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Hol dir das Live-Set von Nadia Struiwighs neuem Track Leelow Waters
Konformität ist in unserer Welt ein hoher Wert – da kann der Zwang, unsere Musik mit Labels zu versehen und verschiedenen Genres zuzuordnen, zuweilen unserer Kreativität im Wege stehen. Facettenreiche Künstler:innen wie Nadia Struiwigh begreifen diesen Druck als eindringliche Mahnung, für die eigene Individualität einzustehen.
Struiwigh lässt sich von visuellen Eindrücken aus ihrer Umgebung und von dem inspirieren, was sie Märchenländer ihrer Fantasie nennt. Sie schafft nuancierte, eklektische Kompositionen voller Eleganz, die sich jeder Kategorisierung entziehen. Ihr genreübergreifendes Werk, das Techno, Ambient und Elektro umfasst, mischt auf einzigartige Art experimentelle Electronica, die auf renommierten Labels wie Central Processing Unit, Nous'klaer Audio und Dekmantel erschienen ist.
Außerhalb des Studios erkundet Struiwigh in Live-Sets und DJ-Auftritten verschiedenste Stile. Mit Anklängen an Techno und Drum & Bass bietet ihre Musik vertraute Anhaltspunkte, von denen aus sie sich schnell in unbekannte klangliche Gebiete bewegt.
Gemeinsam mit XLR8R haben wir mit Struiwigh über ihr Leben als unabhängige Künstlerin sowie die technischen und philosophischen Konzepte hinter ihrer Musik gesprochen. Noch mehr Einsichten bietet das Live-Set ihres Tracks „Leelow Waters”, den sie als Download zur Verfügung stellt.
Download: Das Live-Set zu Nadia Struiwighs Track „Leelow Waters”*
*Du brauchst dafür eine Live-12-Suite-Lizenz oder die kostenlose Testversion.
Bitte beachte: Dieses Live-Set und alle enthaltenen Samples sind ausschließlich für Bildungszwecke gedacht und dürfen nicht für kommerzielle Zwecke genutzt werden.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, heute mit uns zu sprechen, Nadia. Kannst du uns etwas über deinen Hintergrund erzählen, und darüber, was dich zum Musikmachen inspiriert hat?
Sicher! Das begann alles, als ich noch sehr jung war. Anstatt einfach nur Lieder zu hören, habe ich ganz natürlich Frequenzen wahrgenommen und angefangen, verschiedene Elemente in der Musik zu beobachten. Wie die meisten Teenager erreichte ich die Phase, in der ich anfing, auf Partys und Raves zu gehen. Einmal war ich auf einem Rave und plötzlich fragte mich jemand: „Hey, hast du vielleicht Lust, auf unserer Party aufzulegen". Ich hatte noch nie aufgelegt, also sagte ich: „Äh, ja klar." Schon bald darauf habe ich angefangen, Musik zu machen. Mein damaliger Partner hatte einen Laptop, auf dem Reason installiert war. Ich erinnere mich noch an den Moment, als ich ihn im Bett auf den Schoß nahm und mit aufgesetzten Kopfhörern einfach anfing, einen Track zu machen.
Was glaubst du, hat dich seitdem motiviert, weiter Musik zu machen?
Wenn ich eine Woche lang keine Musik mache, habe ich das Gefühl, mich nicht ausgedrückt zu haben. Wenn ich zum Beispiel in den Urlaub fahre – obwohl es für viele Leute toll ist, zwei oder drei Wochen wegzufahren –, werde ich super unruhig. Ich muss Dinge erschaffen. Für mich ist das ein Muss, um mich zu entspannen; eine Möglichkeit, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Musik zu machen ist im Grunde meine Hauptsprache. Wenn ich mich ausdrücken und zeigen will, wie ich mich fühle, schicke ich jemandem lieber einen Track, als Worte zu benutzen.
Welche anderen Künstler:innen haben deine Arbeit inspiriert?
Ich bin mit Enya und Genesis aufgewachsen, und von meinem Vater kamen die Dire Straits. Es war schön, mit dieser Art von Musik aufzuwachsen, die hatte Seele und kam von Herzen. Die machten damals Musik mit den Mitteln, die sie eben hatten. Und jetzt, obwohl wir KI und so weiter haben, kommt sie gar nicht mehr zu dem Punkt.
