L-R: Moritz von Oswald, Juan Atkins. Photo by Caroline Lessire - http://www.carolinelessire.com
Sowohl Juan Atkins als auch Moritz von Oswald spielten bei der Entstehung und Fortentwicklung dessen, was wir heute als 'Techno' kennen, eine wesentliche Rolle. Mit der ersten Zusammenarbeit unter dem Pseydonym "3MB" im Jahr 1992 schufen Sie gleichzeitig eine Verbindung zwischen ihren jeweiligen Heimatstädten Detroit und Berlin. Seitdem blicken beide auf einen enormen musikalischen Output zurück – von Oswald mit "Basic Channel", "Maurizio" und "Rhytm & Sound" (zusammen mit Mark Ernestus), Atkins unter seinem eigenen Namen und als "Model 500". Ihr neuestes Projekt "Borderland" ist ein intensiver Trip in Klanglandschaften, durch die sich subtile Änderungen an Raum, Dichte und Struktur ihren Weg bahnen – angetrieben vom beständigen abgrundtiefen Pulsieren von Bass und Kickdrum.
Die letztjährige Performance von Borderline auf dem Atonal Festival haben wir im Video festgehalten, den Mitschnitt finden Sie weiter unten. Und wir haben alle drei im Chat zu ihrer musikalischen Vergangenheit und Gegenwart, zu Ihren Plänen und wie sie Musik machen befragt.
Laurens von Oswald
Wenn Du mit Borderland auf der Bühne stehst, bedienst Du ein Mischpult und einige Effekte. War das im Studio auch so?
Ganz genau so. Das Live-Setup entspricht der Situation im Studio, als die Musik entstand. Dabei wurde der Mixer zum Instrument – das Medium, um die Sounds von Moritz, Juan und mir abzugreifen und sie weiterzuverarbeiten.
Das Mischpult als Instrument – diese Idee hat ihre eigene Geschichte. Sowohl Dub als auch Techno sind dadurch erst möglich geworden. Deine Borderland-Partner kennen sich damit übrigens bestens aus. Hast Du im Vorfeld darüber nachgedacht, ob Du Dich dieser gewissen Tradition verpflichten möchtest oder eher davon abweichen willst?
Uns war es wichtig, dass sich Live-Betrieb und Studiosession so weit wie nur möglich annähern. Es war aber auch wichtig, die Freiheit für Improvisationen zu bewahren. Wir wollten in der Lage sein, spontane Ideen zu entwickeln, die sich den bereits gesetzten Themen anpassen. Die Borderland-Tracks entstanden ja in langen Sessions. Für Moritz und Juan war das nichts Neues, ich glaube sie haben als "Model 500" für "Sonic Sunset" oder "Starlight" ähnlich gearbeitet. Diesmal ging es eher darum, einen gemeinsamen Nenner zu finden.
L-R: Juan Atkins, Laurens von Oswald, Moritz von Oswald. Photo by Caroline Lessire - http://www.carolinelessire.com/
Juan Atkins
Du und Moritz, ihr habt einen langen gemeinsamen Weg bestritten. Kannst Du uns erzählen, wann und wie ihr euch das erste Mal getroffen habt?
Oh Mann, Ich glaube ich habe Moritz das erste Mal gesehen, als er in Detroit war. Er, Mark Ernestus und Thomas Fehlmann waren in den frühen 90ern nach Detroit gekommen, um Equipment in Leihhäusern zu kaufen. Sie kauften alle analogen Geräte aus sämtlichen Pfandläden in Detroit und tauchten eines Tages vor meinem Apartment auf. Ich wohnte im selben Gebäude wie Mike Banks und UR. Sie wollten es sich ansehen und auf einmal klopfte es an meiner Tür und da stellen sich ein paar Typen aus Berlin vor und sagen, sie wollen die Detroit-Pioniere kennenlernen. Ich habe sie dann jedes Mal getroffen, wenn ich in Deutschland war. Ich besuchte sie in ihrem Studio und wir machten die ersten 3MB Sachen. Von da an ging es immer weiter.
Wie unterscheidet sich die jetzige Zusammenarbeit mit Moritz im Vergleich zu früher?
