Alice Ivy: Traumsequenz im Aufbau
Gerade mal 25 Jahre alt, schlägt Alice Ivy mit ihren auf Samples basierenden, tanzbaren, catchy Produktionen bereits große Wellen in ihrem Heimatland Australien. Nach einer Reihe von EPs, die ihr beachtliche Aufmerksamkeit einbrachten, veröffentlichte sie Anfang 2018 ihr Debütalbum I’m Dreaming und startete mit Shows durch, für die sie ihr Liveset verfeinerte, um ihrem stets wachsenden Publikum gerecht zu werden. Wir sprachen mit Alice Ivy nicht nur über die souligen Wurzeln ihrer Musik, sondern auch über Songwriting mit Samples im Mittelpunkt, über ihre Produktionsmethoden und auch über ihre Strategien beim Übersetzen von Tracks aus dem Heimstudio in festivaltaugliche Hymnen. Außerdem stellt Ihnen Alice Ivy kostenlos eine Sample-Sammlung zur Verfügung, die Sie herunterladen und für ihre eigenen Stücke nutzen können.
2018 war in jeder Hinsicht ein großes Jahr für dich, durch die Veröffentlichung deines Albums I’m Dreaming und das viele Touren im Anschluss daran. Wie bist du ans Übersetzen deiner Musik für die Bühne herangegangen?
Es ist echt ziemlich viel los, seit ich im Februar mein Debütalbum I’m Dreaming veröffentlicht habe. In den letzten sechs Monaten habe ich in Australien und den USA über 50 Shows gespielt. Die größte Erkenntnis, die ich aus dem Übersetzen meiner Musik für die Bühne gezogen habe, war der Umgang mit Dynamik. Mir ist es wichtig, ein Live-Set zu bauen, bei dem das Publikum nicht den Appetit auf mehr verliert. Die eher langsamen Stücke auf dem Album habe ich entweder auf Interlude-Länge gekürzt oder extra Bass und Drums dazu getan, damit sie auf größeren PAs besser wirken. Besonders wenn ich auf Festivals spät auftrete, ist es wichtig, den Vibe aufrecht zu erhalten. Wenn ich in Ableton Live in der Session-Ansicht arbeite und eher geloopte Audioclips statt Szenen verwende, habe ich die Möglichkeit, unmittelbar zu reagieren. Geht das Publikum bei einem Song richtig ab, kann ich besonders größere, tanzbare Instrumentals einfach ausbauen. Das ist supereinfach, weil alles im Set gewarpt ist. Alles worauf ich beim Performen achten muss, ist der Vibe im Publikum und die Änderungen direkt den Bandkollegen zu vermitteln.
Außerdem konzentriere mich stark darauf, die sensiblen Momente des Albums visuell zu übersetzen. Zum Beispiel spiele ich die Leadsynth-Abschnitte von den Aufnahmen auf der Gitarre, weil es dem Publikum visuell mehr bietet, als wenn ich mich hinter einem Synthesizer-Rack verstecken würde. Ich verwende Audioeffekte wie High-Pass- und Low-Pass-Filter oder auch Beat Repeat im Masterkanal, um das Publikum auf den Zehenspitzen zu halten. Das macht Spaß.
Du machst Musik seit du ein Teenager warst, aber mit dem Produzieren hast du erst vor ein paar Jahren angefangen. Was hat dich zu dieser Seite des Musikmachens gezogen?
Ich habe jahrelang in verschiedenen Bands Gitarre gespielt. Ich bin in einer Soulband mit lauter Mädchen groß geworden, wo wir alte Motown-Hits coverten und ein paar eigene Sachen spielten. Damit tourten wir auf der ganzen Welt, was ziemlich cool war. Eine meiner liebsten Erinnerungen ist ein Gig beim Montreux Jazz Festival, mit 16, als wir draußen auf der Hauptbühne spielten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Buddy Guy im Publikum gesehen hatte, der sich das ganze Set anschaute. Das hat mich richtig geflasht.
Ich war schon immer eng ins Schreiben eingebunden, beim Orchestrieren und Arrangieren von Songs. Als ich an der Uni war, spielte ich in einer handvoll Bands, von denen manche regelmäßig auftraten und andere nie den Proberaum verließen. Wenn man eine Live-Soul-Band gründen will, sucht man sich eine komplette Rhythmuscombo zusammen, holt sich eine Bläsergruppe und Sänger dazu. Es war immer ein absoluter Alptraum, alle zur selben Zeit an einen Ort zu kriegen. Auch das Schreiben war schwierig, es wollten immer zu viele Köche im Brei rühren, außerdem war solche Musik für mich schwer auszunotieren, so ganz allein zu Hause auf der Gitarre. Als ich Musiksoftware kennenlernte, insbesondere den Performance-Aspekt daran, fand ich das total irre. Ich konnte diesen breiten Soulsound vom Laptop aus machen und alles selber live triggern. Das ist ziemlich egoistisch, aber ich war ja immer von anderen abhängig und durch diese Art Musik zu machen habe ich gemerkt, dass ich gar keine Band brauche. Du kannst tatsächlich alles was du willst selber machen. Das ist Wahnsinn.
