Spätestens seit solch markanten Veröffentlichungen wie dem hinterhältigen Track „R U OK “ oder dem packenden Mix „_ground“ von 2013 zählt Kevin McHugh alias Ambivalent zur Top-Liga des Minimal und Techno. Er ist außerdem ein langjähriger Live-Anwender: Kevin nutzt die Software nicht nur für Studioproduktionen und Performances, sondern integriert Live sogar in seine DJ-Sets.
Zusammen mit seinem jüngsten Release – Blackfish EP auf Octopus Recordings – hat Kevin ein kostenloses Live-Set veröffentlicht (Hinweis: erfordert Live 9 Suite), das die zentralen Sounds und Sequenzen seines neuen Tracks „Hexen“ enthält. Wir trafen uns mit ihm, um über die Entwicklung der „Hexen“-Sounds, die Herausforderungen beim Produzieren von minimaler Musik und die Schönheit einer perfekten Quinte zu sprechen.
Ambivalent dekonstruiert „Hexen“ - Kostenloses Live-Set und Interview
„Hexen“ erreicht mit nur wenigen Teilen einen maximalen Effekt – diese Beschränkung macht den Track sehr spannend. Wann weißt du, dass ein Track „genügend“ Teile hat?
Wer behauptet, dass Einfachheit leicht zu erreichen sei, macht keine wirklich einfachen Sachen. Deswegen will ich nicht sagen, dass es bei mir so ist. Disziplin zählt zu den Dingen, um die ich mich beim Produzieren immer bemühe. Manche Ideen brauchen Komplexität, doch es ist auch sehr wichtig, genau hinzuhören und sich zu fragen, „trägt dieser zusätzliche kleine Sound eigentlich irgendetwas zum Ergebnis bei?“ Ich versuche, mir diese Frage schon in der Anfangsphase des Produzierens zu stellen und hoffe, auf diese Weise an einen Punkt zu gelangen, an dem eine komplette Idee entsteht, die Spielraum hat. Dann geht es darum, sich die wichtigsten Elemente vorzunehmen und ihre narrativen Inhalte in einem guten Arrangement zu entwickeln. Die Frage, ob es gut ist, versuche ich immer auszublenden – ich stelle sie mir erst, wenn ich nicht mehr weiterkomme. Ich würde wohl eher 10 fertige Tracks wegwerfen, die nicht gut sind, als einen unfertigen Loop wochenlang übermäßig analysieren.
Hast du für das „Hexen“-Arrangement die Clips und Effekte live gespielt oder von Hand editiert? Wie entwickelst du deine Arrangements normalerweise?
Das Live-Pack verwendet dasselbe System wie die Original-Session. Es ging los mit einer Idee, die ich auf dem Keyboard spielte – ein einfaches pentatonisches Riff – und zusätzlichen Layern von anderen Synthesizern. Dann habe ich mit dem Ableton-Chord-MIDI-Tool jeden Synth mit perfekten Quinten und Oktaven versehen. Trotzdem sollte alles ganz einfach bleiben. Es war sehr leicht, die ursprüngliche Session nachzubauen, weil ihr dasselbe Tool zugrunde lag.
Die „Hexen“-Chords bestehen aus Layern dreier verschiedener Synths. Wie hast du die einzelnen Sounds entwickelt?
Im Original-Track kamen Layer von externen Synthesizern zum Einsatz. Deren Sounds habe ich im Grunde nachgebildet. Für mich haben die Ableton-Synths dieselbe Power wie die alten Synths und sie bieten nicht selten auch einige Funktionen mehr. Die Unterschiede zwischen analogen und digitalen Instrumenten sind wirklich Geschmackssache, glaube ich. Es hat mir jedenfalls Spaß gemacht, das eine Instrument zur Nachbildung des anderen zu verwenden und herauszufinden, bis zu welchem Punkt das möglich ist. Die Layer gaben mir die Möglichkeit, die ultrakurzen Attack-Zeiten der Originalsounds, die Hüllkurven und die Wellenformen, die mir an den ursprünglichen Patches gefielen, beizubehalten. Dabei kommt es manchmal darauf an, wie sich ein bestimmter Sound entwickelt und dass er vielleicht Unterstützung von einer anderen Stimme im Arrangement braucht. Eine der Operator-Instanzen ist großartig, doch sie bleibt konstant, während sich die anderen verändern. Die Analog-Instanz soll die Harmonien unterstützen, ohne die anderen Sounds zu erdrücken.
