Don’t DJ: Immer schön im Kreis
Schon seit einiger Zeit wächst das Interesse an Polyrhythmik und traditionellem Schlagwerk in der Elektronischen Musik. Streng genommen handelt es sich um kein ganz neues Phänomen. In den 70ern und 80ern schufen beispielsweise Brian Eno, Jon Hassell und Adrian Sherwood progressive Elektronische Musik, die ihre Klangfarben und Rhythmen außerhalb des westlichen Tellerrands fand. Aber nun, nach jahrzehntelanger Vorherrschaft des 4/4-Takts (nicht zuletzt auch in der Welt von House und Techno), tritt eine neue Musik hervor, die mit den oft rigiden rhythmischen Strukturen der westlichen Popmusik bricht.
„Wenn ich tanzen gehe, bin ich vom Viervierteltakt oft total gelangweilt“, erklärt Florian Meyer. Besser bekannt unter dem Namen Don’t DJ, hat der Wahlberliner bei Berceuse Heroique, Emotional Response und seinen eigenen Labels SEXES und Diskant bereits zauberhafte polyrhythmische Alben herausgebracht. „Komplexität ist oft sehr anstrengend“, fährt er fort, „aber polymetrische Musik macht mich erstaunlicherweise überhaupt nicht müde. Manchmal hört man einen Rhythmus, weiß zwar nicht wie er funktioniert, aber er fühlt sich gut an.“
Deutlich hörbar in Meyers Portfolio ist sein Hang zu ungewöhnlichen Rhythmen und exotischem Klangmaterial. Sein konzeptioneller Ansatz beim Verarbeiten dieser Einflüsse ändert sich von Album zu Album, aber sowohl sein Live- als auch sein Studio-Setup drehen sich meistens um einen Software-Sequencer, der MIDI-Noten an Ableton Live sendet und dort Synths ansteuert. Dazu kommen mitunter auch Plattenspieler, die mit haptisch interessanten Objekten statt mit Schallplatten bestückt werden.
Glocken, Gongs, Pfeifen und Flöten mischen auf Don’t DJs Klangpalette vorne mit und verleihen seiner Musik etwas Ursprüngliches und Organisches. Doch so sehr sie auch einen handgespielten Eindruck vermitteln, die Sounds stammen alle aus dem Rechner, hauptsächlich aus Lives Instrument Collision für Physical Modeling.
„Physical Modeling finde ich toll“, erklärt Meyer, „denn anders als bei Samples fließt die Bewegung des Gegenstandes nachdem er angeschlagen wurde in die Berechnung des nächsten Sounds mit ein. Dadurch bekommt immer alles so einen natürlichen Touch.“
„Für mich zählt der Sound an sich, nicht ob ich ihn in einer besonderen Situation aufgenommen habe.“
So unbestritten die Eigenständigkeit seines Stils sein mag, Meyer gibt frei heraus zu, dass er für seine Sounds von Instrumenten-Presets ausgeht. Am Anfang einer Produktion konzentriert er sich lieber auf das rhythmische Arrangement und hebt sich die Klangbearbeitung für später auf. Normalerweise bearbeitet er Klangparameter und Effektketten, während ein Track ausreift, aber er erinnert sich auch daran, wie er manchmal erst im Endstadium einer Produktion bemerkte, dass ein Kanal von Beginn an unverändert blieb.
„Ich wurde oft gefragt, ob ein Sound von Hand eingespielt ist“, verrät Meyer, „obwohl es sich um ein Preset handelte. Es wunderte mich, dass vorher noch nie jemand auf solche Ideen kam, weil einige der Presets eigentlich bekannt sein müssten. Für mich zählt der Sound an sich, nicht ob ich ihn in einer besonderen Situation aufgenommen habe.“
Hinter dieser Überzeugung steckt eine Leitidee bei Meyers Arbeit, die sich auf der kürzlich bei SEXES erschienenen Platte Authentic Exoticism 12’’ widerspiegelt. Es handelt sich dabei um ein Multimediaprojekt, das Meyer zusammen mit Lotte Meret Effinger und Marco Buetikofer ins Leben rief. Die Philosophie hinter dem Projekt gibt keine Norm vor, der Name bezieht sich auf kulturelle Artefakte unterschiedlicher Herkunft und darauf, wie sie in der westlichen Welt uminterpretiert werden und nach Authentizität streben.
