Bonobo: Der Weg zu Migration
Simon Green, besser bekannt als Bonobo, veröffentlicht seit über 15 Jahren Musik. Der britische Produzent hat über sechs Alben hinweg sein Faible für die Ästhetik von Ninja Tune entfaltet, vom Cut-and-paste des hiphop-inspirierten Albums Dial M for Monkey (2003) über das zunehmend komplexe Black Sands (2010) mit Klängen aus aller Welt bis hin zu den weitgehend akustischen und hypnotischen Texturen von The North Borders (2013). 2016 kam das Album Migration heraus, auf dem sich der Künstler durch neue Klanglandschaften bewegt, inspiriert durch seine Reisen der letzten Zeit, durch die Tour als Performer genauso wie durch seinen Umzug von New York nach Los Angeles.
Samples standen schon immer im Zentrum seines Sounds, auch wenn Bonobos Produktionen und Live-Auftritte sich über die Jahre um akustische Instrumente, eine volle Begleitband und ein ausgefeiltes Bühnen-Setup erweitert haben. Sampling sorgte bei Greens Arbeiten immer für den Zusammenhang, früher mit den Akai-Samplern genauso wie mit Ableton Live bei seinem jetzigen Setup. Direkt vor seiner Welttournee mit dem neuen Album trafen wir Bonobo zum Interview und sprachen über Sampling-Philosophien, Arbeitsweisen und Karriereschritte.
Woher stammen deine Samples? Hast du eine bestimmte Vorgehensweise bei der Suche nach den Klängen für deine Kompositionen?
Ja, habe ich. Ich glaube, was ich heute sample, unterscheidet sich von dem, was ich früher gesamplet habe. Als ich anfing, kam ich aus einer eher traditionellen hiphopmäßigen Cut-and-paste-Ästhetik. Da suchte ich die Second-Hand-Läden nach Drum-Breaks ab und die Exotika-Abteilungen in den Plattenläden durchwühlte ich nach interessanten Klängen zum Samplen. Bei den früheren Sachen war das so, aber es hat sich ziemlich viel verändert, wo ich die Samples finde, aber auch, wie ich sample.
Was ich suche, sind keine kompletten Drum-Breaks oder Melodien, sondern eher Atmosphärisches. Wenn ich überhaupt von Vinyl sample, dann avantgardistischen Free Jazz. Klangtexturen interessieren mich im Moment mehr als alles andere, aber Vinyl ist dafür nicht mehr die Hauptquelle. Stattdessen suche ich auf YouTube und in digitalen Libraries und Archiven nach den Klängen.
Ich nehme an, die verschiedenen Medien bieten verschiedene Texturen?
Natürlich. Wenn man etwas von YouTube sampelt, hat das so eine Körnigkeit. Aber das ist eben die Welt, in der wir leben. Nichts gegen High Fidelity, aber wenn man 2016 Musik macht, dann samplen sich die Leute was von YouTube, spielen akustisch darüber und veröffentlichen es dann auf ihrem eigenen YouTube-Kanal. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Textur. Aber man kann daraus eine eigene Ästhetik machen.
Wie viel ist zu viel beim Sampling? Hast du dir Regeln dafür gesetzt, wie viel du dir nehmen darfst?
Also eigentlich gibt es da keine Regeln, das ist Geschmackssache. Man kann doch nicht sagen: „Du darfst etwas nicht als Ganzes samplen und dann irgendwo ein Break einfügen." Klar darf man das, es wird nur wahrscheinlich nicht besonders gut werden. Es kommt wirklich immer auf den Kontext an. Ich versuche immer, Samples einen anderen Kontext zu geben, den man so nicht erwarten würde, irgendetwas Jenseitiges und Unerwartetes. Etwas, das eigentlich vertraut klingt, aber so verändert oder mit etwas anderem so kombiniert wird, dass es nicht wie von dieser Welt klingt.
Ein Beispiel dafür ist Madlibs „The Healer" für Erykah Badu. Das war so eine japanische Prog-Rock-Platte, die er in Richtung 808 und filigrane Percussion gedreht hat. Das klang so außerirdisch. Eigentlich sind es vertraute Bestandteile, nur eben so zusammengestellt, dass sie wie aus einer anderen Realität klingen. Und das ist es, wonach ich beim Sampeln suche: eine mehrdeutige Textur aus zwei verschiedenen Klängen, etwas, was man so noch nie gehört hat.
Welche Techniken verwendest du, um die Textur deiner Samples zu manipulieren?
Eines der wichtigsten Mittel um einen Klang zu verfremden ist, ihn einfach zu transponieren. Verlangsamen und Beschleunigen, damit kommt man an die wirklich interessanten Töne heran. Vor allem, wenn man (Samples) akustischer Instrumente in Tonlagen bringt, in denen sie gar nicht gespielt werden können.
