Body Meat: Welten vermischen
Mit Truck Music erschien 2019 das siebte Album des in Philadelphia lebenden Musikers Christopher Taylor alias Body Meat – eine raffinierte und akrobatische Fusion von Trap, Glitch, Chicago Footwork und R&B. Ein Genre-Patchwork mit unerwarteten Techniken, einer ganz eigenen Logik und komplex verschachtelten Songs.
Taylor hat Freude daran, seine Tracks an ihren Nahtstellen auseinanderzureißen, aber in dieser Zerrissenheit liegt auch Schönheit. Und selbst wenn seine Kreationen prismatisch, fließend und experimentell sind, kreisen sie um einen gemeinsamen Fixpunkt: Popmusik.
Taylors Klangexperimente kommen nicht durch endloses Bearbeiten und Zusammennähen zustande, ganz im Gegenteil: Die Musik von Body Meat baut auf der Live-Performance auf. Sampling-Drum-Pads, ein MIDI-Keyboard und Gitarrenklänge sind Taylors Mittel – und seine Vocals. Mal klingen sie zerhackt und verfremdet, in anderen Momenten schweben sie im Falsett.
Eine prägende Kindheitserinnerung von Taylor ist der Falsett-Gesang seiner Mutter auf der Veranda ihres „gelben Hauses“. Zu dieser Zeit war er sieben oder acht, und selbst wenn er sich heute nicht mehr an den damals intonierten Song erinnern kann, ist ihm dieses Erlebnis im Gedächtnis geblieben. Taylor wuchs auch mit der Musik der genreübergreifenden 1970er-Band Earth Wind & Fire auf, und die Autofahrten mit seinem Vater wurden stets von Popmusik der späten 1990er Jahre untermalt – Luther Vandross und Sade.
„Bei Truck Music wollte ich Sounds meiner Biologie und Herkunft verwenden – auch meiner musikalischen Herkunft. Ich wollte eine Klangpalette zusammenstellen, von der ich etwas lernen kann“, sagt Taylor und betont, dass er sich für das Komponieren und Aufnehmen nie einen Plan zurechtlege. Beim Hören von Truck Music spürt man, dass sich Body Meat nicht nur auf die musikalische Jetztzeit beschränkt, sondern den vielen Sounds seiner Jugend tatsächlich gerecht wird. Obwohl die Musik eine Faszination für facettenreiche Klänge verrät, liegt Taylor wenig an perfekten Aufnahmen.
Vor ein paar Wochen sprachen wir mit Taylor über seinen musikalischen Werdegang und darüber, wie er überhaupt zum Musikmachen kam. Außerdem wollten wir von ihm wissen, wie sich seine Arbeitsweise von digitaler Aufnahmetechnik bis zur Musiksoftware weiterentwickeln konnte, ohne die bewährten Songwriting-Techniken komplett aufzugeben.
Du bist in einer Kleinstadt aufwachsen, richtig? Wie hat das dein späteres musikalisches Denken beeinflusst?
Ja, ich wuchs in Pennsylvania auf – in einem kleinen Ort namens Avon Grove. Wir sind sehr oft umgezogen, und als ich 12 war, verließ meine Mutter meinen Vater und zog nach Delaware. Mein nächster Wohnort war Elkton in Maryland, wo ich dann zur High School ging – das waren die prägenden Jahre, in denen man herausfindet, was man eigentlich mal werden will.
Als Kind hörte ich nur die Musik meiner Eltern – oder den Pokemon-Soundtrack [lacht]. Diesen Soundtrack habe ich so oft gehört. Als Kind stand ich total auf Anime, ich liebe es auch heute noch – mein Lieblingsmedium. Der Pokemon-Soundtrack und Dragon Ball Z: Damit bin ich aufgewachsen. Als ich zehn war, bekam ich von meinem Bruder raubkopierte Dragon Ball Z-Kassetten. Da wurde viel geflucht, und das gefiel mir. Die Kassetten haben wir in einem alten Manga/Anime-Shop in South Philly entdeckt – ein ganzer Stapel Dragon Ball Z und Trigun.
