Geschichten Leben einhauchen: Autobiographisches Beatboxen mit SK Shlomo
SK Shlomos (they/them) einzigartige FĂ€higkeit, komplexe Beats und Kompositionen mit der eigenen Stimme zu entwickeln, brachte them Einladungen zu prestigetrĂ€chtigen Festivals wie Glastonbury, Bestival und Latitude ein; They kollaborierte mit verschiedensten Artists, darunter Imogen Heap, Björk und Gorillaz, jĂŒngst sorgte Shlomos fesselnde Theaterperformance BREATHE fĂŒr Anerkennung.
âIch habe schon Beatboxing gemacht, bevor ich wusste, dass das ĂŒberhaupt ein Ding ist,â erinnert sich Shlomo. âIch wusste noch nicht mal, dass das einen Namen hat. Ich habe auf die Art einfach Rhythmen geĂŒbt. Ich hatte Michael Winslow bei Police Academy gesehen, wisst ihr noch? Dieser Typ, der all diese coolen GerĂ€usche machen konnte? Und ich dachte mir, cool, sowas mache ich auch, dann ist das wohl einfach normal.â
Shlomos Live-Set herunterladen*
*EnthĂ€lt Beatbox-Loops und das von SK Shlomo entwickelte Tool BEASTR. Erfordert eine Lizenz fĂŒr Live 11 Suite oder die kostenlose Testversion.
SK Shlomo wurde 1983 als Kind jĂŒdisch-israelischer Eltern in GroĂbritannien geboren und heiĂt mit bĂŒrgerlichem Namen Simon Shlomo Kahn. In Shlomos Kindheit wurde they nicht gerade ermutigt, den hebrĂ€ischen mittleren Namen zu benutzen â erst zu Beginn deren Musikkarriere beschloss Shlomo, sich den Namen wieder anzueignen.
Shlomos Beatboxing-Karriere begann in jungen Jahren und nahm schnell an Fahrt auf. Da bald mehr Booking-Anfragen reinkamen als they hĂ€tte annehmen können, entschied sich Shlomo fĂŒr einen community-zentrierten Ansatz: They vermittelte Gelegenheiten fĂŒr Gigs einfach an Gleichgesinnte weiter. Auch organisierte Shlomo Beatboxing-Battles, aus denen spĂ€ter die UK Beatbox Championships wurden. Das von Shlomo initiierte Beatbox Academy-Projekt am Battersea Arts Centre wurde zum Grundstein fĂŒr ein mehrfach preisgekröntes Theaterprojekt.Â
BREATHE
Die eigene Ăffentlichkeit als Beatboxer:in nutzte Shlomo auĂerdem, um das Thema der mentalen Gesundheit in das allgemeine Bewusstsein zu rĂŒcken: Shlomo spricht hĂ€ufig offen ĂŒber die eigenen Erfahrungen mit Depressionen und Angststörungen, gilt als entschieden:e FĂŒrsprecher:in fĂŒr eine bessere Gesundheitsvorsorge und behandelt Themen rund um psychische Gesundheit auch kĂŒnstlerisch.
2019 entwickelte Shlomo ein Konzept, in dem they Storytelling und Ravemusik in einer Performance fusionierte â eine Idee, die nach einer Soloshow in Edinburgh entstanden war, in der es um den Kampf gegen Suizidgedanken und den Weg zur endgĂŒltigen Besserung ging. âDiese riesengroĂe schottische Person in der ersten Reihe steht auf und schreit halt einfach âraaaaaawâ und tritt ihren Stuhl weg und fĂ€ngt an zu tanzen,â erinnert sich Shlomo. âUnd alle anderen dachten wohl, das soll so. Und haben mitgemacht. Die haben einfach angefangen zu raven, und ich dachte mir noch, Moment, warte mal. Und dann wurde mir klar: Genau das muss ich einfach machen.â Die Idee einer Show war geboren, die mit der ErzĂ€hlung persönlicher Geschichten beginnt und in einen Rave kulminiert.
