CTM: Über Kuration und Kreation
Was macht eigentlich ein gutes Musikfestival aus? Welche Eindrücke sollen die Besucher von dort mitnehmen können? Ist ein Festival ein Ort kompletter Realitätsflucht oder sollten nicht doch auch reale und außermusikalische Belange eine Rolle bei der Planung spielen? Wieviel Kontext sollte bei der Begegnung mit neuer Musik vorhanden sein? Und ist ein Festival ausschließlich etwas zum Konsumieren oder etwas, das sich auf den vielschichtigsten Ebenen bewegt?
Hier in Berlin sind wir ob der zahlreich stattfindenden Musikfestivals sicherlich verwöhnt, doch trotz des vollen Kalenders ist der alljährliche CTM ein echter Höhepunkt. Neben dem exzellent kuratierten Programm an Darbietungen erweitert der CTM beständig die Grenzen dessen, was ein Festival noch sein kann und liefert herausfordernde Antworten auf diese übergeordnete Frage.
Wir wollten mehr über das kuratoriale Denken erfahren, das für eines unserer liebsten Festivals verantwortlich ist. Gleichzeitig möchten wir natürlich unsere Partner für das Konzertprogamm präsentieren, das parallel zum Loop Summit stattfindet. Zum Gespräch baten wir CTM-Mitgründer Jan Rohlf, der von der Arbeit am Festival erzählte und mit uns die Herausforderungen und Chancen bei der Schaffung einer Bedeutung rund um richtungsweisende Musik und Sounds diskutierte.
Der Untertitel von CTM ist immer „Festival for Adventurous Music and Art”. Was bedeutet dabei „adventurous”?
CTM hat ja begonnen als Festival für Electronic Music. Die erste Ausgabe war 1999. Zu der Zeit erlebten wir so eine Art Aufbruch im Zusammenspiel zwischen Elektronischer Musik, digitalen Medien und Medienkultur. Diese ganze Idee, das unter elektronisch und digital zu fassen war damals greifbar und sinnvoll. Es markierte das Terrain, auf dem wir uns bewegten. Aber über die Jahre wurde klar, dass das Digitale bzw. das Elektronische in alle kleinsten Fasern des Musikmachens hineindrängt. Im Grunde nähern wir uns heute dem postdigitalen Zustand, sprich das Digitale ist überall und immer schon da und dadurch auch weitgehend unsichtbar. Es ergibt keinen Sinn mehr, etwas in eine Kategorie wie Elektronische Musik, oder rein digitale Musik zu fassen, weil es in jeder Musik solche Anteile gibt.
„Wir versuchen herauszustellen, dass es nicht darum geht, in welchem Genre und mit welcher Technologie man etwas macht, sondern um den Ansatz.”
Dann haben wir überlegt, wir müssen das anders fassen. Überhaupt geht unser Interesse als Kuratoren und Musikliebhaber viel weiter, so dass wir uns für alle Musiken begeistern, so lange sie interessant sind. Deswegen haben wir den Begriff adventurous music gewählt, um zu unterstreichen, dass wir Musik wollen, die etwas wagt - sei es ästhetisch, politisch oder performativ. Wir versuchen herauszustellen, dass es nicht darum geht, in welchem Genre und mit welcher Technologie man etwas macht, sondern um den Ansatz. Ein Beitrag soll herausfordernd sein und Erlebnisse erzeugen, zu denen man sich nicht einfach zurücklehnen kann und sie entspannt konsumiert. Es geht um Musik, die wirklich als Kunst ernst genommen werden will.
In den letzten Jahren gibt es bei CTM Rückblicke auf ästhetische Vorreiter, z.B. die Ausstellung Generation Z. Was bedeutet es für euch, den Blick auf die Vergangenheit zu richten?
Ja, das ist für ein wichtiger Punkt. Erst einmal wollen wir mit dem Festival mehr liefern als nur einen Ort, wo man Menschen trifft, sich austauschen kann und irgendwelche intensiven Erlebnisse hat. Wir wollen einen Ort schaffen, an dem man auch etwas Neues erfahren kann und wo es um Reflexion geht. Es ist also diese Mischung aus direktem Erleben und der Möglichkeit, das zu kontextualisieren. Es gibt sehr viele Elemente im Festival, die das versuchen. Dazu gehört es eben auch, die Geschichte einer noch relativ jungen Kunstform wie der Elektronischen bzw. digitalen Musik aufzuzeigen. Wir wollen wichtige Marksteine sichtbar machen und damit ein Bewusstsein dafür schaffen, dass das eben alles nicht gerade in den frühen 90ern entstanden ist als Techno losging, sondern eine viel, viel längere Vorgeschichte hat an Ideen und an Austausch zwischen Menschen, Orten und Technologien. Das hilft, das Verständnis weiterzubringen
Generation Z war für uns auch so ein Moment, wo in einem langjährigen Forschungsprojekt von Andrey Smirnov, dem Leiter des Therеmin-Zentrums in Moskau, aufgezeigt wurde, dass viele technische Entwicklungen, die wir bisher als Ergebnisse der wirtschaftlich-technischen Entwicklungen der westlichen Hemisphäre wahrgenommen haben, tatsächlich zu Anfang des letzten Jahrhunderts in der Sowjetunion parallel oder früher erfunden wurden. Dort geschah das mit einer ganz bestimmten Agenda als Teil des revolutionären Umbruchs und auch mit der Idee, eine neue Gesellschaft, einen neuen Menschen zu schaffen. Viele dieser Ideen, die wir heute ganz selbstverständlich benutzen, wie das von Theremin erfundene Rhytmicon, das im Grunde die erste Drummachine der Welt darstellt, oder das synästhetische Zusammenspiel von Bild und Ton, und auch die Grundlagen für optische Synthesizer entstanden aus einer ganz anderen Perspektive in der Sowjetunion. Da wird deutlich, wie sehr Musik eingebunden ist in viel breitere technologische Bewegungen. Das wollen wir mit dem Festival aufzeigen.
