Drone Lab: Flächen aus Sound
Drones finden seit Jahrzehnten ihre Wege in Musik und Soundproduktion. Im Grunde meint der Begriff gehaltene, langgezogene Noten und Soundcluster; der Glaube an die transformative Kraft jener Klänge existiert über Generationen, Kontinente und Communitys hinweg. Auf Drones aufbauende ASMR-Video-Playlists werden heute als Hacks für mehr Produktivität beworben, und auch traditionelle Sound-Meditationspraktiken wie Gong Baths erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Wer Katharsis sucht, findet mitunter sogar auf Noise-Konzerten zu innerem Frieden.
Das in diesem Jahr veröffentlichte Werk Monolithic Undertow von Harry Sword untersucht Geschichte und kulturelle Kontexte von Drones, in- und außerhalb der Musik. Sword zufolge beginnt die Anziehungskraft, die beständige Geräuschkulissen auf uns haben, schon im Mutterleib. „Die Klänge des Körpers – der Fluss des Blutes, der Herzschlag, das Gurgeln des Verdauungstrakts – werden vom Fötus nicht nur wahrgenommen, sondern auch laut und deutlich gehört.” Die Soundkulisse im Körper kann bis zu 88 Dezibel laut sein – das mag erklären, wieso so viele Menschen durch flächige Klänge innere Ruhe finden.
„Drone Lab”, eine Sammlung an Tools und Sounds für Live 11, widmet sich ganz dem immersiven Potenzial von Drones. Das Pack lädt zum Spiel mit Momentum und Dynamik ein, ermöglicht Improvisationen mit Mikrotonalität und kann sogar Praktiken der Meditation und klanglichen Heilung dienen. In diesem Text erklären Künstler:innen, die zum Pack beigetragen haben, die Methoden und Intentionen hinter ihren Arbeiten.
Heilige Klänge mit Geschichte
„Während das Konzept des Drone-Klangs eigentlich ein althergebrachtes und überaus traditionsreiches ist, hören wir derartige Klänge heute ständig – unsere Gegenwart ist voll von der Drone des Industrielärms. Ich halte es für wichtig, diese Verbindung herzustellen”, erklärt uns die Komponistin und Produzentin Ami Dang. Dang wuchs in einem Sikh-Amerikanischen Haushalt in Baltimore auf, in dem häufig von Drones beeinflusste, andächtige Musik lief. Heute fusioniert sie in ihrer Musik Sitar mit Vocals und elektronischen Elementen, mit ‘beatgetriebenem Ambient-Psych, in dem Westen und Osten aufeinandertreffen’ als Resultat.
Dangs Hauptinstrument, die Sitar, hat von Natur aus einen Stakkato-Klang. In der klassischen indischen Tradition wird das gezupfte Instrument jedoch häufig über die Drone der Tanpura gespielt – einem obertonreichen, bundlosen Instrument mit vier Saiten, dessen langgezogene Bassnoten sich gut als harmonischer Grundstein für Musikstücke eignen. Als Solo-Künstlerin nutzt Dang den Raagini Digital, eine elektronische Version des Tampura, der besonders für seine einfache Bedienbarkeit beliebt ist. Die Drone ist einfach einzustellen und zu verändern, und erzeugt einen Pitch, der gestimmt werden kann und zur Improvisation und zum Darüberspielen einlädt. Man kann den Raagini Digital auch einsetzen, um sich in musikalische Stimmung zu versetzen – „Manchmal mache ich ihn an, während ich Abendessen mache, und singe dazu. Oder die Drone ist zu Hause einfach präsent, das ist schön.”
