Download: Jamaica Suks Track „Dream Delusions“ als Live-Set
Aufwachen und bei Bewusstsein weiterträumen: In Klarträumen erleben wir den Traumzustand ganz aktiv. Die in Kalifornien geborene Techno-Künstlerin Jamaika Suk erlebt derartige metakognitive Zustände regelmäßig – und nutzt sie als Quelle künstlerischer Inspiration.
Die musikalische Karriere Jamaicas begann in der kalifornischen Bay Area, wo sie zunächst als Jazzmusikerin, später auch als Veranstalterin, DJ und Produzentin aktiv war. Heute hat die Künstlerin sich in der weltweiten Techno-Community einen Namen gemacht, produziert und veröffentlicht stetig neue Musik. In ihren Tracks treffen verzerrte Avantgarde-Melodien und pulsierende Industrial-Grooves aufeinander.
Ihren Track Dream Delusions veröffentlichte Jamaica Sud im Rahmen einer Ausgabe von XLR8R+. Wir haben mit der Künstlerin über die kreativen Strategien, Techniken und Inspirationen hinter ihrem Track gesprochen. Um einen direkten Einblick in ihre Arbeitsweise zu gewähren, stellt sie uns ihr Live-Set als Download bereit.
Holen Sie sich das Live-Set von Jamaica Suks „Dream Delusions“*
*Erfordert eine Live 11 Suite-Lizenz oder die kostenlose Testversion.
Hinweis: Das Live-Set und die enthaltenen Samples dienen nur zu Studienzwecken und dürfen nicht kommerziell eingesetzt werden.
Jamaica, wir freuen uns, dass du dich heute mit uns getroffen hast. Du hast mal gesagt, dass du dich von ganz unterschiedlicher Musik inspirieren lässt: von Shoegaze, psychedelischem Rock und Metal bis zu Dance-Genres wie Happy Hardcore, Jungle und Trance. Tragen all diese Einflüsse zu der Musik bei, die du heute machst?
Ja, und vielleicht hört man das in meiner Musik auch, jedenfalls mehr oder weniger. Meine Produktionen sind minimalistisch und kontrastreich – Dunkelheit und Licht. Wahrscheinlich sind sie eher von Bands beeinflusst als von anderen Arten von Musik. Techno-Drums teilen sich mit Metal und Hardrock die intensiven Kicks, und die Art auf die sich Bässe und Melodien entwickeln. Ich will mehr von meinen Einflüssen in meine Musik einfließen lassen – das ist ein lebenslanger Prozess. Bei einem meiner Live-Sets benutze ich meinen E-Bass, den ich durch einen Modularsynth schicke. Das Set ist eher atmosphärisch und experimentell, und lässt ahnen, welche Bands ich mag. Sowas in meine Techno-Produktionen und DJ-Sets einzubringen ist eine echte Herausforderung, in einem ruhigen Kontext ist das leichter umzusetzen als in einem energiegeladenen Technoset.
Deine Einflüsse sind also sehr vielfältig. Was hat dich an Techno besonders fasziniert?
Ich habe Techno gehört und mich direkt verliebt. Die Idee der Wiederholung fasziniert mich. Erst denkt man, dass man nur einen Loop hört, aber dann merkt man, wie sich die Patterns mit der Zeit verändern und einem den Kopf verdrehen. Das hilft dann beim Loslassen: Tanzen und Hören sind eine Art transzendentaler Meditation.
Hattest du vor deinem Einstieg in die elektronische Musik eine musikalische Ausbildung?
Vor allem habe ich Jazz studiert. Auf der High School und während der Zeit am College spielte ich E-Bass in Jazzbands, und ich war zwei Jahre lang Kontrabassistin in einem Sinfonieorchester.
Glaubst du, dass Klassik und Jazz sich in deinen Techno-Produktionen wiederspiegeln, und du auf das zurückgreifst, was du in deiner Ausbildung gelernt hast?
