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Astrid Sonne: Eine neue Stimme
Die Musik von Astrid Sonne ist in vielen Kategorien zu Hause. Sie wird als experimentell, manchmal als IDM oder sogar als klassische Musik beschrieben – das einzige, was dabei relativ konstant bleibt, ist Sonnes Gleichgültigkeit gegenüber Kategorien wie diesen. „Ehrlich gesagt gibt es keine Kategorie, in die ich nicht gern gesteckt werde, solange ich die Dinge ausdrücke, die ich gerne ausdrücken möchte. Ich habe mich einfach immer für viele verschiedene Dinge interessiert, und das spiegelt sich ganz gut in meiner Musik.”
Ein Großteil von Sonnes Musik entstand mithilfe von Produktionstechniken wie digitalem Sampling oder Synthese, die sie mit ihrem klassischen Background, ihrer Ausbildung am Konservatorium und ihrem Chorgesang in Einklang bringt. Diese Verschmelzung einer experimentellen Herangehensweise an Technik und eines Fundaments aus traditionellen Disziplinen ist es auch, die ihre Musik so unvorhersehbar und inspirierend macht. Manchmal geht Sonne von Solo-Streicherkompositionen zu stakkatoartigen, digital abgehackten Sounddesign-Tracks über, oft innerhalb nur eines Albums, oder widmet eine ganze EP verschiedenen Bewegungen innerhalb eines Zyklus, die sowohl digitale als auch akustische Klänge umfassen, allesamt so orchestriert, dass sie miteinander verschwimmen.
Astrid Sonnes Arbeit enthält gelayerte chorale Kompositionen wie „Strong, Calm, Slow” von ihrem 2019 erschienenen Album Cliodynamics.
In jüngster Zeit hat sich Sonne dem Songwriting zugewandt und singt ihre Texte mit ihrer eigenen Stimme ein. Great Doubt, ihr neuestes, im Februar 2024 erschienenes Album, enthält persönliche und ausdrucksstarke Songs, die mit ihren einfallsreichen Klangmanipulationen verschmelzen. Für eine Künstlerin, die dafür bekannt ist, Elektronik und gesampelte Klänge über Genregrenzen hinweg zu denken, mag die Hinwendung zu intimen Liebesliedern eine unerwartete Wendung sein. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass in ihrer Musik Stimmen zu hören sind: Auf ihrem 2018 erschienenen Album Human Lines waren Chorsamples zu hören, auf ihrem 2021 erschienenen Album Outside of Your Lifetime überlagerten sich ihre Stimmen eindringlich zu einer Chor-Motette. Auf Great Doubt jedoch geht es Sonne um persönlichen Ausdruck – Sehnsucht, Verwirrung, Unsicherheit. „Gesang und chorähnliche Stücke sind in meiner Arbeit seit Jahren präsent, und das ist auch sehr stark mein eigener Hintergrund. Als ich jung war, habe ich in Kirchenchören gesungen. Meine gesamte Instrumentalmusik hat für mich denselben persönlichen Ausdruck, aber natürlich sind der Einsatz von Stimme und Text eine direktere Form der Kommunikation. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich so lange mit Instrumentalmusik gearbeitet habe – weil sie einem nichts sagt. Es ist eher so: 'Das ist der Raum, und du kannst ihn so betreten, wie du es willst'. Bei diesem Album hatte ich einfach das Bedürfnis, mich selbst herauszufordern, indem ich ein bisschen direkter bin, aber trotzdem diesen Raum offenhalte."
Astrid Sonnes „Give My All” - eine Reinterpretation von Mariah Careys „My All”
Ein paar der lyrischen Inspirationen stammen aus überraschenden Quellen – „Give My All" lehnt sich lyrisch an Mariah Careys „My All" an. Man könnte nun meinen, dass Sonne hiermit einem Pop-Idol Tribut zollt, der eigentliche Ursprung dessen überrascht jedoch: „Ich habe Filmmusik für einen Kurzfilm gemacht und wurde gebeten, ein Cover oder eine Neuinterpretation dieses Mariah Carey-Songs zu machen." Obwohl Sonne sich auf diesem Terrain nicht wie selbstverständlich bewegte, freute sie sich über die Möglichkeit, Neues zu entdecken: „Ich fühlte mich damit sehr frei und dachte: Okay, jetzt kann ich einfach alles machen, was ich will."