CTM hat immer einen offenen Charakter und es werden nicht nur fertige Arbeiten präsentiert. Welchen Grund hat das?
Festivals sollten heute mehr sein, als nur Leistungsschauen, dessen, was gerade hip und aktuell ist. Wir denke, ein Festival sollte auch dazu beitragen, neue Experimente zu ermöglichen und dem Publikum Einblicke in die Entstehungsprozess von Musik und Kunst geben. Während des Festivals selber finden deshalb zum Beispiel noch Aktivitäten statt, in denen etwas vor Ort entsteht. Als Beispiel für so ein künstlerisches Lab haben wir mit Peter Kirn von Create Digital Music vor einiger Zeit das Projekt Music Makers Hacklab entwickelt. In dem Fall sind es ca. 20 bis 30 Personen, die alle eine eigene künstlerische Praxis haben, aber aus unterschiedlichsten Disziplinen kommen. Im Grunde ist es ein Treffen aus Hackern, Developern, Musikern und Künstlern, die dann an konkreten Projekten arbeiten und zum Ende des Festivals präsentieren, was sie gemacht haben. Da geht’s vor allem darum, dass sich Leute mit dem Stand ihrer aktuellen Projekte irgendwie begegnen und dann gucken: Wo passen wir zueinander? Welcher Mensch kann mit welchem vielleicht die nächste Hürde nehmen, den nächsten Schritt entwickeln oder eine neue Idee ausarbeiten?
Ihr seid an SHAPE und Berlin Current beteiligt, das sind Förderprogramme für junge Musiker und Künstler. Worum geht es dabei?
Die Zusammenarbeit mit anderen Festivals, Organisationen und Gastkuratoren ist ein fester Bestandteil unserer Arbeit. Das war uns immer wichtig, wir sind ja selber so eine Art Kollektiv. Es war uns immer klar, wir brauchen einen konstanten Austausch von Inputs und Outputs und da müssen wir uns möglichst weit vernetzen. Über die Jahre haben sich konkrete Netzwerke manifestiert. Es gibt das ICAS, International Cities of Advanced Sound. Das ist ein Netzwerk von mittlerweile über 35 Festivals und Organisationen auf vier Kontinenten, die ähnliches tun wie CTM. Im Rahmen dieser Netzwerke entwickeln wir einzelne Projekte.
„Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass das eben alles nicht gerade in den frühen 90ern entstanden ist als Techno losging, sondern eine viel, viel längere Vorgeschichte hat...”
Und SHAPE, das ist die Abkürzung für Sound, Heterogeneous Art and Performance in Europe, ist ein aktuelles Projekt, das wir mit 15 europäischen Festivals zusammen machen. Da geht es darum, dass alle Partner jeweils drei Künstler oder Künstlerinnen auswählen, die sie für den Zeitraum von einem Jahr besonders fördern wollen. Aus diesem Topf an EU-Geldern, den SHAPE zur Verfügung hat, können alle Partner mit diesen Künstlern Projekte realisieren. Das führt dazu, dass sie in relativ kurzer Zeit viele Dinge innerhalb Europas realisieren können, viele Auftritte und neue Projekte haben und ihr Netzwerk somit selber erweitern können.
Berlin Current wiederum ist ein Projekt, das wir hier in Berlin zusammen mit dem Musicboard machen, das ist die Popfördereinrichtung der Stadt. Da geht es darum, junge Künstler und Künstlerinnen aus Berlin zu unterstützen. Das machen wir seit drei Jahren. Mit verschiedenen Partnern veranstalten wir Konzerte, z.B. im Berghain in Berlin. Vor allem organisieren wir im Ausland an anderen Spielorten Showcases und Programme, zu denen wir die Berliner Künstler einladen aufzutreten. Aber auch Auftragsarbeiten oder andere Unterstützung gehören dazu. Das ist eben auch Teil der aktiven Rolle, wenn man ein Partner für Künstler und Musiker sein will. Die strukturellen Möglichkeiten, die sich aus der produzierenden Arbeit in Festivalnetzwerken ergeben, wollen wir den Künstlern zugute kommen lassen.
Hast Du vielleicht bei Berlin Current oder SHAPE Favoriten, zu denen du etwas sagen kannst?
Das ist sehr schwierig. Um nur einen zu nennen, Lorenzo Senni z.B. ist ein Künstler, der sich seit langem mit den affektiven Möglichkeiten von Musik beschäftigt. Was hat Musik für direkte körperliche Wirkungen, die uns am Bewusstsein vorbei in einer bestimmten Form modulieren? Er interessiert sich vor allem für Ravekultur, genauer für das Genre Trance und die speziellen Soundsignaturen, die dort verwendet werden. Nicht nur die Sound, auch die Dramaturgien in dieser Musik sind ja darauf ausgelegt, bestimmte körperliche und psychische Zustände zu erzeugen.An Lorenzo Senni wird es klar, dass so eine Art von Musik eben nicht nur Musik ist. Sie ist eine Maschine zum Modulieren von Bewusstsein oder von Wahrnehmungen und Zuständen, die letztlich nicht mehr nur individuelle Zustände werden, sondern gesellschaftliche.
Verfolgen Sie die Aktivitäten des CTM. Hier geht es zur Website und zur Facebook-Seite.