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Bored Lord: Rhythmische Bewegung im Gleichklang mit Anderen
Daria Lourd ist nur sie selbst, wenn sie produktiv ist. Wer in den letzten fünf Jahren auf ihre Arbeit als Bored Lord gestoßen ist, wurde von einer Lawine an Veröffentlichungen mitgerissen, verstreut über ihre Bandcamp-Seite, Kassetten mit Acid-Live-Sets, einmalige Kollaborationen und Massen an Edits. Erstmals breitere Anerkennung erfuhr sie 2019 mit der Veröffentlichung ihres Albums Transexual Rave Hymns, das sie zur Gallionsfigur der wiederauferstehenden Clubmusik mit trans und queeren Wurzeln machte. Zwei Jahre später erschien ihr pointiert betiteltes Album In Case We Never Get To Rave Again, das den Zeitgeist der Lockdowns durch massentaugliche Flips von Monsterhits von „Smells Like Teen Spirit" bis „Can't Get You Out Of My Head" einfängt. Die Veröffentlichung ist nicht mehr erhältlich, zeigt aber eindrücklich, wie gekonnt Lourd augenzwinkernden Spaß mit echten Skills ausbalanciert – und dass sie der energetischen, befreienden Kraft des Raves treu ergeben ist.
Wer so viele Edits mit Augenzwinkern herausbringt, läuft schnell Gefahr, in eine Schublade gesteckt zu werden. Luord macht jedoch zweifelsfrei klar, dass sie sich von niemandem so einfach einordnen lässt. Die Aufnahme eines Albums für die Trans-Rave-Artists T4T LUV NRG unter der Leitung von Eris Drew und Octa Octa gab ihr die Gelegenheit, zu justieren, wie sie als Künstlerin wahrgenommen wird.
„Das war das erste Mal, dass ich an einem Release gearbeitet habe, von dem ich wusste, dass er mehr Leuten erreichen würde", erzählt sie mir aus ihrem Zuhause in Los Angeles. „Ich hätte leicht in die 'Mädchen, das Samples flippt'-Falle tappen und einfach Banger, Banger, Banger raushauen können, aber wenn jemand das dann in die Finger bekommt und auf Play drückt, will ich, dass die Person sich denkt: 'Krass, was ist das für ein Ding?'"
Das Ergebnis heißt Name It. Die acht Tracks finden einen goldenen Mittelweg zwischen der nostalgischen Kraft des Breakbeat-Hardcore und einer Außenseiter-Sensibilität, die näher an den Wurzeln des Genres in den frühen 90er Jahren liegt, noch bevor dieses eine etablierte Formel gefunden hatte. Diese chaotische, idiosynkratische Herangehensweise an das Handwerk hat eine einzigartige emotionale Wirkung, die dem modernen Breakbeat-Revivalismus oft fehlt. Wenig überraschend ist also, dass Lourd ihre Inspiration nicht aus Standard-Rave-Rezepten zog.
„Ich mache schon lange Musik und liebe das Format des Albums", erklärt sie. „Ich finde es wichtig, dass man bei der Produktion eines Albums weiß, welches Universum man erschafft. Ich hatte Alben, auf die ich mich besonders bezogen habe, wie Parallel Universe von 4Hero und Black Secret Technology von A Guy Called Gerald – das heißt nicht, dass ich wie sie klingen wollte. Sie waren nur Referenzpunkte für Alben, die ein eigenes kreatives Universum geschaffen haben."
Name It ist vor allem eins: Tanzmusik, angetrieben von elektronischen Rhythmen, gespickt mit Samples und Synthesizern und voller Bässe. Wie auch auf den bahnbrechenden Anti-Totems der Rave-LPs bleibt jedoch auch hier viel Raum für Ideen, die nicht immer auf die Bedürfnisse eines:einer DJ zugeschnitten sind.
„Ich wollte, dass man die Tracks immer noch auflegen kann", sagt sie, „aber ich habe bewusst Entscheidungen getroffen, von denen mir klar war, dass sie der Idee eines Clubtracks zuwiderlaufen – wie zum Beispiel viel längere Bridges ohne riesige Riser oder Build-up-Gimmicks und Intros, die wahrscheinlich viel zu lang für einen 16-Takt-Mix sind. Wenn man das im Club abmischen will, muss man sich sehr genau überlegen, wie man das anstellt."
Lourd hat sich die Zeit, die sie auf die Tracks verwendet hat, bewusst gesetzt, ohne dabei ihr Gefühl dafür zu verlieren, wann ein Track fertig ist und nicht weiter perfektioniert werden muss. Aufgewachsen in Memphis, einer Stadt voller Blues, Country und R’n’B, hatte sie sich zuvor in Bands und die Produktion von Tracks für Hip-Hop-Künstler:innen verbissen und immer mehr Studioequipment angesammelt. Erst als ihr 8-Spur-Recorder kaputt ging, begann sie, sich mehr mit der computerbasierten Produktion auseinanderzusetzen – und ihr Einfallsreichtum sowie ihr Sinn für die unmittelbare Dynamik in Bands kommen in ihren Produktionen zum Tragen.