Sampling scheint bei deinem Stil im Mittelpunkt zu stehen. Ich höre in deinen Songs Samples auf einer ornamentalen Ebene, etwa die Sprachsamples von verschiedenen Medien, die aus mehreren Epochen kommen. Von den Vocals hast du einige geschnitten und geslicet. Benutzt du auch für die tiefer liegenden Schichten deiner Tracks Samples, z.B. für Melodien, Harmoniefolgen, Bass-Lines oder Texturen?
Bevor ich einen Beat zusammensetze, suche ich am liebsten nach Sounds und Samples, aus denen die Songpalette bestehen soll. Meistens entscheide ich mich für ein Basis-Sample, im Normalfall ist das zur Zeit ein Keyboardloop, den ich auf meinem Korg Minilogue aufgenommen habe, meinem Lieblingsgerät, oder es ist ein Bläsereinwurf und dann suche ich mir Sounds, die mit dem Loop gut funktionieren. Zum Beispiel suche ich nach Strings und stimme sie nach der Tonart, in der das Originalsample steht, dann lege ich nach und nach weitere Texturen darüber, um einen dicken, angereicherten Sound hinzukriegen. Ansonsten finde ich manchmal ein Stimmsample aus dem Radio, das zum Gefühl des Songs passt, füge dann Drums ein und lege das Tempo fest.
Die Bässe und Leads spiele ich normalerweise selber ein. Der Bläsersatz bei „Charlie“ ist eine Mischung aus einem gesampelten Saxofon, das ich in Ableton eingespielt habe und einem Instrumental-Sample, das ich online gefunden habe. Was mich bei dem Song am Anfang inspirierte, ist das Radiosample zu Beginn. Es stammt aus dem Nachkriegsamerika der 50er Jahre, Bilderbuchhausfrauen, brandneue Küchengeräte, der amerikanische Traum. „Charlie“ ist eine augenzwinkernde Hommage an diese Zeit. Die Stimme ist ein Ausschnitt von einer Aufnahme, die ich von Georgia van Etten gemacht habe, nur ein paar Stunden bevor sie in ein Flugzeug nach Großbritannien steigen sollte, um sich dort niederzulassen, der Text ergibt keinen richtigen Sinn.
Wie und wo gehst du eigentlich auf die Suche nach Samples?
Ich habe keine feste Strategie, um nach Samples zu suchen, ich halte einfach nach etwas Ausschau, das meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Früher habe ich vieles direkt von Vinyl gerippt, das ist eine ganz coole Methode. Besonders auf Reisen gehe ich gern zum Plattenkaufen in Second-Hand-Läden und picke mir meistens diejenigen mit den schrägsten Covers heraus, ohne zu wissen, wie sie sich anhören. Wenn ich dann zuhause ankomme, bin ich total überrascht. Neulich habe ich ein paar Platten aus dem Haus meiner Oma mitgenommen, die in Deutschland wohnt. Die sind alle gewarpt und klingen tonal ganz grausam, aber aus dem Zeug kann man ein paar coole kleine Sounds herausholen. Es kommt mir so vor, je schräger das Sample ist, desto kreativer und nützlicher kann es sein. Es macht riesigen Spaß, so Musik zu machen. Alternativ gehe ich Fieldrecordings durch, die ich auf Reisen gemacht habe, oder schaue bei YouTube, im Internet oder in kostenlosen Sample-Libraries. Je nachdem.
Außerdem ist es cool, den Song nicht komplett zu überladen. Wenn ich feststecke, suche ich nach verschiedenen Möglichkeiten, dasselbe Sample anders zu nutzen.
Wie geht es weiter mit der Komposition und dem Arrangement, wenn du mit Samples arbeitest?
Ich entscheide mich für eine Songpalette, wenn ich Samples, Texturen und Töne gefunden habe, die gut zusammen funktionieren. Dann mache ich mich an die rhythmische Struktur. Zuerst kommen also die Samples, um die Atmosphäre und das Feeling des Songs festzulegen, dann schaue ich mir die anderen Songbausteine an. Ein gutes Beispiel dafür ist „Chasing Stars“. Angefangen habe ich mit dem Zusammensetzen eines Pianoloops. Dann habe ich mehrere Streicher darüber gespielt, später einen Leadpart mit Rhodes und danach ein luftiges, sphärisches Pianosample. ich habe einen achttaktigen Loop gebaut und Songelemente weggenommen oder hinzugefügt, um eine Dynamik zu erzeugen, die mich auf Ideen für die Songstruktur brachte. Es fängt mit einem einfachen Pianoloop an, ein einfacher Drumloop fährt hinein und die große Hookline ist dort, wo die Streicher und Saxophone alle zusammen hineinkommen. In der Bridge geht es zurück zum Skelett, um den Song zu variieren.
