Akiko Kiyama: Mit Aalko jenseits der Technowelt
Eine neue Richtung einzuschlagen fordert jeden Musiker heraus, aber es ist umso schwieriger, wenn man sich in einer bestimmten Szene bereits einen Namen gemacht hat. Wie überwindet man die Angst, von der Fanbase falsch verstanden oder schlimmstenfalls abgelehnt zu werden, die man sich jahrelang hart erkämpft hat? In der Hoffnung, einige Antworten auf solch komplizierte Fragen zu finden, setzten wir uns in Tokio mit Akiko Kiyama zusammen.
Seit über zehn Jahren tritt Kiyama immer wieder mit geschliffenem wummernden Minimaltechno hervor. Mehrere dieser Tracks fanden ihren Platz in den DJ-Sets und Mixes von Größen wie Richie Hawtin oder Ricardo Villalobos. Gleichzeitig wuchsen Kiyamas Interessen als Hörerin und Musikerin über die Clubwände hinaus – eine Entwicklung, die sich im kürzlich erschienenen No Man Is An Island niederschlug, dem Debütalbum ihres Projekts Aalko.
Obwohl sich No Man Is An Island entschieden von den formalen Bestimmungen im Techno abwendet, demonstriert Kiyama dort ihr cluberprobtes Können als Producerin und ihre Vorliebe für unerwartete, ineinander verwobene Sounds und Texturen, mit denen sie die Ohren der Zuhörer in ihren Bann zieht. In unserem Interview mit Akiko-san sprachen wir über ästhetische, technische und persönliche Faktoren, die sie zu diesem Karriereschritt bewogen haben und was noch dazugehört.
Das neue Album veröffentlichst du unter dem Namen Aalko und es stellt für dich einen stilistischen Umbruch dar. Wie kam es dazu?
Ich glaube, ich wollte einfach sehr ehrlich mit meiner Produktion sein und tun, wonach mir war. Aalko ist ein neues Projekt, aber kein besonderes Konzept, vielleicht eher ein Nebenprodukt meiner Technosachen. Das Konzept lässt sich musikalisch nicht so leicht in eine Schublade stecken, es kann so breitgefächert sein. Aber Aalko ist im Grunde das, was ich momentan machen will. Ich erwarte nicht, dass andere meine Sachen mögen. Es ist okay, wenn es manchen nicht gefällt, mir ist das egal. Wenn es den Leuten gefällt, weiß ich das zu schätzen.
Ich dachte, viele meiner Fans sind Technofans und daher nicht so sehr am neuen Musikstil interessiert. Deshalb beschloss ich, mein eigenes Label zu gründen [Kebko Music] und alles selbst in die Hand zu nehmen. Ich entschied mich für Kassette als Hauptmedium, weil ich neugierig war, wer sich für dieses nicht so ganz zugängliche Format interessieren würde.
Was zuerst auffällt, ist die rhythmische Vielfalt deiner Tracks.
Stimmt, das ist echt ziemlich anders. Vor einigen Jahren probierte ich, meinen experimentellen Stil in Technosets einzubauen, aber ehrlich gesagt wurde mir das wieder zu öde. Daher trenne ich mittlerweile Techno total strikt von experimentellen Breakbeats. Das war für mich ganz neu: Wie macht man Tracks mit verschiedenen Rhythmusteilen? Mich interessieren Time-Stretch und die Illusion von Zeit, ich stecke Tracks mit unterschiedlicher BPM-Zahl in dieselbe Spur und versuche dann, daraus ein Gesamtgemisch zu machen. Ein Teil hat dann z.B. 120 BPM, ein anderer 93 und wieder ein anderer 150, sie existieren unabhängig voneinander, aber an einem gewissen Punkt kommen sie zusammen. Das ist ziemlich schwierig, aber zur Zeit einer meiner Fokusse.
Ich bin neugierig, wessen Stimme hören wir im Track „Only Its Voice Rings Out“?
