebt. ”
Stilistisch zusammengehalten wird Flower Storms enormes Spektrum an Tempi und Rhythmen, das von langsam ‘Chuggern’ bis hin zu experimentellem Drum & Bass reicht, durch die Kraft und die Absicht ihres kreativen Ansatzes. Beide nennen Future Sounds of London und Aphex Twin als grundlegende Inspirationen. Die Britische Industrial-Kultband Coil ist vermutlich ihr stärkster Einfluss. Von ihr haben sie den Ansatz übernommen, verschiedene Versionen ihrer Tracks zu machen und schufen mit ‘The First Trial’ sogar eine Neuinterpretation von Coils ‘Further Back and Faster’.
Der erste Schritt, um die Vision von Flower Storm zum Leben zu erwecken war, gemeinsam das Basis-Material zu sammeln. Während die Pop- und Psychedelic-Szene des Irans vor der Revolution von 1979 eine gute Quelle für den Gesang war, waren ihre eher westlich geprägten musikalischen Arrangements für die Ziele des Projektes weniger relevant. Es war besonders die perkussive Komplexität der traditionellen iranischen Musik, gespielt auf Instrumenten wie Daf, Tonbak und Santur, die in Kombination mit elektronischer Musikproduktion spannende Ergebnisse versprach. Es gibt nur einen recht begrenzten Pool an brauchbaren Aufnahmen der gesuchten Töne, was sie dazu inspirierte, mit dem Vorhandenen kreativ umzugehen.
Von Anfang an war für beide Produzenten klar, dass sie nicht einfach haufenweise Samples anderer Musiker nehmen und sie über ihre Beats legen würden, sondern dass sie die Samples verarbeiten und anpassen, um ihre eigene Musik daraus zu machen. Dadurch konnten sie eine personalisierte Library aufbauen, bevor sie mit dem Zusammenbauen der Tracks begannen. Mit dem Sample-Paket in diesem Artikel hast du Zugang zu einigen der selbstgebauten Sounds, die die beiden bei der Entwicklung der Klangrichtung für das Projekt geschaffen haben.
“Viele Dinge, die ich gemacht habe, waren recht einfach, sagt, ” Vaseghi und beschreibt seine Herangehensweise an die Bearbeitung von Samples. “Manchmal nehme ich einfach ein Sample, füge es in die Arrangement-Ansicht ein, zerstückle es und verschiebe es. Wenn du einen Acht-Takt-Loop hast, kannst du damit eine Menge machen. Ich nehme zum Beispiel den achttaktigen Loop einer Daf, entferne einige Teile, lege Reverb auf ein Viertel' und wechsele dann zurück in den trockenen Zustand. Dann gibt's einen kleinen Part mit Verzerrung und dann einen umgekehrten Teil, fast wie eine manuelle Form von Stuttering. ”
“ ‘Tonbak Madness’ aus dem Sample-Pack ist eine sehr alte Aufnahme, die ich durch den Culture Vulture Verzerrer gejagt habe,” fügt er hinzu. “Der Gesang in ‘Tonbak Vox’ stammt aus einem Lied, das ich durch einen euklidischen Sequenzer laufen lassen habe und über das ich dann Arpeggios gelegt habe. Manchmal habe ich viele Effektketten verwendet, manchmal nicht so viele.”
Die Arbeit mit iranischen Tonquellen hatte aber auch ihre Herausforderungen. Insbesondere die traditionelle iranische Musik hat eine lange und komplexe Geschichte von Tonleitern und Stimmungssystemen, die nicht immer mit den westlichen Ansätzen des Musizierens übereinstimmen.
“Es ist produktionstechnisch wirklich schwierig, mit dieser Art von Musik zu arbeiten, erklärt” Alimagham. “Die Frequenzbereiche der iranischen Musik haben etwas Besonderes — sie sind groß und dröhnend, und wenn man versucht, viele dieser Töne miteinander zu kombinieren, kollidieren sie sehr leicht, sogar mit der Nae, einem flötenähnlichen Instrument. Um etwas Zusammenhängendes und für die Ohren Angenehmes zusammenzustellen, bedarf es großer Sorgfalt, was ein allgemeines Qualitäts-Siegel dieser Musik ist. Das Ausgangsmaterial ist für hochintensive Gefühlszustände gedacht. Unser Ziel ist es also, denselben hochintensiven Gefühlszustand zu erreichen und ihn in unserer eigenen Welt mit einem zeitgenössischen Sound zu kommunizieren.”