Der Abend mit dem Namen âDas StĂŒck, das zum Rave wirdâ sollte 2020 Premiere feiern. Am Ende kam Shlomo die Pandemien dazwischen. They sah sich gezwungen, einen Gang runterzuschalten â und hatte Zeit, sich wieder persönlicheren Themen zuzuwenden. âUnd dann habe ich [stattdessen] einfach BREATHE geschrieben,â erzĂ€hlt Shlomo. âDas war so meine Art, all das zu verarbeiten. Ich habe das alles in ein Skript runtergeschrieben und ein Album gemacht, das dann zum Soundtrack des StĂŒcks wurde.â
BREATHE ist eine Solo-BĂŒhnenshow, die Beatboxing, Musik und Technologie kombiniert und sich damit Themen wie Queerness, Geschlecht, Race, Behinderung, mentaler Gesundheit und der heilenden Kraft der Ravemusik widmet. FĂŒr Shlomo war die Show eine Möglichkeit, die eigene Lebensgeschichte durch verschiedene kreative Medien mit der Welt zu teilen.
BEAST
Zentrum des Performance-Setups von Shlomo ist ein selbstgebautes Max-for-Live-Tool namens BEAST, das sich aus Live-Looping-Experimenten mit Björk entwickelt hat. âIch habe festgestellt, dass ich mehr machen sollte als einfach Beatboxing-Sounds, die nach Snoop Dogg und Missy Elliott klingen,â erzĂ€hlt Shlomo, âdass ich meine Skills einsetzen sollte, um Musik zu machen. Weil Björk mich als Instrument betrachtet hat [âŠ]. Also bin ich losgegangen und habe mir ein Roland RC-20-Looppedal gekauft. Das war ziemlich simpel. Ich hab das quasi kaputtgemacht, indem ich es komplett an sein Limit gepusht habe. Ich habe gemerkt, dass richtig viele Glitches und Fehler entstanden sind, aber die Fehler waren berechenbar und ein super schönes Element dieser Hardware.â
Shlomo besaĂ bald eine ganze Sammlung von Loopern und gewann schlieĂlich die von Roland ausgerichteten UK Looping Championships. SpĂ€ter reiste Shlomo in die USA, wo they als ReprĂ€sentant:in GroĂbritanniens die Weltmeisterschaften in L.A. gewann. âAuf einmal wurden mir die [Looper] alle zugeschickt, und ich war so: wow, das hat Potenzial. Ich konnte ein Kaoss Pad in eine Loopstation einstecken, in einen TC Helicon Voicelive Touch, in dieses und jenes. Und damit hatte ich eine irre Effektkette. Ich habe dann versucht, Festivaltouren mit dieser immer wahnsinnigeren Masse an Zeug zu spielen, was auch zu immer mehr Rauschen in der Signalkette gefĂŒhrt hat. Das Ganze wurde schwer, voluminös und chaotisch. Am Ende dachte ich mir, das passt einfach nicht mehr. Und etwa zu dieser Zeit habe ich mit Ableton Live gespielt, das sich dann auch bald durchgesetzt hat. Dann war ich irgendwann mutig genug, um mir Max for Live anzuschauen. Das hat dann dazu gefĂŒhrt, dass ich BEAST entwickelt habe.â
UrsprĂŒnglich hatte Shlomo geplant, den Boss RC-505-Looper nachzubauen, mit dem they zu dieser Zeit arbeitete. Mit der Hilfe von Mark Towers, Shlomos Max-for-Live-Mentor, begann they die Arbeit an einem Patch, das fĂŒnf Looper-Anwendungen in Ableton Live synchronisieren konnte und ohne einen Laptop steuerbar war. Shlomo nutzte auĂerdem ClyphX, um Live mit Script-Befehlen zu steuern, die in Dummy-Clips oder Markern in Arrangements platziert waren.
âUnd so ist BEAST entstanden. Sobald das Ding funktioniert hat, wusste ich, dass die Technik jetzt wirklich macht, was ich will. Ich habe sogar einen TED-Talk darĂŒber gehalten. Und dann ging alles irgendwie los. Ich habe ein paar Jahre auf Tour verbracht und auf verschiedenen Tech-Events ĂŒber meine Erfindung gesprochen.â
Magische HandschuheÂ
Shlomo suchte nach einem kabellosen und tragbaren GerĂ€t, mit dem they auf der BĂŒhne Beats steuern konnte, vor allem aber in Echtzeit Hi-Pass-Filter an- und ausschalten konnte. Dabei probierte they verschiedenste Dinge aus, etwa einen Leap-Motion-Controller mit verschiedenen Reglern und MIDI-Ringen â doch nichts davon wollte so recht funktionieren. SchlieĂlich stieĂ Shlomo auf eine PrĂ€sentation, in der Imogen Heap eine frĂŒhe Version des MiMU Glove vorstellte.
