Dillon Bastan: Workflows und Klangwellen
Dillon Bastan mangelt es nicht an kreativer Neugier: Er produzierte immersive audio-visuelle Installationen und AI-gesteuerte Kurzfilme, experimentierte mit modularen Synths in der Mojave-Wüste und spielte mit einer eklektischen Auswahl an Musiker:innen improvisierte Sets.
Vielen Live-User:innen ist Bastan vor allem als unerschöpflicher Quell esoterisch anmutender Anwendungen für Max for Live bekannt. Einige seiner Kreationen veröffentlichte er über Ableton, so etwa den granularen Looper Iota oder das Live-11-Pack Inspired by Nature; andere Tools stellte er kostenlos oder gegen Spende auf Gumroad zur Verfügung. Seine auch visuell ansprechenden Effekte und Instrumente sind häufig inspiriert von mathematischen Systemen, natürlichen Prozessen und physikalischen Kräften – und laden zu glücklichen klanglichen Zufällen ein.
„Für mich ist alles ein Experiment. Das spiegelt sich in meinen Tools wieder, und die können dann wiederum die Leute zu Experimenten einladen, die damit arbeiten… Statt einfach einen Filter zu verändern, kann man zum Beispiel sowas wie die Schwerkraft verstellen. Das verändert den Sound dann auf eine sehr unkonventionelle Art.”
Wir uns mit Bastan bei Zoom darüber unterhalten, wie er seinen Weg in die Welt des Programmierens fand, wie er seine vielfältigen Einflüsse und Inspirationen in Audio transformiert und wie man als Einsteiger:in lernt, eigene Max-for-Live-Anwendungen zu entwickeln.
Seinen Einstieg ins Programmieren fand Bastan mit der OS-MIDI-Controller-App Lemur. Da der Bau eigener Funktionen und umfangreicherer Anwendungen irgendwann nach einer größeren Flexibilität verlangte, sprang er ins kalte Wasser: Er tauchte in die Welt von Max for Live ein.
„Ich wusste echt nicht, was ich tat. Ich hatte einen Patch aus Lemur, und alles, was ich gemacht habe, war Copy und Paste. Ich hatte echt null Ahnung – aber es hat funktioniert, und ich war total begeistert. Ich weiß noch, wie viel Mut mir das machte, dass ich das zum Laufen gebracht habe. Und ich dachte mir: Okay, vielleicht kann ich wirklich lernen, wie das geht – und habe angefangen, Programmiersprachen zu lernen.”
Konzept-Code
Während er lernte zu programmieren, las Bastan The Nature of Code von Daniel Shiffman, der die mathematischen Prinzipien hinter natürlichen Phänomenen und die Möglichkeiten ihrer digitalen Nachbildung untersuchte – ein Buch, das für den Naturliebhaber und Wissenschafts-Enthusiasten zu einer großen Inspiration werden sollte.
„Das ging gut mit meinem Interesse für Dynamik und Neurowissenschaften zusammen, mit meiner Leidenschaft, die Natur zu entdecken – und das wirkte sich dann auf die Anwendungen aus, die ich baute. Anfangs habe ich einfach nur ein paar der Ideen auf funktionale Audio-Anwendungen angewendet, später fing ich dann an, mir bei Spaziergängen, wenn ich sowas wie Bäume oder Wasser sah, zu denken: Hey, das ist richtig cool, wie kann ich diese Art Bewegungen auf Sound übertragen?”
Der Reiz von Bastans Anwendungen liegt in ihrer ganz besonderen Art und Weise, Konzepte aus der Natur in technische Vorgänge zu übersetzen. Die entstehenden Sounds sind organisch und unvorhersehbar; durch die Abkehr von traditionellen Reglern, Knöpfen oder Piano-Rolls zugunsten von Wellen, Fraktalen oder Partikeln schafft Bastan die Möglichkeit, Klänge auf spielerische und experimentelle Art zu manipulieren und zu verändern.