Viele deiner Tracks sind Collagen verschiedener Klänge und Texturen. Ist der Arbeitsprozess genauso vielfältig wie das Ausgangsmaterial? Oder steckt da eine organisierte Herangehensweise hinter dem, was wir hören?
Oh nein, der Prozess ist meistens ein totales Durcheinander, wie wenn du Matheaufgaben löst und die Ecke oben mit Zwischenschritten vollkritzelst. So ungefähr jedenfalls. Wenn ich an einem Arrangement in Live arbeite, gibt es überall so kleine Inseln, an denen ich arbeite. Ganz empfindliche Sachen, zum Beispiel wenn sich bei einem bestimmten Lautstärkeverhältnis zwischen zwei Samples eine Harmonie herausbildet, die man davor nicht hören konnte. Wie solche Klänge zusammenmontiert werden, macht den musikalischen Flow aus.
„Ich schichte ein Layer über das andere und ziehe dann den untersten Baustein heraus, auf dem alles aufgebaut ist."
Also, meistens ist es ein Chaos. Ich schichte ein Layer über das andere und ziehe dann den untersten Baustein heraus, auf dem alles aufgebaut ist. Oder zwei völlig unterschiedliche Klänge passen im Grunde genommen überhaupt nicht zusammen, aber ergeben auf wundersame Weise plötzlich Sinn, sobald der Rahmen darum herum wegfällt.
Wenn du Musik machst, arbeitest du gleichzeitig an mehreren Stücken?
Ich glaube, man muss sich auf das konzentrieren, woran man gerade arbeitet. Dazu muß im Kopf der Bezugsrahmen des Tracks klar sein. Es ist wie beim Radio, du musst dein Hirn auf dieselbe Frequenz bringen wie die Sache, an der du sitzt und das kann lange dauern. Ich versuche also, nicht zu viel hin- und herzuspringen. Ich muß dieselbe Wellenform haben wie das, woran ich arbeite. Diesen inneren Bezug will ich nicht verlieren.
Hast du besondere Techniken, dich in diesen Geisteszustand zu versetzen?
Das ist ziemlich schwierig. Wahrscheinlich gehört es auch dazu, die Dinge vor sich herzuschieben. Das ist nicht als Ausrede gemeint für die Zeiten, wo es nicht klappt. Es ist nur so, manchmal klappt es eben nicht. Dann sitzt du den ganzen Tag im Studio, hörst dir irgendetwas wieder und wieder an und denkst: „Ich finde den Zugang einfach nicht." Und das ist okay, dann lässt du es liegen und machst was anderes.
Dafür, dass du deine Arbeitsweise als einigermaßen chaotisch beschreibst, ist dein musikalischer Output ziemlich kontinuierlich. Setzt du dir selbst Deadlines, um etwas fertig zu kriegen?
So ungefähr, ja. Ich halte mich aber nicht für übertrieben produktiv, da gibt es andere, die viel mehr Musik raushauen als ich. Jedes meiner Alben hat etwa drei Jahre in Anspruch genommen und das war keine Absicht, es hat einfach so lange gedauert. Für das neue Album brauchte ich sogar noch ein bisschen länger als für die vorherigen.
Ich glaube, das ist eine Frage der Persönlichkeit. Manche Typen schaffen zwei Tracks an einem Tag und ich kenne Leute, die niemals länger als einen Tag an einem Track sitzen. Ich kann wochenlang an einem Stück sitzen. Da ist dann auch ein bisschen Selbsthass im Spiel, aber der gehört nunmal dazu.
Wenn es solche Momente nicht gibt, wenn die Studioarbeit immer nur aus purem Spaß besteht, hat man wahrscheinlich nicht alles dafür getan, das Beste aus sich herauszuholen. Dabei ist der Spaß wirklich riesig, wenn alles zusammenkommt. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht: Wenn es läuft, ist auch alles andere im Leben super. Andere Musik klingt dann toll und alle Menschen kommen einem total nett vor. Aber wenn es nicht läuft, dann hat man tatsächlich alles verloren und alles ist einfach grässlich. Das ist ein fragiles Gleichgewicht, das sich kaum kontrollieren oder vorhersagen lässt.
Soweit ich weiß, hast du das letzte Album größtenteils unterwegs geschrieben. Wie haben sich deine Reisen und Touren auf deine Kreativität ausgewirkt?
Das nimmt schon Raum im Kopf ein und wirkt sich auf den Prozess aus. Ideal wäre es natürlich, ausgeruht zu Hause zu sein, wo alles perfekt organisiert ist. Das ist ein toller Platz zum Arbeiten. Andererseits, sieben Uhr morgens im Flughafenterminal irgendwo in Polen, ohne Schlaf und noch mit der Musik vom Vorabend in den Ohren - dieser Denkraum kann genauso hilfreich sein. Das ist für mich wertvoller Headroom, auch wenn der manchmal ganz schön düster sein kann. Er hilft trotzdem, er bringt mich weiter.