Teil von Drone Lab ist ein Rack, das auf Samples der E-Tanpura aufbaut, sowie auf Dangs eigenen, weiterverarbeiteten Aufnahmen des Outputs des Geräts. Außerdem hat die Musikerin ein Harmonium aufgenommen, dessen mikrotonales Spektrum sie voll ausschöpft – während westliche Harmoniums in der Regel nur die chromatische (12-Ton-)Tonleiter spielen, können modifizierte Harmoniums alle 22 Shrutis (Mikrotöne) wiedergeben, die in der indischen klassischen Musik gebräuchlich sind.
Für die Sitar-Aufnahmen griff Dang auf eher unkonventionelle Methoden zurück: Mit einem EBow nahm sie langgezogene Töne auf. „Ich wollte diese düsteren, rauschenden Artefakte erzeugen, indem ich die Saiten ein bisschen gröber oder sanfter angeschlagen habe, oder indem ich mit der Bogengeschwindigkeit experimentiert, ihn langsamer und gezogener gespielt habe. So hört man mehr Artefakte beim Spielen.” Ähnlich verfuhr sie mit einem Dilubra, das sie von ihrer Mutter geliehen hatte.
Ganz nebenbei tangiert Dang dabei auch eine Idee, die sich in vielen indischen Religionen wiederfindet, und die oft mit dem aus dem Sanskrit stammenden Begriff Nada Brahma bezeichnet wird: „Klang ist Gott”. Die Idee dahinter lautet, dass sich das Göttliche in Form von Schallwellen in der Vibration des Universums findet. Die musikalische Drone kann demnach sowohl als Darstellung dieser kosmischen Kraft, als auch als eine Möglichkeit betrachtet werden, mit jener in Verbindung zu treten.
Zeitgenössischer Ambient
Die Klänge des Universums dienen bis heute als Inspiration für zeitgenössische Arbeiten. William Basinskis 2019 erschienenes Werk On Time Out of Time enthält die „Aufnahme” eines Ereignisses, das 1,3 Millionen Jahre her ist: Die Kollision zwei massiver schwarzer Löcher, eingefangen durch das „Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory” (LIGO), gesteuert von MIT und Caltech. Basinskis verwandelt das physisch und zeitlich in weiter Ferne liegende Ereignis mit seidig klingenden Sounds in eine epische Lovestory.
Niall McCallum von ModeAudio ließ sich für seinen Beitrag zu Drone Lab von Basinski inspirieren. Neben einer ganzen Reihe an voluminösen Bässen, flirrenden Atmosphären und rauschhaften Texturen aus der ModeAudio-Library hat er eine Auswahl an Instrumenten und Audio-Effekt-Racks zusammengestellt, die für zusätzliche Präzision und Kontrolle beim Formen der Sounds sorgen.
Die Auswahl des geeigneten Instrument ist für McCallum der erste Schritt beim Erstellen eines Instrument-Racks. „[Lives] Wavetable ist super darin, einem genau das zu geben, was man braucht. Er eignet sich sehr gut für Bewegung – mit zwei verstimmten Stimmen bekommt man einen Wobble-Effekt, der sich auch für diese Art von Sound eignet.”
Beim Arbeiten mit Drones sei es wichtig, den Raum im Kopf zu behalten, in dem der Sound stattfindet. „Ich liebe die Fähigkeit von Reverb, einen Sound innerhalb eines bestimmten Kontextes zu platzieren, egal ob virtuell oder real.” Einem speziellen Klang innerhalb eines Frequenzbereichs genug Raum zu geben, um gehört zu werden, kann gerade durch die Einfachheit ein Gefühl des Überflusses erzeugen. „Ich bin der Ansicht, dass ein Sound mit einem riesigen Reverb mehr als genug ist, um mich als Hörenden zu fesseln.”
McCallum geht bei jedem Schritt des Prozesses streng methodisch vor, immer darauf bedacht versehentliche Änderungen oder Unterbrechungen der Signalketten zu vermeiden. „Ich kombiniere Plug-ins, als gäb’s kein morgen. Ich bin immer ein bisschen paranoid, wenn ich in ein bereits eingestelltes Plug-in nochmal reingehe, habe Angst, damit irgendwas kaputtzumachen. Wenn man einen EQ richtig eingestellt hat und dann Effekte hinzufügt, wird das das Signal auf irgendeine Art verändern. Also eigentlich ändert es alle nachfolgenden Plug-ins, wenn man einen ursprünglichen EQ nochmal verändert.”