Außerdem ist es cool, den Song nicht komplett zu überladen. Wenn ich feststecke, suche ich nach verschiedenen Möglichkeiten, dasselbe Sample anders zu nutzen. Für meinen Song „Touch“ habe ich das Reverb eines anderen Samples gesampelt, das ich in den Simpler gesteckt hatte und spielte. Wenn ich nicht weiter weiß, schaue ich, was ich schon habe und wie ich den Sound wiederverwenden könnte.
Du hast an anderer Stelle erwähnt, dass du die Struktur deines Albums sehr gewissenhaft gestaltest. Es gibt eine A- und eine B-Seite und die „Platte-wenden“-Pause in der Mitte. Kommt das durch deine Hörgewohnheiten? Oder bietet dir das einfach einen guten Rahmen, um die Abfolge der Tracks zu organisieren? Denkst du, dass die Hörer diese innere Struktur gewissermaßen spüren, selbst wenn sie das Album streamen?
Ich verfolgte bei I’m Dreaming den Plan, dass das Album als Ganzes von Anfang bis Ende gehört werden sollte, damit es die Hörer auf eine Reise mitnimmt und auf der anderen Seite wieder ausspuckt. Ich liebe Konzeptalben, wie sie mit Interludes und Outros arbeiten, wie sie alles miteinander verbinden. Das kommt also sicher durch meine eigenen Hörgewohnheiten. Ich habe früher wahnsinnig viel Pink Floyd gehört, ich liebe die Alben von The Avalanches, J Dilla, Onra, Bonobo, Jamie XX und den alten Kanye West. Es ist großartig, sich hinzusetzen und einfach das ganze Album anzuhören. Das war der witzigste Teil, alles zusammenzusetzen. Es war sogar von Anfang an Teil des Schreibens.
Wenn du zu einer Show von Alice gehst, wirst du feststellen, dass die Musik niemals abbricht. Ich schaue mir total gern die Lücken zwischen den Songs an und überlege mir, wie ich sie durch Interludes miteinander verbinden kann. Als ich I’m Dreaming schrieb, dachte ich ständig darüber nach. Ich glaube, die Hörer verstehen tatsächlich, dass das Album als Ganzes konzipiert wurde, denn jeder Song endet mit der Erwartung, dass da noch mehr kommt.
Neben allem anderen hast du dieses Jahr auch noch unter dem Titel Operator in Melbourne eine Reihe von Workshops über Musikproduktion geleitet. Was hast du aus dieser Erfahrung gelernt?
Ich liebe es, Musikproduktion zu unterrichten und ich werde mir dafür immer die Zeit nehmen, wenn ich zuhause bin und nicht auf Tour. Es ist toll, wenn du den Leuten Sachen zeigst, für die du selber brennst, besonders Samplingtechniken. Und du kannst dabei zuschauen, wie ihnen ein Licht aufgeht und diese Begeisterung teilen sie dir mit. Speziell bei der Reihe Operator ist es interessant, dass es Workshops für Frauen und LGBT-Leute sind, die dadurch einen Schutzraum zum Lernen und für Elektronische Musik bekommen. Das ist ganz wichtig in dieser sehr maskulinen Industrie. Das mache ich mit viel Leidenschaft. Auf der anderen Seite habe ich auch nach und nach gelernt, dass du deine Studiotheorie am besten auffrischen kannst, indem du das einfach einer Klasse beibringst.
Du warst so großzügig, unseren Lesern ein Sample-Pack zur Verfügung zu stellen. Was steckt da drin?
Ich habe 12 Samples hineingetan, die vor allem von meinen Geräten stammen. Ein paar funktionieren auch zusammen, aber insgesamt wollte ich Sounds und Töne nehmen, nach denen ich selber in einem Sample-Pack suchen würde. Wenn ich einen Beat mache, schaue ich mir im Normalfall die gesamte Soundscape an und wie ich aus verschiedenen Sounds etwas bauen kann. Deshalb gibt es im Pack Rises, eher atmosphärische Sachen für den Background, ein paar Lead-Synths, Harmonien usw. Das Sample Japanese Temple ist eine Trommel, die ich mit meinem Zoom-Rekorder in Japan aufgenommen habe.
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