Ally Mobbs: Beat Picnic reist um die Welt
Ally Mobbs war mit seiner Musik schon in vielen Ländern zu Gast, aber überraschenderweise noch nie in den USA. Anlässlich Loop 2018 in Hollywood war es dann soweit. Sein musikalischer Werdegang begann am Bass, 2009 siedelte der Brite nach Japan über und entdeckte dort seine Faszination für selbstgebaute elektronische Instrumente und das Field Recording. Mit David Cummings alias Agargara startete er Beat Picnic – anfangs ein Zwei-Mann-Projekt, das schon bald zu einer Gruppe gleichgesinnter Produzenten aus Japan erweitert wurde.
Einige Jahre später war Beat Picnic ein spannender Programmpunkt bei Ableton Loop 2018. Der Event startete mit einem gemeinsamen Lunch, gefolgt von einem Field-Recording-Spaziergang durch Hollywood. Im Anschluss wurden die Ergebnisse in einer Session zusammengetragen und im Sharing Salon der IO Music Academy präsentiert. Das Beat Picnic in Hollywood führte alle Teilnehmer in akustisches Neuland: Der scheppernde Klang eines verrosteten Parkverbotsschilds. Oder wie es klingt, wenn der Wind durch hohes Gras vor einem Friedhof weht.
David Abravanel und Ally Hobbs fanden an diesem heißen Tag ein schattiges Plätzchen für ein Interview, um wichtige Fragen zu klären: Wie findet man Inspiration im Alltag? Und wie weit muss man manchmal gehen, um eine tolle Aufnahme zu bekommen?
Um die Sounds und Methoden von Ally Mobbs kennenzulernen, sollten Sie sich zuerst eine Live-Performance anschauen, die neulich im Club Dommune in Tokio stattfand:
Welche gefundenen Sounds haben dich und die Teilnehmer von Beat Picnic besonders inspiriert?
Ich war vorher noch nie in L.A. oder Amerika gewesen, deswegen fand ich alles sehr inspirierend. Hollywood war für mich voller neuer Klänge. Einer der Teilnehmer nahm zum Beispiel einen Jungen auf, der beim Überqueren der Straße laut vor sich hin freestylte. Ein anderer einen Autofahrer, der seinen Motor hochjagte. Als dieser erfuhr, um was es ging, bot er an, damit weiterzumachen. Es war wie eine Auto-Sound-Performance. Auch die U-Bahn war eine Quelle für großartige mechanische Geräusche.
Welche der entstandenen Stücke fandest du am interessantesten?
Schwer zu sagen, denn es war einfach umwerfend, die Ergebnisse zu hören. Die Session hatte zum Ziel, aus den gesammelten Aufnahmen entweder ein Drum-Rack oder einen Sampler-Patch zu machen. Oder einfach nur Sounds zu bearbeiten, die die Teilnehmer für spätere Produktionen verwenden können. Sie kamen auf tolle Ideen – einer hat zum Beispiel zwei komplette Beats aus den Aufnahmen gemacht. Für mich war es am interessantesten, andere Arbeitsweisen kennenzulernen. Ein weiterer Teilnehmer, der normalerweise Atmos für Filme aufnimmt, entwickelte eine nur minimal bearbeitete Soundcollage in Pro Tools. Wenn ich sie mir heute anhöre, bringt mich das direkt zurück zu dieser heißen und staubigen Straße in L.A., in der wir damals Field Recordings sammelten.
Wie kamst du eigentlich zum Field Recording? Und welche Technik hast du anfangs dafür genutzt?
Meine ersten Field-Recording-Erfahrungen habe ich mit meinem Smartphone gesammelt. In Japan interessierten mich all die neuen Sounds um mich herum. Sobald mir etwas auffiel, nahm ich schnell ein Sprachmemo auf. Später lernte ich gleichgesinnte Produzenten kennen und startete zusammen mit Agargara (David Cummings) Beat Picnic – als Herausforderung für uns, ausschließlich mit gefundenen Sounds Musik zu machen. Wir machten das hin und wieder, um mal rauszukommen und etwas anderes auszuprobieren. Und jedesmal an einem neuen Ort.
Nach dem ersten Beat Picnic fand ich das Aufnehmen und Bearbeiten von Field Recordings immer spannender: Einzigartige Sounds machen, die etwas über mein Leben erzählen. Mit der Zeit legte ich mir bessere Tools dafür zu.
Es war wirklich inspirierend, von den Ergebnissen und Methoden anderer Leute zu lernen. Das hat ein großes Interesse an der Arbeit mit Klängen geweckt.
Welche Künstler haben deine Methoden beeinflusst?
Jonáš Gruska, der das Label LOM macht und unter diesem Namen auch Mikros herstellt. Und das DIY-Kit seines Tools „Elektrosluch“ – ein elektromagnetisches Pickup, das dich alle möglichen seltsamen Sounds hören lässt. Ich fand es ziemlich spannend, damit durch einen Supermarkt oder ein Elektronikgeschäft zu laufen. Mir gefällt auch das DIY-Ethos – es zeigt uns, dass wir auch ohne superteure Mikros hochwertige Sounds aufnehmen können.
Agargara ist ein fantastischer Produzent und sein erster Beat Picnic-Track ist nach wie vor mein Favorit. Er nutzte dafür Renoise und ich konnte mir viele Tipps holen und auf meine Arbeit in Ableton Live übertragen.
Wann hast du Ableton Live entdeckt?
Ich habe Ableton Live bei Version 7 kennengelernt und gekauft, als Push erschien. Zuvor hatte ich nur unzuverlässige Tools: eine selbstgebaute Arduinome-Version des Monome und manipulierten Gamepads als MIDI-Controller für das Fingerdrumming. Als ich Push sah, war ich sofort begeistert – endlich etwas Eigenständiges, das zuverlässig ist und zu meinen Bedürfnissen passt.