Improvisation
McCallum hatte zwei unterschiedliche Kategorien Drone-inspirierter Musik im Kopf, als er sein Projekt begann. Jeder davon widmete er ein eigenes Improvisations-Set: „Das eine ist leichter, ätherischer, es klingt nach Artists wie Stars of the Lid. Deren Sachen sind beruhigend, warm und üppig. Es ist orchestral, irgendwie wie ein warmes Vollbad. Die andere Seite des Sounds klingt eher wie SUNN O))) – knirschend, düster und verzerrt.”
„Die Intention hinter den beiden Sets ist nicht nur das Ausstellen von Presets – Vielmehr geht es mir dabei darum, sowas wie Makro-Instrumente zu bauen. Man kann die Sessions laden und Play drücken und sie erzeugen immer neue Sequenzen, weil jeder Teil davon relativ zufällig zwischen den verschiedenen Clips springt. Man könnte sie also theoretisch ziemlich lange anhören, ohne dass sich irgendetwas wiederholt.”
Ein wesentliches Ziel bei der Entwicklung von Drone Lab war, einen Ausgangspunkt für die Arbeit im Moment zu schaffen. Sofia Nicolas Melero aus dem Pack-Team von Ableton erklärt: „Das Pack wurde geschaffen, um das Spiel mit wunderschönen Drones zu ermöglichen. Das Hauptziel dahinter war aber, es Menschen zur Verfügung zu stellen, um damit zu improvisieren.”
„Emergent Planes” ist Meleros Eigenkreation. Das Set wurde entwickelt, um gespielt und erfahren zu werden, und um langsam darauf aufzubauen. Sie empfiehlt, sich langsam durch jeden Kanal zu arbeiten, die einzelnen Elemente langsam und nacheinander einzuführen. „Es ist wirklich hilfreich, wenn man sich auf nur eine einzelne Sache konzentriert – es geht dabei um sehr kleine Veränderungen des Sounds. Es ist wie Meditation: Komm zur Ruhe und richte deine Aufmerksamkeit ganz auf den Moment.”
Ein Verzetteln mit technischen Problemen zu vermeiden, kann ebenso zur Konzentration beitragen. Viele Namen der Makro-Regler des Racks sind keine konkreten technischen Beschreibungen, sondern eher bildliche Begriffe, die die dahinterliegenden Parameter bewusst im Dunklen lassen. So kann man etwa den „Parallel Universe” aufdrehen oder mit dem „Water > Air”-Regler spielen – um herauszufinden, was damit gesteuert wird, ist aber gutes Zuhören gefragt. Melero erklärt, „wenn wir eine Funktion haben und technisch gesehen wissen was sie kann oder tut, dann neigen wir dazu, bereits zu wissen was deren Veränderung bewirken wird. Es kann sogar passieren, dass wir Dinge hören, die gar nicht wirklich stattfinden. Manchmal neigen wir dazu, mehr mit dem Kopf zu hören, je technischer es wird.”
Heilende Frequenzen
„Drone Lab war für mich eine tolle Plattform, um mit metaphysischen Ideen zu spielen, die ich in ein teilbares und benutzbares Format bringen wollte,” erklärt Produzentin und Klangkünstlerin Xosar. Ihr Interesse gilt vor allem dem Bereich der klanglichen Heilung – Sowohl ihre Forschung als auch ihr kreativer Output haben dadurch eine ganze Reihe an spontanen Veränderungen erfahren.