In der Regel bestehen seine Anwendungen aus drei Elementen: Einem Simulations-, einem Visualisierungs- und einem Audioprozess. „Wenn ich ein Modell habe, ist die mathematische Grundlage meistens schon vorhanden, also muss ich die nur noch in Code umwandeln, falls es den nicht schon gibt. Wenn es um Dinge aus der Natur geht – wie zum Beispiel Wellen –, dann geh ich meistens ins Internet und schaue mir an, wie andere Menschen sowas schon nachgebaut haben. Und wenn sich das, was ich programmiert habe, so verhält, wie ich es mir vorstelle, dann wende ich das Ganze auf eine Reihe an Dingen an.”
Im experimentellen Spielgefühl von Bastans Anwendungen spiegelt sich dessen experimenteller Ansatz: So kombiniert er seine Systeme und Visualisationen probeweise mit verschiedenen klanglichen Anwendungen und entscheidet sich dann für diejenigen, die den besten Klang ergeben. Einige seiner Anwendungen enthalten Oszillatoren, andere filtern den eingehenden Sound, wieder andere arbeiten mit granularem Sampling oder finden innovative Ansätze für die Arbeit mit MIDI-Sequencing.
Manchmal ist die Klangerzeugung auch schon von Beginn an Teil des Konzepts. „Als ich Tree Tone gemacht habe [Teil des „Inspired by Nature”-Packs, Anm.], habe ich mich gefragt: Wenn ich diesen Baum wachsen lassen würde, wie würde das klingen? Wenn man den Ast abzupfen würde, wie wäre der als Metallstruktur? Also habe ich einfach die relative Größe der Äste genommen, als wären sie Stücke aus Metall, sodass sie tiefer und lauter klingen und mehr Resonanz haben, wenn sie länger sind, und genau andersrum, wenn sie kleiner sind – dann ist der Pitch höher und sie klingen ruhiger.”
Max als Handwerk
Bastan lernte Max for Live durch Learning by Doing. „Für mich war es wichtig, erstmal einfach zu machen. Mich nicht darin zu verheddern, direkt alles verstehen zu wollen, sondern es im Prozess zu lernen. Ich glaube, es fing erst nach ein paar Projekten an, dass ich das alles so wirklich begriffen habe. Und ab dem Punkt wurde das Lernen dann einfacher, weil ich schon so ein bisschen eine Vorstellung davon hatte, wie Dinge funktionieren – und einen Kontext, in dem ich das Gelernte anwenden konnte. Das gilt für jede Art des Programmierens, inklusive Max. Außerdem war es wichtig, ganz am Anfang Projekte zu finden, die schon ähnliche Dinge gemacht haben wie ich sie vorhatte, und die dann auseinanderzunehmen um zu schauen, wie sie gebaut wurden.”
Die unterschiedlichen Herangehensweisen und Problemlösungs-Strategien für Max for Live lernte Bastan kennen, indem er einzelne Elemente aus den Arbeiten anderer per Copy and Paste übernahm, sie optimierte und darauf aufbauend eigene Lösungen entwickelte. Wann immer dabei Fragen aufkamen, lieferten Online-Recherchen ihm Antworten.
„Foren sind meistens ein guter Wissensspeicher. Nicht jede:r will Fragen stellen, fühlt sich selbstbewusst genug oder hat Lust, auf eine Antwort zu warten – man muss aber eh einfach nur seine Frage eintippen, und jemand anderes hat sie wahrscheinlich schon gestellt. Gerade bei Max, und auch vielen Tech-Sachen, gibt es meistens Facebook-Gruppen – Max hat eine richtig gute Facebook-Gruppe, wo man Fragen stellen kann und normalerweise relativ schnell viele Leute ziemlich gute Antworten geben.”
