Electric Indigo: Sound ohne Schubladen
‘’Es geht nicht nur um Genres, es geht auch um Generationen,’’ sagt Susanne Kirchmayr über das Heroines of Sound Festival – ‘’und das macht es noch viel besser.’’ Kirchmayr, auch bekannt unter ihrem DJ und Produzenten Namen Electric Indigo, gibt uns einen Einblick in die genauere Bedeutung eines Events, welches unter anderem weibliche Innovationen in den experimentellen Rändern der elektronischen Musik zelebriert. Sie hat bereits bei vorherigen Ausgaben des Festivals in Berlin und Istanbul gespielt und bereitet sich nun darauf vor, in diesem Monat auch an der dritten Durchführung des Festivals teilzunehmen.
Die Aussage oben könnte man ohne Weiteres auf Kirchmayr selbst beziehen. Als treuer Bestandteil der Wiener Musikszene seit den 1980ern oszillierte Kirchmayr bereits zwischen HipHop und Funk, Techno verschiedener Ausprägungen, experimenteller Elektronik und der Speerspitze der Klangkunst. Genauso regelmäßig wie sie als Fixpunkt auf Clubflyern und unter Festivalzelten zu finden ist, steckt sie hinter Kompositionen und interdisziplinären Projekten, die raumzeitliche Interventionen im Sound Design erforschen. Außerdem ist sie die Gründerin des digitalen Netzwerkes und der Interessenplattform female:pressure. Im Vorfeld der Premiere ihrer neuesten Komposition 109.47 bei Heroines of Sound tauchte Kirchmayr akribisch in die Prozesse der Granularsynthese ein und veranschaulichte, wie die verschiedenen Stufen ihrer Karriere alle Teil desselben Kontinuums sind.
Bei „Heroines of Sound” 2014 hast du Morpheme performt, das ein Sample der Philosophin Sadie Plant als Kern hat. Gibt es für 109.47 eine ähnliche Klanggenese?
Ja, ich habe zwei Quellen als Ausgangsmaterial genommen. Die eine war die Aufnahme einer Barockorgel, deren mechanische Register zur Hälfte ausgefahren waren, so dass die Töne fast Atemgeräuschen glichen. Manchmal schnellten die Register zurück oder komplett heraus, denn es ist für sie kein stabiler Zustand, zur Hälfte herausgezogen zu sein. Daher gibt es in dem Stück auch diese Klickgeräusche. Die andere [Quelle] waren verschiedene Gegenstände, mit denen auf Holz geklopft wurde oder die Saiten in einem Flügel angeschlagen wurden. Beide Klangquellen sind sehr traditionell und das in etwas Zeitgenössisches zu transformieren, das war der Plan.
Mit welchen Tools hast du das Stück hauptsächlich geschrieben?
Robert Henkes Granulator II und Michael Norris’ SoundMagic Spectral, vor allem ein Gerät namens Grain Streamer, außerdem Spectral Freezing und Spectral Drone Maker.
In dem Auszug von 109.47 gibt es von 0:40 bis 1:20 einen Abschnitt, wo die ambientartige Brandung wegfällt. Kannst du im Detail erklären, wie dieser Part zustande kam?
Diesen Teil habe ich zusammengesetzt aus einigen Transformationen, in denen die Klaviersaiten pizzicato gezupft werden und diese Datei habe ich dann auf zwei Arten granuliert. Die Grainsize ist relativ groß, man kann also die ursprüngliche Klangtextur noch hören, sogar mit ziemlich extrem eingestellten Abtastraten. Das Sample ist insgesamt 22 sec lang und der Granulationseffekt tastet es 3000 Mal langsamer ab. Schon das macht es ziemlich besonders, aber der charakteristischste Effekt für diesen Sound ist Spectral Freezing, was diese harschen oder vereinzelten Sounds hervorbringt. Ich würde sagen, das ist der populärste Teil des Stückes, ausgehend von dem Feedback der Leute, die das Demo vorgespielt kriegen. Wenn man das Stück aber in einer mehrkanaligen Surroundumgebung erlebt, sind die Tiefseedrones immersiver als dieser Teil.
Apropos Live-Erlebnis, hast du für dieses Stück genaue Vorstellungen von einem idealen Setting oder von einem Ort für das Publikum?
Natürlich gibt es für die Mehrkanalstücke ideale Zuhörpositionen, und wenn möglich, versuche ich, mich in den Sweet Spot zu stellen, um beim Konzert den allerhöchsten Genuss zu haben [lacht]. Meistens schaffe ich es, den Aufbau so zu regeln, dass der Großteil des Publikums eine sehr räumliche Erfahrung hat; es geht da nicht um die Bewegungen von Sounds, sondern eher um einen Raum, der sich immens öffnet. Normalerweise bekomme ich vom Publikum keine heftigen Reaktionen, weil es ein Stück zum Zuhören ist, trotzdem kriegt man als Performer immer einen Eindruck davon, wie sehr es darin versunken ist. Das hat zu tun mit der Körperhaltung, möglichem Augenkontakt, einer Art von Körpersprache, die mir sagt, dass die Leute interessiert und sehr aufmerksam sind.
Hier gibt es also eine Parallele zum Handwerk des DJs, der Signale der Körpersprache verarbeitet.
Es ist viel einfacher festzustellen, dass der Dancefloor voll ist und dass die Leute schreien [lacht].
Wie betrachtest du das Nebeneinander deiner ganzen verschiedenen Projekte?
Das gehört alles zu derselben Welt, würde ich sagen, denn obwohl das Gefühl anders ist als beim Auflegen, waren der Sound vom Bass und den Drums das, was ich am Auflegen immer mochte. Obwohl ich heutzutage auch rhythmisch freie Musik mache, ist die Liebe zum Sound ziemlich genau dieselbe wie zu Anfang. Ich glaube, dasselbe gilt für viele Techno-Producer: Sie sind eher Sound Designer als Songwriter. Die Suche nach einem speziellen Sound und welche weiteren Sounds man sowohl ins Spektrum, als auch in den Raum und auf der Zeitleiste einpasst - das ist die typische Arbeit für einen Technohead, selbst wenn dabei irgendeine avantgardistische elektroakustische Musik herauskommt. Aber ich weiß, dass man dem manchmal schwer folgen kann. Mir ging es damals in den 1980ern so: Ich begann als DJane für Funk, Jazz und HipHop und wendete mich dann Techno zu. Die meisten Leute in Wien konnten das nicht verstehen, denn für sie war Techno wie faschistische Maschinenmusik [lacht]. Für sie war es das Gegenteil von Funk und für mich die Essenz von Funk und auch die Essenz von HipHop.
Sind für dich noch Ziele offen, die du in Angriff nehmen willst?
Für mich ist es die größte Herausforderung, einen richtig coolen Technotrack hinzukriegen [lacht]. Im Machen von Loopmusik kann ich nicht glänzen, aber die meiste Zeit lege ich Sachen auf, die zumindest auf Loopmusik basieren. Ich weiß nicht, ich komme mit der Struktur nicht zurecht, eine Idee sieben Minuten lang zu verfolgen. Mich erfüllen viel mehr Klangexperimente und lose Strukturen.
Bleiben Sie mit Electric Indigo über ihre Website auf dem Laufenden.