Neben den klanglichen Herausforderungen ist es auch nicht ganz einfach, die komplexen Rhythmen der Trommeln an einen standardmäßigen westlichen 4/4-Takt anzupassen. Nicht nur völlig andere Taktarten, sondern auch die Ausdrucksschwankungen von menschlichen Schlagzeugern können die Suche nach gut loop-baren Parts erschweren. Stattdessen fand Alimagham es spannender, eine iranische Schlagzeugspur zu nehmen, sie über einen elektronischen Puls zu legen und durchzuscrollen, bis es klick machte.
“Die Drums sind so frei gebaut, dass ich beim Samplen gar nicht erst versuche, irgendetwas zu arrangieren”, erklärt er. “Wenn ich produziere, klingt das Ganze die Hälfte der Zeit wie ein Unfall. Aber ich durchsuche das Sample einfach immer weiter, bis ich plötzlich merke: ‘oh, das ist es.’ Dann fange ich an, an dem Track zu arbeiten.”
Trotz aller Herausforderungen, die das Ausgangsmaterial mit sich bringt, treiben das starke Konzept und der Wille, ihr Erbe zu repräsentieren, Flower Storm voran. Vaseghi erklärt, dass die Songtitel aus Shahnameh stammen, einem Text aus dem 10. Jahrhundert, der auch als „Das persische Buch der Könige“ bekannt ist. Das Artwork des Projekts, entworfen von Vaesghi’s Bruder Morteza Vaseghi, zeigt englischen Text in einer persisch inspirierten Schriftart. Der Name Flower Storm selbst stammt aus einem Zeichentrickfilm aus den 1970er Jahren von Ali Akbar Sadeghi. Die über die Tracks verstreuten Samples sind Easterreggs aus der persischen Kultur, die von Neugierigen entdeckt werden können,. So zum Beispiel der Sound eines Zeremonienmeisters, der ein Pahlevani-Ritual durchführt — eine Kombination aus Gymnastik und Ringen, deren Geschichte bis ins alte Persien zurückreicht.
Vaseghi und Alimagham sind sich der Sensibilität bewusst, mit der man beim Sampling von Musik vorgehen muss, insbesondere wenn das Ausgangsmaterial aus nicht-westlichen Kulturen stammt. Auch trotz ihrer Herkunft empfinden sie die Verpflichtung, ihren Ansatz zu rechtfertigen und der Musik gerecht zu werden, von der sie ihre Inspiration beziehen.
“Ich bin Iraner. Wenn also jemand in Frage stellen sollte, dass wir persisches Kulturgut samplen, kann ich mich gern dagegen wehren ", meint Sepehr. “Mehr Respekt habe ich davor, es richtig zu machen und der Musik die Ehre zu erweisen, die sie verdient.”
“Wir sampeln Leute, die buchstäblich ihr ganzes Leben damit verbracht haben, ein bestimmtes Percussion-Instrument zu lernen,” fügt Vaseghi hinzu, “also hat man schon das Gefühl, man muss mit dem, was sie in puncto Hingabe geleistet haben, mithalten können.”
Wenn sie in die Zukunft des Projekts schauen, spürt man den Ehrgeiz des Duos Deutlich. Zusätzlich zu der unmittelbar zugänglichen Musik, mit der sie bisher gearbeitet haben, sollen sich ihre Klangquellen nun auch durch die Zusammenarbeit mit Live-Musikern erweitern - und über Kontakte durch verstaubte Kassettenkisten in Teheran Der gesamte Rahmen des Projekts bringt Ideen zum Vorschein, die durch bloßes Jammen ohne feste Agenda möglicherweise nicht entstanden wären. Genauso können seine einzigartigen Samples auch dich dazu inspirieren, deine Musik in neue Richtungen zu lenken.
Text und Interview: Oli Warwick
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