„Auf dem Track ,Southeast Subterrane’ hört man Frösche von drei verschiedenen Kontinenten“, erzählt Meyer über den Schlusstrack der neuen EP. „Für mich schafft das einen schönen Bezug zum Gesamtthema des Albums, weil die Frösche den authentischen Sound ausmachen, aber einfach fertige Aufnahmen sind, die ich von einer CD habe. In der Natur könnten sie niemals gemeinsam auftreten, weil sie nicht mal auf demselben Kontinent leben!“
Auf die Frage hin, was im Zentrum seines Setups steht, stellt Meyer die Wahl des Sequencers heraus, die sein besonderes Verständnis von Rhythmus bestimmt. Er hat für seine Tracks eine Vielzahl verschiedener Software-Sequencer verwendet und sogar mit einem Freund zusammen einen programmiert, verwendet aber vor allem das Programm Euclidean MIDI Patterns, das auf euklidischen Rhythmen beruht.
Euklidische Rhythmen wurden erstmals 2004 durch Godfried Toussaint als der Teil der Außenwelt formuliert, in dem der euklidische Algorithmus seinen Ausdruck findet. Laut Theorie lassen sich viele Rhythmen in der traditionellen Musik mit Hilfe des Algorithmus generieren, indem zwischen den Beats die gleichen Abstände errechnet werden. Das ist wiederum auf solche Sequencer anwendbar, die zirkulär funktionieren, wozu herkömmliche lineare Sequencer mit acht oder 16 Steps nicht in der Lage wären.
Zirkuläre Rhythmen sind bei Meyer fest verankert, weil er sowohl im Studio als auch live den Plattenspieler ausgiebig als experimentelles Instrument einsetzt. Er war ein Drittel von The Durian Brothers und zuvor Mitglied beim Institut für Feinmotorik. So trat er viele Jahre mit präparierten Plattentellern auf, bei denen die Nadel die Vibrationen von anderen Materialien als Vinyl abgriff. Als Don’t DJ hat er vor kurzem ein Konzertprogramm auf die Beine gestellt, das mit einem Laptop mit Live, einem Rane-Mixer samt eingebautem Serato-Interface und zwei Plattenspielern arbeitet. Einen seiner ersten Auftritte hatte er auf dem Festival Freerotation 2015 in Wales.
„Am Tag nach dem Gig saß ich draußen auf der Wiese“, erinnert sich Meyer, „da kam ein Mädchen auf mich zu und sagte, an dem Punkt, als ich ,die Musik gleichzeitig schneller und langsamer’ werden ließ, da brach sie einfach so in Tränen aus.“
So eine Reaktion ist ein Paradebeispiel für den surrealen Effekt, den multiple Taktmaße und Polyrhythmen auf die Zuhörer haben können, noch dazu im Rahmen eines Festivalwochenendes, das im Zeichen von konventionellem House und Techno steht. Zusätzlich zum digitalen euklidischen Sequencing drehen sich auf den Plattentellern die auf ihnen platzierten Objekte und produzieren weitere Rhythmen. Durch das Eigentempo der Plattenspieler entstehen wiederkehrende Schleifen. Meyer meint, dass er Plattenspieler oft wie Sequencer einsetzt und wer sich das GUI eines zirkulären Sequencers anschaut, von der zuvor erwähnten Software Euclidean MIDI Patterns bis hin zum aktuellen Pyramid von Squarp, stellt fest: Die Bewegung sieht ganz ähnlich aus wie Gegenstände, die ohne erkennbaren Anfang und Ende in zyklischen Abständen vom Tonabnehmer abgegriffen werden.