Ja, bei den Melodien. Ich liebe Melodien, und baue sie gerne in meine Produktionen und DJ-Sets ein. Manchmal nehme ich mir vor, darauf zu verzichten, und mich nur auf die Drums zu konzentrieren, aber das fällt mir schwer. Am liebsten mag ich avantgardistische, dissonante Melodien – das erinnert mich dann an den Jazz. Manche Jazz-Skalen beinhalten ja wirklich haarsträubende dissonante Noten.
„Clockwise“ von Jamaica Suk
Willst du beim Komponieren von Tracks bestimmte Emotionen vermitteln – in der Hoffnung, dass die Hörenden sie nachvollziehen?
Mir ist klar, dass Tracks bei Leuten ganz unterschiedlich ankommen: Unterschiedliche Tracks sind für unterschiedliche Menschen, und das mag ich. Und natürlich trifft meine Musik nicht jeden Geschmack. Bei den Hörenden, die sie erreicht, kommen hoffentlich auch meine Gefühle rüber. Meine Musik ist nicht soft, sie ist von Stimmungen und Emotionen geprägt.
Wie viel Zeit verbringst du mit dem Musikmachen? Und was motiviert dich, dranzubleiben?
Musik ist meine Therapie – Ich muss Musik machen, das gehört einfach zu meinem Leben dazu. Ich komponiere mindestens fünf Tage die Woche, mindestens fünf Stunden am Tag. Und ich versuche, jeden Tag zwanzig Minuten lang etwas Neues zu komponieren.
Das ist eine interessante Idee. Beim Jazz geht es oft um Jamming und Improvisation, hat dein tägliches Ritual vielleicht etwas damit zu tun?
Vielleicht. Früher habe ich jeden Tag Jazz gespielt, stundenlang Tonleitern studiert, am Bass improvisiert und gejammt. Wenn ich mir jetzt täglich Zeit nehme um zu jammen und nach spannenden Ideen suche, ist das ja fast das Gleiche.
Was hat dich zu „Dream Delusions“ inspiriert? Und woher kommt der Name?
Der Track dreht sich um den Bewusstseinszustand, wenn man in einem Traum aufwacht und nicht genau weiß, wo man ist. Wenn man noch im Traum ist, kann man versuchen, ein paar Dinge zu steuern. Man nennt das Klartraum, und ich erlebe Klarträume sehr ausgeprägt. Meine Träume fühlen sich manchmal eine ganze Weile lang total real an, bis dann etwas passiert, was im echten Leben nicht passieren kann. Im besten Fall habe ich bis zu diesem Punkt realisiert, dass ich träume – oder ich wache auf. Der Track spiegelt den Kampf wider, diesen Zustand zu erreichen, oder aus einem sehr lebendigen Klartraum aufzuwachen.
Hast du den Track mit Blick auf einen bestimmten Ort oder ein bestimmtes Publikum gemacht?
Ich dachte dabei an den Club. Ich wollte einen Track produzieren, der in ein DJ-Set passt und trotzdem verträumt ist, mit einer ungewöhnlichen Melodie und ein bisschen Dissonanz. Viele meiner Tracks bauen auf einem guten Jam oder einer coolen Skizze auf. Ich denke nicht darüber nach, wo ein Track hingeht oder wo er veröffentlicht wird, sondern macht ihn einfach fertig. Für mich.
Du hast uns „Dream Delusions“ im Vorfeld als deep und groovy beschrieben. Wie wichtig ist der Groove in deinen Produktionen? Und wie erzeugst du ihn?
Groove ist mir sehr wichtig, Techno kann manchmal mechanisch und seelenlos wirken. Groove ist etwas Persönliches, das du tief in deinem Körper und in deiner Seele spürst. Bei Maschinenmusik ist es wichtig, sich mit dem Rhythmus zu verbinden, und es kann schnell passieren, dass er zu wenig groovt. Vor allem dann, wenn man den perkussiven Elementen keinen Shuffle verpasst.
Ein wichtiger Aspekt deines Tracks ist die Wärme und Klangfarbe deiner Kick-Drum und Subbässe. Wie hast du das gemacht?