Später habe ich dann mehr elektronische Musik entdeckt. Ich bin auf den Aphex Twin-Zug aufgesprungen. Ich mochte Boards of Canada, Om Unit und dBridge. Clarke war eine große Inspiration. Border Community machte eine ganze Phase in meinem Leben aus. Und die Arbeit von James Holden hat mich sehr inspiriert. Er hat mir gezeigt, dass experimentelle Musik viel mehr mit der Seele zu tun hat, als uns bewusst ist.
Ist es für dich schwierig, dich als Multigenre-Künstlerin zu vermarkten?
In der Regel fällt es leichter, sich zu verkaufen, wenn man einmal einem bestimmten Genre zugeordnet wurde, sei es Techno, EDM oder was auch immer. Aber immer, wenn mir das passiert, ziehe ich mich zurück und bin so: "Nein – das ist nicht alles, was ich bin". Ich will nicht nur mit einer Art von Energie in Verbindung gebracht werden. Ich musste dafür wirklich hart daran arbeiten, meinem eigenen Denken und meinen Überzeugungen zu vertrauen.
Hattest du jemals formalen Musikunterricht?
Nein. Aber ich konnte, als ich jünger war, Songs immer direkt auf einem Keyboard spielen, ohne die Noten zu kennen. Das nennt man „absolutes Gehör”, ich kann Dinge also leicht in Tonleitern einordnen. Mir ist klar geworden, dass man in der klassischen Ausbildung oder in jeder anderen Art von Schule Methoden angeboten bekommt, mit denen man arbeiten und sich ausdrücken kann, aber ich habe meine eigenen Methoden entwickelt. Wenn ich Musik mache, kanalisiere ich starke Emotionen. Gestern Abend zum Beispiel habe ich meinen Ambient-Track in nur 30 Minuten geschaffen, weil ich so in Kontakt mit meinen Gefühlen war. Es geht also nicht immer um bestimmte Werkzeuge oder Techniken, sondern um das, was man fühlt. Das ist es, woran ich denke, wenn ich meine Musik mache. Es geht nicht um einzelne Elemente, wie zum Beispiel, dass ich eine Kick brauche. Nein, es geht um die Energie, die Frequenzen und die Palette, mit der man arbeitet. Das ist eine universelle Sprache.
Du bist auch für deine Leidenschaft für Musiktechnik bekannt. Wie kam das?
Als ich klein war, arbeitete mein Vater in der Technikbranche. Er war bei verschiedenen Unternehmen in ziemlich hohen Positionen beschäftigt. Er kam immer mit den neuesten Gadgets nach Hause, also war es in meine DNA einprogrammiert, ein Technik-Nerd zu werden, denke ich. Instagram wurde später zu einer Plattform, auf der ich meine Leidenschaft für Musikgeräte teilen konnte. Mein Account wuchs sehr schnell, sobald ich begann, Wissen zu teilen und eine Online-Community aufzubauen.
Schauen wir uns das Live-Set an, das du uns zur Verfügung gestellt hast. Kannst du etwas über die Inspirationen hinter dem Track und seinem Titel „Leelow Waters" erzählen?
Wenn ich Musik mache, tauche ich oft in eine Art Märchenland ein – ich bin nicht mehr so ganz in der realen Welt. Ich bewohne meine eigene Welt voller hoffnungsvoller und inspirierender Geschöpfe. Das spiegelt ein bisschen wider, wer ich bin; ich liebe Star Wars, Herr der Ringe und diese ganzen Sci-Fi-Fantasy-Geschichten.
„Leelow Waters" stammt aus einem Kapitel eines Fantasy-Konzepts, das ich entwickelt habe. All diese Namen fallen mir spontan ein - sie tauchen einfach auf. Ich könnte wahrscheinlich ein ganzes Buch darüber schreiben, denn es ist wie ein lebendiges Gemälde in meinem Kopf. Im Grunde male ich die ganze Szenerie mit meiner Musik.
Gibt es eine bestimmte Methodik, die der Produktion von „Leelow Waters" zugrunde lag?
Für mich war das Projekt eine Gelegenheit, meine Software-Skills zu verfeinern. Manchmal arbeite ich gern am Computer; das kann meine Kreativität auf verschiedene Weise anschieben. Normalerweise bin ich mit Hardware schneller, aber dieser Track kam einfach anders zusammen.
