Eine von Amandas aus Holz gefertigten Schallplatten
Mit dem Voranschreiten von Technologie entwickelt sich auch unsere Vorstellung von Sound immer weiter. Hinter modernen Interfaces und Software stehen ganzheitlich denkende Menschen, die in der Lage sind, Design, Wissenschaft und Audio so miteinander zu verknüpfen, dass wir unserer Kreativität uneingeschränkt freien Lauf lassen können.
Amanda Ghassaei ist eine dieser klugen Köpfe. Versiert auf den Gebieten der Nanotechnologie und der Materialwissenschaft, erschafft sie Dinge, mit denen sie die Grenzen digitaler Manipulation und physischer Machbarkeit auslotet. Ob es sich dabei nun um Schallplatten aus Holz oder Controller für Max MSP und Arduino handelt, mit denen sie völlig neues Terrain ergründet – Ghassaeis Arbeiten beleuchten die enge Verbindung von Musik und Wissenschaft. Wir befragten Amanda zur Bedeutung der Ästhetik von Instrumenten und brachten in Erfahrung, warum es sie freut, wenn Musiker mit Hilfe von Technologie in völlig neue Bereiche vorstoßen.
Amandas Multitouch-Infrarot-Controller
Dein Fokus liegt in vielerlei Hinsicht auf dem „Außermusikalischen“. Wie kommt es, dass dich die Ästhetik und Bedienbarkeit eines Instruments anscheinend mehr interessieren, als das, was am Ende als Sound heraus kommt?
Die Art, wie wir mit Medien interagieren – sei es nun Musik, Grafik oder ein 3D-Modell – hat sich mit dem Einzug von Software dramatisch verändert. Wir können digitale Files so einfach und komfortabel schneiden, kopieren, neu organisieren und umwandeln, wie es mit Magnetbändern, Stiften und Papier niemals möglich war. Trotzdem glaube ich, dass es etwas geben sollte, mit dem die Dinge greifbar bleiben. Viele meiner Arbeiten konzentrieren sich auf das Interface, das zwischen der Software einerseits und der physischen Welt andererseits steht. Es geht darum, die Interaktion natürlicher zu gestalten und nach neuen Kommunikationsformen Ausschau zu halten, die durch das Digitale überhaupt erst möglich wurden. Mit Tools wie Arduino können wir zwischen Eingängen und Ausgängen Verbindungen herstellen, die vor hundert Jahren an Zauberei gegrenzt hätten. Solche Dinge begeistern mich am meisten.
Auf dem College habe ich während eines Semesters einen analogen Synthesizer gebaut und zur gleichen Zeit viel über Signalverarbeitung und Quantenmechanik gelernt. Ich stellte fest, dass es im Prinzip um die selben Ideen und Gleichungen ging. Die Enstehung von Sound ist tief in dem verwurzelt, was auch den Rest der physikalischen Welt ausmacht. Letztlich liegt meine Faszination für Musik-Applikationen darin begründet, wie wir Sound wahrnehmen; insbesondere der Blick aus dieser analytischen, signalverarbeitenden Perspektive. Viele meiner Projekte zielen darauf ab, Sound mit anderen sensorischen Erfahrungen zu kombinieren. Manchmal versuche ich die Nuancen unserer subjektiven Wahrnehmung von Sound mit einem Interface herauszustellen, indem ich zum Beispiel einen additiven Synthesizer mit Licht-Pixeln baue und über visuelle Pattern komponiere. Musik-Applikationen können so grenzüberschreitend sein, es macht einfach Spass.
Amandas Zuckerwürfel-MIDI-Controller
Viele deiner Arbeiten tragen einen pädagogischen Ansatz in sich. Ist das Ausloten der Möglichkeiten eine Aufgabe, der du dich verschrieben hast?
Mit Sicherheit. Mein Wissen über Elektronik und Programmierung und wie man beides miteinander verquickt, wäre heute in der Form nicht vorhanden, hätten nicht andere vor mir ihre Arbeiten und Quellcodes mit der Allgemeinheit geteilt. Es gibt in diesem Bereich einen so regen Austausch von Ideen und Informationen und Postings von Max MSP-Patches, Plug-Ins, Arduino-Libraries... Eine großartige Ressource für jeden, der anfängt, sich damit zu beschäftigen. Auch wenn ich in diesem Herbst meine Akademikerausbildung beginne, so hoffe ich doch, in der Community aktiv bleiben zu können.
