Demian Licht: Dunkles Leuchten
Seit den vergangenen Monaten bekommt Mexiko-Stadt endlich die Beachtung, die es als Schmelztiegel der Underground-Musikkultur verdient. Es ist nicht sonderlich überraschend, dass eine Stadt mit mehr als 20 Millionen Einwohnern eine reiche und vielfältige Musikszene hervorbringt, aber vielen ist vielleicht entgangen, was genau dort unter der Oberfläche brodelt.
Eine der Producerinnen, die zur Zeit die größten Wellen schlägt, ist Demian Licht, das Pseudonym von Luz González Torres, deren Platte Female Criminals No. 1 soeben auf ihrem Label Modus erschien. Die EP enthält kompromisslosen Undergroundtechno, eine Lektion in messerscharfer, minimalistischer Produktion mit futuristischem Einschlag, die an die frühen Pioniere wie Robert Hood und Daniel Bell erinnert. Licht verbindet ihre Musik mit der gegenkulturellen Ästhetik von Widerstand und Veränderung. Sie knüpft an Einflüsse aus Filmkunst und Musik an und ist beseelt von dem Wunsch, einen kulturellen Wandel in der mexikanischen Gesellschaft herbeizuführen.
Luz, die zur Zeit einzige weibliche von Ableton zertifizierte Trainerin in Lateinamerika, hat ihr Konzept über mehrere Jahre hinweg entwickelt und verschafft sich sowohl in ihrer Heimatstadt als auch weltweit endlich Gehör. Wir haben uns mit ihr getroffen, um über ihren Ansatz und ihre Einflüsse zu sprechen und darüber, wie ihr Engagement in Projekten wie Discwoman die Landschaft für mexikanische Undergroundkünstlerinnen verändert.
Die EP Female Criminals hat einen sehr eigenen Ausdruck, angefangen beim Sounddesign über die Atmosphäre hin zur umfassenden Idee, die hinter dem Projekt steckt. Wie lange arbeitest du schon mit Elektronischer Musik und wohin, würdest du sagen, entwickelt sich dein Sound?
Vor zehn Jahren habe ich mit dem Musikmachen angefangen. Nach meinem Highschoolabschluss beschloss ich, Tontechnik zu studieren, also zog ich von meiner Heimatstadt Querétaro nach Mexiko-Stadt. Ich hörte damals Chemical Brothers und war total verrückt danach, also wollte ich bei Elektronischer Musik in die Tiefe gehen. Ich studierte Sounddesign und Musiktechnologie. Ein Freund, der jetzt auch Ableton unterrichtet, brachte mich auf Live.
Ich machte eher elektronisch orientierte Sachen mit Synth-Bass und rohen Rhythmen - ich hatte mit Reason angefangen und landete letztlich bei Ableton. Jetzt hat es mir die Modularsynthese angetan und ich versuche sogar, Geräte von Europa nach Mexiko zu importieren.
Deine Stücke haben ein reduziertes, psychedelisches Element an sich, das auf Detroit-Techno verweist. Ist dieser Einfluss vorhanden?
Ich glaube eigentlich nicht. Ich denke, das kommt eher aus den 1970ern und aus Deutschland. Ich bin ein großer Fan von Krautrockbands wie Can, die zwar nicht direkt mit Elektronischer Musik zusammenhängen, meine Musik aber total stark beeinflusst haben. Ein anderer ist Klaus Schulze, natürlich auch Kraftwerk, aber ich glaube, Can und Schulze waren für mich einflussreicher.
Aktuellere Einflüsse und ebenfalls Deutsche sind Raster-Noton, Alva Noto, usw. Ich liebe diese minimalistische Ästhetik total, und damit verbunden auch den japanischen Wabi-Sabi-Stil. Weniger ist mehr, finde ich.
Wie hat das Projekt Gestalt angenommen?
Mein Studio befand sich in Querétaro bei mir zu Hause im Keller. Ich habe den Keller übernommen, als ich mit der Highschool fertig war und nannte ihn Fluxus Sound Lab, inspiriert von der avantgardistischen Kunstströmung der 1960er. Letztes Jahr verbrachte ich dort sieben Monate abgeschnitten von der Außenwelt und produzierte das Album.
Ursprünglich war die Idee von einer visuellen Ästhetik beeinflusst, nämlich von David Lynchs bodenlosen und unheimlichen Szenerien. Die wollte ich hörbar machen. Ich habe außerdem viel über Grenzgängerinnen im Rock’n’Roll recherchiert, z.B. Patti Smith und Kim Gordon. Ich wollte diese Energie herausholen, die beim Rock’n’Roll in der Musik und auf der Bühne steckt.
Female Criminals ist technoaffin und clubtauglich, aber ich wollte, dass es über den Dancefloor hinausreicht und daraus eine Bühnenshow machen, wenn ich live spiele.
Kannst du uns mehr über die technischen Zusammenhänge erzählen?
