Fabian Russ: Inmitten elektrifizierter Klassik
Für manchen mag die Neuinterpretation von Bach und Haydn mit Computer-Software einem kulturellen Sakrileg gleich kommen. Für den deutschen Komponisten und Sound-Designer Fabian Russ ist es das Ticket zur Zusammenarbeit mit einigen der hochangesehendsten Klassik-Solisten unserer Zeit. Russ dekonstruiert die musikalische Hochkultur mit Simpler und fügt sie auf seine ganz eigene Art wieder zusammen. Mit beeindruckender Souveränität komponiert er lebendige, für Multi-Channel-Systeme angelegte Werke, die im Raumklang ihren Zauber entfalten. Wir sprachen mit Russ über die Kunst des empfindsamen Ausbalancierens klassischer und elektronischer Sounds und über das Schreiben von Musik für Rundum-Soundsysteme.
Du verwendest als Ausgangsmaterial für deine Manipulationen häufig Sounds klassischer Instrumente oder ganze Passagen aus Klassik-Kompositionen. Was genau fasziniert dich daran? Wieso hast du diesen Weg überhaupt eingeschlagen und welche neuen Perspektiven möchtest du in diesem Metier aufzeigen?
Um ehrlich zu sein, musste ich das gar nicht erst groß entdecken, denn schon in meiner Kindheit war ich von Klassik umgeben. Ich habe immer davon geträumt mit einem Orchester zu arbeiten. Also landete ich irgendwann bei einer Orchester-Sample-Library. Jeder angehende Produzent arbeitete mit so einer Library. Alle wollten für Orchester schreiben und alle konnten sich maximal ein Laptop für die Aufführung oder Wiedergabe leisten. Die Option, elektronische und orchestrale Bestandteile miteinander zu verbinden, war also schon sehr früh präsent. Ich wusste nur noch nicht, wie man das auf natürliche Art miteinander vereint.
Es gab damals niemanden, der meine Kompositionen gespielt hätte. Und selbst wenn es jemanden gegeben hätte, so war mir ja gar nicht richtig klar, was ich hätte schreiben sollen. Ich wollte einfach Musik machen; unvoreingenommen und mit jugendlichem Eifer. Ich fing dann an, mit Simpler in Live zu arbeiten. Es war halt kein Geld da, um echte Musiker zu bezahlen. Also nahm ich mir meine älteren Kompositionen vor und entwickelte daraus neues Material, neue Texturen und Melodien. Anschließend experimentierte ich mit verschiedenen Raumgrößen und Panoramen.
Um an mehr Material für die Manipulationen in Simpler zu kommen, begann ich, mit Freunden aufzunehmen. Es wurde zu meinem Charakeristikum, mit Samples zu arbeiten und sie mit Beiträgen von berühmten Musikern wie dem Barock-Violinisten Midori Seiler, dem Counter-Tenor Andreas Scholl, dem Oboisten Albrecht Mayer und dem STÜBA Philharmonie-Orchester zu kombinieren.
Für die meisten Künstler ist die Arbeit mit Multi-Channel-Systemen ein einmaliges Projekt. Bei dir scheint das anders zu sein. Wo liegen die Herausforderungen und Chancen beim Einsatz dieser Raum-Systeme? Und was hoffst du selbst damit zu erreichen?
Als meine Kollegen und ich 2012 anfingen, im Radialsystem zusammen zu arbeiten, hatten wir den Plan, elektronische Musik, gepaart mit Tanzsequenzen und dem Barock-Geiger Midori Seiler, auf die Bühne zu bringen. Die ursprüngliche Idee dazu kam von Folkert Uhde, einem der Gründer des Radialsystem. Ich sagte ihm, dass ich definitiv einen Weg finden würde, die klassischen und elektronischen Elemente zu kombinieren. Ich ging ins Studio, öffnete Simpler in Live, zog Midori Seilers Aufnahmen der Bach-Partiten für Solo-Violine rüber und begann damit zu experimentieren. Uhde hatte auch die Idee, mit Quadrophonie zu arbeiten; also in jeder Bühnenecke einen Lautsprecher zu installieren. Das Publikum sollte sich genauso dazwischen aufhalten können wie die Tänzer, der Geiger und ich.
Daraufhin simulierte ich in meinem Heimstudio Quadrophonie und bekam ziemlich schnell eine Idee davon, wie die Sounds um meinen Kopf herum schwirren würden. Ich wendete mich überall in Deutschland an Hochschulen, die sich mit Raumklang befassen. In Leipzig stieß ich auf den jungen Programmierer Egor Poliakov. Er erzählte mir von einer Software für Multi-Channel-Steuerung, die von IRCAM entwickelt wurde. Also kauften wir die Software und er passte sie für unser Bühnenstück Inside Partita an. Unser Publikum war in einem Kreis, umgeben von Lautsprechern und von überall erklangen die Kompositionen, gekrönt von der Solo-Violine. Meine Bach-Manipulationen waren speziell auf dieses System zugeschnitten und hätten anders gar nicht funktioniert. Für sämtliche Files verwendeten wir ein spezielles Mono-Multi-Channel-Mastering, das sich nur auf einen solchen Kreis anwenden lässt.
Letztlich wurde genau das zu meiner "normalen" Arbeitsumgebung. Man könnte sagen, ich begann in Kreisen zu denken. Wir versuchen allerdings immer, den technischen Aspekt so einfach wie möglich zu halten.
Wo liegen die Schwierigkeiten bei der Kollaboration klassisch ausgebildeter Instrumentalisten mit einem Laptop-Musiker? Wie bekommst du den Rechner dazu, sich so intuitiv zu verhalten, dass er einem traditionellen akustischen Instrument gleich kommt?
Eines der fundamentalen Probleme bei der Arbeit mit dem Computer ist, dass ich Sounds nicht physikalisch wie auf einem echten Instrument erzeugen kann. Der Computer generiert die Sounds – ich kontrolliere sie nur.
Bei der Arbeit mit einem Orchester kann man schnell in Ehrfurcht erstarren. Ein Sinfonieorchester ist wie ein riesiger, aus vielen Menschen bestehender Organismus, der sich an den Dirigenten erst gewöhnen muss. Ich könnte dem Dirigenten natürlich einen Metronom-Click auf das Ohr geben. Aber dann würde der Klangkörper Teil der Maschinerie werden und nicht mehr organisch agieren. Ein Orchester ist durchaus mit der menschlichen Gemütslage vergleichbar. Sie ändert sich ständig. Ein Großteil der Arbeit besteht hauptsächlich darin, einen interessanten und fürsorglichen Ausdruck im Zusammenspiel zu finden. Das Gleiche gilt für Solisten – jede Aufführung liefert ein anderes Ergebnis. Das kann schon zum Problem werden, wenn man sehr empfindliche Soundstrukturen geschaffen hat, so wie die für Midori Seiler oder Andreas Scholl. Im Prinzip gibt es nur die Option, dass sich die Musiker an meinen vorproduzierten Kompositionen entlang hangeln. Bis jetzt habe ich keine andere Lösung gefunden, um bei allen Aufführungen exakt den Sound zu erzielen, den ich haben möchte.
Bleiben Sie mit Fabian Russ über seine Website in Kontakt.