Drop It: Die elektronische Kick-Drum
Wer gerne elektronische Musik hört â besonders wenn sie Dance-orientiert ist â kennt das GefĂŒhl, eins mit der Kick-Drum (a.k.a. Bass-Drum) zu sein. Nicht nur, wenn urplötzlich der Beat einsetzt, sondern vor allem dann, wenn sich Ohren und Körper komplett mit dem Kick-Drum-Puls verbinden. Ganz gleich ob sie hĂ€mmert, pocht, stampft oder grollt â die Kick gibt vor, wann geswingt, gehĂŒpft und mitgenickt wird. Und wann die HĂ€nde in die Luft fliegen.
Aber worin liegt eigentlich dieser Zauber? Wo kommt die Kick-Drum her? Und wie lĂ€sst sich ihre Wirkung in eigenen Produktionen maximieren? David Abravanel gibt einen kurzen Ăberblick ĂŒber die Geschichte und DNA der elektronischen Kick-Drum.
Der groĂe Wumms
Die elektronische Kick-Drum war anfangs ein Versuch, akustische Kick-Drums nachzubilden. Deswegen macht es Sinn, zuerst ihre Bestandteile zu betrachten:
·   Attack: legt fest, wie schnell die Kick-Drum entsteht â ein kurzes âPingâ oder ein langsameres Bass-Grollen. Der Anschlag ist das transiente (perkussive) Element der Kick-Drum, und wenn er knackig ist, sticht sie im Mix heraus.
·   Body: Auf die Attack-Phase folgt das Bass-Gewicht der Kick-Drum. WĂ€hrend der Anschlag fĂŒr Aufmerksamkeit sorgt, spricht der Körper der Kick-Drum die Seele (und das Hinterteil) an.
·   Decay: Das Ausklingen der Kick-Drum kann sehr kurz sein, aber auch den markantesten Teil darstellen. Zum Beispiel bei lÀngeren 808-Kick-Drums, deren langes Ausklingen so typisch ist.
Hier einige Beispiele fĂŒr Kicks mit unterschiedlichen Attacks, Bodys und Decays, gemacht in Live mit Operator, Drum Buss, Dynamic Tube, Delay, Redux, Saturator und EQ Eight:
Die Beispiele zeigen, dass sich mit den gleichen grundlegenden Tools fĂŒr Sound Design und Klangbearbeitung sehr unterschiedliche Sounds erreichen lassen.
FrĂŒhe Maschinen-Kicks
Die ersten Drum Machines waren eher Maschinen als Drums â primitive Synthesizer, spezialisiert auf repetitive Rhythmen. Das Rhythmicon des Elektronik-Pioniers und Erfinders Leon Theremin gilt als das erste Instrument, das als Drum Machine bezeichnet werden kann. So klang sein Piepsen und Surren:
SpÀtere Entwicklungen verstÀrkten den perkussiven Charakter, doch der Wumms lieà noch auf sich warten. Donca Matic (Namensgeber eines Songs von Gorillaz) erschien 1953 als erstes Produkt der Firma Korg:
Man darf nicht vergessen, dass diese Maschinen damals einem ganz bestimmten Zweck dienten. Sie waren erweiterte Metronome, die Musiker beim Ăben und Aufnehmen von Demos unterstĂŒtzen sollten. Und âplatzsparendeâ Lösungen fĂŒr Heimorgelspieler.
Die Kick beginnt zu grooven
Die Geschichte der Musiktechnologie ist reich an glĂŒcklichen ZufĂ€llen und versehentlichen Anwendungen, die dann zu neuen Formen des kreativen Ausdrucks fĂŒhrten â von defekten Lautsprechern, die Gitarren verzerrten, bis zu den BeschrĂ€nkungen digitaler Synths und Sampler, die Glitch-Sounds hervorbrachten. Genau wie andere Pioniertaten waren die ersten Songs mit Drum Machines faszinierend. Von Stevie Wonder ĂŒber Sly and the Family Stone bis zu Iggy Pop â manche wegweisenden KĂŒnstler befassten sich gerade wegen ihrer maschinellen Ungelenkigkeit mit ihnen.
Es waren jedoch vor allem Disco-Produzenten, die den Grundstein fĂŒr die elektronischen Kick-Drums von heute legten. Die Zusammenarbeit von Donna Summer und Giorgio Moroder fĂŒhrte zu zeitloser Musik, die auch heute noch regelmĂ€Ăig auf Dancefloors zu hören ist. Mit Songs wie âI Feel Loveâ wurde die elektronische Kick-Drum etabliert â als nicht-menschlich klingender Puls, der zum Tanzen auffordert. Abseits der Disco fanden die wegweisenden Industrial-Provokateure Throbbing Gristle eine ganz andere Kick-GlĂŒckseligkeit:
UngefĂ€hr zur selben Zeit gelang es der New Yorker Punkband Suicide, die Formel âOrgel + Drumcomputerâ von Alleinunterhaltern der 1960er und 70er Jahre auf die Spitze zu treiben â in beschleunigter und minimalistischer Form. Ihr Synth-Punk-Prototyp wurde von der elektronischen Bass-Drum der Seeburg Select-A-Rhythm angeheizt und durch trashig klingende Distortion und Gitarren-Amps geschickt:
Kick it!
