A.Fruit: Videospiel-Sounddesign trifft auf Bass-Forward-Produktion
Wenn es um Videospiele geht, stehen meistens Gameplay, Graphik oder Spielmechaniken im Vordergrund – Dabei ist es oft das Sounddesign, das für emotionale Tiefe sorgt und bei den Spielenden bleibenden Eindruck hinterlässt. Nur wenige Takte des Soundtracks eines vertrauten Spiels können genügen, um Spieler:innen in nostalgische Spielwelten zu versetzen. Das mag auch den Erfolg von Komponist:innen wie Yuzo Koshiro erklären, dessen von Techno und Rave inspirierten Soundtracks für Segas „Streets of Rages”-Franchise als Vinyl-Compilations veröffentlicht und in den letzten Jahren zu Live- Shows weiterentwickelt wurden. Doch sogar die einfachsten Soundeffekte – etwa Sounds, die im Spielmenü Optionen anzeigen – signalisieren den Spielenden, dass sie etwas bestimmtes tun. Diese Sounds geben uns notwendiges Feedback darüber, dass eine Eingabe empfangen und vom Spiel verstanden wurde.
Der Spielhallen-Hit „Pong” von Atari gilt vielen als das erste Spiel, das Sounds verwendet, um mit Spieler:innen zu kommunizieren: Zwei unverwechselbare Pieptöne im programmierten Abstand von einer Oktave zeigen an, ob ein Ball den Schläger oder die Wand trifft; Vielen ist auch heute noch der lange, dissonante Ton vertraut, der Spielerfolge belohnte. Heute können Musik- und Soundeffekte wesentlichen Einfluss auf musikalischen Erfolg neuer Game-Releases haben. Dies fängt bei EDM-Superstars an, deren Namen in teuren Gameproduktionen auftauchen, und zieht sich bis hin zu Indiestudios, die eng mit gefeierten Komponist:innen zusammenarbeiten, die immersive Klangwelten für Spiele erschaffen.
Im Zuge ihres Wachstums entwickelte sich die Gaming-Branche zu einem spannenden Spielplatz für Sounddesigner:innen und Komponist:innen – so bietet die Branche Musikschaffenden die Möglichkeit, an den eigenen Fähigkeiten zu arbeiten und verspricht mehr finanzielle Stabilität als Plattenverkäufe und Touren. Der Russin Anna Dermelenko, bekannt unter dem Künstlerinnennamen A.Fruit, bietet die Spieleindustrie die perfekte Ergänzung zu ihrer Arbeit als DJ und Produzentin. Die Künstlerin hat sich durch ihre Touren und durch Releases auf Hyperboloid, Rua Sound und Med School einen Namen gemacht; gleichzeitig arbeitet sie tagsüber als Sounddesignerin für Charlie Oscar, ein Unternehmen für Game Development mit Sitz in Vilnius, Litauen.
„Ich bin keine Gamerin, aber als Kind habe ich viel gespielt. Meine PS1 steht hier noch rum, wenn ich mal Lust auf ein bisschen Nostalgie habe”, erklärt sie aus ihrem Zuhause in St. Petersburg. An der Uni habe sie sich eher dilettantisch mit populären Spielen wie „Fallout” oder „Heavy Rain” beschäftigt. Die Entscheidung, in der Gaming-Branche zu arbeiten, war jedoch eher pragmatisch motiviert: Sie wollte ihre Musikproduktionsskills dort einsetzen, wo man sie am meisten brauchen würde. „Als ich anfing, Musik zu machen, mochte ich das Herstellen von Sounds, also wollte ich eben einen Job finden, wo ich das machen kann.”
Einen Einblick in Annas Können gibt uns uns ihr Beitrag zur Live-Challenge bei Loop Create. Bei der Arbeit mit Videos, die sie zum ersten Mal sieht, zeigt sie, wie sie visuellen Szenen Leben einhaucht und erklärt dabei ihre Herangehensweisen an kreatives Sounddesign. Die Teilnehmer:innen werden dabei ermutigt, sich selbst an den Übungen zu versuchen – oder es ihr einfach gleichzutun, um ein Verständnis für ihre Arbeitsweise zu entwickeln. Die größte Herausforderung, an die Anna sich dabei erinnert, besteht darin, Klänge aus dem wirklichen Leben nachzubauen – etwa den Klang einer Katze, die aus einer Kristallschale trinkt.