Hast du in Elkton/Maryland mit Gitarre angefangen?
In Elkton kannte ich Leute, die Musik machten, und dort habe ich auch meinen besten Freund Andrew kennengelernt, der mich für das Musikhören begeistert hat – CDs von Emo-Bands wie Silverstein und Hawthorn Heights, aber auch AC/DC. Ansonsten hörte ich vor allem Emo-Musik wie My Chemical Romance, die übrigens immer noch eine tolle Band sind. Sie sind super-positiv. In den neueren Videos ist Gerard Way in Würde gealtert und die Musik macht wirklich gute Laune, dafür schäme ich mich nicht. Es war mein Kumpel Andrew, der mich auf die Idee brachte, Musik wirklich verstehen zu wollen.
Während meiner High-School-Zeit hörte ich auch viel deepen HipHop, zum Beispiel Immortal Technique und Jedi Mind Tricks. Vieles hatte mit Skateboarding zu tun, etwa Gang Starrs Album Moment of Truth. Außerdem stand ich auf Wu-Tang Clan und Big L, was heute problematisch ist, weil seine Texte oft schlimm und ziemlich altmodisch sind. Aber die Musik ist echt gut.
Ja, die Beats von Wu-Tang Clan hauen rein. Die 1990er waren eine tolle HipHop-Epoche.
Auf jeden Fall. Ich höre auch viele HipHop-Produktionen, die gegen Ende der 1990er und Anfang der 2000er entstanden sind – abgefahren. Ich glaube ja daran, dass alles zyklisch verläuft und irgendwann zurückkommt. Dieser Rap-Stil ist unsterblich und wird sich immer weiterentwickeln.
Neulich habe ich einen Song von Brandy gehört. Ich mochte ihre Musik schon damals, habe aber nie versucht, sie zu analysieren. Und dieser Song klang wie ein Footwork-Song. In dieser Ära von HipHop und R&B haben die Leute geniale Sachen produziert – sogar große Popsongs. Je mehr ich diese Musik höre, desto mehr Notizen mache ich mir dazu. Wie die Hi-Hats klingen, und wie vielseitig die 808-Beats sind – schnelle und große Übergänge, fast wie Breakbeat. Ich liebe diese Musik und lerne immer noch davon.
Es gibt Kooperationen zwischen HipHop-Produzent:innen und R&B-Sänger:innen, die einfach fantastisch sind. Ich denke da vor allem an Timbaland und The Neptunes – zum Beispiel „Try Again“, das Timbaland für Aaliyah produziert hat. Dieser Track ist unglaublich.
Einfach grandios! Er hatte 30 Kick-Drums in einem Refrain – das wirkte wie von einem anderen Stern, aber ich mag das. Es klingt widerspenstig, und das liebe ich daran. Bei Trap ist es ganz ähnlich – anfangs war das eine total seltsame Musik, bei der es keine verdammten Regeln gab. Dann fanden die Leute heraus, wie man das produziert, und machten zwei oder drei Jahre lang weiter. Und dann passierte plötzlich etwas Neues damit und es gab wieder keine Regeln mehr. Ich mag diese Zwischenphasen ohne Regeln.
Wenn etwas dreißigmal wiederholt wird und das das einzige Merkmal des Songs ist – und er dann an der Spitze der Charts stehen kann. Ich habe das in einer DIY-Show gesehen, aber man kann die normalsten Leute dazu bringen, die allerseltsamste Musik zu hören.
Das erinnert mich an den Film Inception, in dem den ahnungslosen Menschen Ideen in die Köpfe gepflanzt werden.
Genau das meine ich damit! Ich mag die aktuelle Popmusik und wie sie produziert wird, aber mir geht es um die Tricks, mit denen man normale Hörer in die Musik hineinzieht und sie dafür begeistert. Wie weit kann ich mit dieser Idee von Popmusik gehen, bevor die Leute wieder abspringen? Es ist ein seltsames Gespräch, das ich mit den Leuten führen will.
Wann ging es bei dir eigentlich mit dem Musikmachen los?