Ich denke nicht, dass es da einen großen Unterschied gibt. Wenn überhaupt, dann vielleicht die Tatsache, dass wir beide ein bisschen älter geworden sind (lacht) und wir dadurch etwas weiser sein könnten (lacht wieder). Aber davon abgesehen hat sich natürlich viel bei der Technik verändert. Wir arbeiten nicht wie früher mit einem Haufen Analogtechnik, sondern nutzen mehr Software. Es ist tatsächlich so, dass wir Live nicht nur auf der Bühne verwenden, sondern auch im Studio. Viele der Tracks für Borderland sind wirklich in Live entstanden. Ich finde, das ist der große Unterschied.
Und was ist gleich geblieben?
Die Kameradschaft zwischen Moritz und mir. Die Chemie zwischen uns ist immer noch die selbe. Wir ergänzen uns. Er kann an einer Idee arbeiten und ich nehme den Faden auf, um ihn dann weiterzuspinnen. Umgekehrt funktioniert das auch. Wir müssen nicht viel reden oder gar darüber streiten, wie wir etwas angehen wollen. Es passiert einfach.
Gab es denn Geräte, die Ihr zwingend eingesetzt habt? Etwas, das in jedem Track vorkam?
Es gab nichts, das als gesetzt galt. Ich meine, das wirklich Tolle an der Zusammenarbeit mit Moritz und all den Sachen, all diesen analogen Schätzen, die sie in Detroit gekauft haben, war ja, immer wieder etwas neues ausprobieren zu können. Man muss wissen, dass er sämtliche Geräte MIDI-fähig gemacht hat und sie sich dadurch synchronisieren lassen. Wir konnten also alles zusammenschalten und damit spielen. Es hat irrsinnig Spass gemacht, die unterschiedlichsten Sachen für einen Track auszuprobieren. Natürlich waren die Rhythmus- und Drumquellen mehr oder weniger gleich – logischerweise die 808 und die 909. Sie waren das, was sich am ehesten durch die gesamte Produktion gezogen hat.
Haben Moritz, Laurens und Du für die Produktion von Borderland unterschiedliche Aufgaben übernommen, so wie in einem Bandgefüge, oder hat jeder von Euch alles ein bisschen gemacht?
Ja, wir haben uns einfach draufgestürzt und gemacht, wonach uns war. Keiner wurde zu irgendwas gedrängt. Ich glaube, ich selbst habe am ehesten die Tendenz, mich um das Drum-Programming zu kümmern... aber davon abgesehen haben wir uns eigentlich alle um die unterschiedlichsten Dinge gekümmert. Manchmal hat Moritz die Drums gemacht, manchmal kümmerte er sich um die Akkorde und manchmal kam er mit einer Hauptmelodie oder einer Bassline. Das selbe galt für Laurens und für mich.
Wie war es denn, auf dem Atonal Festival in Berlin in einem Kraftwerk zu spielen?
Mann, das war echt genial. Wie Du weisst, ist der Raum in diesem Kraftwerk riesig. Das Industrie-Feeling, die Architektur und der gigantische Sound sind einfach überwältigend. Die Bässe müssen wuchtig sein, alles muss wuchtig sein, um den Raum auszufüllen. Es war eine echte Erfahrung.
Was hast Du letztlich auf der Bühne mit Push angestellt?
Ich habe mich um die Drums gekümmert. Ich programmiere alle Drum-Pattern und -Arrangements und spiele dann damit. Mit Push lege ich verschiedene Pattern auf unterschiedliche Clips – die Pads von Push repräsentieren quasi die Clips. Und je nach dem, wie sich die Show entwickelt und wie ich drauf bin, arrangiere ich live mit diversen Pattern und manchmal auch mit Basslines oder anderen Instrumenten.
Borderland live at Berlin Atonal 2013
Moritz von Oswald
Hast Du die Zusammenarbeit mit Juan sofort lanciert, als Ihr Euch 1991 kennengelernt habt? Ich nehme an, Du kanntest seine Musik da schon...
Ja, ich kannte einige seiner Tracks, die er gemacht hatte, kurz bevor wir uns trafen. Wir haben nicht sofort angefangen. Es war Dimitri (Hegemann) vom Tresor, der uns einander vorstellte. Zu der Zeit machte ich viel mit Thomas Fehlmann, der genau wie ich an einer Zusammenarbeit interessiert war. Also trafen wir uns in Berlin und fingen an, ein paar Tracks zu entwickeln.
Es gab ja eine lange Pause zwischen den Schaffensperioden mit Juan. Hat sich in den letzten 20 Jahren irgendwas geändert?