Für diese Übung beschränkt sie sich auf das sogenannte Foley, also die Praxis der Aufnahme und Manipulation von Alltagsgeräuschen, die sie dann dem Geschehen auf dem Bildschirm anpasst. „Ich finde, es ist eine super Übung, sich selbst einzuschränken – zum Beispiel, indem man einen Track aus nur einem Sample, oder nur mit einer Technik macht. Das hilft wirklich dabei, das eigene Können und die eigene Denkweise weiterzuentwickeln.”
Im Job lernen
Die beiden Berufsfelder Annas verhalten sich symbiotisch zueinander: Ihre Leidenschaft für Musikproduktion war für die Künstlerin der Grund, sich Jobs als Sounddesignerin zu suchen, während ihre Erfahrungen als Sounddesignerin ihre Art, Musik zu machen, beeinflussen. Besonders von ihrem Job profitiert haben dabei ihre Synthese-Skills: So verwendete sie bei der Produktion ihrer früheren Platten noch häufig – und nicht ohne Talent und Eleganz – Presets. Mehr darüber zu lernen, wie Sounds von Grund auf entstehen, öffnete ihr Türen zu ganz neuen kreativen Möglichkeiten.
Das heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass kommerzielle Projekte keinen Platz für Kreativität bieten. Sicher: Kunden haben in der Regel eine Vorstellung davon, was sie wollen, oder im besten Fall ein klares Briefing – Anna freue sich aber immer über die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen. „Die Kunden haben eine Vision für ihr Produkt, und es ist meine Aufgabe, das zu produzieren was sie haben wollen. Aber es gibt immer einen gewissen Spielraum für Kreativität, vor allem wenn die Kunden einen schon kennen und eine gute Vorstellung davon haben, was für ein Produkt sie haben wollen. Dann kann man auch etwas von sich selbst einbringen.”
Mitunter führten kommerzielle Aufträge für Anna auch zu Entdeckungen im Bereich der Komposition und des Arrangements. Bevor A.Fruit als Sounddesignerin tätig war, hatte die Produzentin hauptsächlich Tracks produziert, die sich gut für DJs eigneten. „In meinen Tracks gab es eigentlich immer sowas wie ein Intro mit ein paar Hats oder sowas, aber wenn ich für Games arbeite, gehts mir um etwas anderes.” So sei bei Musikproduktionen für Videospiele das Prinzip sogar besonders wichtig, dass der Track endlos geloopt werde – eben solange die Figur in einem speziellen Bereich bleibt. „Der Track muss sich dementsprechend auch verändern, dabei aber auf natürliche Art loopbar sein, sodass man das Ende und den Anfang des Tracks zusammenführen kann.”
Diese neue und weniger lineare Arbeitsweise half Anna, als A.Fruit neue Ausdrucksformen zu entwickeln. Ihr Release Your inner Sun aus dem Jahr 2018 sei, so sagt sie, ein gutes Beispiel dafür. „Ich hatte hier das Gefühl, etwas produziert zu haben, das nicht den Produktionsregeln der Clubmusik folgt, sondern vielmehr denen des Sounddesigns – mit dem Track erzähle ich eine Geschichte, und produziere eben nicht einfach einen Track, den DJs abspielen können.”
Der Aufbau einer Szene
Ursprünglich aus Moskau stammend, zog Anna auf der Suche nach neuer Inspiration nach St. Petersburg – ein Umzug, so erzählt sie, der sich anfühlt als würde man London für Bristol verlassen. Während jedoch Bristol im Laufe der Jahre eine bedeutende Rolle für die vielen Entwicklungen der Kultur der Bassmusik gespielt hat, ist die Szene in St. Petersburg vergleichsweise klein. Die Partys in St. Petersburg seien vielmehr von einem Community-Gefühl geprägt – die Künstlerin nennt Grechafunk, Fat Vibez, Urban und Blkroom Community als gleichgesinnte Kollektive und wichtige Institutionen der Szene. Ihre eigene Crew, „Get High On Bass”, konzentriere sich auf die Unterstützung junger Künstler:innen, insbesondere weibliche Produzentinnen und DJs. „Wir kennen uns alle und sind alle befreundet. Ich komme zu den Partys der anderen, sie kommen zu meinen Sets, aber wir nehmen das nicht allzu ernst. Es gibt keine Partys, auf denen mehr als 300 Leute zu Bassmusik tanzen.”
Ihre Heimatstadt Moskau besucht Anna oft, um mit der weitaus größeren und komplexeren Szene in Kontakt zu bleiben und den Ruf zu nutzen, den sie sich vor ihrer Abreise aufgebaut hat. „In Moskau bin ich erfahrener. Ich komme von dort, habe da mehr Connections, mehr Freunde, und mehr Menschen wissen was ich so mache. Ich bin zwar schon seit vier Jahren in St. Petersburg, zwei davon fielen aber in die Zeit der Pandemie. Ich bin hier einfach noch nicht komplett angekommen.” Ihr Plan ist, „High on Bass”-Events perspektivisch in beiden Städten zu veranstalten – um damit die Verbindungen zwischen ihrem soliden Moskauer Netzwerk und der gleichermaßen eingeschworenen wie auch enthusiastischen Community St. Petersburgs weiter zu stärken.