Ich habe meine erste Gitarre kurz vor dem College bekommen – eine spottbillige Akustikgitarre aus einem Pfandhaus in Elkton. Mein Freund brachte mir einen Song von Bright Eyes bei, und das war das einzige, was ich spielen konnte. Mit diesem Song habe ich gelernt, Gitarre zu spielen, aber es ging mir hauptsächlich darum, Akkorde für eigene Songs zu lernen. Neulich habe ich „Never Too Much“ von Luther Vandross gelernt – nur um diese Akkorde besser am Klavier spielen zu können.
Ich zog nach Kalifornien, um dort die Kunsthochschule zu besuchen, doch mein Studium ging nicht sehr lange. Dann habe ich mit Fotografie angefangen – und immer noch viel Gitarre gespielt. Nach meinem Umzug nach Oakland habe ich zusammen mit meinem Freund Andrew Musik aufgenommen, wir haben dafür ein Mikro und das Audio-Interface unseres Freundes Stephen genutzt. Wir komponierten ein paar Folksongs, doch ich wollte vor allem ein besserer Gitarrist werden. Damals war mein Leben stark im Wandel. Ich wohnte in einem Zelt im Hinterhof eines Freundes in Oakland und wusste überhaupt nicht, wohin die Reise gehen sollte. Ich war pleite, machte immer noch Fotos und hängte die Filme im Zelt auf. Außerdem komponierte ich mit meinem Laptop Musik in GarageBand, wusste aber nicht wohin damit – ich habe nichts veröffentlicht. Egal: Immerhin hatte ich ein paar Songs.
Am Ende zog ich nach Denver und kaufte mir ein kleines Achtspurgerät – den Boss BR-600 Digital Recorder. Mit dem komponierte ich dann Tracks. Ich nutzte seine elektronischen Drums für Beats und nahm zusammen mit Andrew ein paar Songs auf. Das erste Body Meat-Tape ist komplett auf diesem Gerät entstanden. Mit dem eingebauten Mikro habe ich meine Gitarre aufgenommen – und Percussion mit Töpfen und Pfannen.
Später bekam ich von meinem Freund Evan in Denver einen größeren Digitalrekorder – mit 12 Spuren, einem großen Screen, einer Speicherkarte und mehreren Mikro-Eingängen. Ohne dieses Gerät hätte ich meine Tracks wahrscheinlich von jemand anders aufnehmen lassen. Und jetzt klang meine Musik für mich plötzlich wie ein Song von Stevie Wonder – als ob sie in einem Profi-Studio aufgenommen worden wäre [lacht]. Ich kaufte mir ein günstiges Schlagzeug und nahm Percussion auf – mit dem Zwölfspurgerät und einem Mikro. Die Songs basierten ausschließlich auf Drum-Sounds. Ich habe die Drums in einem Take aufgenommen und Gitarre dazu gespielt. Die Gitarre schickte ich durch ein Vocal-Pedal, das den Gitarrensound in Synth-Sounds verwandelt. Später entdeckte ich ein MIDI-Pickup, das meine ganze Welt veränderte.
Mit diesem Digitalrekorder konnte ich komplette Songs aufnehmen, und das war wohl die Geburtsstunde von Body Meat. Ich konnte jederzeit Musik machen – in jeder Stilrichtung – und wollte mein eigenes Ding machen. Wenn ich alles satt hatte, konnte ich einfach Body Meat sein und produzieren, was ich will.
Nach dem Aufnehmen exportierte ich einzelne Spuren aus dem Zwölfspurgerät als WAV-Dateien, um sie dann in Ableton Live 9 Suite zu mixen und zu mastern. Aufgenommen habe ich mit Ableton Live nicht, weil ich noch nicht wusste, wie das geht. Und damals hatte ich auch noch kein Audio-Interface.
Du hast das Audiomaterial also im Digitalrekorder zerlegt?