Bei seinen Anwendungen hat Bastan immer ein Ziel im Auge: Seine eigene Faszination für die Wunder der Natur mit anderen Musiker:innen zu teilen und in unkonventionelle Tools zu übersetzen – ganz fernab von der Welt des Programmierens.
„Das ist einfach eine Art der Erforschung und Wertschätzung der Welt – und eine Art, herauszufinden, wie man das auf das Musikmachen übertragen kann. Es gibt einfach schon so viele Versionen von allen möglichen Synthesizern und Drum Machines. Jetzt geht’s darum, neue Wege zu finden, auf eine sehr intuitive Art mit all diesen Dingen zu arbeiten.”
Anwendungen von Dillon Bastan: Eine Auswahl an Downloads
Screaming Janus
Screaming Janus visualisiert Janus-Bunch-Oszillatoren, die eine ganze Reihe an kraftvollen Oszillatoren modulieren – perfekt für markerschütternde Schreie, knirschendes Feedback oder Schwärme von White Noise.
Markov Variations
Die auf dem mathematischen System der Markov-Kette aufbauende Anwendung spielt mit der zufälligen Automation von Makro-Variationen in Live 11. Wie die Übergänge getriggert werden, ist einstellbar, ebenso deren Wahrscheinlichkeit. Das Tool ermöglicht außerdem fließende Übergänge zwischen den Makro-Variationen.
Swarmalators T
Ein visueller Synth, der auf dem Swarmalators-Modell basiert. Jedes Partikel steht für einen LFO, der von anderen Partikeln abgestoßen, angezogen oder in seiner Phase beeinflusst wird. Indem die Attribute der Partikel verschiedenen Parametern einer Oszillator-Bank zugewiesen werden, können dissonante oder harmonische Klänge in Bewegung erzeugt werden.
Swarmalators N
Swarmalators N überträgt das Konzept von Swarmalators T auf MIDI, sodass jeder gewünschte Sound mittels Partikelbewegungen gesteuert werden kann – für melodische Überraschungen, komplexe Beats oder jazzige Percussion.
Cellular Degradation
Cellular Degradation kombiniert zellulare Automation mit einem polyphonen Klang-Generator. Die Automationen können ganz einfach eingezeichnet werden. Im Anschluss verändern sich Größe und Stärke der einzelnen Zellen abhängig von den benachbarten Zellen – für klickende, dekonstruierte Sounds und Glitch-Effekte.
Fractal Filters
Fractal Filters arbeitet mit einer Visualisierung von Julia-Mengen-Fraktalen, die eine Reihe an Amplituden für eine 50-Band-Filterbank generieren. Das Tool funktioniert als Instrument, das ätherische Klänge mit weißem oder pinkem Noise entwickelt, oder als Filter für eingehende Audiosignale – für verrauschte und traumähnliche Effekte.
Strange Mod
Ein von der Chaostheorie inspiriertes, visuelles Tool, mit dem verschiedene Parameter in Live auf fließende und unvorhersehbare Art moduliert werden können. Strange Mod eignet sich perfekt als Modulationsquelle für fraktale Filter.
Spectral Attractors
Spectral Attractors ermöglicht das Erzeugen metallischer Soundscapes oder dynamischer, reichhaltiger Texturen. Das enigmatische Instrument nutzt eine physikalische Simulation, um zwischen verschiedenen Momentaufnahmen eines Samples zu morphen.
Ripple Filter
Ripple Filter simuliert Wasser in Bewegung. Die Oszillatoren-Bank erlaubt die Simulation von tropfenden oder wellenartigen Dynamiken – für Klänge von Sonargeräuschen über zarte Glockenspiele bis hin zu reichhaltigem Noise. Mit dem von Wellenbewegungen inspirierten FFT-Filter können eingehende Audiosignale organisch und unvorhersehbar gefiltert werden.
Text und Interview von Lani Bagley.
Mehr Infos zu Dillon Bastan gibt es auf Instagram und seiner Website.