„Das fasziniert mich“, sagt Meyer. „Kann es eine Musik geben, die gar keinen Anfangspunkt hat?“
„Das Verbindende zwischen einem Plattenspieler und einem Sequencer ist die Schleife“, führt er aus. „Wenn man den Plattenspieler als Instrument benutzt, dann stellen sich Rhythmen natürlicherweise kreisförmig dar. Wenn man zum Beispiel in die Auslaufrille einer Schallplatte in gleichen Abständen etwas hineinritzt, dann kommt dabei ein 4-to-the-floor-Rhythmus heraus.“
Die Affinität zu Plattendecks als nichtlineare Sequencer reicht zurück bis in Meyers Zeit beim Institut für Feinmotorik, das sich 1997 gründete. Meyer beschreibt diese Gründung als eine Mischung aus Faulheit und Kreativität, die er und Marc Matter, Mark Brüderle und Daniel van den Eijkel beim Kiffen entdeckten, als sie eine Schallplatte nach dem Abspielen sich selbst in der Auslaufrille überließen.
„Das fasziniert mich... kann es eine Musik geben, die gar keinen Anfangspunkt hat?“
„So eine Endlosschleife kann man erstaunlich lange ertragen“, erklärt Meyer, „Da ist es nur ein kleiner Schritt, den Equalizer ganz aufzudrehen, den Bass hier raus und bei einer anderen Endlosschleife auf dem zweiten Plattenspieler reinzudrehen, und schon hat man einen Track vom IFF.“
Was als Experiment auf einem Trip begann, entwickelte sich zu einem Projekt mit strengem Manifest, wodurch sich die vier Mitglieder jeweils zur Benutzung von zwei Plattenspielern und einem Mischpult verpflichteten und wo Effekte sowie Nachbearbeitung oder gar herkömmliche Schallplatten verboten waren. Stattdessen wurde alles in einem Take aufgenommen und die Arbeit der Gruppe drehte sich um alles erdenkliche Material, das unter der Nadel einen besonderen Klang hervorbrachte.
Obwohl sich das IFF nie offiziell auflöste, gründeten Meyer und Matter zusammen mit Stefan Schwander später The Durian Brothers. Der Sound geht einen Schritt weiter als der präzise Minimalismus beim IFF, wenn Schwander zur schallplattenbasierten Arbeit seine Schlagwerk- und Melodiesequenzen abspielt.
„Wir waren offen für alles, was wir uns mit dem IFF nicht erlaubt hatten“, erzählt Meyer, „und das hat auch unseren Zugang zu Plattenspielern verändert. Manchmal wurden wir faul, denn wenn man einmal Effekte zulässt, braucht der Plattenspieler nicht mehr unbedingt toll zu klingen. Bei The Durian Brothers, das liegt vielleicht an der Sicherheit durch den Sequencer, fühle ich mich beim Improvisieren freier. Beim IFF war alles viel fragiler, wenn dort jemand herausflog, brach alles viel schneller zusammen.“
Um den Kreis zwischen Meyers Konzepten und seinen Arbeitsweisen zu schließen: Für ihn führt das grundlegende Thema von Authentic Exoticism die technische Entwicklung seiner Plattenspielerexperimente fort.
„Auf der EP geht es um Hybridisierung“, wie er erklärt. „Wir sprachen über verschiedene Aspekte von Hybridisierung in Texten, Musik und Kunstwerken und für mich ist das geheime Thema nicht die Hybridisierung von Kulturen sondern zwischen Mensch und Maschine. Die Musik basiert vollständig auf Algorithmen und die zugehörigen Bilder auch.“
Meyers Erforschung präparierter Plattenteller entwickelte sich von einem organischen Experiment mit Texturen hin zu einer freien Ausdrucksweise, durch die er seine Instrumente gewissermaßen instinktiv spielt. Nachdem er Sequencer mit euklidischen Rhythmen entdeckt hatte, konnte er einen Sound entfalten, der auf exotische Musiktraditionen anspielt, wenn auch auf gänzlich artifizielle Weise. Es gibt ein Rätsel auf, das sich im digitalen Zeitalter immer dringlicher stellt, wo die Grenzen zwischen synthetischer und authentischer Erfahrung verschwimmen. Westliche und nichtwestliche Kulturen tauschen in immer höherem Maße Ideen aus und die Verquickung von Menschen und ihren Maschinen setzt sich unentwegt fort.
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