Wenn Sie HipHop, Techno oder House hören, kennen Sie die legendĂ€ren Drum-Machine-Kicks der 1980er Jahre â allen voran die berĂŒhmte und omniprĂ€sente Kick-Drum der Roland TR-808. Sie erschien 1982 als Nachfolgerin von Roland-Drum-Machines wie der CR-78, die fĂŒr Organisten und Songwriter gedacht war und beim Aufnehmen von Demos den Session-Drummer ersetzen sollte.
Beim Hören wird schnell klar, dass die 808 kein besonders guter Ersatz fĂŒr akustische Drums ist. Doch ihre fremdartigen Sounds â zum Beispiel die monolithische, raue und druckvolle Kick-Drum â machten sie zur Ikone. Die 808-Kick ist so legendĂ€r, dass auf vielen Wegen versucht wurde, sie mit Hard- und Software nachzubilden: Hier unsere Zusammenstellung von Tutorials zu 808-Kicks in Live.
Wie bereits erwÀhnt, klang die 808 zwar satter als die Donca Matic, konnte aber trotzdem den Drummer nicht ersetzen.
Die 1983 veröffentlichte TR-909 war Rolands nĂ€chster Streich in Sachen Drum Machine. Die Cymbals wurden mit einfachen Samples erzeugt, und die (immer noch) analoge Kick-Drum hatte mehr Attack und Tiefe â ihr hartes Pumpen prĂ€gte House und Techno und funktioniert hervorragend mit Distortion.
Wie man hört, besitzt die 909-Kick einen hĂ€rteren Attack und Körper als die Kick-Drum der 808. Sie sticht im Mix mehr hervor, wĂ€hrend die 808-Kick-Drum eher dröhnend-bassig klingt â perfekt fĂŒr Trap-Beats, bei denen die Hi-Hat-Triolen und knalligen Snares die mittleren und hohen Frequenzen besetzen und im Bassbereich genĂŒgend Platz fĂŒr die 808 bleibt.
Digitale Kick-Drums
NatĂŒrlich blieb die Kick-Drum nicht fĂŒr alle Zeiten analog. Die Legende besagt, dass viele Profi-Musiker ihre 808 und 909 in Second-Hand-Shops brachten (wo sie von aufstrebenden House-, HipHop- und Techno-Produzenten aufgegriffen wurden) und sich vom Erlös die ersten Sample-basierten Drumcomputer zulegten. Die Samples entstammten akustischen Drums, wurden aber von EPROM-Chips mit kleinen Bit- und Sampleraten abgespielt, was ihnen ein ganz eigenes elektronisches Flair gab.
Wollen Sie Ihren Drum-Samples eine authentische LinnDrum-Bearbeitung verpassen? Ableton-MitgrĂŒnder Robert Henke stellt dafĂŒr freundlicherweise einen kostenlosen Max-for-Live-Effekt zur VerfĂŒgung: Microdrum.
NatĂŒrlich hatten digitale Drum Machines weit mehr zu bieten als nur Speicherplatz: Eine Prise Frequenzmodulation kann Kick-Drums auffrischen und markant klingen lassen. Autechre sind wahre Meister der FM-Percussion â achten Sie mal auf die knackige digitale Kick-Drum und Percussion ihres Tracks âTilapiaâ:
Kick-Drums mixen â Tipps vom ExpertenÂ
Ganz egal ob mit Synthese oder Sampling erzeugt und analogen oder digitalen Klangquellen entlockt: Die Kick-Drum sollte perfekt in den Mix passen. Kevin McHugh, der Mixing- und Mastering-Engineer von Valence Studios, hat in dieser Hinsicht wertvolle Tipps.Â
EQ und Kompression sind die beiden Effekte, die am hĂ€ufigsten auf elektronische Kick-Drums angewendet werden. âEine gut gebaute Kick braucht nur wenig EQâ, so McHugh. âDoch Kompression ist fĂŒr die meisten Sounds in der elektronischen Musik sehr wichtig. Leider wird Kompression oft als âLautstĂ€rketasteâ behandelt und weniger als das, was sie eigentlich ist â ein Tool, mit dem gleich mehrere Kick-Aspekte im Mix verbessert und kontrolliert werden können. Ein Kompressor kann Kick-Drums dynamischer oder flacher klingen lassen, Attack oder Decay betonen, harmonische Verzerrung liefern oder den Sound der Kick-Drum aufrĂ€umen. Wenn man die Kompressor-Einstellungen versteht und weiĂ, wie sie sich auf den Sound der Kick-Drum auswirken, kann das den Mix schlagartig verbessern.âÂ