Das Produzieren verläuft jedes Mal anders. Z.B. bestand für Female Criminals Vol. 1 der erste Schritt darin, alle Elemente im Sinne der Projektidee auszuwählen und das Sounddesign festzulegen. Ich verwendete Reaktor, Soundtoys, Moog-Software, Doepfer Dark Energy und ein paar Sound-Libraries, um Klänge und Texturen zu entwickeln, die für mich in Verbindung zu Lynchs filmischem Einfluss stehen.
Auf harmonischer Ebene arbeitete ich ausschließlich mit Moll-Tonleitern, die ich liebe, weil sie bei mir dunkle Emotionen hervorrufen. Ich glaube, der Track „Sin” verkörpert diese Idee am besten. Für das Klaviersample im Vordergrund habe ich das Plug-in EchoBoy genommen, das perfekt zu meiner Vorstellung von reinen und eleganten Sounds passt. Es verleiht dem Sample die subtile Textur, nach der ich gesucht hatte. Die Noise-Fläche im Hintergrund funktioniert als Spannungssteigerung, sie interagiert mit dem geloopten Sample meiner Stimme. Das Ganze beschwört bei mir so ein Gefühl von Unbehagen und Mystik herauf, das ich auch bei Lynchs Filmen erlebe.
Lichts Plattenlabel Motus ist bisher das Zugpferd für ihre Veröffentlichungen und steht auch zentral für ihre Überzeugung, dass Technologie und Grenzüberschreitung eine Rolle für gesellschaftliche Veränderung spielen. Das Manifest spiegelt die Überzeugung wider, dass „Sexismus, Konformität und Ignoranz” den gesellschaftlichen Fortschritt blockieren. Stattdessen wird vorgeschlagen, „das Land kulturell, musikalisch und technologisch durch Künstler und Vorreiter der Klangtechnologie” zu vernetzen, um solche Grenzen einzureißen. Dieses Maß an Idealismus und Engagement für größere politisch-soziale Konzepte klingt nach den afro-futuristischen Ideen aus Detroit und nach der Berliner Szene kurz nach der Wende. Licht möchte diese Verbindungen aktiv schaffen und entwickelt Projekte, um Producer, Softwaredesigner und kreative Köpfe mit ihren mexikanischen Kollegen zu vernetzen.
Das Manifest deines Labels nennt explizit sozialen Wandel als Ziel deiner Kunst. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
Nach meinem letzten Besuch in Europa war mir klar geworden, dass obwohl meine Haupteinflüsse von dort stammen, alles irgendwie schon einmal gemacht worden ist. Deshalb wird es in Zukunft um neue Orte gehen, wie Lateinamerika, Asien und Afrika. Dort liegt in meinen Augen die Zukunft der Elektronischen Musik. Auch wenn ich über mein Land als wundervollen Ort spreche, einige Dinge müssen sich dort ändern. Ich denke, Technologie und Musik sind die besten Mittel, um eine Gesellschaft zu verändern und alles zu überwinden, was Mexikos Entwicklung bisher im Weg stand. Ich musste dieses Manifest verfassen, um zu definieren, was der wirkliche Kern der Bewegung ist.
Die verwendeten Sounds, das Artwork, die Beschriftung und auch die Titel der Tracks suggerieren ein Spannungsfeld. Besonders die Bildsprache fällt ins Auge.
Das Artwork zeigt Fahndungsfotos von Verbrecherinnen aus dem 19. Jahrhundert. Mich hat es total fasziniert, was diese schönen Frauen wohl angestellt haben, um als Verbrecherinnen zu gelten. Sie reizten mich, ich stellte mir ihre Geschichten vor und fragte mich, was sie wohl verbrochen hatten. Ich sehe das als Verbindung zu dem, was ich tue. Wenn ich im Ausland bin und sage, dass ich aus Mexiko komme, geht es bei den Fragen fast immer nur um Waffen, Blut und Kriminalität. Wenn ich Kriminalität dann durch eine Frau repräsentiere, verschiebe ich die Norm. Das ist eng damit verknüpft, dass ich versuche, den neuen Typus einer lateinamerikanischen Producerin zu etablieren: Ja, ich komme aus Mexiko, ich mache Techno, aber ich bin eine Frau.
Deine Show mit Discwoman in Mexiko-Stadt erntete kürzlich viel Beachtung. Was denkst du, was wird die Show auf längere Sicht nach sich ziehen?
Die Show war das letzte von vielen aufregenden Dingen, die passiert sind, als ich aus Berlin und von Loop zurückkehrte. Ich zog nach Mexiko-Stadt und begann mit der Arbeit an El Bedroom, die EP war fertig, der Dokumentarfilm, das Showcase - alles passierte gleichzeitig! Es war toll, die Frauen von Discwoman und ihre Arbeit kennenzulernen. Die Doku war ein großes Ereignis und verhalf der gesamten weiblichen Musikszene in Mexiko zum Aufschwung. Als nächstes machen wir Ende dieses Monats einen Boiler Room. Ich hatte schon einen Gig in L.A. und in der Region schenkt man der Musik neue Aufmerksamkeit. Es ist so, wie ich in der Doku „Tribes” schon sagte: Das ist der Anfang vom Ende des Alten. Dadurch wird deutlich, was für glänzende Aussichten die Elektronische Musik in Mexiko hat.
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