Das habe ich übrigens Ableton zu verdanken. An diesem Album konnte ich wirklich völlig außerhalb des Studios arbeiten. Bei den vielen Reisen zwischen den beiden letzten Platten ging das auch gar nicht anders, ich musste so arbeiten. Die besten Einfälle kamen oft dann, wenn ich gerade im Terminal oder im Hotelzimmer herumsaß. Einige der einfallsreichsten Ideen verdanke ich solchen Umgebungen.
Entstanden viele Tracks des neuen Albums aus diesen Erfahrungen?
Ganz eindeutig, besonders die Ausgangspunkte der Tracks. Auch sonst hat die Zeit, in der ich intensiv auf Tour war, ihren Anteil an dem Album. Da hatte ich mich beim Musikmachen mehr am Dancefloor orientiert. Stücke wie „Kerala" sind entstanden, als ich auf DJ-Tour in den USA war und versuchte Musik zu machen, die ich abends spielen konnte. Hinten im Tourbus habe ich die Musik für diesen Teil des Sets gemacht. Dabei dachte ich nicht „Das ist die neue Platte", sondern eher „Ich mache jetzt einfach diesen Beat". Also entstand es eigentlich ganz natürlich.
Wie ist das mit den Konzerten? Gab es schon immer eine Vision, wie die Live-Show von Bonobo aussehen sollte? Und wie kommt es, dass so viele Musiker dabei sind?
Das geht auf frühere Zeiten zurück. Am Anfang legte ich in Clubs in Europa und Großbritannien Platten für den Dancefloor auf, da hatte das mehr so einen Underground-Vibe. Nur ab und zu warf ich einen Schnipsel von mir ein. Diese Einstellung übernahm ich dann für die Staaten, wo sie auf ziemliche Verwirrung stieß. Auf einmal stand ich mitten im Scheinwerferlicht im großen Konzertsaal und die Leute starrten mich an wie bei einem Klavierkonzert.
Da habe ich gedacht: „Verdammt, ich brauche eine Show, ich brauche irgendetwas." Zu der Zeit bin ich darauf gekommen, wie ich meine Musik auf traditionellere Arrangements herunterbrechen kann, mit Keyboards, Bass und Drums. Ich hatte ja schon in Bands gespielt. (Ich hatte in Bands gespielt, die genau wie Portishead klangen, nur waren Portishead darin schon selbst richtig gut.) Ich wußte also in etwa, wie das funktionieren könnte. Das war so um das zweite Album herum. Das dritte und vierte enthielten eine Menge Live-Elemente, die ließen sich viel leichter für eine Live-Show umsetzen. Aber seit The North Borders ist die Herausforderung viel größer geworden, die elektronischen Sounds einzubinden, weil sich die Platte mehr an den Dancefloor richtet.
Deine Drums haben eine gute Prise Swing. Benutzt du Groove-Pools oder spezielle Techniken, um Bewegung in deine Musik zu bringen?
Ich mache das alles von Hand. Ich halte nichts von Quantisierung oder Groove-Pools. Wenn man begriffen hat, was Swing ist und wie er funktioniert, kann man die Drums von Hand vor- und zurückziehen. Nichts ist starr, ständig entwickelt sich alles weiter. Ein Takt gleicht nicht unbedingt dem nächsten.
Was die Detailarbeit betrifft, zeichne ich jeden Part einzeln von Hand ein, um dem Sound ein Eigenleben zu geben. Ab und zu deaktiviere ich das Raster und schiebe alles ein bisschen herum. Oder ich kopiere einen MIDI-Loop fünf mal hintereinander und klebe alles zusammen. Den gehe ich dann durch und ändere jede Note minimal (Velocity, Position und Quantisierung), um weg vom Raster zu kommen. Ich kann Shortcuts und vorgefertigte Dinge nicht leiden. Ich behalte lieber die völlige Kontrolle und lasse es dann klingen, als sei es außer Kontrolle geraten.
In der Hinsicht übertreibe ich es wirklich. Ich verbringe Stunden mit mikroskopischen Details im MIDI-Timing, mit Effekt-Automatisierungen und so etwas.
Bist du immer so akribisch vorgegangen?
Ja, das kommt durch meinen Hintergrund. Die ersten beiden Alben habe ich mit Akai-Samplern gemacht, mit 32 Sekunden Arbeitsspeicher und achtstimmiger Polyphonie. Da schafften es nur die wirklich notwendigen Sounds ins Arrangement, da konnte man nicht einfach immer noch mehr in den Topf hineinwerfen. Die Frage war: Ist dieses Sample wirklich das richtige? Man muss es gleich von Anfang an richtig machen. Auch wenn man noch so viele Plug-ins und Layer und was weiß ich drüberlegt, es hilft nichts. Wenn man eine starke Idee hat, sollte man sie in so wenigen Worten wie möglich ausdrücken, aber musikalisch sinnvoll.
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