Burgtheater Wien: Von der Probe zur Premiere mit Ableton Live
Der Leiter der Tonabteilung eines der renommiertesten Theaters Europas erklĂ€rt, mit welchen kreativen Lösungen sein Team die Herausforderungen beim Sound-Design fĂŒr die BĂŒhne meistert.Â
Das Burgtheater Wien â beheimatet in einem ehemaligen Ballsaal neben der Hofburg im historischen Zentrum Wiens â zĂ€hlt zu Europas wichtigsten BĂŒhnen und beschĂ€ftigt viele der angesehensten deutschsprachigen Theaterautoren, -Regisseure und -Schauspieler unserer Zeit. ZĂ€hlt man alle vier BĂŒhnen des Hauses zusammen, heiĂt es pro Jahr rund 700 Mal âVorhang auf!â fĂŒr neue Produktionen und moderne Inszenierungen der Klassiker. Um den Anforderungen so vieler gleichzeitig laufender Produktionen gerecht zu werden, beschĂ€ftigt das Theater 16 Audiotechniker, die sich um jedes Klang- und Musikdetail kĂŒmmern.
David Muellner â Leiter der Tonabteilung des Burgtheaters â erklĂ€rt, wie das Sound-Design fĂŒr die BĂŒhne ablĂ€uft und wie er und sein Team Ableton Live nutzen, um die spezifischen Anforderungen moderner Theaterproduktionen zu erfĂŒllenâŠÂ
Der Prozess
Die Arbeit unserer Audiotechniker beginnt oft schon mit der ersten Probe. Gemeinsam mit dem Regisseur entwickeln wir Schritt fĂŒr Schritt eine eigene Klangwelt fĂŒr das StĂŒck. An dieser Stelle der Produktion nutzen wir Ableton Live als Produktionszentrale fĂŒr Musik und Sound. Ein Notebook mit Ableton Suite, unsere eigene Theater-Sound-Library und ein Audiointerface: mehr brauchen wir nicht. So können wir herumspielen, experimentieren und Ideen festhalten, um diese spĂ€ter weiter zu entwickeln â alles mit diesem einen System.
Sobald wir wĂ€hrend der Proben Sounds und Musik fĂŒr eine Szene ausgewĂ€hlt haben, versuchen wir, so viele der entsprechenden Parameter zu automatisieren wie möglich. Das Ziel dabei ist, alle Audio-Ăberblendungen, EQ-Ănderungen, Follow Actions und Send-Einstellungen innerhalb der Clips in Lives Session-Ansicht festzuschreiben. So können wir bei jeder Probe und Vorstellung jedes Klangereignis exakt reproduzieren â einfach indem wir zum richtigen Zeitpunkt die entsprechende âSzeneâ in Live starten.
Unser groĂes Mischpult fassen wir kaum noch an. Wenn wir eine unserer Produktionen als Gastspiel in ein anderes Theater bringen, haben wir nur unser Notebook und das Audiointerface dabei: Wir verkabeln das Mischpult des Theaters mit unserem Interface, stellen die Pegel einmal richtig ein â und schon kann die Show beginnen.
Audio-Routing
Um die Audiosignale zu den verschiedenen Lautsprechern des Theaters zu leiten, nutzen wir unser Haupt-Mischpult nur als Kreuzschiene, wie eine Matrix fĂŒr Audio. Alle Ăberblendungen und KlangĂ€nderungen sind ja schon in Live programmiert. Dazu haben wir eine eigene Methode entwickelt: FĂŒr jeden Kanal, der Audio-Clips enthĂ€lt, gibt es einen zugehörigen Kanal mit Dummy-Clips: âstilleâ Audio-Clips, die keine Audiosignale enthalten, aber alle PegelverlĂ€ufe als Clip-HĂŒllkuven fĂŒr die Send-Wege, die dann die einzelnen Lautsprecher ansteuern. In den KanĂ€len mit den echten Audio-Clips stellen wir den Audioausgang auf âSends Onlyâ. In jedem Dummy-Clip-Kanal wĂ€hlen wir als Audio-Eingang den passenden echten Audio-Kanal.
Weil jeder Send-Weg einen eigenen Lautsprecher ansteuert, können wir durch Clip-HĂŒllkurven fĂŒr die Send-Parameter jede beliebige Bewegung der KlĂ€nge im Raum und natĂŒrlich auch beliebige LautstĂ€rkeverlĂ€ufe programmieren, ohne die eigentlichen Audio-Clips zu Ă€ndern. So lassen sich selbst komplexe Routing-Szenarien relativ schnell aufbauen, etwa in folgender Art: Ein kurzer Musik-Loop wird eingeblendet, bewegt sich vom hintersten Lautsprecher zum Haupt-Lautsprecherfeld an den BĂŒhnenseiten, wandert von dort aus langsam zu den Lautsprechern hoch ĂŒber dem hinteren BĂŒhnenrand und blendet dann wieder sanft aus.
Soundtrack fĂŒr die BĂŒhne
Weil die Produktionen am Burgtheater klangtechnisch immer komplexer wurden, gibt es heute fĂŒr jede Show einen eigenen Audiotechniker. Dieser ist verantwortlich fĂŒr jeden Klangaspekt, angefangen von der ersten Probe bis zur letzten öffentlichen AuffĂŒhrung. Oft kennt nur diese eine Person wirklich jedes einzelne Detail.Â
Ein Beispiel: FĂŒr eine bestimmte Produktion hatten wir einen cinematischen Soundtrack erschaffen, der ĂŒber die gesamte LĂ€nge des StĂŒckes lief und dabei den Aktionen der Schauspieler folgen musste. Wir legten eine Live-Session mit Hunderten von Samples an, die jeweils zu bestimmten SchlĂŒsselaktionen der Schauspieler abgespielt wurden. Wenn etwa ein Schauspieler nach hinten sah, gab es passend dazu einen bestimmen Soundeffekt; oder wenn ein Schauspieler eine bestimmte Bewegung machte, wurde das durch einen anderen Klang begleitet. Im Film werden Musik und Soundeffekte natĂŒrlich erst dann angelegt, wenn der zeitliche Ablauf der Handlung im Schnitt bereits festgelegt wurde. Unsere Techniker standen hingegen vor der Herausforderung, einen kontinuierlichen Soundtrack in Echtzeit an das Geschehen auf der BĂŒhne anzupassen. FĂŒr uns ist das nur mit Ableton Live machbar â und mit einem guten Audiotechniker, der viel Zeit darin investiert, die Live-Session fĂŒr âseinâ StĂŒck aufzubauen und bei Proben und AuffĂŒhrungen zu performen.Â
Bis zur letzten Minute
Heute sehen Theaterproduktionen so aus, dass der erste komplette Durchlauf des StĂŒcks oftmals erst die Premiere ist. FĂŒr den Audiobereich bedeutet das, dass wir bis zur letzten Minute Ănderungen umsetzen können mĂŒssen. Ohne Ableton Live wĂ€re diese FlexibilitĂ€t definitiv nicht möglich. Noch vor wenigen Jahren musste jede Show spĂ€testens drei Tage vor der Premiere âstehenâ, denn wir mussten noch jedes einzelne Klangereignis ĂŒbertragen und neu anpassen, sobald das StĂŒck von der Proben- auf die AuffĂŒhrungsbĂŒhne ging. Heute lĂ€uft einfach dieselbe Ableton-Live-Session durch â von der ersten Probe bis zur Premiere. So können wir selbst im allerletzten Moment noch etwas Ă€ndern oder optimieren. Ehrlich gesagt, geschieht das manchmal sogar noch wĂ€hrend der Premiere!
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