Wie bearbeitest du deine Field Recordings in Live?
Mein kompletter Workflow dreht sich um Push. Zuerst gebe ich meinen Aufnahmen Namen, damit ich sie schnell finden kann. Dann ziehe ich die gewünschten Aufnahmen in die Session-Ansicht. Wenn ich mit perkussiven Sounds arbeite, zerlege ich die Aufnahmen für Drum-Racks. Atmosphärische Field Recordings, die in meiner Musik als Hintergrund dienen, setze ich in die Arrangement-Ansicht.
Wonach suchst du, wenn du Field Recordings machst?
Ich suche inzwischen nach ganz bestimmten Sounds, die zu aktuellen Projekten passen. Zur Zeit arbeite ich für einen Game-Hersteller, der natürliche Umgebungsgeräusche braucht: Flüsse, Wasserfälle, Käfer, Frösche, Vögel, Steine, Holz usw. Ich überlegte mir zuerst: „Wo kann ich das möglichst ohne unerwünschte Verkehrsgeräusche aufnehmen?“ Dann packte ich meine Ausrüstung auf mein Fahrrad und unternahm einen Camping-/Recording-Ausflug in die Berge um Kyoto. Aber selbst dort hört man noch Flugzeuge.
Für mich sind zufällige Alltagsgeräusche oft am interessantesten. Zum Beispiel eine Blindenampel, oder das Getriebe in einem Bahnhof mit interessanter Akustik. Ich habe fast immer ein tragbares Aufnahmegerät in der Tasche – falls doch nicht, ist eine Smartphone-Aufnahme besser als nichts.
Interagierst du mit der Umgebung – zum Beispiel indem du Dinge anschlägst oder bewegst? Oder bevorzugst du Sounds im Ist-Zustand?
Beim ersten Beat Picnic gab es Leute, die auf Objekte klopften. Heute bevorzuge ich natürlich auftretende Sounds – es sei denn, ich finde ein Objekt, das erst durch Klopfen interessant klingt. In Kyoto gibt es viele traditionelle Feste – wenn man durch die Straßen geht, hört man oft Musik aus einem Tempel. Ich sammle auch Supermarkt-Jingles, die auf diesen seltsamen Kassettenrekordern mit fröhlichen Gesichtern und mechanisch winkenden Armen abgespielt werden. In einem meiner Tracks ist einer zu hören: „MEAT!“) Diese Art von Sounds nutze ich gerne in meinen Produktionen, weil sie mit meinem Wohnort in Verbindung stehen und meine Alltagsinspirationen rüberbringen.
Was waren die verrücktesten, gefährlichsten oder ungewöhnlichsten Dinge, die du aufgenommen hast? [Bitte nicht zu Hause ausprobieren!]
Einmal bekam ich Ärger, als ich den Shinkansen mit Kontaktmikrofonen aufnehmen wollte – an der Kupplung zwischen den beiden Zugteilen. Irgendjemand muss gedacht haben, dass ich etwas im Schilde führe, und hat es dem Zugführer gemeldet. Nachdem ich ihm den Grund erklärt habe, war er damit einverstanden.
Das Beste, was ich je aufgenommen habe, war das Gion Matsuri-Fest in Kyoto. Sie ziehen dort diese riesigen, drei Stockwerke hohen „Hoko“-Wagen durch die Straßen, in denen sich Musiker befinden. Ich hatte die Möglichkeit, direkt hinter den Achsen und Rädern zu laufen und das Schleifen des Holzes und die Leute, die den Wagen ziehen, aufzunehmen. Als sie an eine Kreuzung kamen, verteilten sie Bambusstöcke und Wasser auf der Straße, um die Reibung zu reduzieren. Dann drehten sie die Wagen um 90 Grad – mit Seilen und Gebrüll.
Am gefährlichsten war es aber, diese wirklich furchteinflössende alte Dame aufzunehmen, die später am Abend das Personal eines Lebensmittelladens anschrie und mit Tritten bearbeitete. Die Verkäufer blieben höflich und versuchten, sie zu beruhigen. Und ich versuchte, das Ganze unauffällig aufzunehmen, während die Frau alle um sich herum mit wüsten Schimpfworten bedachte.
Hast du praktische Tipps für die Anwendung von Field Recordings in der Musik? Zum Beispiel bestimmte Sounds, die perfekt als Percussion-Hits funktionieren? Und wie machst du Field Recordings passend?
Wenn du nach Objekten suchst, deren Klang sich für Drum-Sounds eignet, solltest du dir zuerst überlegen, welche Objekte die gesuchten Frequenzen erzeugen. Und dann kannst du sie formen. Harte metallische Objekte für Hi-Hats, Schritte durch Kies oder Schnee für Snare-Drums – lass deiner Fantasie freien Lauf und hab Spaß! Manche Aufnahmen werden komplett nutzlos sein, aber andere vielleicht genau das, was du suchst. Das Tolle ist ja, dass niemand anderes diesen Sound hat. Er gehört nur dir, du hast ihn gefunden und er ist in keinen Sample-Packs oder Librarys von anderen Leuten zu finden.
Du kannst jeden gewünschten Effekt verwenden – für mich sind EQ 8, Compressor, Drum Buss (Ich liebe Drum Buss), Tuner und Utility sehr nützlich, in Verbindung mit Layer-Techniken, Transponieren und Warpen. Und Simplers Hüllkurven- und Filter-Sektionen. Sobald du den grundlegenden Sound gefunden hast, kannst du mit allen möglichen Effekten durchstarten.