Von Slide-Gitarren inspirierte Synth-Lines in „Believe”
Eine weitere Eigenschaft, die Name It auszeichnet, ist die Art, auf die Lourd mit emotionalen Hooks arbeitet. Der Monosynth etwa, der über dem ausgedehnten Intro von „Believe" schwebt, ist von einer trällernden Verletzlichkeit, die zum rauen Voranschreiten des Schlagzeugs und den schnellen Acid-Linien darunter kontrastiert. Der Song ist weder eindimensional fröhlich noch traurig, sondern trifft genau den melancholischen Punkt, der Tanzende auf subtilere, tiefere Weise bewegen kann als die überdrehte Symphonie eines Big-Room-Drops.
„Ich habe ganz bewusst ein Vibrato-VST für viele der Monosynth-Sounds verwendet", erklärt sie." Seit ich angefangen habe, mit Hardware zu arbeiten, habe ich viel mit einem Gitarrenpedal gemacht, und ich liebe es, wenn über Dingen ein breites, sehr tiefes Vibrato liegt. Am offensichtlichsten ist der übermäßige Einsatz von Vibrato bei Boards of Canada oder bei allem, was von Boards of Canada inspiriert ist.”
So wie viele Künstler:innen in ihren Anfangszeiten lebte auch Lourd von der Hand in den Mund und nahm ihre DAW-basierten Produktionen mit allem auf, was ihr zur Verfügung stand. Einige ihrer bahnbrechenden Edits sowie Transexual Rave Hymns entstanden auf dem Laptop einer befreundeten Person, weil sie nach ihrem Umzug nach L.A. am Existenzminimum lebte. Nach 10 Jahren der ausschließlichen Arbeit am Computer sehnte sie sich schließlich nach der „rohen Energie" ihrer prägenden Jahre, in denen sie mit Tools wie Zoom-Drum-Maschinen gearbeitet hatte. Sie begann, Outboard-Tools zu sammeln, die in den Prozess von Name It einflossen.
Eine frühe Produktion von Bored Lord, die komplett auf dem Laptop eine:r Freund:in entstanden ist
Während die Hardware auf Name It für eine eigenwillige Energie sorgt, liegen das Herz und die Seele des Albums im Sampling. Angespornt durch ihre ständig wachsende Plattensammlung sah Luord darin von Anfang an einen grundlegenden Aspekt ihrer Musik. Zuweilen nahm sie als eine besondere Form der Herausforderungen auch Platten aus dem Supermarkt, die für 5 Dollar verkauft wurden, und durchforstete sie auf der Suche nach Sampling-Material.
„Was mich allgemein zu dieser Art von Tanzmusik hingezogen hat, ist so eine Art Wundertüten-Idee", erzählt sie. "Zum Beispiel Platten, die man herumliegen hat: Man kann viel mehr experimentieren, wenn man den Fundus an Material bewusst begrenzt."
„Feel It” zeigt Bored Lords Gebrauch eines Rhodes-Samples
Lourd ist sich der Tatsache bewusst, dass in der Rave-Musik zahlreiche zu oft verwendete Samples existieren, die schnell zu Fallstricken werden. Es ist gerade die Suche nach Quellenmaterial an weniger offensichtlichen Orten, die Name It sein unverwechselbares Flair verleiht. Kanonische Breaks wie der Apache waren tabu. Lourd durchforstete jedoch gerne alte Hip-Hop-Scratch-Platten, um weniger offensichtliche Loops zu finden, oder griff, wie im Falle von „Feel It", zu einem schrillen Rhodes-Lick. Ohne Zweifel gibt es gegenwärtig nicht viele Menschen, die ein rauchiges E-Piano für Breakbeat-Roller verwenden. Auffällig ist auch, wie kontrastreiche Elemente auf der Platte umeinander herumtanzen: So fährt das Rhodes mit gehaltenen Orgelakkorden auf, die spitz zugeschnitten wurden und immer fast aus der Tonart fallen. Ähnlich erreichen die wirbelnden Synthie-Pads in „Luv" dank ihrer Dissonanz einen fiebrigen Höhepunkt, während sie harmonisch vom Rest des Tracks wegdriften.