Nein, ich glaube wir stehen beide immer noch gut im Saft. Ich habe mich übrigens exakt das selbe gefragt, ob sich etwas zwischen uns geändert hat. Aber das ist definitiv nicht der Fall. Es steckt immer noch der selbe Geist in uns und es funktioniert nach wie vor prima. Wir mögen immer noch die gleichen Sachen und nähern uns einem musikalischen Entwurf auf die selbe Art und Weise. Das heißt nicht, dass wir uns ständig wiederholen. Es liegt eher daran, dass wir wissen, wie der andere tickt und das schafft letztlich Vertrauen. Du weisst, was ich meine?
Es ist manchmal nicht ganz einfach, mit jemandem im Studio zu sein, den du nicht so gut kennst. Ich meine, es kann schon funktionieren, aber ich glaube, es ist viel angenehmer, wenn dir dein Gegenüber vertraut oder man sogar befreundet ist. Wir haben die selben musikalischen Vorlieben und die sind natürlich elektronischen Ursprungs. Wir wissen also voneinander, worauf wir uns beziehen können. Und ich sage noch mal, das hat nichts mit Wiederholung zu tun, sondern mit dem Wissen umeinander.
Wenn wir über die Unterschiede zwischen damals und heute bezüglich der Produktionsmittel sprechen – hat sich da etwas gegenüber den Anfangstagen zum jetzigen Setup geändert?
Na klar hat sich da im Vergleich zu früher etwas entwickelt und verändert. Ich denke Deine Frage zielt darauf ab, ob wir Ableton nutzen. Ja, tun wir. Früher natürlich nicht, weil es das ja noch gar nicht gab. Heute auf jeden Fall. Und es passt zu unserer Arbeitsweise – spontan sein können und die Dinge zu Ende bringen. Es ist lebendig, sehr sehr schnell und sehr effektiv.
Ihr seid aber auch beide dafür bekannt, sehr effektiv mit Hardware umgehen zu können. Gibt es denn ein Gerät, das Du immer um Dich haben möchtest? Und daran anschließend, was hältst Du eigentlich von diesem ganzen Fetischgehabe rund um Musikequipment, sei es nun Hardware oder Software?
Du weisst ja, dass ich leidenschaftlich Elektronik-Hardware gesammelt habe. Synthies und all die Sachen, die auch immer noch hilfreich sind und zum Einsatz kommen. Also ja, ich nutze Hardware-Synthesizer. Ich will hier keinen Mythos schaffen, aber einige Geräte sind für mich schon sehr komfortabel. Wobei es natürlich darauf ankommt, wie gut man sie kennt. Das gilt für Software-Synthesizer und Drum-Maschinen aber genauso. Für mich zählt letztlich, wie etwas klingt und einige alte Synthies liebe ich dafür wirklich sehr.
Sind die Aufführungen von Borderland lediglich eine Nachzeichnung der Studio-Situation vor Publikum? Oder gibt es spezielle Sachen, die Ihr Euch für die Live-Situation ausdenkt?
Ich denke die Produktion ist nur ein Bestandteil und über den möchte man bei einer Live-Performance hinausgehen, um noch einen Schritt weiterzukommen als auf CD. Es ist wichtig, diese Möglichkeit live zu nutzen und die Aufnahmen zu entwickeln. Mein Anspruch war schon, andere Instrumente, andere Elemente und andere Arrangements im Vergleich zur Produktion zu bringen. Das hängt natürlich davon ab, wie viel Energie man dafür aufbringen kann und wie gut die Ideen sind. Aber wie gesagt, grundsätzlich hat man live einen ganz anderen Anspruch und verfolgt einen komplett anderen Ansatz.
Und warst Du zufrieden mit Eurer Darbietung beim Atonal Festival?
Ja, ich habe mich gut gefühlt. Ich meine, man weiss ja, dass manche Sachen technisch nicht hundertprozentig funktionieren. Aber das macht mich nicht sonderlich verrückt, weil es zu einem Live-Konzert dazugehört, dass manche Dinge nicht von der ersten Minute an hinhauen. Das passiert halt manchmal. So wie bei einem klassischen Konzert auch, wenn die Pauken falsch gestimmt sind oder eine Violinen-Saite reißt oder was für ein akustisches Instrument auch immer Ärger macht. Die Elektronik ist längst nicht so verlässlich, wie man vielleicht denkt. Eine gewisse Gefahr besteht immer, aber das gehört zum Spiel.