âIch dachte mir, das ist es! Ich wollte nur einen Knopf, wirklich nur einen. Denn wenn ich beatboxe und die Kicks und Basslines mache, ist das sehr basslastig. Der EQ ist bei 80 Hertz angehoben, und das klingt super. Aber wenn man einfach reden will oder Hi-Hats macht, oder irgendwas, fĂŒr das man diesen Bass und diese EQ-Einstellung nicht braucht, kriegt man diese unruhige Dynamik, die man nicht will. Stell dir vor, jede Kick hat jetzt die volle Kraft eines richtig geboosteten Bass-EQs, aber sobald der Transient weg ist, geht der Hi-Pass wieder an. Ich kann das einfach umschalten, indem ich meinen Daumen im Takt mit dem Beat bewege. Das ist irre.â
Der MiMu-Handschuh kann noch viel mehr: So trackt er jeden Finger und Knöchel und ermöglicht Shlomo, imaginĂ€re Drums zu spielen, die als MIDI-Noten gelesen werden.Â
âMan kann die auf eine Million verschiedene Arten spielen. Ich kratze in BREATHE echt nur an der OberflĂ€che der Möglichkeiten. Es gibt ein paar so tolle Momente in der Show. Zum Beispiel, wenn die ganze Musik aufhört und ich zu jemandem in der ersten Reihe gehe und die Person mir einen Fistbump gibt. In der Sekunde, in der deren Faust meine berĂŒhrt, triggere ich die Musik und sie kommt wieder rein.â
Shlomo spielt in den eigenen Shows auch gern die Rolle des:der Tontechniker:in, wenngleich die Kombination mit der Performance natĂŒrlich herausfordernd ist. Das Touren mit einer eigenen PA gibt Shlomo zusĂ€tzlich Kontrolle ĂŒber den eigenen Sound. Derart viel Kontrolle auf der BĂŒhne zu haben gibt Shlomo den Raum, um sich auf die Performance zu konzentrieren â auch wenn das MaĂ an technischer Verantwortung herausfordernd klingen mag, gerade fĂŒr jemanden mit einer ADHS-Diagnose.
âIch denke, vor der Diagnose oder unmittelbar vor meinem Zusammenbruch habe ich nie wirklich klar meine BedĂŒrfnisse geĂ€uĂert, noch nicht mal vor mir selbst. Ich habe mich selbst echt unter Druck gesetzt. Wie ich mit mir selbst ins Gericht ging, war komplett missbrĂ€uchlich und schrecklich. Ich konnte nie einfach sagen, dass ich Sachen vielleicht komplett anders machen muss als andere Menschen, und es okay ist, dass ich andere BedĂŒrfnisse habe. Ich kann mich bei BREATHE komplett fallen lassen, weil ich endlich genug SelbstwertgefĂŒhl hatte, um zu sagen, nein, ich will wirklich jeden Aspekt des Sounds selbst kontrollieren. Das brauche ich, um mich fallen lassen zu können. Wenn jemand anderes das versucht, habe ich einfach Angst, dass die Person was falsch macht â und dadurch kann ich mich nicht so richtig frei fĂŒhlen.â
Shlomos Performances leben vom Zusammenspiel von Digitalem und Analogem. Das Setup enthĂ€lt ein kleines Keyboard fĂŒr das Spielen von Pianos und Synths, ein Ipad mit dem Ableton-Live-Controller touchAble und zuweisbare Akai LPD8-Pads. Der GroĂteil der Performances wird mit Push 2 gesteuert, Shlomo betont jedoch, dass im Zentrum des Geschehens das reinste analoge Signal steht: Die Stimme.
Mehr zu SK Shlomo gibt es auf Facebook, Instagram und SoundCloud
Text und Interview von Joseph JoyceÂ
Ăbersetzung von Julia Pustet
Der Text wurde in der Ăbersetzung gekĂŒrzt.