Drum-Racks scheinen in diesem Projekt eine wichtige Rolle zu spielen. Du hast einige interessante Kits mit nuancierten Hits, Geräuschen und Texturen ausgewählt.
Ja, ich verwende oft Sounds aus den Drum-Racks in der Library von Ableton Live , denn ich finde, man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Manchmal mag ich es, Dinge von Grund auf neu zu erschaffen; das fühlt sich therapeutisch an. Aber manchmal möchte ich auch einfach nur komponieren. Ich möchte Elemente finden, die meine Seele ansprechen, und dann kann ich schnell arbeiten. Beim Komponieren bin ich sehr schnell. Das ist für mich ähnlich wie beim Malen. Ich beginne mit einer Grundschicht und füge dann weitere Farbschichten hinzu.
Stößt du beim Komponieren manchmal auf kreative Blockaden und wenn ja, wie überwindest du diese?
Ich glaube fest an die Kraft des Löschens. Anstatt in einer Schleife stecken zu bleiben, mache ich die Komposition so vollständig wie möglich, trete dann einen Schritt zurück und überlege, ob etwas entfernt oder wieder hinzugefügt werden muss. Da meine Tracks eher länger als kürzer sind, verwende ich in Ableton Live die Funktion "Zeit löschen" (UMSCHALTTASTE + CTRL/CMD + X). Ich liebe die.
Die Drum-Patterns in deinem Track sind faszinierend. Woher hast du die Inspiration dafür?
Ich habe mehrere Möglichkeiten, meine Drums einzuspielen. Ich habe einen Push 3, den ich in den Repeat-Modus schalte, so dass ich einfach verschiedene Hits wiederholen und overdubben kann. Und auch hier mache ich die Drum-Patterns erst einmal richtig voll und lösche dann Sachen, bis sie Sinn machen.
Manchmal wandle ich auch einen Drumloop, der mir gefällt, in MIDI um, so dass ich den Groove habe, aber meine eigenen Sounds verwenden kann.
Manchmal will ich mich einfach nur inspirieren lassen, und das ist es, was ich an Ableton Live 12 liebe. Es gibt diese neuen generativen MIDI-Tools, mit denen man schnell auf viele Ideen kommt. Früher habe ich einfach mit der Maus ein paar Noten in das Raster geklickt und dann einfach zugehört. Aber jetzt, mit den ganzen neuen Funktionen, ist alles viel einfacher.
Nimmst du eher dein eigenes Finger-Drumming auf Push 3 auf, um deine Patterns zu erstellen, oder verwendest du lieber Step-Sequencing?
In diesem Track habe ich die meisten Drums auf Push 3 in Echtzeit gespielt und dann die MIDI-Patterns auf andere Tracks kopiert. Wenn man sich die Spuren DRUMS1 und DRUMS2 in meinem Projekt ansieht, handelt es sich um dieselben MIDI-Parts, aber ich habe unterschiedliche Ausgangspunkte gewählt, um eine Art Polyrhythmus zu erzeugen.
Bei DRUMS2 habe ich alternative Sounds verwendet, denn obwohl es sich um das gleiche Pattern handelt, klingt es völlig anders. Jedes Sample hat einen anderen Attack oder Release, also verschiebt sich auch das Timing. Dadurch entsteht einfach dieser andere Groove. Ich liebe solche Spielereien.
Wenn man sich das erste Drum-Rack ansieht, stellt man fest, dass die Zelle C1 leer ist. Dort befand sich die Kick. Aber ich habe sie auf einen anderen Kanal gezogen und abgelegt. Ich extrahiere die Kick immer, weil ich sie sauber haben möchte. Dann kann ich sie mit einem Kompressor anheben, ohne dass der Rest des Drumkits darunter leidet.
Kam Push 3 auch in anderen Bereichen deines Musikproduktionsprozesses zum Einsatz?
Ich habe ihn auch zum Spielen von Tasten verwendet, zum Beispiel mit den Pads des Massive X, und zur Aufnahme von Automation. Außerdem nutze ich Push, um zu schauen, wie meine Tracks live funktionieren. Ich sammle alle Clips und Elemente, die ich verwenden möchte, und setze die dann als Live-Instrument ein. So kann ich mir überlegen, wie ich den Track in Echtzeit aufbauen kann. Danach gehe ich in die Arrangement-Ansicht in Live, um die Struktur zu entwerfen. Ich erforsche auch gern Skalen mit Push, weil ich damit, wie schon erwähnt, besser verstehe, was in Echtzeit funktioniert und was nicht. Ich kann dadurch weniger zu klicken und mit der Hardware ausdrucksstärker und intuitiver sein.
