Akimbo: Minimalistische Instrumentierungen aus Korea
Auf der koreanischen Halbinsel ist das psychokulturelle Konzept von Han ein wesentlicher Bestandteil der nationalen Identität. Dieser Begriff wird oft als eine Kombination aus Angst, Trauer, Ärger und Wut beschrieben – manche Wissenschaftler:innen führen Han auf die Geschichte der Unterdrückung und Invasion der Region zurück. In jedem Fall ist Han ein gängiges Thema in der koreanischen Kunst und umfasst in diesem Kontext zwei weitere Dinge: Hoffnung und Leidensfähigkeit. „Ähnlich wie Blues, aber viel komplexer“ fasst Rhylon Durham alias Akimbo, der Produzent aus Seoul, die Sache am Telefon zusammen.
Diese emotionale Schwere wird von traditionellen koreanischen Instrumenten wie dem Taepyeongso (einem Holzblasinstrument mit Doppelrohrblatt), der Daegeum (einer Bambus-Querflöte) und der Piri (einer zylindrischen Oboe) angemessen transportiert. Sie erzeugen „sehr gutturale und starke Klänge mit einer melancholischen Note“, sagt Akimbo, der 2011 die Red Bull Music Academy absolviert hat. Die Instrumente sind international weniger bekannt als die indische Sitar oder die chinesische Zither – ein Umstand, der sich aus Akimbos Sicht hoffentlich bald ändern wird.
Der gebürtige US-Amerikaner lebt seit mehr als zehn Jahren in der viertgrößten Industrienation Asiens und hat die vielen koreanischen Stilrichtungen ausgiebig erforscht – auch das schamanistische Ritual Gut und die opernhafte Kunst Pansori. Seine Produktionen erscheinen auf dem eigenen Label Tonal Unity und kombinieren die mystische Intensität koreanischer Instrumente mit filigraner Percussion, Psychedelia und sprudelnden Synth-Sounds. Akimbos Musik bewegt sich zwischen relaxtem Downtempo, schillerndem Ambient, Breakbeats und langsamem House – alles weiträumig arrangiert und mit trippigen minimalistischen Elementen versehen. Die Klänge sind ätherisch und zugleich stark von der koreanischen Musiktradition beeinflusst: deepe Grooves mit meditativer Qualität. Solche Tracks hört man gerne zu Hause und stellt sie sich als Club-Edits vor. Mit diesem flexiblen Ansatz erinnert Akimbos Musik an die elektronische Folklore des argentinischen Labels ZZK Records oder das brasilianische Kollektiv Voodoohop.
Laut Akimbo ist diese Art der Fusion bislang nur ansatzweise erforscht, im Gegensatz zu Mixturen aus koreanischen Genres und Dub, Reggae oder Flamenco. Weil die meisten Leute diese traditionellen Instrumente nur im Kontext klassischer Musik verorten, sorgt Akimbo in den Clubs von Seoul immer wieder für überraschende Momente: „Die Grundlagen der koreanischen Musik sind nach wie vor Lehrstoff in der Schule. Und wenn die Sounds dann getrennt von ihrer angestammten Musik präsentiert werden, kann das für manche im Publikum durchaus schockierend sein.“
Der Geist des Free Jazz
Die meisten Tonal Unity-Veröffentlichungen – inklusive der Musik von Akimbo – beginnen mit live aufgenommenen koreanischen Instrumentalist:innen, die in verschiedenen Geschwindigkeiten improvisieren. Im Hintergrund werden via Live leise Naturgeräusche abgespielt. Vor dem Start entscheiden sich die Musiker:innen normalerweise für einen Grundton als Fundament – bei Melodieinstrumenten meist c-Moll: „Es geht vor allem darum, das Klangspektrum dieser Instrumente zu erforschen“.
Akimbo arbeitet regelmäßig mit einer jüngeren Generation von Avantgarde-Musiker:innen zusammen – zum Beispiel mit dem Taepyeongso-Meister Kim Oki und der Piri-Virtuosin Park Jiha, die beide auf seiner Debüt-EP Sun Moon & Five Peaks von 2016 dabei sind. „Viele traditionelle Musikschaffende sind offen für neue Konzepte und setzen ihre Instrumente gerne in anderen Kontexten ein“, sagt Akimbo. Beim Aufnehmen achtet er stets auf kurze Sounds, um sie dann später in einem Drum-Rack zu nutzen. Dabei warpt er die Samples nur ganz dezent, „damit die Tonalität und die Wärme nicht verlorengehen“.
Nachdem Akimbo die Aufnahmen als Loop-Packs gespeichert hat, macht er sich an die Bearbeitung in Live. Als Fan der Live-Effekte bearbeitet er die Samples gerne mit Lives Audio-Effekt Echo und anschließend mit Resonator: „Die koreanischen Instrumente sind alle analog – sie liefern viele Obertöne und eine natürliche Rohheit. Und das passt sehr gut zu Resonatoren und Grain Delays“, sagt er. Weitere Lieblingstools sind Elektrons Sampler Octatrack und Hardware-Synths wie Arturia Microfreak.
Ein Ort für organische Experimente
Tonal Unity wurde 2016 als Plattform für Akimbos Solomaterial gegründet – bislang sind dort zwei EPs und mehrere Singles erschienen. Mittlerweile gibt es auch Veröffentlichungen von anderen Künstler:innen aus Asien und anderen Kontinenten.
Manche Releases sind Neuinterpretationen koreanischer Rhythmen – eine interkulturelle Übung, bei der die Teilnehmer von Akimbo Live-Aufnahmen zur Bearbeitung bekommen oder selbst gefundene koreanische Samples auseinandernehmen. 2019 wurden diese hybriden Experimente auf einer Compilation zusammengefasst, die wie eine berauschende Dosis pflanzlicher Heilmittel wirkte – dank eines tuckernden Acid-Tracks des indonesischen Produzenten Prabumi und wackligen Tribal-Sounds von Ground aus Osaka.
Andere Alben auf Tonal Unity stammen von lokalen Künstler:innen, die Tradition und Technologie verbinden. Nuunmuun, das letztjährige Debütalbum des Daegeum-Virtuosen Seungmin Cha, ist eine sehr physische Angelegenheit: Flötenklänge wurden durch eine Loopstation und verschiedene Effektpedale geschickt. Ein weiteres Highlight erschien ebenfalls 2019: die Gems EP des klassisch ausgebildeten Komponisten Livigesh, der nebenbei atmosphärischen Techno produziert.
Die meisten Total Unity-Veröffentlichungen besitzen ein eher gemächliches Tempo, was aus Akimbos Sicht am besten zu koreanischen Instrumenten passt: „Wenn man sich auf ein bestimmtes Instrument eingelassen hat, passen auch schnellere Geschwindigkeiten. Aber das erfordert auch, dem Instrument genauer zuzuhören“.
Für die Zukunft plant Akimbo, mehr Zeit in das Komponieren mit anderen Musiker:innen zu investieren und nach neuen Instrumenten für seine Aufnahmen zu suchen. „Viele lokale Künstler:innen wünschen sich, dass die koreanische Musik weit über die Grenzen hinaus bekannt wird“, sagt er. Und wenn Tonal Unity seine Fusion auf solch überzeugende Weise fortsetzt, wird dieser Wunsch auch in Erfüllung gehen.
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Text und Interview: Nyshka Chandran