Das weiß ich wirklich nicht mehr. Aber auf „Sweep You Away“ habe ich meine Stimme genommen. In dem Track, den du meinst, heißt es: „Read, read, read the book“. Gemeint ist das Buch „Three Cornered World“ [dt. „Das Graskissen-Buch“], von Natsume Sōseki, das ich auf Englisch gelesen habe. Glenn Gould, der Klassikpianist, liebte dieses Buch über alles. Es geht dort um einen Dichter, der darüber sinniert, wie Poesie lebendig werden kann und was Poesie sein könnte. Für diesen Dichter war es sehr schwer in der Welt der Menschen zu leben. Aber mir macht es Spaß und das Buch mag ich sehr gern.
Wenn du mit einem neuen Track anfängst, hast du von vornherein eine Idee zur Struktur oder spielst du intuitiv drauflos und schaust danach einfach, was gut klingt?
Normalerweise habe ich überhaupt keinen Plan, ich spiele einfach drauflos und nehme alles auf, danach schneide und bearbeite ich es. Ich ignoriere außerdem Taktstriche und Raster und bearbeite alles als Audiodatei. Manchmal ist es gar nicht so leicht, es nachzubearbeiten, deshalb kann es passieren, dass ich nach der Aufnahme etwas zusätzlich analog moduliere. Das ist etwas schwierig, weil ich einerseits meine Tracks aufpolieren, aber gleichzeitig etwas am Leben erhalten will.
Du meinst das Rohe?
Genau, das ist immer der Kampf.
Aber wenn du solche Musik machst, wird das Thema Techno dadurch für dich wieder reizvoll?
Ich mag Techno immer noch sehr, vor allem zum Tanzen, im Club. Aber Technotracks zu produzieren langweilt mich auf Dauer. Am Ende ist Techno richtig gut, wenn es nur eine Kick- oder eine Bassdrum oder eine Hihat gibt und wenn die Soundqualität dazu stimmt, reicht das schon aus – Man braucht nicht viel, um den Raum zu füllen. Das ist mir vor allem in meiner Berliner Zeit klar geworden. Die Leute gehen viel mehr ab, wenn die Zahl der Sounds abnimmt… richtig minimalistisch, nur Kick, Bass, Hihat, Snare.
Sind das die Elemente, mit denen du normalerweise einen neuen Track anfängst?
Ich glaube, zuerst brauche ich etwas Zeit zum Herumlaufen, zum Lesen oder Notizen machen. Nicht mal unbedingt auf Musik bezogen, nur Gedanken, die ich mir gerade über das Leben mache oder ganz generelle Sachen. Ich brauche Zeit, um mich ganz zu beruhigen und still zu werden. Wenn mir dann nach Musikmachen ist, fange ich an und öffne meistens einfach Live. Es kommt dann darauf an, manchmal nehme ich zuerst Synthesizer auf oder spiele ein Sample aus meiner Audiobank. Ich spiele und spiele und manchmal ändere ich bloß die BPM oder die Tonhöhe. Oft ändere ich drastisch die Tonhöhe oder ich schneide eine Tonspur zu einem Loop. Meistens sind es also keine Rhythmusteile, mit denen ich anfange, sondern eine Art Groove.
Woraus besteht diese Audiobank, von der du gesprochen hast? Oder ist das ein Geheimnis?
Nein, nein, das ist überhaupt kein Geheimnis. Als ich zum ersten mal Musik machte, war ich auf der Uni, hatte kein Geld und keine Lust, neue Synthesizer oder sowas zu kaufen. Also nahm ich etwas von CD oder YouTube auf oder sowas – gängige Sounds eben, aus denen ich Samples baute. Später kaufte ich dann Software-Synthesizer und sampelte sie, manche verwendete ich für die Tracks, die dann herauskamen. Deshalb musste ich sie dann auch in meinem Liveset spielen. Ich nehme sozusagen noch einmal die Struktur mit diesen Samples auf, speichere das Ganze als neue Samples ab und so weiter. So geht das schon seit über zehn Jahren. Das ist wie ein Yakitori-Imbiss [japanische Hühnerspieße], der seit 10, 15 Jahren dasselbe Öl verwendet. Vielleicht wird der Geschmack davon dichter oder intensiver.