Amanda jagt ‘Somewhere Over The Rainbow’ durch ihre Arduino DSP-Effects-Box
Ich dokumentiere meine Projekte immer so, dass sie sich von jemand anderem reproduzieren lassen. Es kommt aber im Prinzip kaum vor, dass irgendwer exakt jeden einzelnen Schritt nachahmt. In den meisten Fällen nutzen die Leute die Informationen, um aus dem Projekt auf irgendeine Art und Weise etwas Eigenes zu machen; manchmal in Richtungen, die ich mir nicht hätte träumen lassen. Ich versuche meine Projekte so zu beschreiben, dass man die zugrunde liegenden Ideen komplett versteht und Leute so die Freiheit haben, Modifikationen speziell nach ihren Interessen vorzunehmen. Einmal habe ich einen Code gepostet, der es möglich machte, mit einem Arduino die Grundfrequenz eines anliegenden Audiosignals zu messen. Ein paar Monate später schickte mir ein Student ein Video, in dem man ein roboterhaftes Stimmgerät sah, das auf einer Gitarre montiert war. Über ein Feedback des Audiosignals der Gitarre wurde jede einzelne Saite automatisch so gespannt, dass sie sich in der richtigen Stimmung befand. Dazu brauchte die jeweilige Saite nur angezupft zu werden.
Amandas Zuckerwürfel-MIDI-Controller
Wir befinden uns in einer spannenden Phase der digitalen Musik, in der Software so leistungsfähig und günstig ist, um viele neue Möglichkeiten für die Live-Performance zu eröffnen. Heutzutage kann man sogar Pure Data auf einem Raspberry Pi (ein 40 Dollar kostender Computer in Kreditkartengröße) laufen lassen. Dadurch, dass Musikproduktion und Performance immer mehr digital basiert sind, sollten smarte Interfaces das Publikum an sich binden und dabei helfen zu erkennen, was auf der Bühne eigentlich gerade passiert. Neue Interface-Formen können Musikern dabei helfen, weiterhin alles aus ihren digitalen Tools herauszuholen und sie trotzdem von dem eingefahrenen Umgang mit ihrem Lieblingsinstrument wegzuführen.
Amandas ‘Record-Cutting’-Projekt
Was steckt hinter deinen ‘Record-Cutting’-Projekten? Was macht diese zu mehr als einer netten Spielerei?
Die Platten-Projekte waren ein Weg, die gesetzten Grenzen meiner zur Verfügung stehenden Werkzeuge auszutesten. Winzige Plattenrillen zu generieren, bringt Laserschneider und 3D-Drucker an ihre maximale Auflösungskapazität. Obwohl das Konzept mit den Platten ziemlich simpel war, hatte es die Umsetzung dann doch in sich, denn es sollte am Ende nicht nur der optische Eindruck stimmen, sondern tatsächlich funktionieren. Letztlich ist es eine tolle Demonstration des Workflows, der mich momentan begeistert – die Transformation digitaler Daten in physische Objekte durch einen automatisierten algorithmischen Prozess.
Amandas Vocal-Effects-Box
Das Schöne an der digitalen Fertigung (CNC, 3D-Drucker, Laserschneider) ist, dass sie uns erlaubt, hochkomplexe Objekte ohne jedwedes Zutun von Menschenhand herzustellen. Das gilt insbesondere für die 3D-Drucker, bei denen keine weiteren Kosten anfallen, um solch ein Objekt mit kleinsten Details anzufertigen. Es entstehen derzeit einige tolle Arbeiten an der Schnittstelle aus Datenvisualisierung, Programmierung und digitaler Fertigung, bei der Leute Daten aus riesigen zugänglichen Datensätzen ziehen (wie etwa dem der NASA, des Personenverkehrs, des USGS, aus Videostreams und Social Media), sie in einem Computerprogramm zerbröseln und mit Hilfe digitaler Tools in aussagekräftiger und physischer Form wieder zurück in die Welt bringen.
Weitere Projekte von Amanda finden Sie auf ihrer Website.