Ja – aber das einzige, was ich richtig gut slicen konnte, waren die Drums. Deswegen wollte ich die immer in einem Take aufnehmen. Die Gitarren und Toy-Keyboards habe ich an die 12-Spur-Aufnahmen angepasst und sie hoch- und runtergepitcht. Und ich habe versucht, meine Stimme als Rhythmusinstrument zu nutzen, was ich auch heute noch mache – nur eben mit Computer. Weil ich damals keinen Sampler hatte, versuchte ich alles live zu machen. Manchmal habe ich Backing-Vocals aufgenommen und dabei den Stutter-Effekt eines Samplers nachgeahmt [lacht].
Klingen deine frühen Werke so wie heute, obwohl sie mit einem Digitalrekorder und ohne DAW entstanden sind?
Definitiv. Vor zwei Wochen, als die Quarantäne begann, habe ich die Gelegenheit genutzt und meinen kompletten Katalog durchgehört – das rückt alles ins rechte Licht. Indem du dir alte Sachen anhörst, kannst du dich in die damalige Situation zurückversetzen. Heute ist die Welt so anders und wird so anders bleiben. Beim Hören meiner früheren Musik fiel mir auf, dass sie meinen heutigen Tracks viel ähnlicher ist als den Releases vor Truck Music. Bei denen habe ich die Musik komponiert und sie von anderen Leuten spielen lassen. Bei Truck Music gibt es dagegen nur mich – genau wie bei meinen frühen Tracks.
Zur Zeit wird mir klar, dass ich nicht nur eine Seite habe. Deswegen klingen die frühen Tracks so, wie sie eben klingen – wirr, könnte man sagen. Mein Interesse gilt nicht nur einer Sache, und je älter ich werde, desto mehr konzentriere ich mich darauf. Ich will einfach alle Dinge erkennen, in denen ich gut bin. Alles, was ich schätze, und für das ich Zeit aufgewendet habe, will ich annehmen – zum Beispiel meine schwarze Identität. Oder mein Gitarrenspiel. Mir geht es darum, all diese Aspekte in die Musik einzubringen, anstatt nur auf einen einzigen Aspekt zu setzen. Das ist nämlich genau das, was die Musikindustrie von dir will – du sollst dich auf eine Sache konzentrieren. Aber das musst du nicht tun.
Wie komponierst du deine Songs heute?
Ganz ähnlich wie früher, aber elektronisch. Ich nutze Ableton Live und meinen Computer quasi als Zwölfspurgerät und nehme alles mit einem E-Drum-Pad auf, dem Roland SPD-SX. Ich triggere alle Drum-Samples und -Hits damit und spiele dann Melodien auf einem MIDI-Keyboard mit Instrument-Racks – Bläserklänge oder gesampelte Stimmen. Vor der Quarantäne habe ich viele Field Recordings gemacht und daraus in Live eigene Instrumente gebaut. Ich kann mit den Pads komplette Songstrukturen komponieren und sie dann wie einen fertig produzierten Track klingen lassen.
Du investierst viel Zeit in Slice-Effekte, die mit deinen live gespielten E-Drum-Pads erzeugt werden. Wieviel Zeit geht dann noch für das Bearbeiten und Arrangieren drauf?
Sehr wenig. Wenn mir ein aufgenommener Beat gefällt, lösche ich eigentlich nur bestimmte Hi-Hats und andere Drum-Hits – vor allem dann, wenn sie den Vocals in die Quere kommen. Ich will auch nichts warpen oder auf dem Raster spielen. Manchmal quantisiere ich Sounds, aber meist nur für eine Sekunde, damit ein Beat für mich Sinn macht. Ich schiebe also keine Clips herum, sondern verfeinere die Songs nur ein wenig, um zu lernen, wie ich sie live spielen kann.
Seit Neuestem setzt du auch Kopfstimme ein. Wie kam es dazu?
Wie gesagt, meine Mutter war Pianistin und Sängerin, und mein Vater spielte Congas – sie spielten mein ganzes Leben lang Musik. Meine Mutter sang oft im Falsett, und ich entschied mich auch dafür – einfach weil ich mich damit wohlfühlte. In frühen Body Meat-Songs waren die Vocals noch nicht so zentral, deswegen hörte ich irgendwann auf zu singen. Es gab nur noch kleine Vocal-Elemente, die wie Samples klangen.