Ich fange also mit einem Groove oder einer Atmosphäre an, aber auf einer späteren Entwicklungsstufe sind diese Elemente dann aus dem Track verschwunden. Es ist eher wie bei einem Ölgemälde.
Kommen als nächstes die Rhythmuselemente dazu?
Rhythmisch sind sie, aber nicht wie gewöhnliche Technodrums. Ich bin nicht sonderlich auf Hihats fixiert, die kommen später dazu. Außerdem versuche ich, die Kickdrum nicht zu früh einzusetzen, ich arbeite also mehr oder weniger ohne Kicks.
Wie lange arbeitest du an der Grundform eines Tracks?
Kommt drauf an, aber eigentlich werde ich lieber schnell fertig. Dann ist es zwar etwas rauher, aber das ist trotzdem ein gutes Zeichen. An einer Session arbeite ich etwa eine oder zwei Stunden, wenn ich dabei etwas heraushole, nehme ich es einfach in der Session-Ansicht auf und bearbeite das Ganze später.
Und wie gelangst du von dort zum fertigen Track?
Das ist für mich gar nicht so einfach, das ist nicht der Teil, der mir beim Musikmachen am meisten Freude macht. Ich genieße beim Entwickeln den Anfang und den Mittelteil. Wenn ich meinen Ideen später den richtigen Feinschliff verpasse, mich um jeden einzelnen Sound kümmern muss und das Arrangement aufräume, dann ist das ziemlich ermüdend. An einem gewissen Punkt kriege ich immer das Gefühl, dass ich bei diesem Song die Abschlussprüfung schaffen muss, sonst kann ich nicht weiter zur nächsten Stufe, sonst fliege ich raus. [lacht]
Wenn ich z.B. manchmal modulare Sounds aufnehme, kann sich plötzlich die Lautstärke ändern. Für solche Übergänge muss ich dann einen hübschen kleinen Kurvenverlauf einzeichnen.
Von Hand?
Ja, von Hand und durch bloßes Zuhören. Erst höre ich mir den Sound an, dann bearbeite ich ihn. Das ist was für menschliche Ohren, ich finde es so viel natürlicher. Ich glaube nicht so richtig ans Schneiden nach Zahlen. Aber manchmal habe ich zu viele Ideen in einem Track, dann überlege ich mir, was ich wegschmeißen kann.
Tust du in so einem Fall etwas ganz weg oder hebst du es für andere Tracks auf?
Kommt drauf an. Es ist ja viel schwieriger, etwas wegzuwerfen als etwas Neues dazu zu tun, aber im Normalfall werfe ich nur wenige Teile weg, ich mache nicht gleich einen neuen Track. Aber wenn ich live spiele, kann ich solche abgewählten Teile wieder einbeziehen.
Akiko übt für ihren Auftritt bei Mutek Tokyo
Performst du also nicht als DJane, sondern live?
Klar, ich spiele immer live. Meistens nehme ich bei einem Track die Audiosamples heraus, habe also nur Kick, Hihat und Melodie. Früher ging das ganz leicht, weil mein Stil sehr minimalistisch war. Da konnte ich einfach einen Loop spielen oder auch vier. Aber seit einiger Zeit entwickle ich sogar die Technotracks weiter, daher wird es komplizierter. Manchmal nehme ich ein langes Sample, so 3 min lang … und dann muss ich abwarten, bis es fertig ist mit Abspielen. Natürlich könnte ich genauso gut improvisieren, aber die Leute mögen es, wenn sie den Track kennen, der läuft.
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