Der eigene Arbeitsbereich
Als Anna ihren ersten Sounddesign-Job antrat, löste das eigens bereitgestellte Studio bei der Musikerin wenig Begeisterung aus. „Da gab es zwei Monitore und einen Mac und das war’s eigentlich. Nur Pro Tools und noch ein paar VSTs. Da habe ich dann gemerkt, dass ich diese Arbeit auch überall sonst machen kann.” Heute arbeitet sie in ihrem eigenen Studio in St.Petersburg – sowohl an eigener Musik als auch an kommerziellen Projekten. Das Setup der Musikerin sei zwar noch immer relativ aufs Wesentliche reduziert, bietet aber alles, was sie für ihre Arbeit braucht.
Zu ihrem Equipment gehören ein iMac von 2010, Yamaha HS80-Monitore, ein MOTU Audio Express-Interface und ihr „alter Freund”, der Zoom H4n, als wichtigste Tools für ihre tägliche Arbeit. Die Studiophilosophie der Musikerin zeichnet sich durch pragmatischen Einfallsreichtum aus. So habe sie während der Pandemie ihre elektrische Gitarre, ein Launchpad und ein Roland MC-808 verkauft, – „aber ich hatte etwas zu essen. Ich bereue das nicht. Ich habe einfach alles verkauft, was ein Jahr lang ungenutzt rumstand.” Bleiben durfte der Korg DW8000 – der hybride Synthesizer von 1986, den sie für die Produktion ihrer ersten EP verwendet hatte.
Die Foley-Tasche Annas ist voll mit Tools, mit denen sie Soundeffekte erzeugen kann. Darin finden sich Objekte aus Gummi, Glas, Plastik und Metall, mit denen die vielfältigen Texturen und Klangfarben erzeugt werden können, die zur Nachahmung echter Klänge notwendig sind. Manchmal, so Anna, müsse sie das Studio allerdings auch verlassen und sich in die Außenwelt wagen, um etwas Bestimmtes zum Samplen zu finden. „Für ein Spiel, an dem ich gearbeitet habe, brauchte ich die Geräusche eines Uhrwerks. Ich habe in sozialen Netzwerken gefragt ‚Hey, hat vielleicht jemand eine alte Uhr, die ich aufnehmen kann?’ – eine, die noch so ‚Tick-Tock'-Geräusche macht. Ich habe dann ein paar alte Freunde besucht, den Recorder mitgenommen und vor Ort die Aufnahmen gemacht. Als ich alles hatte, was ich brauchte, bin ich zurück ins Studio gefahren.”
Die Balance halten
Ursprünglich hatte die Musikerin sich kommerzielle Jobs im Gaming-Bereich gesucht, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Heute ist Sounddesign ein wesentlicher Bestandteil des A.Fruit-Projekts –und die Produzentin hat nicht vor, damit aufzuhören, wenn sie wieder auf Tour gehen kann: „Ich arbeite immer noch gerne an kommerziellen Projekten. Es geht mir dabei nicht nur um’s Geld, es ist auch eine spannende Herausforderung, Musik in neuen Genres zu machen. Ich habe das Gefühl, mich durch die Arbeit an diesen Projekten als professionelle Studiodesignerin weiterzuentwickeln. Idealerweise nehme ich in Zukunft deshalb auch nur noch die Aufträge an, die am spannendsten sind, und arbeite ansonsten mehr an meiner eigenen Musik.”
Annas Strategie hat das Potential, ihre beiden Karrierefelder stärker zusammenzubringen und gleichzeitig die Auswahl an möglichen Jobs zu vergrößern. „Wenn deine Musik bekannter wird, gibt es Leute, die mit einem kommerziellen Projekt auf dich zukommen. Und wenn man dann nach einer Referenz fragt, wie es klingen soll, dann sagen sie: ‚Wir wollen, dass es nach A.Fruit klingt.’”
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Wenn Sie A.Fruits Challenge bei Loop Create selbst ausprobieren möchten, können Sie sich das Video herunterladen und Ihre eigenen Sounds zur Szene kreieren. Wenn Sie in Live noch nicht mit Videos gearbeitet haben, kann Ihnen die Ableton Knowledge Base dabei helfen.