Inzwischen will ich wieder Musik mit guten Vocals machen – so wie früher, aber mit Falsett-Gesang. Obwohl ich nie besonders gut darin war. Mein Freund Matt empfahl mir AutoTune und ich dachte: Warum nicht? Zuerst habe ich kostenlose Autotune-Plug-ins ausprobiert, die nicht besonders gut waren. Aber ich merkte, dass mir das prinzipiell gefällt: Ich konnte diese verrückten Falsettläufe mit AutoTune singen. Dann habe ich meinem Freund Evan das TC Helicon Voice Live Pedal abgekauft und legte mit eigenen AutoTune-Vocals los.
Es ist lustig und ich will überhaupt nicht damit angeben, aber AutoTune macht nicht das, was die Leute hören wollen. Ich musste erstmal lernen, wie ich mit AutoTune singe – es ist wie ein neues Instrument. Bei den neuen Tracks nutze ich den Effekt zwar immer noch, aber konzentriere mich mehr auf meine natürliche Stimme. Hey, ich kann zu meinem Shit singen – eigentlich brauche ich kein AutoTune und nutze es auch nicht als Krücke. Eher als Hilfestellung bei Noten, die ich ohne den Effekt nicht treffen würde. Es geht darum, eine Welt zu erschaffen, die etwas Schrilles an sich hat.
Ich versuche, normal klingende Elemente drastisch zu verfremden: Songs, die mehrere Dimensionen haben. Genau wie „Balmain Jeans“ von Playboy Carti und Lil Yachty, das buchstäblich wie drei Songs in einem klingt. Beim Hören dachte ich: Wenn die das können, dann kann ich das auch. Ein verrückter, aber sehr schöner Song.
Worum ging es dir bei Truck Music – musikalisch und thematisch?
Ich machte mich auf die Suche nach Sounds und Samples von Radiostationen in afrikanischen Ländern, die mein Vater besucht hatte, und in denen ich vielleicht entfernte Verwandte habe. Es war ein Experiment: durch Sounds Dinge verstehen.
Musikalisch wollte ich all das, was ich bis dahin gelernt hatte, zusammenbringen. Ich wollte etwas Schönes, aber auch Forderndes machen. Es ging mir darum, Grenzen auszuloten – von normalem R&B, hinsichtlich des Gesangsstils und der Klangpalette. Aber auch von Popmusik im Allgemeinen, in Hinsicht auf Rhythmus und Takt. Mit Truck Music habe ich versucht, mehrere Kulturen und Welten zu vermischen, in denen ich als Mensch gemischter Herkunft lebe. Ich wollte es zumindest besser verstehen, denke ich. Meiner Meinung nach ist mir das mit Truck Music nicht komplett gelungen. Aber ich komme der Sache allmählich näher.
Du meintest, dass du deine Kreativität während dieser Pandemie katalogisiert hast. Wie passte das für dich zusammen – Musikmachen und kreativ sein während der Quarantäne?
Zu diesem Thema wollte ich schon etwas im Internet posten – wie gerne ich zu denen gehören würde, die das Privileg haben, in dieser Zeit kreativ zu sein. Aber dieses gedankliche Privileg habe ich einfach nicht. Für mich geht es schon so lange darum, zu überleben – oder es einfach irgendwie zu schaffen. Das lässt sich nicht ausschalten, besonders in dieser beunruhigenden Zeit, in der niemand weiß, was als Nächstes passiert.
Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich auf der anderen Straßenseite eine Rehaklinik, bei der pausenlos Rettungswagen eintreffen. Ich sehe Leute mit Gesichtsmasken auf den Straßen und frage mich: Bin ich mit meiner Musik in diesen Zeiten überhaupt wichtig? Was wir jetzt vor allem brauchen, ist Unterstützung für Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Und wir müssen sicherstellen, dass es unseren Liebsten gut geht und die Menschen zu Hause bleiben. Das war der Grund für meinen Wunsch, einer dieser Menschen zu sein, die die Quarantäne für ihre Kreativität nutzen.