Die Kick-Drums sind übereinander geschichtet. Ein Kick-Drum-Sound stammt von einem Modul namens Basimilus Iteritas Alter, ein anderer von meinem Elektron Analog Rytm. Ich weiß nicht mehr, woher das dritte Drum-Sample ist – vermutlich eine Kombination aus Roland TR8S und TR9, meinem Rat Distortion-Pedal und ein bisschen Reverb von meinem Allen&Heath 22 FX Mixer.
Die Stutter-Kick-Drum stammt von meinem Erica Synths Techno System. Ich habe sie mit meinem Vermona-Distortionmodul und WASP-Filtermodul bearbeitet. Das Ergebnis erinnert mich tatsächlich an Metal, weil es wie eine Double-Kickdrum klingt.
Deine Hi-Hats klingen wie eine Kombination aus Layern und Pattern. Wie hast du das gemacht?
Das sind 909-Hi-Hats aus dem VST-Plug-in Drumazon von D16, das ich für seine authentischen Sounds sehr schätze. Die Ride-Sounds stammen von meinem Roland TR-9.
Welche Techniken und Workflows stecken hinter den melodischen Elementen deiner Tracks? Und welche Synths verwendest du dabei am liebsten?
Für diesen Track habe ich Hive genutzt, ein VST von U-He, das von der Max-for-Live-Anwendung Mono Sequencer angesteuert wird. Ich nutze den Sequenzer gerne, weil ich damit schnell Ideen entwickeln kann. Wenn ich unterwegs bin und mit Kopfhörer produziere, beginne ich oft mit Melodien aus dem Mono Sequencer. Im Studio nehme ich analoge Hardware über mein Mischpult auf und sequenziere sie mit meinem Dark Time Sequencer von Doepfer. Abletons Mono Sequencer erinnert mich daran, man kann nach dem Zufallsprinzip Noten auswählen. Für diese Gemeinsamkeit liebe ich beide Sequenzer: Es geht nur darum, die Ohren zu verwenden. Für manche Produzent:innen ist das eine beunruhigende Vorstellung. Aber für mich ist es cool – ich höre zu, lasse den Zufall machen und passe das Ergebnis dann meinen Vorstellungen an.
Du arbeitest also gerne mit der Wahrscheinlichkeit und Zufall?
Ich arbeite auch mit Noten, aber nicht immer. Das Probability-Konzept nutze ich oft als Startpunkt, und wenn mir das Ergebnis gefällt, entwickle ich es weiter. Ich übernehme die Kontrolle dann wieder, indem ich die Noten stimme, die Velocity-Werte ändere und andere Parameter nach meinen Vorstellungen gestalte.
In deinem Live-Set gibt es eine markante Lead-Spur namens Keys Hook – man könnte meinen, sie wurde in einer Höhle mit Wassertropfen von der Decke aufgenommen. Wie hast du diesen Sound gemacht?
Das ist der Sound, für den ich Hive von U-He genutzt habe – ein VST-Synth mit sehr ausdrucksstarken Filtern. Diee Hookline habe ich live mit Automationen aufgenommen. Die Wasser-Sounds stammen von einem Layer in dem Hive-Patch. Ich habe seine Parameter verändert, damit er nicht wie ein Standard-Preset klingt. Das ist mir als Produzentin sehr wichtig: Wenn ich bei einem Synth oder VST-Instrument ein Preset nutze, verändere ich es, bevor es zum Einsatz kommt.
Du hast auch einige Effekt-Sounds mit deinem Dave Smith Mono Evolver aufgenommen. Einer davon klingt wie Geisterstimmen und Funkstörungen. Wie kam das zustande?
Das habe ich live mit meinem Dave Smith Mono Evolver aufgenommen und mit Effekten bearbeitet: dem Line Six DL4 Pedal, Rat Distortion Pedal und meinem Eventide H9.
Es gibt es auch interessante Pad-Sounds, die du mit Absynth und dem Live-11-Effekt 'Echo' gemacht hast. Kannst du uns etwas darüber erzählen?
Absynth ist ein fantastisch klingender Synth-Klassiker – ziemlich zeitlos. Ich wollte den Drop betonen, aber mit einem Sound, der nicht zu abgedreht klingt. Der Dave Smith Mono Evolver liefert schräge Sounds im Handumdrehen, aber für klassische Pad-Sounds nutze ich lieber Absynth oder meinen Prophet-12.
