Die Grundsteine der Black Music: Call & Response
Dies ist der zweite Teil einer fünfteiligen Serie.
Den ersten Teil finden Sie hier
Ich sage HEY, ihr sagt HA! – HEY! – HA! – HEY! – HA! Kommandos wie diese mögen uns an Hype-Men des 90er-Jahre-Hip-Hop erinnern, an Hochzeits-DJs oder Animateure in Sport-Stadien. Sie sind jedoch auch ein gutes Beispiel für eine musikalische Figur, der innerhalb der Schwarzen Musik eine bedeutende Rolle zukommt: Call & Response.
Einfach ausgedrückt, ist Call & Response ein Dialog zwischen zwei unterschiedlichen musikalischen Phrasen. Das obige Beispiel können wir uns als ein Gespräch zwischen einer führenden Stimme und einer Gruppe vorstellen, Call & Response kann jedoch verschiedenste Formen annehmen: die einer Konversation zwischen Lead-Soloist:in und einem antwortenden Ensemble, einer instrumentalen Version des genannten Beispiels, oder eines leidenschaftlichen Dialogs zwischen dem Gesang einer:eines Instrumentalist:in und deren:dessen Instrument. Es kann sich dabei auch einfach um eine Frage- und Antwortstruktur zwischen verschiedenen kurzen Phrasen auf einem Einzelinstrument handeln. Bestimmend ist jedoch immer dasselbe dialoghafte Hin und Her zwischen zwei musikalischen Elementen.
Seine Wurzeln hat Call & Response in den musikalischen Ritualen des subsaharischen Afrikas. Musik war wesentlicher Bestandteil fast jeder sozialen Begebenheit, von religiösen Zeremonien bis hin zu zivilen Zusammenkünften. Mit dem Sklavenhandel fand die einfache, aber wirkungsvolle Technik ihren Weg über den Atlantik, und nahm in den frühesten musikalischen Formen der Schwarzen Diaspora eine entscheidende Rolle ein, in Form von Arbeitsliedern, als spirituelle Praxen oder auch in Gospel und Blues. Die Struktur von Frage und Antwort mag generell ein wichtiges musikalisches Werkzeug sein – deren Präsenz und Form in der Tradition Schwarzer Musik steht jedoch für sich, und spiegelt die einzigartigen Aspekte Schwarzer Erfahrungen.
Wenn ich mich für nur eine Figur entscheiden müsste, die Schwarze Musik und deren Ästhetik grundlegend ausmacht, dann wäre das Call & Response. Ihre Allgegenwart ist Zeichen einer essentiellen Eigenheit Schwarzer Musiktradition: Schwarze Musik ist kein fixes Objekt, sondern kollektive Erfahrung und Praxis – und sollte auch als solche anerkannt werden. Man nehme eine der berühmtesten Jazz-Aufnahmen: „So What” von Miles Davis, dessen ersten Takte bereits ein hervorragendes Beispiel für Call & Response liefern. Man könnte sich in Ausführungen über das innovative Genie von Davis als Komponisten verlieren, was aber den meisten Menschen beim Hören von „So What” als erstes auffällt, ist das, was er und andere Jazz-Legenden an genau diesem Tag im Studio geleistet haben. Es geht dabei um den Moment. Die Schwarze Musik baut auf dem Ereignis, basiert auf Prozess und Performance, auf Musik in ständiger Bewegung. Die 1959 aufgenommene Version von „So What”, die Kind of Blue eröffnet, ist die ikonischste Momentaufnahme des Stücks, jede andere Aufnahme davon wird – auch von denselben Musikern aufgenommen – völlig anders klingen; um nicht von den zahllosen Performances anderer Musiker:innen in völlig anderen Situationen und zu anderen Zeiten zu sprechen. Was also ist „So What”? Das Stück ist, wie alle großen Werken Schwarzer Musik, ein Ausgangspunkt.
Schwarze Musik existiert alleine im Moment des Spielens. Die Musik – ob niedergeschrieben oder nicht – ist ein Medium für den individuellen Ausdruck von Spielenden, die eine kollektive Erfahrung anleiten: eine, in der das Publikum nicht einfach passiv zuhört, sondern aktiv teilhat. Das Publikum ist nicht einfach anwesend, um am Ende eines mehrteiligen Stücks zu applaudieren, sondern kommuniziert Zustimmung (und Ablehnung) unmittelbar und verbal. Das „Yes Lawd!” während einer Gospel-Performance, die Rufe der Begeisterung während eines massiven Drops auf einer Technoparty oder die Buh-Rufe bei einer schlechten Performance bei „Showtime at Apollo” sind nicht einfach Zufälle, sondern integrale Bestandteile des Erfahrens und Erlebens Schwarzer Musik. Die Auftretenden drücken sich mit ihrer Interpretation von Musik aus, und antworten damit auf die musikalischen Eigenheiten Anderer. Das Publikum reagiert in Echtzeit, und wird damit zum Teil des Prozesses des Musikmachens.