Nachdem ich die Synth-Patches entwickelt hatte, wurde alles noch ein wenig mit dem Dynamic Tube-Effekt angereichert, beispielsweise um den Sound mancher meiner Vorverstärker nachzubilden. Es ist schon überraschend, wie gut der Effekt diesen Klang erzeugen kann.
Die Akkorde des Tracks sind mal mehr, mal weniger komplex – was steckt dahinter?
Für mich ist der wichtigste Teil des Entwickelns von Ideen jene Phase, in der man ausprobiert, wie weit sie sich ausdehnen lässt. Techno ist der passende Rahmen dafür: Man nimmt sich eine Phrase vor und holt soviel raus wie nur irgendwie möglich. Genau das habe ich in diesem Track versucht: aus der Phrase Dramatik zu gewinnen und eine kleine Geschichte. Nichts besonderes – viele Künstler haben das schon besser hingekriegt – doch zur Hookline hätte es nicht gepasst, wenn sie sich nur in einer einzigen Zone bewegt. Ich wollte eine Achterbahn haben – und zwar eine, in der man erst ganz oben bemerkt, dass man hochgezogen wurde. Dann alles rasant zurück auf Null und nochmal von vorne.
Die Hi-Hat wurde mit Analog erzeugt. Entwickelst du solche Drums oft via Synthese? Was sind die Vorteile gegenüber dem Sampling?
Bei der ursprünglichen Session kam ein Vermona DRM1 zum Einsatz – ich habe im Hi-Hat-Kanal das Decay und Filter geöffnet und Aufnahmen davon gemacht. Es macht immer viel Spaß, an die Regler zu gehen und zum Arrangement zu spielen. Deshalb lag es nahe, Analog zu verwenden. Das Plug-in hat diese sehr klassische Struktur und diesen klassischen Sound – ein Noise-Filter und eine Hüllkurve, wiederum zusammen mit Dynamic Tube, um die Signalkette des Originals nachzubilden. Die Automationen in der Arrangement-Ansicht des Live-Packs sind ungefähr dieselben wie in meinen Studioaufnahmen.
Der Basslauf sitzt perfekt im Track – anscheinend hast du einige EQ-Tricks angewendet. Welche waren das genau?
Mit Bass-Harmonien hatte ich lange Zeit generell zu kämpfen, vor allem wenn es darum ging, sie auf die Kick-Drum abzustimmen. Von diesem einen Aspekt hängt es entscheidend ab, ob ein Track funktioniert oder nicht. Basslines müssen sich im Frequenzspektrum ausdehnen, dürfen aber nicht den Mix erdrücken. Und sie müssen Raum für die Kick-Drum lassen. In diesem Track habe ich die Grundfrequenz der Kick-Drum samt Obertönen aus der Bassline entfernt und zusätzlich die mitteltiefen Frequenzen der Bassline reduziert. So entstand Raum für die Untertöne der Synth-Layer und es gab Platz für diese rollenden, wummernden Sounds, die ich so gerne mag. Der Basslauf folgt den Transpositionen der Lead-Figur, das hat die Sache etwas vereinfacht. Ich musste nur den Übergangspunkt finden, diesen Wert im Tiefpass-Filter der Bassline einstellen und im Highpass- und Shelf-Filter der Lead-Sounds ebenso. Ein wenig Sidechaining gibt der Kick-Drum mehr Platz zum Luftholen, ohne dass sie zu stark pumpt (ein bisschen Pumpen ist OK). Für das Sidechaining analoger wie digitaler Klangquellen nutze ich ausschließlich den Ableton-Kompressor – ein wirklich einfaches, funktionales und transparentes Werkzeug. Die Sidechains der Ableton-Effekte lassen sich unglaublich schnell und leicht einstellen und die Live-9-Equalizer liefern massig neue Funktionen, etwa steilere Kurven für Hoch- und Tiefpassfilter, die Spektrum-Anzeige und das Mid-Side-Feature.
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