Wenn man die Stab-Sounds solo hört, klingen sie wie aus einem anderen Musikstück mit unterschiedlicher Tonart. Trotzdem passen sie perfekt zu den übrigen Sounds von „Dream Delusions“. Welche Instrumente stecken dahinter?
Dieser Sound stammt von meinem SYNC 0.5-Modul von Michigan Synthworks – ein perkussives Modul, das aber auch wie ein Synth klingen kann. Ich habe ihn dann mit meinem Vermona-Distortion-Modul bearbeitet. Die Stabs stechen im Mix wirklich heraus – das hätte ich mit keinem meiner VST-Instrumente so hinbekommen. Ich mag diese Kombination aus analogen Aufnahmen und VST-Instrumenten.
Wie lange arbeitest du schon mit modularen Synthesizern? Und warum stehen sie inzwischen im Mittelpunkt deiner Performance?
Ich arbeite seit drei oder vier Jahren mit modularen Synths. Davor habe ich Loop-Pedale, Drum Machines und Synthesizer mit Ableton Live kombiniert. Ich nutze Live schon immer beim Performen: Es ist einfach weniger stressig. Alles ist übersichtlich, und das ist sehr hilfreich. In letzter Zeit habe ich den Fokus zwar auf komplett analoge Livesets gelegt, aber ich kenne die Vorteile der Integration von Max for Live und CV Tools mit modularen Synthesizern. Andere Produzent:innen machen das ja so, und ich denke darüber nach, dieses Konzept für meine Live-Performance zu übernehmen.
Wie mixt du deine Tracks – ganz präzise oder lieber nach Gehör?
50 % Intuition und 50 % Regeln und Techniken, die ich in Audio-Kursen und in Eigenregie gelernt habe und hoffentlich befolge.
Vieles hängt von meinem Setup ab – und auch davon, ob ich an mein Studio und meinen Raum gewöhnt bin. „Dream Delusions“ habe ich zum Beispiel in meinem alten Studio gemixt, dessen Raumklang mir einfach vertraut war. An mein neues Studio musste ich mich beim Mixen erstmal gewöhnen. Interessant finde ich, dass es eigentlich egal ist, welches Equipment man hat, bzw. nicht hat – es ist viel wichtiger, dass man sich in seiner Umgebung wohlfühlt und versteht, wie die eigene Musik auf anderen Lautsprechern, seinem Heim-Soundsystem oder den eigenen Kopfhörern klingt. Man kann seinen Mix zum Beispiel auf Laptop-Lautsprechern testen und das dann mit ins Studio nehmen – um A-, B- und C-Tests zu machen und die richtigen Änderungen vorzunehmen. So gelingt ein guter Mixdown.
Komponierst und mixt du parallel? Oder konzentrierst du dich lieber zuerst auf die Komposition und dann auf den Mix?
Je nachdem – meist konzentriere ich mich zuerst auf das Sound Design, wechsle dann zum Arrangement und in der letzten Phase zum Mixing.
Du hast mal gesagt, dass du als Künstler:in immer wieder neue Seiten an dir entdeckst und sich deine Musik dadurch weiterentwickelt. Wie geht die Reise weiter?
Ich bin immer noch sehr Techno-verliebt und will weiter neue Tracks rausbringen.
Seit der Pandemie habe ich mehr Zeit, um mich auch mit anderen Arten von Musik – zum Beispiel mit Ambient und experimenteller Musik – zu beschäftigen. Ich finde es sehr spannend, wie sich das bei mir entwickelt hat, und will auch das weiterverfolgen. Ob ich das dann als Jamaica Suk oder unter einem Alias veröffentlichen werde, weiß ich gerade noch nicht. So oder so – ich freue mich auf das, was kommt!
Infos und Neuigkeiten zu Jamaica Suk finden Sie auf Facebook, Instagram und jamaicasuk.com.
Eine Version dieses Artikels ist auf XLR8R+ erschienen.