Für Sonne lag die Freiheit in der Offenheit des Auftrags. Die Zusammenarbeit mit einem Filmemacher schuf eine neue Sicht auf ihre eigene Musik und öffnete eine neue Tür. „Es ist ein bisschen so, als hätte man ein Pseudonym oder so etwas, wo man nicht zu viel darüber nachdenkt, sondern einfach etwas macht." Sonne, selbst kein besonderer Pop-Fan, fand im Gesang die Möglichkeit, sich authentisch auszudrücken – in einem Bereich, auf den sie anders nie gekommen wäre. "Ich habe solche Musik nie wirklich gehört, aber mit diesen Texten zu arbeiten, hat mir wirklich Spaß gemacht. Der Track hat mir eine neue Arbeitsweise eröffnet. In diesem Sinne ist er also sehr wichtig."
Ihr Weg durch mag Sonne durch verschiedene Stile und Genres geführt haben, die Musik jedoch ist für die ausgebildete Bratschistin, Sängerin und Komponistin eine Konstante. „In jüngeren Jahren bin ich in Richtung einer klassischen Karriere gegangen, habe aber dann mit 18 Jahren aufgehört, weil ich mich sehr eingeengt gefühlt habe." Die Reaktion auf frühere Zwänge resultierte in einem musikalischen Ansatz, der statt einer strengen Orchestrierung Raum und Zeit in den Mittelpunkt stellte. „Ich hatte immer die Tendenz, die Dinge zu trennen – das ist der Synthesizer, das ist die Stimme, das ist die Bratsche. Bei diesem Album hingegen lag der Fokus für mich auf der Orchestrierung und darauf, mehr von diesen Elementen zu kombinieren."
„Boost” nutzt selbst aufgenommene Drums und Sounds aus dem EMS-Studio in Stockholm.
Obwohl Sonne sich heute von den strengen Vorgaben ihrer frühen Ausbildung entfernt hat, finden sich einige Elemente daraus auch in ihrem aktuellen Werk. Während ihres Kompositionsstudiums an der Universität hatte sie die Möglichkeit, sich selbst beim Schlagzeugspielen aufzunehmen, Fragmente davon finden sich auf Great Doubt. „Wir haben das Schlagzeug einfach mit verschiedenen Mikrofonen aufgenommen, an verschiedenen Positionen im Raum und auf dem Flur. Damals hatte ich keine Ahnung, was ich mit dem Material anfangen sollte. Es war mehr ein Experiment. Später habe ich dann eine Sample-Bank in Ableton erstellt, und dann habe ich langsam angefangen, damit zu arbeiten. Der letzte Teil von „Boost" stammt aus einer Residency, die ich bei EMS in Stockholm gemacht habe. Ich war schon ein paar Mal dort. Und jedes Mal, wenn ich dort war, war es einfach unglaublich toll, die verschiedenen Geräte und die modularen Synthesizer zu benutzen. Das ist die gleiche Herangehensweise wie bei den Drum-Samples: Ich spiele einfach herum und versuche, nicht zu viel zu machen, während ich spiele, damit ich das dann hinterher irgendwie verwenden kann.”
„Staying Here” – der Track, der vielleicht aus einem Gitarren-Tutorial von Bruce Springsteen stammt.
In ihrer Arbeit setzt Sonne gerne Fragmente von aufgenommenen Klängen oder Instrumenten zusammen, die sie dann in Live manipuliert und verschmilzt. „Der Prozess dieses Albums bestand aus Bearbeitungen und Manipulationen zwischen Audio und MIDI und dem Versuch, dieses tolle Material weiterzubringen, es zu verbreitern und irgendwie zu schauen, was ich daraus herausholen kann." Als Beispiel nennt sie den Albumtrack „Staying Here". „Ich habe mir dieses Tutorial angesehen – vielleicht mit Bruce Springsteen? Ich kann mich nicht erinnern. Oder einem anderen Gitarristen. Ich habe es gesampelt und dann aufgenommen, dann habe ich es in MIDI umgewandelt. Dann habe ich einen Arpeggiator darauf gelegt und ein rhythmisches Muster geformt."