Bored Lord zeigt am Breakdown-Part des Tracks „Luv” eine ausdrucksstarke Methode, Dissonanzen einzusetzen
Lourd versteift sich nicht auf einen puristischen Retro-Sound, als ob nur der Crunch einer MPC ausreichen würde, um authentisch klingende Breaks zu machen. Sie arbeitet auch gerne mit den neueren Eigenheiten der Warp-Algorithmen, die mittlerweile ihre eigenen Spuren in der elektronischen Musikkultur hinterlassen haben. Sie verweist auf die Produktionen der späten Nuller Jahre von Arca, Evian Christ und Flying Lotus, die die seltsamen digitalen Artefakte nutzen, die durch das Dehnen von Samples in Live mit aktivierter Textur entstehen. An anderer Stelle nutzte sie den Beat-Algorithmus für ein markantes Gating auf den verwaschenen Drums, die das Intro von „In My Soul" bilden.
Die Drums von „In My Soul” nutzen Warping als kreatives Tool für Variationen im Beat
„Wenn man das Warping auf Beat stellt und die Transienten ändert, wird ein Teil des Sounds dazwischen entfernt, was bei Breaks absolut verrückt klingt, weil sie so hektisch sind", erklärt sie. „Wenn der Break auf 'In My Soul' sauberer wäre, würde er mehr Sinn ergeben, aber ich habe am Ende ein Drum-Sample aus dem Intro eines Shabba-Ranks-Dub darüber gelayert. Und ein Großteil der Bearbeitung kam auch nur daher, dass ich meinen beschissenen Plattenspieler benutzte und mit der Platte herumspielte, als ich sie aufnahm."
„Close My Eyes” enthält Vocal-Sample-Manipulationen und viel Distortion
Abgesehen von der auffallenden Intensität der Bearbeitung vermitteln Samples wie der Gesang in „Close My Eyes” das gleiche nuancierte emotionale Gewicht, das sich auch in den Synthesizer-Parts findet. Trotz aller Techniken und überlegter Anspielungen auf frühere bekannte Figuren der Tanzmusik ist Name It ein Album, das in erster Linie gefühlt werden soll.
„Ich liebe es, die Leute auf einer Tanzfläche zum Weinen zu bringen", gibt Lourd zu. „Ein Dancefloor sollte ein kathartischer Ort sein, und ich versuche normalerweise, die Leute in eine Stimmung zu bringen, in der sie sich wohl genug fühlen, um emotional zu sein. Ein Großteil des Albums ist thematisch eher von House-Musik als von Hardcore inspiriert. Hardcore- und Breakbeat-Musik kann emotional sein, aber je mehr die Tanzmusik übersättigt und überkommerzialisiert ist, desto weiter entfernt sie sich davon."
Lourd und T4T LUV NRG haben das übergreifende Thema von Name It, die Liebe, im Begleittext zur Veröffentlichung genau beschrieben. Das Album sollte dennoch nicht durch die liebenswert-optimistische Linse des Raves der frühen 90er Jahre betrachtet werden.
„Der Versuch, sich auf die Idee des 'Summer of Love' zu beziehen, also dass es in der Tanzmusik um Liebe und Einheit geht, funktioniert heute nicht mehr – die Tonalität der Welt ist so anders", betont sie. „Diese Gefühle machen nicht wirklich Sinn. Auf dem Album geht es nicht um Liebe im Sinne von 'Liebe alle, Liebe ist cool und wir sind alle frei zu lieben'. Es geht darum, dass wir lieben müssen, weil es uns verdammt noch mal nicht erlaubt ist, auch nur einen Zentimeter zu lieben. Liebe ist in gewisser Weise fast nicht erlaubt. Es ist, als gäbe es keinen Platz für sie und man muss sich wirklich anstrengen, um sie zu erreichen.
Diese spirituelle Philosophie passt ganz natürlich zu T4T LUV NRG, das eine direkte Emotionalität und Verbundenheit predigt, die die Künstler und ihr Publikum zusammenschweißt – egal ob bei Eris Drews ravenden Disco-Breaks im Stil des Mittleren Westens oder Sage Introspekts wiederbelebtem Garage-Revivalismus. Lourd lässt sich gerne von der Freundschaft ihrer Szene-Kolleg:innen inspirieren, und Name It kann ebenso als ein Produkt dieses Gemeinschaftsgeistes betrachtet werden wie als ein individueller Ausdruck.
„Wir sind keine genrebasierte Gruppe", sagt sie über die T4T LUV NRG Crew. „Wir sind vielleicht eine Gruppe, die auf einer Philosophie oder einer Identität basiert, aber ich würde sagen, dass das, was wir teilen, vor allem eine energetische Herangehensweise an eine Kunstform ist. Ich habe jedenfalls versucht, diese Herangehensweise auf das Album zu übertragen, und zwar auf eine Art und Weise, wie ich es wahrscheinlich bei keinem anderen Album zuvor getan habe."
Text und Interview: Oli Warwick
Der Text wurde in der deutschen Übersetzung gekürzt.
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