Auf Ebene der Komposition kann Call & Response in verschiedenen Formen in Erscheinung treten: Als Repräsentation einer Interaktion zwischen verschiedenen Stimmen auf einem Einzelinstrument – wie etwa am Anfang von „Purple Haze” von Jimmy Hendrix – oder als direktes Praktizieren dieser Interaktion, wie in „Can I Kick it” von A Tribe Called Quest. Manche Stücke, wie diese berühmte Aufnahme von „Salt Peanuts” von Charlie Parker und Dizzy Gillespie, greifen auf beide Formen zurück. Im Performance-Kontext erlaubt Call & Response, das Publikum in den kreativen Prozess einzubinden, und eine tiefere Verbindung mit den anderen Musizierenden aufzubauen. Die Technik ermöglicht der Musik einen Bezug auf sich selbst und auf das Setting der Performance. Sie reproduziert die reflektive, selbstreferentielle Natur Schwarzer Musik.
Call & Response repräsentiert diejenigen Aspekte Schwarzer Musik, die es so wertvoll machen, die musikalische Tradition dahinter eingehend zu studieren – eine Tradition, die auf einem eigenen Wertesystem basiert und überall da, wo ihr Einfluss spürbar wird, einzigartige Erfahrungen ermöglicht. Die partizipatorische Natur Schwarzen Musikmachens, die so tief in kollektiven musikalischen Formen afrikanischer Religion und Rituale wurzelt, überdauerte als grundlegendes Element all jene musikalischen Permutationen, die sich in Amerika weiterverbreiteten und entwickelten.
In der partizipatorischen Natur von Musik und Performance liegt ein grundlegender Unterschied zwischen Schwarzer Musik und, zum Beispiel, europäischer klassischer Musik. Sie ist vielleicht der Hauptgrund dafür, dass Schwarze Musik – zumindest seit der Erfindung der Aufnahme – zum Soundtrack modernen Lebens avancierte. Klassische Musik ist ein Spiegel derjenigen prämodernen europäischen Kultur, aus der sie entstand: einer Kultur, die auf hierarchisch organisierten Religionen und Klassensystemen aufbaute. Die Musik wurde, so wie der rituelle Kontext, in dem sie entstand, schriftlich überliefert; inwieweit sie anerkannt wird, wird immer auch davon abhängig gemacht, wie nah sie an ihrem Originaltext bleibt. Die Analysen von Bachs Werken beziehen sich im Wesentlichen auf den Notentext, nicht auf das gottesdienstgleiche Ritual ihrer Aufführungen. In der Erfahrung Schwarzer Musik hingegen gibt es immer ein Moment des Flüchtigen. Die Noten niederzuschreiben fängt die Musik nicht im Ganzen ein – man muss einfach dabei sein. Und wer dabei ist, ist auch Teil davon.
Der Grund für die einzigartige Rolle von Call & Response für den Kanon ist genau jene Eigenschaft Schwarzer Musik: Das „Durchbrechen der vierten Wand”. Die Technik wurde nicht von irgendjemandem erfunden; vielmehr prägte sie unverkennbar und omnipräsent die musikalische Ästhetik eines Volkes und seiner Nachkommen. Sie begegnet uns in einem breiten musikalischen Spektrum, etwa im Falle der improvisations-basierten Coro-Pregón (choir and caller)-Bereiche von Salsa and Merengue bis hin zu den eröffnenden Takten von „My Generation” von The Who’s; von DJ Kools Partyhit „Let Me Clear My Throat” bis zu den alternierenden Pattern von Robert Hoods „Needs and Wants”. Jede Begegnung mit Call & Response fungiert auch als ein Moment des Eintauchens in Tradition und Überlieferung Schwarzer Musik; sie lädt uns ein, Teil davon zu sein.
Als einen Ausgangspunkt habe ich diese Spotify-Playlist erstellt, die neben den oben erwähnten Beispielen noch viele weitere Stücke und Tracks mit Call & Response enthält.
Text: Adam Longman Parker
Bald erscheint dritte Teil der Essayserie: „Die Grundlagen der Black Music: Blue Notes”
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