Die Praxis, Ausgangsmaterial so lange zu bis zur Unkenntlichkeit zu bearbeiten, bis daraus ein neues Stück wird, zieht sich durch Sonnes gesamte Arbeit. Sie beschränkt sich nicht nur auf Material aus fremden Quellen, sondern auch auf Sonnes eigene Stücke. „Ich sample ziemlich viel, aber manchmal ist es zum Beispiel wie bei „Say you love me", da ist das Originalstück „Overture". Beim Gitarrensample in „Overture" war’s also so, dass ich darübergesungen habe, aber das war noch nicht so spannend. Also habe ich „Overture" zu einem separaten Track gemacht und dann neue Akkorde hinzugefügt, was ich auch schon ein paar Mal auf dem Album gemacht habe. Das ist so eine Sache: Ich habe zum Beispiel dieses eine Sample, mache einfach eine Top-Line darüber und dann entferne ich das Sample und füge ein paar andere Noten hinzu."
Ihr Prozess, Ideen zu spinnen, zu etwas Neuem zu formen und das Material zu einem Song zu formen, setzt sich nicht nur in ihrer Komposition und Produktion fort, sondern auch in ihrem Herangehen an Texte. Zwei der Songs auf dem Album folgen aufeinander, haben aber einen gemeinsamen lyrischen Faden - „Everything is Unreal" geht in „Staying Here" über und teilt sich mit diesem das lyrische Thema – laut Sonne kein Zufall. Sie erzählt: „Ich bin vor eineinhalb Jahren nach London gezogen, und im ersten Jahr hier war ich ständig krank. Das ist eine Fieber-Session, bei der ich versucht habe, in einem Park ein bisschen Sonnenlicht zu kriegen und da dann diese Texte geschrieben habe. Darin steckt dieses Gefühl, rauszukommen, richtig fiebrig zu sein und nicht wirklich zu verstehen, was eigentlich um mich herum passiert. Das musste einfach aufhören und ich musste eine Entscheidung treffen: Soll ich in London bleiben oder zurück nach Dänemark gehen? Ich glaube, die Kombination aus diesen beiden Tracks simuliert diesen Prozess irgendwie. Alles wird heller, wenn „Staying here" einsetzt, wie das Gefühl, eine Entscheidung getroffen zu haben – zu wissen, was passieren wird.
Im Verarbeiten von inneren Erfahrungen, Schichten von Einflüssen und Experimenten mit klanglichen Strukturen ist Sonne sich eines Aspekts sehr bewusst, der sich durch ihre Musik zieht: der Vorstellung von Räumlichkeit. „Ich möchte, dass da Raum bleibt. Wenn ich Musik schreibe, denke ich viel über Trios oder Duos nach. Beim Blick darauf [frage ich mich], was wird das Duo? Und was das Trio? Damit stelle ich fest, ob die Elemente dem Test standhalten. Ich möchte nichts einbauen, was nicht unbedingt sein muss. Das ist ein schwieriger Prozess, denn je mehr man sich die Musik anhört, die man macht, desto mehr verliebt man sich in die verschiedenen Elemente. Aber ich fand es sehr hilfreich, auf diese Weise darüber nachzudenken.
Great Doubt steht für ein neues Element auf Astrid Sonnes kreativem Weg. Die Kombination aus ihren klanglichen und neu entdeckten lyrischen Erkundungen ergibt eine starke Mischung. Innovation und Ausdruck verbinden sich zu einer Offenbarung. Über das, was noch kommt, kann sie nichts sagen – die Zukunft wird Ergebnis von Experimenten. „Das hier ist das Ergebnis eines Prozesses, und vielleicht wird das nächste Album ganz anders klingen. Ich habe keine Ahnung. Vielleicht werde ich nicht einmal meine Stimme benutzen. Das war wirklich interessant und sehr schwierig, hat sich aber auch gelohnt. Im Moment ist das ein spannender Ort, ich weiß aber nicht, wohin es geht."
Text und Interview: Kevin McHugh
Fotos: Conrad Pack
Astrid Sonne ist auf Instagram und Bandcamp