Wenn man mit elektronischen Kick-Drums im Mix unzufrieden ist, liegt das oft an zwei Dingen: âSie setzen sich nicht durchâ oder haben kein âGewichtâ. Kevin McHugh weiĂ fĂŒr beides eine Lösung:Â
Durchsetzungskraft: âMan sollte sich weniger auf typische Synthese-Aspekte wie ADSR und mehr auf ihre Komponenten konzentrieren: Transient (der Attack-âKlickâ), HĂŒllkurve (der Ăbergang vom âKlickâ zum âWummsâ) und Decay (der âBoomâ am Ende). Wenn die Kick-Drum sich im Mix nicht durchsetzt, liegt es meist daran, dass die Balance zwischen diesen Komponenten nicht stimmt. Vielleicht ist der Transient nicht hell genug und geht deswegen unter. Oder die Decay-Phase ist zu lang und lĂ€sst die tiefen Frequenzen des Tracks matschig klingen. Damit die Kick-Drum hervorsticht, muss meist eine dieser drei Komponenten angepasst werden.âÂ
Gewicht: âMeist hĂ€ngt es von der HĂŒllkurve oder Decay ab, weil sie die tiefsten Frequenzen und lautesten Phasen einer Kick-Drum reprĂ€sentieren. Damit sie wuchtiger klingt, lĂ€sst man die HĂŒllkurve am besten von einem tieferen Punkt starten und beschleunigt das Ausklingen. NatĂŒrlich wirkt ein langes und tieffrequentes Ausklingen erst mal âfettâ, aber wenn der âWummsâ fehlt, ist die Kick-Drum nur ein warmes (Bass-)LĂŒftchen.â
Kick-Drums stimmen â oder nicht?Â
Wenn Sie in Produktions-Foren â etwa unserem â unterwegs sind, haben Sie bestimmt schon mal gelesen, dass die Kick-Drum auf die Grundfrequenz der Bassline abgestimmt werden sollte. âDas ist eine komplett subjektive Entscheidungâ, sagt McHugh. âMenschlichen Ohren fĂ€llt es schwer, Tonhöhen unter 60 Hz voneinander zu trennen â das ist genau der Bereich, in dem viele Kick-Drums ausklingen. In manchen Tracks funktioniert diese Frequenz wie eine Bassline-Note und sollte deswegen gestimmt sein. In anderen Tracks ist einfach ein Wumms an der richtigen Stelle notwendig, damit Bewegung in die ĂŒbrigen BĂ€sse kommt.â Entscheiden Sie also am besten selbst â und achten Sie darauf, dass in den tiefen Frequenzen kein Matsch entsteht.
Eigene Kick-Drums bauen
Zum Schluss noch ein paar grundlegende Tipps von Kevin McHugh. Hier seine Antwort auf meine Frage nach besonderen Kick-Drum-Tricks:
Vielleicht klingt es abgedroschen, aber ich lasse die âTricksâ und besondere Hardware inzwischen links liegen. Stattdessen versuche ich, meine Ohren weiter zu entwickeln und noch besser einzusetzen. Teure Lautsprecher sind nutzlos, wenn sie im jeweiligen Raum nicht optimal abgehört werden können. Und clevere Mixing-Tricks fĂŒhren nur dann zu guten Ergebnissen, wenn man sich das Material aufmerksam anhört. Eine Kick-Drum sollte wie eine Figur auf einem Schachbrett sein. Sie ist ein einzelner Spieler und deswegen bedeutsam, funktioniert aber nur im Zusammenspiel mit den anderen Elementen. Wenn man versteht, wie sie sich bewegt und strategisch einsetzen lĂ€sst, wird das Spiel viel interessanter.
Jetzt haben Sie die Geschichte der elektronischen Kick-Drum kennengelernt â und wie man sie macht und mixt. Zeit fĂŒrs Musikmachen: Holen Sie sich als Inspiration ein kostenloses Pack mit 39 Kick-Sounds in zwei Drum Racks. Alle Sounds wurden mit Ableton-Instrumenten und -Effekten produziert: Operator, Drum Buss, Saturator, Redux, Dynamic Tube, EQ Eight, Delay und Utility.Â
DOWNLOAD â kompatibel mit Live 10 Suite, Standard und Intro
Wenn Sie tiefer eintauchen und sich fĂŒr eigene Kick-Drum-Synthese inspirieren lassen wollen, können Sie sich auch ein zweites Live-Set herunterladen (erfordert Live Suite 10). Hier sind die Synthese-Einstellungen der Kick-Drum-Sounds enthalten:Â