Wenn du gerade unbedingt einen Plan für dich machen willst: Versuch dich gedanklich von dieser Panikattacke zu befreien und die Welt so wahrzunehmen, wie sie gerade ist. Wenn du deine Lage akzeptierst, werden die kreativen Ergebnisse besser sein. Beim Musikmachen wirst du dieser Gegenwart gedanklich nicht entfliehen können. Du kannst die Kreativität nicht als Fluchtweg nutzen – viele Leute versuchen das gerade, und ich habe es zuerst auch versucht. Aber ich habe gelernt, dass es sinnvoller ist, die Kreativität als Tool zur Erfassung meiner Situation zu nutzen – und diese dann in die Musik zu holen. Egal was du in dieser Situation denkst: Lass es nicht entkommen, selbst wenn du dich damit unwohl fühlst.
Es ist auch völlig in Ordnung, wenn du während einer Pandemie keinen Kopf für das Musikmachen hast. Das bedeutet nicht, dass du nie wieder Musik machen wirst, sondern einfach: Es ist nur Musik – und sie sollte Spaß machen. Und wenn dir gerade nicht nach Spaß zumute ist, wird dir das auch mit der Musik nicht gelingen. Für mich geht es gerade darum, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Welt und meine Situation zu akzeptieren – Tag für Tag. Denn das hilft am meisten. Dann wirst du in der Lage sein, dich vor den Computer zu setzen und zu sagen: Das ist ein Teil meines Tages während einer Pandemie. Und dies werde ich komponieren, weil es mir ein gutes Gefühl gibt. Ich erschaffe mir einfach eine neue Welt.
Und dann entsteht die Musik auch wie von selbst – vielleicht sogar noch einfacher als vor dieser Krise.
Wahre Worte. Ich hasse es, wenn Leute schwierige Zeiten und Verzweiflung gezielt als Mittel nutzen. Natürlich kann in solch schwierigen und stressigen Zeiten großartige Kunst entstehen – aber auch viel schlechte Kunst. Wer unbeschwert ist, finanzielle Unterstützung hat und nicht ums Überleben kämpfen muss – der kann möglicherweise gerade interessante Dinge erschaffen. Aber ich bin mir sicher, dass das auch dann funktioniert, wenn du deine aktuelle Situation verstehst und in Kreativität umsetzen kannst.
Apropos kreativ sein – du hast für uns ein Sample-Pack zusammengestellt. Wie ist es entstanden? Und welche Ergebnisse wünschst du dir von den Anwendern?
Das ist mein allererstes Sample-Pack und ich bin es mit der gleichen Energie angegangen wie beim Suchen nach guten Samples. Ich wollte eine Klangpalette kreieren, mit der ein kompletter Song entstehen kann.
Die meisten Sounds habe ich mit einem portablen Rekorder bei einem Spaziergang durch Philadelphia gefunden – Klänge von Objekten, die ich spannend fand. Ich habe einfach meine Ohren für die Umgebung geöffnet. Außerdem habe ich Instrument-Racks für melodische One-Shots entwickelt – ein Mix aus eigenen Sounds und Aufnahmen von Radio-Talkshows aus anderen Ländern. Ich mag Samples mit mehreren Sounds oder Melodien darin und bearbeite Samples gerne auf unterschiedliche Weise. Im Sample-Pack gibt es dafür einige Beispiele.
Ich bin schon sehr gespannt, was die Leute aus den Samples herausholen werden. Ob sie meine One-Shots und Loops komplett verfremden – genau wie ich, wenn ich mit Samples arbeite. Hier ist nichts gewarpt oder auf das Raster gelegt – so arbeite ich normalerweise. Mal sehen, ob das den Leuten überhaupt Spaß macht [lacht].
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Das Interview wurde von DJ Pangburn geführt – einem Multimedia-Journalisten, Elektronikmusiker und Videokünstler aus New York City, der unter dem Pseudonym Holoscene auflegt, produziert und live spielt.