Es gibt einige interessante statische und gefilterte Geräuschelemente in deinem Track. Welche Techniken verwendest du für diese Art von Sounds?
Das Ding mit dem Rauschen ist, dass es einen großen Teil des Frequenzspektrums ausfüllt, und ich finde, dass das die Dinge interessant und nicht zu schleifenartig macht. Deshalb verwende ich oft Geräuschtexturen. Ich glaube, es gibt zwei Möglichkeiten, mit Rauschen zu arbeiten. Die eine besteht darin, sich auf den totalen Zufall einzulassen, bei dem es nicht unbedingt ein erkennbares Muster gibt. Die andere besteht darin, aus dem Rauschen ein Muster zu erzeugen, so dass es wie ein Teil des Schlagzeugs wirkt. Diese Herangehensweise kann man in Tracks von Künstlern wie Alva Noto hören. Er schafft Texturen mit subtilen Pieptönen und Nuancen, die sich sehr strukturiert anfühlen. Ich habe jetzt oft ein Geräuschelement als WAV-Datei in meinem Projekt. Ich verwende dann den Beat-Warp-Algorithmus in Live und die Funktion Transient Envelope, um einen rhythmischen Gating-Effekt zu erzeugen. Ich bin fasziniert davon, wie sehr selbst kleinste Klänge eine große Wirkung haben können.
Du hast den Auto-Pan-Effekt bei vielen Tracks deines Projekts eingesetzt, was ist der Grund dafür?
Ja, ich liebe den, ich benutze ihn immer. Wenn man darüber nachdenkt, nehmen wir Klänge nie als statisch wahr; sie sind immer in Bewegung. Wenn man zum Beispiel ein Auto vorbeifahren hört, ist der Klang richtungsabhängig. Ich möchte diese Erfahrung für die Menschen schaffen. Wenn alle meine Klänge statisch bleiben, wirkt das unnatürlich. Dieser Ansatz funktioniert besonders gut mit Pads. Wenn man ihnen Bewegung hinzufügt, werden sie wie der Ozean, wie Wellen. Es geht also nicht nur um die Frequenz des Sounds, sondern auch um seine Position im Raum. Ich nehme fast immer den Auto-Pan-Effekt, um Bewegung zu erzeugen. Er ist sehr einfach zu bedienen und beansprucht nicht so wahnsinnig viel CPU. Ich verwende auch das Ping-Pong-Delay, weil es dem Sound eine subtile Hin- und Herbewegung verleiht. Wenn sich alles in der Mitte befindet, wird es schwierig, den Track abzumischen, weil dann ein großer Frequenzball an einer Stelle entsteht.
Bei der Entwicklung von Musik für ein Club-System gibt es aber nicht viel Spielraum für Panning, oder?
Das stimmt, in einer Clubumgebung ist normalerweise alles mono. Deshalb prüfe ich meinen Mix immer in Mono. Wenn er immer noch funktioniert, weiß ich, dass es ein guter Mix ist.
Nadia, vielen Dank für das Gespräch mit uns. Bevor du gehst: Was steht für den Rest des Jahres 2024 auf dem Plan?
Ich bringe mein neues Label Distorted Waves auf den Markt, auf dem „Leelow Waters” veröffentlicht wird. Es stehen viele Shows an, für die ich sehr dankbar bin; im Sommer ist also einiges los. Dann werde ich mit der Musikschule, die ich gerade aufbaue, neue Wege gehen. Ich bin bereits dabei, die Realität werden zu lassen. Was die Veröffentlichungen angeht, so stehen hoffentlich ein zweites Album und viele Kollaborationen an. Ich denke, das wird ein fliegendes Jahr und ich fliege gerne mit.
Mehr zu Nadia Struiwigh gibt es auf Instagram, Facebook und SoundCloud
Text und Interview von Joseph Joyce
Fotos von Palma Llopis
Eine Version des Artikels erschien auf XLR8R.
Der Text wurde in der deutschen Übersetzung gekürzt.