Die Arbeit an ihrem Pack, das sieben Instrument-Racks und über 100 Samples umfasst, baute auf einem gemeinsamen Thema auf: Ein Bewusstsein für die Fähigkeit von Klängen zu schaffen, Realität, Materie und Heilung zu beeinflussen.
Mithilfe eines Ambisonic-Mikrofons sampelte sie ihre Stimmgabel-Sammlung in einem speziellen Set an Intervallen, die als Solfeggio-Frequenzen bekannt sind. Jede der jeweils 111 Hertz voneinander entfernten Frequenzen der Serie repräsentiert eine andere reinigende und heilende Kraft für Körper und Geist. „Diese Samples sollen den Menschen die Möglichkeit geben, heilende Frequenzen in ihre Musik einfließen zu lassen, Kohärenz und Struktur zu schaffen. Auch wenn nur eine Schicht davon in einem größeren musikalischen Kontext steht, wirkt sie wie ein Vitamin – ein kleiner, gesunder Nährstoff.”
Als Beweis für die Heilkraft dieser Frequenzen gilt laut Xosar eine Sammlung an Phänomenen, die als Cymatics bekannt sind: Schallwellen ordnen Partikel in geometrische Formen. „Sand formt verschiedene Muster, abhängig davon, welche Frequenz gespielt wird. Während manche Frequenzen keine besondere geometrische Form erzeugen, gibt es ein paar spezielle Frequenzen, die irgendwie dazu in der Lage sind, den Sand in perfekte geometrische Formationen zu ordnen. Daraus lässt sich folgern, dass spezielle Frequenzen Materie von Grund auf neu strukturieren.”
Über die heilende Kraft der Frequenzen hinausgehend hat die Künstlerin auch eigene Energien einfließen lassen. „Wenn ich die Aufnahme mache, ist es für mich bedeutend, dass ich mich in einem ganz speziellen Geisteszustand befinde, in dem ich die Aufnahme bewusst beeinflusse. Weil ich auf Quanten-Ebene fest daran glaube, dass meine Intention Eingang in jedes Sample finden wird.”
Die Erforschung der Mikrotonalität
Xosars Interesse gilt auch dem Feld der Mikrotonalität. Vom Musiktheoretiker Erv Wilson beeinflusst, nutzte sie Drone Lab, um ihre Arbeit an einem alternativen Stimmungssystem mit anderen zu teilen. Die Entdeckung von Wilsonic, einer iPad-App zur Erforschung von Wilsons Arbeit, machte der Künstlerin nach eigener Aussage ganz neue Aspekte der Wirklichkeit zugänglich.
„Derartige Stimmungssysteme sind im Grunde eine Reihe an mathematischen Beziehungen, die entweder auf geometrischen Formen aufbauen, oder auf irgendeiner anderen Art komplexer mathematischer Verbindungen. Wilson hat höhere Mathematik und Vektor-Berechnungen eingesetzt, um jeden Punkt der Form zu erforschen, oder um eine Formel zu finden, mit deren Hilfe er jeden Punkt auf einer 3D-Ebene ableiten und in numerische Werte konvertieren könnte, die dann wiederum in ein Stimmungs-System umgewandelt wurden.”
X3RKABA ist das Instrument der Künstlerin, das auf Wilsons „Star Tetrahedron”-Stimmungssystem basiert, abgeleitet von einem 3D-Modell zweier sich überschneidender Pyramiden. Dieser als Merkaba bekannten Form werden starke esoterische Kräfte nachgesagt. Für Xosar soll das Integrieren jener Kräfte in ihre Musik sowie das Teilen jener Konzepte mit anderen dazu führen, dass der Glaube daran, dass Sound unsere Realität beeinflusst, stärkere Verbreitung findet.
„Letztlich ist eine der Botschaften, die ich vermitteln will, dass wir die Kraft haben, unsere eigene Intention in alles einfließen zu lassen, was wir herstellen und gestalten.”
Mehr Infos finden Sie auf der Packs-Seite.